Durch den Waldumbau wird auch bei den Nebenbaumarten ein steigender Bedarf an geeignetem Saat- und Pflanzgut erwartet. Ziel des Bayerischen Amts für Waldgenetik (AWG) ist die Verbesserung der Erntebasis zur Deckung des zukünftigen Bedarfs an Vermehrungsgut für seltene Baumarten, insbesondere durch Zulassung weiterer Erntebestände in den Regionen, die bisher nur in unzureichendem Umfang zugelassene Erntebestände oder Samenplantagen aufweisen. Dazu wurden räumlich-genetische Strukturen der Projektbaumarten (Spitzahorn, Sommerlinde, Hainbuche) für die in Bayern relevanten Herkunftsgebiete ermittelt und daraus Herkunftsempfehlungen auf genetischer und phänotypischer Grundlage erarbeitet. Zur Erhaltung der genetischen Vielfalt und zur Sicherung der Anpassungsfähigkeit werden Saatguterntebestände und Erhaltungsbestände mit hoher genetischer Variabilität für die Ausweisung empfohlen.
Für die Sommerlinde gibt es im Herkunftsgebiet (HKG) 824 03 weder Erntebestände noch Samenplantagen in Bayern. Und auch im Herkunftsgebiet 824 04 sind es nur wenige zugelassene Erntebestände. Daher soll im Rahmen des Projekts gezielt nach weiteren geeigneten Beständen gesucht werden. Anschließend sind diese nach genetischer Analyse für eine Zulassung vorzusehen. Insbesondere im HKG 824 04, das sich über mehrere Bundesländer erstreckt, sollte untersucht werden, ob räumlich-genetische Strukturen eine mögliche Einteilung in genetische Cluster vorgeben. In Bayern gibt es elf zugelassene Ernteeinheiten bei der Sommerlinde, darunter zwei Samenplantagen mit 83 bzw. 147 Klonen.
Vorkommen der Sommerlinde in Bayern
Die Sommerlinde kommt in Bayern potenziell auf vielen Standorten vor. Aufgrund ihrer ökologischen Ansprüche und der geringeren Konkurrenzkraft tritt sie meist nur einzeln und selten bestandesbildend auf. Sie kann Baumhöhen von bis zu 40 m erreichen und Stammdurchmesser von bis zu 2 m. Altersspannen bis 400 Jahre sind möglich. In der Konkurrenzkraft zur Buche ist sie meistens unterlegen und findet sich dann auf Standorten ein, die für die Rotbuche weniger geeignet sind. Dort ist sie vergesellschaftet mit z. B. Ahorn, Kirsche, Winterlinde oder Erle. In wärmebegünstigten Eichenmischwäldern tritt sie als Nebenbaumart auf.
Sommer- und Winterlinde im Vergleich
Sommer- und Winterlinde lassen sich sehr gut an den Samen unterscheiden, u. a. sind die größeren Samenschalen der Sommerlinde sehr viel härter und lassen sich kaum mit den Fingern zerdrücken.
Eine weitere Eigenart der heimischen Linden besteht darin, dass sie sich unter natürlichen Bedingungen leicht miteinander kreuzen. Das Kreuzungsprodukt ist ein Hybrid mit der Bezeichnung Holländische Linde (Tilia x europaea L.), die phänotypische Merkmale beider Linden ausbilden kann.
Die Sommerlinde kann von der Winterlinde in unbelaubtem Zustand gut anhand der Zweige unterschieden werden. Eine vorhandene flaumartige Behaarung der letztjährigen Triebe ist ein deutliches Zeichen für die Sommerlinde.
In Regionen, in denen die Sommerlinde häufiger vorkommt, konnten weitere geeignete Bestände gefunden und beprobt werden. Aber auch in Wuchsgebieten, in denen die Sommerlinden rarer sind, wurden neue beerntbare Bestände gefunden (Tab. 1).
Genetik
In einem ersten Schritt wurden 761 Proben (713 Sommerlinden und 48 Winterlinden der Samenplantage Freilassing) an elf Kernmikrosatelliten-Genorten analysiert: Tc8, Tc4, Tc6, Tc5, Tc31, Tc11, Tc918, Tc920, Tc951, Tc915,Tc963.
