Der Wolf wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in der Schweiz ausgerottet, überlebte jedoch im benachbarten Italien. Seit 1995 sind regelmässig Wölfe aus den italienisch-französischen Alpen in die Schweiz zugewandert. Hier haben sie Nutztiere gerissen; einzelne Nutztierhalter erlitten dabei grosse Schäden. Überall wo Wölfe wieder einwandern, entstehen in den betroffenen Regionen typische Konflikte: Manche Jäger sehen im Wolf einen Konkurrenten, Nutztierzüchter verlieren bei Wolfsrissen liebgewonnene Tiere, und viele Menschen fürchten, dass der Wolf ihnen gefährlich werden könnte.
Aus diesem Grund hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU) in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen und zuständigen Interessensgruppen ein Wolfskonzept entwickelt. Das Konzept soll eine einheitliche Vollzugspraxis ermöglichen. Es basiert auf folgenden Grundsätzen und Zielen:
- Der Wolf gehört zur einheimischen Fauna. Seine Rückkehr erfolgt natürlich, indem er von selbst einwandert.
- Der Wolf ist geschützt.
- Der Bund fördert und koordiniert Massnahmen der Kantone zur Verhütung von Schäden an Nutztieren.
- Der Bund beteiligt sich an den Entschädigungskosten von Schäden an Nutztieren mit 80%.
- Wenn einzelne Wölfe erhebliche Schäden anrichten, können die Kantone ausnahmsweise eine Bewilligung zum Abschuss eines Wolfes erteilen.
- Die Kantone können mit vorheriger Zustimmung des BAFU eine Bewilligung zum Abschuss von Jungwölfen in Gebieten mit Wolfsrudeln erteilen, wenn sich diese aus eigenem Antrieb regelmässig innerhalb oder in unmittelbarer Nähe von Siedlungen aufhalten und aggressiv werden oder zu wenig Scheu zeigen
- Die Rückkehr des Wolfes wird mit einem Monitoring überwacht.
Wiederbesiedlung in 3 Phasen
Wie die Erfahrungen in Italien, Frankreich und der Schweiz zeigen, erfolgt die Wiederbesiedlung einer Region durch den Wolf in drei Phasen:
- Phase 1: Einwanderung von einzelnen jungen Männchen; die Tiere ziehen vorerst weit umher; wo sie genug Nahrung vorfinden, werden sie stationär.
- Phase 2: Einwanderung von jungen Wölfinnen; die Paarbildung und Reproduktion in kleinen Familienrudeln beginnt meist in wildreichen, ruhigen Gebieten.
- Phase 3: Flächige Ausbreitung und regelmässige Reproduktion, die zu einem Populationszuwachs von 20–30 % jährlich führen kann.
Im Frühsommer 2012 bildete sich in der Region des Calanda im Kanton Graubünden das erste Rudel mit erfolgreicher Reproduktion. Im Sommer 2015 hat sich ein weiteres Rudel im Valle Morobbia im Kanton Tessin etabliert. Es ist zu erwarten, dass sich durch die abwandernden Jungtiere in der Schweiz weitere Rudel bilden werden. Zudem ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren nicht nur Wölfe aus Italien-Frankreich, sondern auch vom Balkan und aus Deutschland-Polen in die Schweiz einwandern. Fazit: In der Schweiz ist die Entwicklung von Phase 1 zu Phase 2 abgeschlossen, sie liegt in der Phase 2 (Stand: 2016).
Schäden durch Wölfe an Nutztieren
Wölfe sind Raubtiere und beim Nahrungserwerb auf das Töten von anderen Tieren angewiesen. Hierzulande erbeutet der Wolf hauptsächlich grosse pflanzenfressende Säugetiere wie Hirsche, Rehe, Gemsen oder Wildschweine. In Gegenden, wo der Mensch Nutztiere hält, die ins Beutesprektrum des Wolfes passen, kommt es unausweichlich zu Konflikten. In diesem Zusammenhang regelt das Konzept Wolf unter anderem:
- Die Besiedlung der Schweiz oder Teilen davon durch Wölfe erfolgt natürlich; es werden keine Wölfe in der Schweiz ausgesetzt oder umgesiedelt. Nachweislich illegal ausgesetzte Wölfe werden eingefangen oder abgeschossen.
- Seit 2005 wurden rund 75% der Nutztierrisse in der Schweiz durch den Wolf verursacht. Dabei sind insbesondere Schafe und auch Ziegen, aber selten Rindvieh betroffen. Das BAFU erachtet das Ergreifen von Schutzmassnahmen zur Schadensverhütung in Gebieten mit Wolfspräsenz als zentral.
