Die Eröffnung des ersten Bestattungswaldes im Jahre 2001 markiert einen Wendepunkt in der deutschen Begräbniskultur. Auch wenn Beerdigungen im Wald gemessen an der Gesamtzahl der Beisetzungen bisher nur einen geringen Anteil ausmachen, so trifft diese alternative Bestattungsform doch den Zeitgeist. Die Nachfrage steigt seit Jahren an. Wie lässt sich dieses Interesse erklären? Welcher Personenkreis fühlt sich durch ein Baumgrab angesprochen? Und welche Bedeutung wird dem Wald generell im Zusammenhang mit Tod und Abschiednehmen beigemessen? Antworten auf diese Fragen liefert eine wissenschaftliche Studie aus Baden-Württemberg.
Im Jahre 2009 belief sich die Zahl der Bestattungswälder der FriedWald® GmbH bundesweit auf 29, in 2017 gab es bereits 61 FriedWald®-Standorte. Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 2009 in Deutschland ca. 20.000 Baumbestattungen stattfanden. Im Jahr 2013 waren es bereits rund 45.000 Beerdigungen im Wald, die Anzahl hat sich demnach innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppelt. Damit liegt der Anteil der Baumbestattungen an der Gesamtzahl der jährlichen Sterbefälle von rund 860.500 in Deutschland derzeit bei etwa 5%, mit steigender Tendenz.
Der Umgang mit Tod und Trauer verändert sich
Wie aber lässt sich das zunehmende Interesse an dieser alternativen Bestattungsform erklären in einem Land, dessen Bestattungswesen restriktiv reguliert ist und das als einer der wenigen EU-Mitgliedstaaten den Friedhofszwang noch gesetzlich verankert hat? Ein Blick in die vorhandene Literatur deutet darauf hin, dass der gesellschaftliche Wandel und daraus resultierend ein veränderter Umgang mit Tod und Trauer die Loslösung von tradierten Bestattungsritualen ermöglichen und das Bewusstsein stärken, den Abschied und die letzte Ruhestätte vorsorglich und individuell gestalten zu wollen.
Oftmals pragmatische Gründe
Die Veränderungen der sozialen Strukturen bedingen auch eine Anpassung des Umgangs mit dem Lebensende. Die klassische Großfamilie wird abgelöst durch eine zunehmende Zahl an kinderlosen Paaren und Singles. Familien leben oftmals räumlich getrennt voneinander, ein gemeinsam zu verortender Trauerbezugspunkt ist nur schwer definierbar. Es stellt sich die Frage, in welcher Form eine Grabpflege überhaupt leistbar ist und wer diese Aufgabe übernehmen kann. Baumbestattungen werden diesen Autoren zufolge in Deutschland vorrangig aus pragmatischen Gründen gewählt und folgen dem Wunsch, eine Alternative zum klassischen Friedhof mit viel Raum für Selbstbestimmung und Individualität zu haben. In anderen Ländern, vor allem in England und den USA, spielt der Umweltschutzgedanke eine bedeutende Rolle bei der Wahl einer Baumbestattung. Zwar scheint auch in Deutschland ein enger Bezug zur Natur, respektive dem Wald, eine Voraussetzung für die Wahl einer Baumgrabstätte zu sein. Eine weitergehende Analyse von Bestattungswaldkunden und deren Einstellung und Motivation für eine Baumbestattung lag bisher jedoch nicht vor. Diese Lücke schließt die nun vorliegende Untersuchung.
Theorie und Methodik
Die theoretische Grundlage für die vorliegende Untersuchung bildet die "Theorie des geplanten Handelns".
Umgesetzt wurden die theoriebasierten Anforderungen mit einem Mixed-Methods-Design aus qualitativer Vorstudie und quantitativer Hauptstudie. Für die Vorstudie wurden 21 Experteninterviews geführt mit Personen, die sich für eine Baumbestattung interessieren oder bereits ein Baumgrab erworben haben und Verantwortungsträgern wie Bestattungswaldförster und -betreiber, Theologen und Bestatter. Die aus den qualitativen Ergebnissen abgeleiteten Hypothesen bildeten die Ausgangslage für die anschließende quantitative Studie. Hierzu wurde in der Stadt Endingen am Kaiserstuhl, die über einen kommunalen Bestattungswald verfügt, eine schriftliche Umfrage mit einer Stichprobe von 1.000 Befragten durchgeführt. Darin enthalten sind auch die rund 300 Personen, die bis zum Stichtag bereits ein Baumgrab in der Stadt Endingen erworben hatten. Die Rücklaufquote lag bei 34%.