Nach einigen Optimierungsschritten waren zehn der elf Marker für die Analyse zur Artunterscheidung geeignet. Mithilfe der Software STRUCTURE 2.3.4 wurde eine Bayessche Clusteranalyse der 16 Lindenpopulationen durchgeführt und mittels der Software CLUMPAK dargestellt. Die Ergebnisse zeigten eindeutig zwei Cluster. Somit kann die Sommerlinde genetisch klar von der Winterlinde unterschieden werden.
Genetische Ausstattung Sommerlinde
Die meisten der 15 Sommerlindenpopulationen wiesen eine relativ hohe genetische Variation auf (Abb. 2). Die Anzahl der Allele (Na) schwankte zwischen 6,73 (Population 7 – Gunzenhausen) und 10,64 (Population 1 – Oberelsbach) mit einem Mittelwert über alle Vorkommen von Na = 9,13. Die allelische Vielfalt (Ar) schwankte zwischen 6,62 (Population 7 – Gunzenhausen) und 10,10 (Population 10 – Trostberg) mit einem Mittelwert von Ar = 8,76.
Insgesamt waren 34 Privatallele vorhanden, die sich über 14 Populationen verteilten. Für die Ausweisung von Saatguterntebeständen wird die mittlere Anzahl an effektiven Allelen Ne herangezogen. Dieser Wert steht für die genetische Diversität innerhalb einer Population und bezieht die Häufigkeitsverteilung der Allele mit ein. Die Anzahl der effektiven Allele (Ne) schwankte von 3,42 (Population 7 – Gunzenhausen) bis 5,62 (Population 5 – Hersbruck) mit einem Mittelwert von Ne = 4,72. Die erwartete Heterozygotie (He) war in allen untersuchten Populationen nicht sehr hoch (Mittelwert = 0,691). Der Inzuchtkoeffizient (FIS) variierte von -0,019 (Population 9 – Krumbach) bis 0,165 (Population 13 – Kochelsee).
Unter 690 Bäumen in den 15 genetisch analysierten Vorkommen befanden sich sechs Klone. Bei der Gewinnung von Pfropfreisern oder Saatgut sollte ein Mindestabstand von 30 m zwischen den möglichen Plusbäumen oder Erntebäumen eingehalten werden
Vergleich natürlicher Bestände mit Samenplantagen
Alle Parameter der genetischen Vielfalt und Variation waren wie erwartet bei den Samenplantagen höher als in den natürlichen Beständen. Die erwartete Heterozygotie (He) war beim Vergleich von Naturbeständen und Samenplantagen recht ähnlich. Die Bayessche Clusteranalyse mit der Software STRUCTURE ergab als wahrscheinlichste Gruppierung eine mögliche Struktur von zwei genetischen Clustern (Maximalwert Delta K = 64,320 bei K = 2) innerhalb der untersuchten Sommerlinden-Populationen in Bayern. Abb. 3 zeigt das Ergebnis der Clusterbildung auf Basis der elf eingesetzten Genorte und einem K-Wert von 2. Die zwei Farben geben die verschiedenen STRUCTURE-Cluster wieder.
Nach dieser Einteilung wird das erste Cluster K1 (höchster Anteil an orange) hauptsächlich im Norden Bayerns identifiziert (5 Populationen: 1, 2, 3, 4 und 7). Das zweite große Cluster K2 (höchster Anteil an blau) wurde in Südbayern gefunden (7 Populationen: 9, 10, 11, 12, 13, 14 und 15). Drei Populationen (5, 6 und 8) in der Mitte Bayerns teilen sich etwa 50 % der beiden Cluster (Abb. 3). Die Population 16 stellt die Samenplantage Dünzling dar, deren Klone aus Südbayern stammen. Population 17 stellt die Samenplantage Gerolzhofen dar, die mit Plusbäumen aus Nordbayern aufgebaut wurde. Abb. 4 gibt einen zusammenfassenden Überblick über die räumlich-genetischen Strukturen in Bayern.
Diskussion und Schlussfolgerung
Die Baumart Sommerlinde hat bisher eine untergeordnete Rolle gespielt und wurde oft mit der Winterlinde zusammen gepflanzt. Eine Eigenart der heimischen Linden besteht darin, dass sie sich unter natürlichen Bedingungen leicht miteinander kreuzen. Die Hybridisierung, das Anpassungspotenzial sowie räumlich-genetische Strukturen standen bisher nicht im Fokus. Die hier erfolgte erstmalige genetische Untersuchung der Sommerlinde in Bayern ermöglicht einen Überblick über die genetische Variabilität. Dadurch können Empfehlungen für Maßnahmen zur Erhaltung und Nutzung dieser Baumart abgeleitet werden. Die genetische Vielfalt von Erntebeständen sollte möglichst hoch sein, um eine hohe Anpassungsfähigkeit des Saat- und Pflanzguts zu gewährleisten. Nach den vorliegenden Ergebnissen kann eine mittlere genetische Differenzierung zwischen den Sommerlindenbeständen beobachtet werden.
