Die überwiegende Mehrheit unserer Wälder wird bewirtschaftet, der Wald erbringt so vielfältige Leistungen wie Holzproduktion, Schutz vor Naturgefahren oder Erholung, die der Mensch nutzen kann. Der Wald hat auch eine grosse Bedeutung für die Erhaltung der Biodiversität. Die natürliche Waldentwicklung im Wirtschaftswald ist jedoch stark begrenzt. Der Fokus der Bewirtschaftung liegt zumeist auf der Entwicklungs- und Optimalphase, während die Zerfalls- und Pionierphasen eines Bestandes möglichst kurzgehalten bzw. komplett übersprungen werden. Oft mangelt es darum an alten Bäumen und Totholz (Abb. 1).

Habitatbaum – Baummikrohabitat

Ein Habitatbaum ist ein lebender oder toter, stehender Baum, der mindestens ein Mikrohabitat trägt. Der Begriff Mikrohabitat bezeichnet sehr kleinräumige oder speziell abgegrenzte Lebensräume. Baummikrohabitate (in der Folge oft als BMH abgekürzt) sind vom Baum getragene, klar abgegrenzte Gebilde, auf die viele verschiedene, teils hochspezialisierte Tier-, Pflanzen-, Flechten- und Pilzarten während mindestens eines Teils ihres Lebens angewiesen sind (Abb. 2). Sie entstehen zum Beispiel durch eine Verletzung durch Steinschlag, Blitzeinschlag oder Aktivitäten von Spechten. Baummikrohabitate können auch Elemente sein, für die der Baum lediglich als Stütze dient, beispielsweise ein Nest, Efeu oder Lianen. Wie lange die Entwicklung von Baummikrohabitaten auf Habitatbäumen dauert, ist sehr variabel: von wenigen Millisekunden für die Entstehung einer Blitzrinne bis hin zu mehreren Jahrzehnten für die Ausbildung einer grossen Mulmhöhle. Die Dauer, während der ein BMH für ein Lebewesen nutzbar ist, ist ebenfalls sehr unterschiedlich.

Bedarf nach einer standardisierten Methodik

Bis vor kurzem wurden BMH und Habitatbäume nicht einheitlich bewertet und gemessen. Sehr oft haben sich die Definition sowie die Kriterien für die Auswahl von Habitatbäumen je nach Studie und Inventar geändert. Unter der Federführung des Europäischen Forstinstituts (EFI) entwickelten Fachleute aus ganz West- und Mitteleuropa zunächst einen BMH-Katalog. Seitdem wurde dieser Katalog weiterentwickelt und veröffentlicht (Larrieu et al. 2018).

Die standardisierte Typologie der Baummikrohabitate ist hierarchisch strukturiert. Die erste Ebene besteht aus sieben Formen (siehe Abb. 2), die auf Merkmalen basieren, welche für die Artenvielfalt relevant sind. Diese sieben Formen werden in einer zweiten Ebene weiter in 15 Gruppen und in einer dritten in 47 verschiedene Typen unterteilt (Abb. 3). Dank ihrer hierarchischen Struktur ist die Typologie für verschiedene Zwecke nützlich. Für die schnelle Auswahl von Habitatbäumen bei der Holzanzeichnung mögen die sieben Formen genügen. Für Waldinventuren oder Monitoringzwecke empfehlen wir, entweder die 15 Gruppen oder die 47 Typen zu verwenden. Um in der waldökologischen Forschung die Beziehungen zwischen Arten und BMH zu untersuchen, können die 47 Typen nach zusätzlichen Kriterien noch feiner unterteilt werden.

Die standardisierte Methode ist auch hilfreich beim Monitoring, für die Waldzertifizierung und für die Erfolgskontrolle von Massnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt im Wald, wie sie der Bundesrat in der Waldpolitik 2020 und in der Strategie Biodiversität Schweiz beschlossen hat.

Abb. 3. Empfohlene Baummikrohabitat-Typologie nach Larrieu et al. (2018), gegliedert in 7 Formen, 15 Gruppen und 47 Typen. Zeichnungen: C. Emberger, L. Apfelbacher / D. Kraus und Reproduktionen aus Kraus et al. 2016. Download als PDF.