Motivation für die Wahl einer Baumgrabstätte
Den Bestattungswaldkunden gemein ist eine starke Affinität zur Natur, eine meist sehr selbstbestimmte Lebensführung und die kritische Auseinandersetzung mit Vorgaben und tradierten Konventionen. Auch der Wunsch, die eigenen Angelegenheiten zu Lebzeiten vorsorglich zu regeln und eine Entlastung und Entpflichtung der Angehörigen zu ermöglichen, verbindet Menschen, die sich für eine Baumbestattung interessieren und entscheiden. Eine darüber hinausgehende Typisierung wurde nicht entwickelt: Weder für das Geschlecht noch für das Lebensalter können signifikante Zusammenhänge mit dem Kauf einer Baumgrabstätte nachgewiesen werden. Auch kann die Vermutung nicht bestätigt werden, dass Baumbestattungen vorrangig von Menschen der höheren und mittleren Bildungsschichten gewählt werden. Eine Besonderheit ergibt sich für religiöse Menschen, diese lehnen Baumbestattungen eher ab.
Grundvoraussetzung ist Naturverbundenheit
Eine starke Verbundenheit zur Natur, respektive dem Wald, ist somit die maßgebliche Grundvoraussetzung für die Wahl einer Baumbestattung. Die Ergebnisse zeigen, dass der Wald von den Befragten durchweg positiv konnotiert ist und fast ausschließlich angenehme Gefühle evoziert (vgl. Tabelle 1).
Tab. 1: Gefühle der Befragten bei einem Waldbesuch ("Wenn Sie an Ihren letzten Waldbesuch denken, was empfinden Sie dabei?"; N= 341, Mehrfachnennung möglich) | ||
Anzahl | Anteil | |
absolut | in % | |
Erholung/Ausgeglichenheit | 108 | 32 % |
Ruhe/Frieden | 99 | 29 % |
Glück/Freude | 58 | 17 % |
Naturerlebnis/Naturnähe | 37 | 11 % |
Positive Erlebnisse | 16 | 5 % |
Erinnerung and Verstorbene | 12 | 4 % |
Angst/Trauer/Einsamkeit | 8 | 2 % |
Freiheit | 3 | 1 % |
Summe: | 341 | 100 % |
In Wäldern finden die Befragten Ruhe, Freiheit, eine wohltuende Atmosphäre, physische wie psychische Erholung und Entspannung. Auch sind die Interviewpartner mit hoher Naturverbundenheit vertraut mit der Vorstellung eines natürlichen Kreislaufs aus Werden und Vergehen (vgl. Abbildung 1). Dabei spielen Bäume in ihrer Zuschreibung als unverrückbar, standhaft, schützend, dauerhaft und lebendig eine bedeutsame Rolle. Vor allem in der Umgebung von vorrangig alten Bäumen empfinden die Befragten ein hohes Maß an Geborgenheit und Trost.
"Natur wird wieder Natur"
Abb. 2: Schauurne im FriedWald Münsingen (Foto: Bauer 2012)
Abb. 3: Familienbaum im FriedWald Schönbuch (Foto: Schraml 2017)
Auch der Vorsorgegedanke und der Wunsch, die Angehörigen von der Pflicht zur Grabpflege zu entbinden, haben einen offensichtlichen Einfluss auf die Wahl einer Baumbestattung. So sagt eine befragte Person: "Es ist halt so unkompliziert, gerade für die Kinder von uns. Sie können hierherkommen, wenn sie wollen, aber sie müssen nicht. Auf dem Friedhof müssen sie halt immer das Grab pflegen, Blumen hinbringen, gießen. Und wenn niemand kommt, heißt es, warum kommen die Kinder nicht. Und hier ist es Natur und wird wieder Natur". Mit der Wahl einer Baumgrabstätte wird der Tod außerdem nicht mehr tabuisiert und ausgegrenzt, sondern die eigene Sterblichkeit thematisiert. Zugleich können viele der durch den gesellschaftlichen Wandel entstandenen Bedürfnisse durch eine Baumbestattung befriedigt werden. Bestattungswälder bieten ein hohes Maß an spiritueller Offenheit und Raum für eigene Rituale des Abschiednehmens und der Trauerarbeit (vgl. Abbildung 2).
Diese Individualität und Selbstbestimmung, die Menschen aus ihrem Lebensalltag kennen, wird von den Befragten auch verstärkt für das Lebensende eingefordert (vgl. Abbildung 3).
