Die Mutter aller Süsskirschen begleitet die Menschen seit Jahrtausenden. Die Vogelkirsche ist auch unter den Namen Wild- oder Waldkirsche bekannt und gehört zur Familie der Rosengewächse (Rosaceae). Weltweit gibt es mehr als 430 Prunus-Arten. Die bei uns bekanntesten sind:
- die Sauerkirsche oder Weichsel (Prunus cerasus)
- die Zwergweichsel (Prunus fructicosa)
- die Felsenkirsche oder Steinweichsel (Prunus mahaleb)
- die Gemeine Traubenkirsche oder Ahlkirsche (Prunus padus)
- der Schwarz- oder Schlehdorn (Prunus spinosa)
Mit Ausnahme des hohen Nordens und Nordostens ist die Vogelkirsche in ganz Europa sowie in Kleinasien und im Kaukasus anzutreffen.
Steckbrief
Die Vogelkirsche wird je nach Standort 20 – 30 m hoch und etwa 100 Jahre alt. Auf den vollholzigen, meist durchgehenden Stamm folgt eine meist unregelmässige, locker belaubte Krone mit stark verzweigten, aufwärtsgerichteten Ästen. Die hellgraue bis graubraune Rinde ist glänzend und mit rostfarbenen quer gestellten sogenannten Lentizellen versehen. Im Alter wird die Rinde schwärzlichgrau und längsrissig.
Die grob gezähnten, länglich oval zugespitzten Blätter sind etwa 7 – 14 cm lang und 4 – 8 cm breit. Am oberen Ende des 2 – 5 cm langen Blattstiels befinden sich zwei rötliche Nektardrüsen, welche gerne von Ameisen besucht und genutzt werden. Die im April bis Mai austreibenden Blüten sind zu je 2 bis 4 (selten bis 6) in Dolden angeordnet.
Die kugeligen, etwas mehr als erbsengrossen Früchte wachsen an langen Stielen. Die vorerst roten, später schwärzlich glänzenden Kirschen schmecken meist bittersüss. Im Winter sind die Zweige mit spiralig angeordneten, braun glänzenden uns spitzig-eiförmigen Knospen versehen.
Abb. 2 - Typische Rinde der Vogelkirsche. Foto: Thomas Reich (WSL)
Abb. 3 - Die weissen Blüten locken im April unzählige Bienen an. Foto: Thomas Reich (WSL)
Waldbau und ökologische Bedeutung
Abb. 4 - Der Pirol, im Volksmund auch Kirschvogel genannt, bevorzugt nebst Insekten auch pflanzliche Kost. Vor allem liebt er die zuckerhaltigen, süssen Kirschen.
Foto: Kaeptn chemnitz, Creative Commons licence
Die schnellwüchsige, lichtbedürftige Vogelkirsche ist eine wichtige Baumart für die Wertholzproduktion. Allerdings erfordert die in Mischwäldern häufig vorkommende Vogelkirsche eine intensive Pflege. Ihre Krone darf von den anderen Mischbaumarten, wie beispielsweise Bergahorn, Esche, Linde und Buche, nicht eingeengt oder unterdrückt werden. Weil abgestorbene Äste nicht durch die natürliche Astreinigung abfallen, muss man zur Erzeugung von hochwertigem Stammholz tote Äste möglichst frühzeitig entfernen.
Die ökologische Bedeutung dieser Baumart liegt vor allem in seiner frühen und reichen Blütenpracht. Als Bienenpflanze ist sie deshalb bei den Imkern sehr beliebt. Im Spätsommer bevorzugen Vögel die schnabelgerechte Form der Früchte und tragen damit zur Verbreitung des Kirschbaumes bei. Auch zieht der Kirschenduft viele Insekten an. Im Herbst bereichern die leuchtend roten Blätter das Landschaftsbild. Und zu guter Letzt baut sich die Kirschbaumstreu rasch ab und begünstigt damit den Aufbau der Humusschicht des Waldbodens.
Das Holz und dessen Verwendung
Das rötlich bis gelbbraune, mit deutlichen Jahrringgrenzen versehene Kernholz hatte schon immer einen besonderen Status unter den Edellaubhölzern. Als Ausstattungsholz ist es sehr dekorativ, aber teuer. Bereits während der Barockzeit waren Möbel mit dem unvergleichlichen, warmen Farbton des Kirschbaumes äusserst beliebt. Heute ist hochwertiges Kirschbaumholz als Massiv- und Furnierholz gesucht, beispielsweise im anspruchsvollen Innenausbau bei Türen, Parkettböden, Vertäfelungen, aber auch beim Instrumentenbau, bei der Drechslerei und der Schnitzerei.
