Ein wesentlicher Grund der mangelnden Akzeptanz von Raubtieren in der Schweiz liegt möglicherweise in den mythologischen Vorstellungen, die vor allem über den Wolf bestehen. In den empirischen Untersuchungen des Projekts "Raubtierakzeptanz" untersuchten Wissenschaftler der Forschungsanstalt WSL deshalb auch diesen Aspekt. Dazu klärten sie zunächst mittels Literaturrecherchen ab, welche Bedeutung Fuchs, Luchs und Wolf in der Mythologie überhaupt haben.
Fuchs
In Europa ist der Fuchs hauptsächlich aus Tierfabeln bekannt: Er wird als schlau (die Redewendung "schlau wie ein Fuchs" verweist darauf), verschlagen, habgierig und falsch bezeichnet. Einerseits rettet er sich selbst durch seine Schlauheit, andererseits verhilft ihm seine Verschlagenheit dazu, von anderen zu profitieren. Oft leisten ihm jedoch andere Tiere Widerstand und er ist am Ende der Geprellte. Kann er ein Ziel nicht erreichen, erfindet er für sein Unvermögen tröstliche Ausreden: Trauben, die er z.B. plötzlich als sauer bezeichnet, hängen in Tat und Wahrheit für ihn unerreichbar hoch.
In der Mythologie nimmt der Fuchs verschiedene Rollen ein, wie z.B.:
- Fruchtbarkeitssymbol: In Mitteleuropa wurde zu allen grossen Jahresfesten (Ostern, Pfingsten, zur Sonnwende und zu Weihnachten) dem Fuchs geopfert. Auch im antiken Griechenland war der Fuchs ein Fruchtbarkeitssymbol: Dionysos, der griechische Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase, trat im Fuchspelz auf.
- Wetterdämon: Bei verschiedenen Wettererscheinungen wird auf den Fuchs verwiesen. So sagt man beispielsweise in Schlesien beim Aufsteigen eines Gewitters "der Fuchs braut". Die Finnen nennen das Nordlicht "Feuer des Fuchses".
- Teuflisches Wesen: In christlicher Zeit wurde der Fuchs, wie auch andere Tiere die zu den alten Göttern gezählt wurden, dämonisiert. Das Opfer an den Fruchtbarkeitsgott wurde plötzlich als Bestrafung für den Fuchs, das Teufelstier, gedeutet. Der Fuchs wurde wegen seiner roten Farbe (feuerrot) zum Symbol für den Teufel: Daher stammt wahrscheinlich auch der Ausdruck "fuchsteufelswild". Eine andere Erklärung für diese Redewendung ist aber auch die Tatsache, dass der Fuchs die Tollwut überträgt.
Luchs
Abb. 2 - Kaum in der Mythologie vertreten: der Luchs Foto: Hans-Wilhelm Grömping
Der Luchs taucht in der Mythologie äusserst selten auf. Es existieren einige wenige Sprichwörter, die sich auf Eigenschaften beziehen, die dem Luchs zugesprochen werden. "Jemandem etwas abluchsen" erinnert z.B. daran, dass der Luchs ein flinker Jäger ist. "Aufpassen wie ein Luchs" weist auf die Vorstellung hin, dass Luchse besonders gut sehen können.
Wolf
Abb. 3 Wolf mit friedlichem Ausdruck. Foto: Stephan Roscher (www.stephanroscher.de)
Wohl jeder kennt den bösen Wolf aus den Märchen wie "Rotkäppchen" oder "Der Wolf und die Sieben Geissen". Der Wolf wird immer wieder als wild, reissend, bissig, grimmig und blutgierig bezeichnet. Grimm (1887) bezeichnet ihn sogar als das böseste aller Tiere. Bei genauerer Untersuchung der Mythologie zeigt sich aber, dass der Wolf, wie ja auch schon der Fuchs, sehr unterschiedliche Rollen einnimmt.
Abb. 4 - Protagonist in vielen Märchen: der Wolf. Foto: Stephan Roscher (www.stephanroscher.de)
beispielsweise:
- Der Dämonische und Verteufelte: In der Edda ist der Wolf ein Symbol für dämonische Mächte: Odin, der Gott des Krieges und des Todes, wurde von zwei Wölfen begleitet und der mythische Wolf Fenrir spielt beim Weltuntergang, der Wolfszeit, eine wichtige Rolle. In den indischen Mythen wird der Wolf ebenfalls als dämonisch bezeichnet. Ausserdem sei der Wolf diebisch, betrügerisch und falsch. Den Dämonen haben die Inder Wolfsnamen gegeben.