Zwar wird der klassische Friedhof von den Befragten weniger negativ erlebt wie in anderen Beiträgen zum Thema vermutet, dennoch empfinden viele Befragungsteilnehmer die Regularien und Vorgaben der Friedhöfe als Einschränkung der persönlichen Gestaltungsfreiheit und nicht mehr dem Lebensgefühl der Menschen angemessen. Bei einer Baumbestattung entfallen tradierte Rituale und Erwartungen und es bleibt Raum für die Konzentration auf das Wesentliche: Die Persönlichkeit des Verstorbenen.
Auch zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass die Entscheidung für oder gegen eine Baumbestattung signifikant von der Reaktion der engeren Familie abhängt, während die Meinung des weiteren sozialen Umfelds oder auch von Personen des öffentlichen Lebens weniger von Belang ist. Beim gänzlichen Fehlen von Angehörigen ersetzen aber auch neue soziale Bindungen die klassische Familienstruktur. Diese unterschiedlichen Interessengemeinschaften wählen sich als Ort der Bestattung einen gemeinsamen Grabbaum, wo sie das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft auch über den Tod hinaus fortgesetzt wissen.
Ansprüche an Bestattungsbäume und -wälder
Die Frage, welche Ansprüche Menschen an ihren Grabbaum und die dazugehörigen Wälder haben, lässt sich aufgrund der vorliegenden Untersuchung nicht abschließend beantworten. Hier sind die Wünsche und Anforderungen sehr unterschiedlich. Bevorzugt werden jedoch – oftmals in Abhängigkeit von den finanziellen Möglichkeiten – eher große, alte und möglichst einheimische Laubbaumarten. Es wurden aber auch regionale Unterschiede der Präferenzen deutlich. So ist z. B. für die Befragten aus den wärmeren Regionen Baden-Württembergs das Vorkommen verschiedener Nussarten selbstverständlich, während bei Interessenten aus dem Hochschwarzwald diese Baumarten kaum benannt werden. Die entsprechenden Unterschiede zwischen den Bestattungswäldern aufgrund der natürlichen Gegebenheiten sind den Befragten aber durchaus bewusst und werden akzeptiert. Die Bestattungswälder selbst sollen sich in ruhiger Lage befinden und gepflegt wirken, ohne den Charakter einer Parkanlage oder eines Waldfriedhofes zu haben (vgl. Tabelle 2).
Tab. 2: Ansprüche der Befragten an einen Bestattungswald (“Was ist Ihnen in einem Bestattungswald wichtig?“) | ||
Anzahl der Nennungen (absolut) | Anteil der Nennungen (in %) | |
Natürlichkeit | 44 | 33 % |
Ruhe | 41 | 31 % |
Erreichbarkeit des Grabes | 20 | 15 % |
Ordnung | 14 | 10 % |
Einfachheit | 4 | 3 % |
Kennzeichnung der Grabstätte | 3 | 2 % |
Parkplatz | 2 | 1 % |
Viel Platz, Weite | 2 | 1 % |
Geistlicher Beistand | 1 | 1 % |
Grabschmuck | 1 | 1 % |
Helligkeit | 1 | 1 % |
Keine Einzäunung | 1 | 1 % |
134 | 100 % |
Diskussion und Ausblick
Kritik an Baumbestattungen bezieht sich sowohl aus pragmatischer als auch trauerpsychologischer Sicht auf die räumliche Trennung zwischen dem Aufenthaltsort der Lebenden bzw. der Toten. Schließlich liegen viele Bestattungswälder außerhalb der Ortschaften und sind durch die fehlende Einfriedung nicht zwangsläufig als Friedhofsbereich erkennbar. Auch die fehlende Infrastruktur im Bestattungswald wird bemängelt ("…die Wege und Erreichbarkeit gerade für Ältere und behinderte Menschen ist oftmals mangelhaft"; "…sinnvoll wäre ein Toilette auch für behinderte Menschen") und die Sorge geäußert, dass Tiere die frischen Grabstellen aufwühlen könnten.
Ein möglicher Traditionsverlust durch die naturbelassenen, kaum sichtbaren Gräber und den fehlenden Grabschmuck wie auch die Frage, ob der Mensch nicht in der Kultur, in der gelebt und gewirkt hat, bestattet werden sollte, sind auch Gegenstand kritischer Anmerkungen. Eine befragte Person sagt hierzu: "Der [Bestattungswald] ist Natur. Und der Mensch ist nicht Natur! (…) Und deshalb sollte der Mensch auch Erinnerung bekommen in der Kultur und nicht in der Natur!".