Wie werden Habitatbäume erfasst?

Baummikrohabitate sind oft nur klein. So ist es beispielsweise schwierig, mit blossem Auge eine in 20 Metern Höhe gelegene Kleinspechthöhle zu entdecken. Deshalb empfehlen wir, mit einem Fernglas zu arbeiten. Ausserdem sind Aufnahmen, die im laublosen Zustand der Bäume durchgeführt werden, einfacher und genauer. Die subjektive Wahrnehmung spielt auch eine wichtige Rolle für die Genauigkeit der BMH-Aufnahmen. Daher sind klare Anweisungen sowie eine einfache und eindeutige Methode unerlässlich. Im Idealfall werden die Aufnahmen in Zweierteams durchgeführt, obwohl eine erfahrene Person auch allein komplette Aufzeichnungen erstellen kann. Jeder Baum wird vom Stammfuss bis zur Krone inspiziert. Am besten geht man einmal um den Baum herum zum Absuchen des unteren Stammbereichs und ein zweites Mal, in grösserer Entfernung, für den oberen Bereich und die Baumkrone. Das sorgfältige Absuchen eines Baumes erfordert zwischen einer und drei Minuten, je nach Grösse, Anzahl BMH, Hangneigung und Detailierungsgrad der Aufnahme. Der Mindestdurchmesser muss zweckdienlich festgelegt werden. Für Forschungs- und Monitoringzwecke empfehlen wir einen Schwellenwert von etwa 10–20 cm. Im Rahmen von routinemässigen Forstinventuren ist es ratsam, die Kluppschwelle den geltenden Inventarschwellen anzupassen. Für finanzielle Anreize gelten die von den Kantonen festgelegten Qualitätskriterien und Mindestdurchmesser.

Die Erhaltung und Förderung von Habitatbäumen sollte fester Bestandteil jeder forstlichen Tätigkeit wie waldbauliche Pflege, Durchforstung und Holzschlag sein. Folglich gehören konkrete Angaben zur Auswahl, Anzahl und Verteilung von Habitatbäumen in die Betriebsrichtlinien von Forstunternehmen.

Empfehlungen für die Waldplanung

  • Flächen ohne Eingriffe ausweisen, die der natürlichen Dynamik gewidmet sind und wo Bäume altern und ihren ganzen Lebenszyklus vollenden können. Naturwaldreservate und Altholzinseln sind zwei Instrumente, die auch für den Erhalt von Habitatbäumen in grosser räumlicher Dichte geeignet sind. Solche Flächen sollten dauerhaft ausgeschieden werden, um schliesslich sämtliche Waldentwicklungsphasen darin vertreten zu haben. Altholzinseln sind als Trittsteinbiotope zwischen grösseren Schutzflächen nützlich und sollten, wenn immer möglich, grösser als 10 Hektar sein.
  • Für ein funktionelles Netzwerk aus typischen Naturwaldstrukturen sollen ergänzend zu den Flächen ohne Eingriffe bewirtschaftete Bestände mit vielen Habitatbäumen geplant werden.
  • Mischbestände mit Nebenbaumarten fördern, da die verschiedenen Baumarten unterschiedliche Baummikrohabitate tragen. Im Allgemeinen bilden kurzlebige Pionierbaumarten schnell BMH und tragen stark zu deren Vielfalt bei.
  • Bei jedem waldbaulichen Eingriff sind dessen Auswirkungen auf Baummikrohabitate zu beurteilen und die Habitatbaumkandidaten auszuweisen, also Bäume mit dem Potenzial, in Zukunft BMH zu tragen. Durch positive Auslese der Wertträger (Z-Bäume, Elitebäume) bleiben Habitatbäume erhalten, da es keinen Grund gibt, sie frühzeitig aufgrund ihres geringen wirtschaftlichen Wertes zu entfernen. Habitatbaumkandidaten von der Durchforstung an in Jungwaldbeständen belassen und markieren. Durch die früher bei der Pflege im Jungwuchs übliche Negativauslese von sehr vitalen Bäumen mit unerwünschtem groben Fehlwuchs wurde die Ausbildung von BMH oft eingeschränkt.