Das Christentum geht noch weiter und setzt den Wolf mit dem Teufel gleich: Jesus warnt vor falschen Propheten in Schafskleidern, bei welchen es sich um reissende Wölfe handle. Zahlreiche Natursagen aus Osteuropa, Russland und Skandinavien berichten über die Erschaffung des Wolfs durch den Teufel. Bei der Belebung des Wolfs war der Teufel aber auf die Hilfe von Gott angewiesen, und es war göttlicher Wille, dass der Wolf Schafe und Ziegen reisst.
- Der Verwandelte: Weit verbreitet war im Mittelalter die Vorstellung, dass Menschen sich in Werwölfe verwandeln. Der Werwolf, diese vom Teufel besessene Kreatur, halb Mensch und halb Tier, trieb sich nachts herum, "trank das noch warme Blut, verschlang die Eingeweide seiner unschuldigen Opfer in Orgien satanischer Grausamkeit". Der Glaube an Werwölfe existierte zwar schon in der Antike, doch im Mittelalter nahm er ungeheuerliche Ausmasse an. Vor allem Frauen und Kinder wurden Opfer von Werwölfen, Männern, die sich unter dem Einfluss von Drogen und Beschwörungsriten wie Wölfe fühlten und aufführten. Man glaubte, mit der Hilfe des "Hexenhammers" von 1489 neben Hexen auch Werwölfe erkennen zu können, was dazu führte, dass unzählige Menschen als vermeintliche Werwölfe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Für die damaligen Zeitgenossen war klar: Zum Werwolf wird man durch bösen Zauber oder durch eine Strafe für eine schwere Sünde.
- Der Gesetzlose: Das Wort Wolf ist im indogermanischen Sprachstamm weit verbreitet und bezeichnet oft nicht nur das Tier, sondern bedeutet in den altgermanischen Sprachen Räuber, Mörder, Würger, verachteter Verbrecher, Verbannter, böser Geist. Vor allem das althochdeutsche Wort "warg" wurde mit dem Bösen selbst gleichgesetzt. Gesetzlose wurden als "Wölfe" bezeichnet und der Rechtsspruch "thou art a warg" erklärte den Verurteilten offiziell zum Ausgegrenzten, der auch gezwungen wurde, in der Wildnis zu leben. Angeblich war es verboten, dem "warg" Essen oder Schutz zu geben, selbst die eigene Frau durfte sich nicht mehr um ihn kümmern, ansonsten wurde auch sie zum "warg" (Grimm 1887).
- Der Verehrte: Verschiedenste Kulturen haben den Wolf verehrt: Für die Ägypter stellte er den Gott des Totenreichs dar. Die Mongolen sahen im Wolf ihren Ahnherrn, und für die Römer war er das Symbol des Kriegsgottes Mars. Die Verbindung des Wolfs mit Krieg und Tod war nicht abwertend gemeint, sondern bezog sich auf den ruhmvollen Tod eines Kriegers oder Herrschers. Ausserdem wurden die kämpfenden Helden mit wütenden Wölfen verglichen. Spuren dieser Verehrung zeigen sich in den mit Wolf verbundenen Eigennamen wie z.B. Wolfgang, Wolfdietrich, Wolfram, Wolfhart. Verehrt wird der Wolf auch als Ernährer von Menschenkindern. Der bekannteste Mythos ist wohl der von Romulus und Remus, den Stadtgründern von Rom, die als Kleinkinder ausgesetzt wurden. Eine Wölfin fand die beiden und zog sie wie ihre eigenen Jungen auf. An diesen Mythos erinnerte das Luperkalienfest, an welchem die Wölfin alljährlich geehrt wurde. Sie galt als Symbol der mütterlichen Aufopferung und Fruchtbarkeit. An den römischen Mythos knüpft auch das "Dschungelbuch" an, in welchem die Hauptfigur "Mowgli" von Wölfen aufgezogen wird.
Fazit
Die Aufarbeitung der Literatur zur mythologischen Bedeutung der Raubtiere hat verdeutlicht, dass die hier untersuchten Tiere sehr unterschiedliche Rollen in der Mythologie einnehmen, durchaus auch positive. Welchen Rollen aus der Sicht der Bevölkerung die grösste Bedeutung zukommt, haben die empirischen Untersuchungen gezeigt. Ein Ansatz in der Öffentlichkeitsarbeit könnte jedenfalls darin bestehen, dass nicht versucht wird, der Bevölkerung ein negatives Bild, z.B. das des bösen Wolfs aus dem Rotkäppchenmärchen, "auszutreiben", sondern alle möglichen Bedeutungen der Raubtiere, insbesondere die positiv gefärbten, aufzuzeigen und (wieder) bewusst zu machen.