Abb. 4: Dass meine Bestattung individuell und persönlich gestaltet wird, ist mir… (N= 252)
Die Positionen der beiden großen Kirchen waren zunächst auch ablehnend bis skeptisch. In den vergangen Jahren hat jedoch ein Prozess der Annäherung eingesetzt und es wird aktiv nach Wegen gesucht, die Bestattung im Wald in bestehende Rituale zu integrieren oder Konzepte auch zu erweitern (vgl. Abbildung 4).
Dies wird den Bedürfnissen vieler baumaffiner Menschen gerecht, auf die wir in dieser Studie gestoßen sind. Das seit Jahren zunehmende Interesse an Baumbestattung wird sich nach Einschätzung der Autoren fortsetzen bzw. weiter verstärken. Dabei steht außer Frage, dass Baumgräber auch in Zukunft nur für einen Teil der Gesellschaft als Bestattungsalternative von Interesse sein werden. Eine weitere Zäsur könnte sich ergeben, sollte der Bestattungszwang in Deutschland per EU-Beschluss aufgehoben werden und die Angehörigen frei über die Asche der Verstorbenen verfügen können, so wie dies bereits in vielen Ländern, etwa England, USA, Australien oder Kanada üblich ist.
Weiterführende Chancen für Kommunen
Abb. 5: Christliche Symbolik im FriedWald Wangen (Foto: Bauer 2015)
Daneben beinhaltet das Thema Bestattungswälder sowohl für private Forstbetriebe wie auch gerade für Kommunen weiterführende Chancen. Das hier näher untersuchte Beispiel der Stadt Endingen zeigt:
- Auch ohne nennenswerten Holzeinschlag werden in einem Bestattungswald Erträge erzielt und gleichzeitig besonders schützenswerte Bestände und Infrastrukturen langfristig erhalten. Ein Bestattungswald ist eine besondere Form nachhaltiger Bewirtschaftung.
- Die Einrichtung eines Bestattungswaldes kann ein Alleinstellungsmerkmal sein und den Waldeigentümer bzw. Betreiber eines Bestattungswaldes stärker in das mediale Interesse rücken. Dies kann auch genutzt werden, um die Beziehung von Mensch und Wald verstärkt zu thematisieren. Im Bestattungswald und in der Debatte darüber können zahlreiche Kontakte und vielfacher Austausch zwischen Waldbesitz und am Wald Interessierten stattfinden.
- Die Diskussion um Bestattungswälder leistet auch einen wichtigen Beitrag hin zu einem veränderten Umgang mit dem Abschiednehmen und der Trauerarbeit. Indem sich Menschen vorsorglich und bereits zu Lebzeiten mit der Frage des letzten Willens beschäftigen, wird der Tod wieder in das Leben hineingeholt. Dass der Wald und seine Eigentümer dazu beitragen, ist überaus positiv.
Diese Entwicklung zwingt aber auch die Betreiber von Friedhöfen, ihre Konzepte zu überdenken und mehr an die Bedürfnisse der Kunden anzupassen. Das Angebot muss sich nach Meinung der Autoren massiv verändern und auch neue Konzepte zulassen (vgl. Deutschlands ersten Privatfriedhof Pütz-Roth in Bergisch-Gladbach), wenn diese nicht weiter an Bedeutung verlieren wollen. Es ist auch davon auszugehen, dass sich die Naturbestattungen weiter ausdifferenzieren (z. B. Wildblumenfeld) und zusätzliche neuartige Beisetzungsformen folgen werden.
Der Wald wird zum Ort des Abschiednehmens
Es handelt sich dabei nicht vorrangig um einen Verlust an traditionsreicher Trauerkultur, sondern eine Anpassung an die sich wandelnde Gesellschaft. Wie die steigende Nachfrage zeigt, sind Baumbestattungen zumindest für einen Teil der Gesellschaft eine echte Alternative. Die Assoziation von Tod und Wald gelingt problemlos und die Wünsche und Bedürfnisse der Gesellschaft an ein verändertes Bestattungswesen können mit einem Baumgrab sehr gut befriedigt werden. Die positiven Assoziationen mit dem Baum werden auch nicht durch das Schmerzliche und Endgültige des Todes überdeckt. Im Gegenteil: Die positive Wahrnehmung des Waldes scheint den Schrecken des Todes aufzufangen und abzumildern. Der Wald wird zum Ort des Abschiednehmens und der Trauerarbeit. Ein schöner Gedanke.