Empfehlungen im Waldbestand

  • In den bewirtschafteten Beständen mindestens sechs bis zehn Habitatbäume pro Hektar anstreben, um die Auswirkungen der forstlichen Nutzung auf die von Baummikrohabitaten abhängigen Organismen abzumildern.
  • Bei der Habitatbaumauswahl den Schwerpunkt auf BMH-tragende, alte oder dicke Bäume legen. Bäume, die bereits in frühem Alter BMH tragen, werden beim Älterwerden mit grosser Wahrscheinlichkeit noch weitere ausbilden. Denn im Allgemeinen korreliert der Durchmesser positiv mit der Anzahl BMH und die dicksten Bäume weisen die grösste Vielfalt an BMH auf. In der Regel können durch die Auswahl von Habitatbäumen mit Durchmessern von mehr als 50 cm bei Buche und 65 cm bei Weisstanne alle möglichen BMH-Typen erhalten werden. Ab etwa einem Durchmesser von 90 cm (Buche) bzw. 100 cm (Weisstanne) tragen Bäume signifikant mehr BMH als dünnere Bäume.
  • Pionier- und mitherrschende Nebenbaumarten erhalten, da sie rasch BMH entwickeln.
  • Eine Kombination aus gruppierten und verstreuten Habitatbäumen anstreben.
  • Vielfältige BMH erhalten, mit besonderer Beachtung der seltensten BMH (Pilzfruchtkörper auf lebenden Bäumen, Spalten und Saftflüsse) sowie derjenigen mit besonders langer Entwicklungszeit (z. B. grosse Mulmhöhlen).
  • Habitatbäumen an Waldrändern und entlang linearer Strukturen wie Bachläufen und Teich- oder Seeufern besondere Beachtung schenken, da gewisse BMH wie Saftflüsse oder Spalten dort häufiger vorkommen als im Waldesinnern.
  • Ebenfalls stehende tote Bäume erhalten, denn sie tragen durchschnittlich mehr BMH als lebende Bäume und stellen einen grossen Teil bestimmter BMH bereit, insbesondere Pilzfruchtkörper und Spalten.
  • Für Habitatbaumaufnahmen die Typologie von Larrieu et al. (2018) benützen (siehe Abb. 3), mit den jeweiligen Aufnahmeschwellenwerten. Je nach Zielsetzung können 7 Formen, 15 Gruppen oder 47 Typen von BMH verwendet werden.
  • Habitatbäume im Wald markieren und ihre Koordinaten und andere Merkmale (Durchmesser, Baumart, BMH) aufnehmen, um sie langfristig zu sichern und zu erhalten. So wird es auch den künftigen lokalen Entscheidungsträgern möglich sein, diese Habitatbäume in der forstlichen Planung zu berücksichtigen.

Taschenführer der Baummikrohabitate

Im Taschenführer der Baummikrohabitate sind diese Typen systematisch beschrieben. Er enthält auch empfohlene Schwellenwerte für Feldaufnahmen oder Inventare sowie Informationen über Häufigkeit und Entstehungsgeschwindigkeit jedes Baummikrohabitats.

Literatur

Weitere Verweise zur im Text verwendeten Literatur befinden sich im Originalartikel (PDF) sowie im Taschenführer der Baummikrohabitate – Beschreibung und Schwellenwerte für Feldaufnahmen. Der Taschenführer ist eine Beilage zum Merkblatt. 

  • Bütler, R.; Lachat,T.; Krumm, F.; Kraus, D.; Larrieu, L., 2020: Habitatbäume kennen, schützen und fördern. Merkbl. Prax. 64. 12 S. Download PDF
  • Bütler, R.; Lachat, T.; Krumm, F.; Kraus, D.; Larrieu, L., 2020: Taschenführer der Baummikrohabitate – Beschreibung und Schwellenwerte für Feldaufnahmen. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL. 59 S. Download PDF

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