Abb. 5 - Das rötliche Kirschenholz ist für den Möbelbau sehr beliebt. Es wird auch für Parkettböden, für Vertäfelungen, beim Instrumentenbau, bei der Drechslerei und für die Schnitzerei verwendet. Foto: Thomas Reich (WSL)
Der Vogelkirschbaum in der Kulturgeschichte
Die Vogelkirsche ist die Stammart unserer Süsskirsche. Fossile und prähistorische Funde von Kirschkernen in Siedlungen aus der Bronzezeit (etwa 2'200 v. Chr.) belegen das Vorkommen und die Nutzung dieser Frucht. Nachweislich kultivierten die Griechen bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. verschiedene Sorten von Süsskirschen. Diese gelangten jedoch erst 74 v. Chr. durch den römischen Feldherr Lucallus nach Rom und wenig später über die Alpen bis ins südliche England.
Der Name der Vogelkirsche leitet sich einerseits ab vom Lateinischen "avium" resp. avis = Vogel. Dies, weil Vögel gerne das Fruchtfleisch der Kirschen, im Fall des Kernbeissers sogar deren Kerne, vertilgen. Anderseits stammt der Name "Kirsche" von der antiken Kolonialstadt Kerasas ab, heute Giresun (eine türkische Stadt am Schwarzen Meer), wegen den dort vorkommenden Kirschenwäldern.
Cerasus, wie die Römer den Kirschbaum benannten, lässt sich in einigen europäischen Sprachen ableiten: "cherise" (französisch), "cherry" (englisch), "kirse", "kerse" sowie 1469 erstmals nachweislich "Kirsche" (im Mittelhochdeutschen) sowie im Schweizerdeutschen das "Chriesi" oder "Chirseni". Der Ortsname "Kehrsiten" am Vierwaldstättersee erinnert an einen ehemals reichen Kirschbaumbestand. "Kirsch" und "Kriesi" sind zudem auch Familiennamen.
Abb. 6 - Sie trägt die Kirsche im Namen: die Schwarzwälder Kirschtorte. Auch ins Schweizer Nationalgericht Fondue gehört ein Schuss Kirsch. Foto: Helga Schmadel/pixelio.de
In der Heilkunde hat der Kirschbaum eine geringe Bedeutung. Rinden- und Blätterteile wurden jeweils dem Tee beigemischt und galten als harntreibend und schleimlösend. Das aus den Früchten gebrannte Kirschwasser ist nach wie vor beliebt. Ihm wird eine Verdauensfördernde und Magenstärkende Wirkung zugeschrieben. Gesammelte, getrocknete, in Leinensäckchen abgefüllte und in einem Ofen erhitzte Kerne können zum Wärmen im Bett oder auf empfindliche Körperstellen gelegt werden. Solche Kirschkernkissen ("Chriesimann") helfen bei Rheuma, Hexenschuss und kalten Füssen.
Aus volkskundlicher Sicht gesehen war der Kirschbaum einerseits eng verbunden mit dem Fruchtbarkeitskult. Anderseits wurde er früher als dem Mond zugehörend betrachtet. Zudem versuchte man, mittels Blütenorakel in die Zukunft zu sehen: Am Barbaratag (4. Dezember) abgeschnittene Zweige wurden in der warmen Stube in eine Vase mit Wasser gestellt. Jeder Zweig wurde mit verschiedenen Männernamen versehen, den das Mädchen zu heiraten gedachte. Der zuerst blühende Zweig deutete auf den Auserwählten hin. Bis heute hat sich der Brauch der Barbarazweige erhalten.
Einige im Volksmund geläufige Sprüche zum Kirschbaum:
- Nach reifen Kirschen klettert man hoch.
- Die besten Kirschen fressen die Vögel.
- Je grösser die Kirschen, desto grösser der Kern.
- Wenn die Kirschen reif sind, muss man sie pflücken.
- Nicht von jedem Baum kann man Kirschen pflücken.
- Mit ihm ist nicht gut Kirschen essen.
Quellen
- Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
- U.B. Brändli: Die häufigsten Waldbäume der Schweiz
- Brandenburgische Forstnachrichten: Kirschblüten-Weihnachten
- Guggenbühl, P. (1962): Unsere einheimischen Nutzhölzer. Die gebräuchlichen Holzarten Mittel- und Nordeuropas. Zürich, Stocker-Schmid, 1962. 406 S.
(TR)