- Die Schäden an Nutztieren und landwirtschaftlichen Kulturen durch Wölfe werden von Bund und Kanton gemeinsam entschädigt (80% Bund und 20% Kanton). Eine Entschädigung von getöteten Nutztieren erfolgt im Grundsatz gegen Vorweisung des Kadavers. In zweifelhaften Fällen kann die zuständigen kantonale Behörde eine Expertise durch Spezialisten anfordern.
- Schäden an Neuweltkameliden (Lama, Alpaka) und Hirschartigen (Cerviden) in Gehegen werden beim ersten Schadenfall entschädigt. Bei weiteren Schäden sollte die Entschädigung nur erfolgen, wenn in der Folge des ersten Schadenfalls die zumutbaren, das heisst, die technisch möglichen, praktikablen und finanzierbaren Schutzmassnahmen ergriffen wurden.
Die Voraussetzungen für den Abschuss von Wölfen, die grosse Schäden verursachen, sind in der Jagdverordnung geregelt:
Regulierung von Wolfsrudeln
Mit Zustimmung des Bundesamts für Umwelt BAFU kann ein Kanton den Bestand regulieren, wenn im Streifgebiet eines Wolfsrudels mit Jungtieren mindestens 15 Nutztiere innerhalb von vier Monaten getötet werden. Angerechnet werden nur Nutztiere in Gebieten, in denen zumutbare Herdenschutzmassnahmen ergriffen worden sind. Zudem soll der Abschuss von Jungwölfen möglich werden, wenn sich diese regelmässig innerhalb oder in unmittelbarer Nähe von Siedlungen aufhalten und aggressiv werden oder zu wenig Scheu zeigen. Um den Schutz der Art zu gewährleisten, wird die Abschussquote im Streifgebiet eines Rudels auf maximal die Hälfte der im betreffenden Jahr geborenen Jungtiere beschränkt. Geschossen werden dürfen Jungtiere nur im Jahr ihrer Geburt und im Folgejahr. Die Elterntiere sind zu schonen.
Umgang mit schadenstiftenden Einzeltieren
Wölfe können abgeschossen werden, wenn sie im ersten Jahr ihres Auftauchens mindestens 35 Schafe oder Ziegen in vier Monaten oder 25 Nutztiere in einem Monat gerissen haben. In den Folgejahren wird ein Abschuss ab 15 gerissenen Nutztieren innert vier Monaten möglich. Auch hier werden Nutztiere nicht angerechnet, die in Gebieten getötet werden, in denen trotz früherer Schäden keine zumutbaren Herdenschutzmassnahmen ergriffen worden sind.
Verhalten von Wölfen gegenüber Menschen
Wölfe sind grundsätzlich vorsichtige Tiere, welche zwar Menschen meiden, nicht aber vom Menschen erstellte und belebte Strukturen wie z. B. Siedlungen. Deshalb kann es zu zufälligen Begegnungen zwischen Menschen und Wölfen kommen.
Problemloses Wolfsverhalten liegt vor, wenn dabei Wölfe den Menschen kurz beobachten und sich danach entfernen, ohne sich aber dem Menschen und dessen Begleithunden anzunähern. Oft geschieht dies mit unerfahrenen Jungwölfen, häufig nachts und nahe von Strassen. Die Wölfe wirken dabei nicht besonders scheu.
Problematisches Wolfsverhalten liegt aber vor, wenn bestimmte Wölfe regelmässig in der Nähe von Siedlungen auftauchen und dabei ein auf den Menschen oder dessen Haushunde gerichtetes Verhalten zeigen. Dabei weichen sie dem Menschen oder dessen Begleithunde nicht mehr aus, sie nähern sich allenfalls sogar weiter an, möglicherweise lassen sie sich auch nur mehr schwer vertreiben. Solch fehlende Scheu ist die Folge eines Habituierungsprozesses und damit der Beginn einer ungünstigen Entwicklung des Verhaltens eines Wolfsrudels, an deren Ende die Gefährdung von Menschen stehen kann. Bei problematischem Verhalten (mit dem Potential zur Gefährdung von Menschen) soll ein Abschuss des Tieres erfolgen.
Quellen
- Konzept Wolf Schweiz 2016 (PDF)
- BAFU (2015): Revision der Jagdverordnung: Start der Anhörung. Medienmitteillung des Bundesamtes für Umwelt BAFU vom 16.01.2015
- BAFU (2015): Umgang mit Wolf und Kormoran: Bundesrat setzt geänderte Verordnungen in Kraft. Medienmitteillung des Bundesamtes für Umwelt BAFU vom 01.07.2015
- Website des BAFU zum Wolf
(TR)