Die Verteilung der räumlich-genetischen Strukturen in Bayern (Abb. 4: Farbverteilungen K1 bis K2) zeigt einzelne räumliche Gruppierungen im HKG 824 04 an. Für die Erhaltung und Nutzung forstlicher Genressourcen wird eine Einteilung des HKG 824 04 in zwei genetische Cluster empfohlen. Es kann eine eindeutige geografische Zugehörigkeit der einzelnen Populationen zu einer der zwei ermittelten Gruppen festgestellt werden. Aus den Ergebnissen lassen sich 14 der untersuchten Bestände als mögliche Saatgutquelle ableiten. Sieben Bestände wurden im Rahmen des Projekts neu gemeldet und untersucht (Tab. 1). Es wird empfohlen, die Population 7 – Gunzenhausen aus der Zulassung zu nehmen, da sie sowohl bei der genetischen Vielfalt als auch bei der genetischen Diversität unterdurchschnittlich abschneidet. Bei dieser Population wurden keine Privatallele identifiziert.
Insbesondere bei Nebenbaumarten sollte bei der Zulassung eines Erntebestandes die Individuenzahl im Bestand berücksichtigt werden. Bei sehr kleinen Beständen und fehlender Vernetzung zu benachbarten Beständen derselben Art kann fehlender Genfluss zu einer genetischen Verarmung führen und die Anpassungsfähigkeit des Saat- und Pflanzguts darunter leiden. Aus diesem Grund sollten aus genetischer Sicht keine Vorkommen der Sommerlinde mit weniger als 40 Individuen für die Saatguternte empfohlen werden. Saatguterntebestände sollten bevorzugt eine größere Fläche (mindestens 0,5 ha) und Erntebäume eine gute räumliche Verteilung im Bestand aufweisen. Bei Sommerlinde ist durch das Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG) keine Mindestfläche vorgegeben. Es kann beobachtet werden, dass in der Regel bei allen größeren Beständen [1, 6, 8, 10] die genetischen Vielfaltsparameter überdurchschnittlich abschneiden. Des Weiteren sollte die Anzahl der zu beerntenden Bäume bei Nebenbaumarten erhöht werden. Gerade bei Nebenbaumarten, bei denen keine großen Bestände vorhanden sind und der Genfluss zwischen den Beständen meist gering ist, sollten mindestens 30 Bäume einer Waldpopulation beerntet werden.
Für die Erhaltung forstlicher Genressourcen bei der Sommerlinde werden in allen relevanten Generhaltungszonen Erhaltungsbestände ausgewiesen. Erhaltungsmaßnahmen bei Waldbäumen sollten sich auf die Erhaltung der genetischen Variation innerhalb der Art konzentrieren, aber auch die Einzigartigkeit des bestehenden Genpools berücksichtigen. Bestände, die eine allelische Vielfalt über Ar > 8,76 aufweisen, werden in erster Linie als Erhaltungsbestände empfohlen. Gerade bei seltenen Baumarten ist der Aufbau von Erhaltungsplantagen eine wichtige Maßnahme und kann zur Sicherung forstlicher Genressourcen und zur Versorgung mit hochwertigem Vermehrungsgut beitragen.
Bei den beiden bayerischen Samenplantagen waren alle Parameter der genetischen Vielfalt und Variation höher als in den natürlichen Beständen. Aus diesem Ergebnis wird deutlich, dass es bei Baumarten, die im Klimawandel an Bedeutung gewinnen und eine positive Prognose aufweisen, z. B. Spitzahorn, Hainbuche und Sommerlinde, sehr wichtig ist, zeitnah neue Erhaltungsplantagen anzulegen. Das bayerische Samenplantagenprogramm sollte weiter ausgebaut werden und neben der Erhaltung einen Beitrag zur Nutzung forstlicher Genressourcen leisten.
Die Förderung des Projektes erfolgt durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus (StMELF) über das Kuratorium für forstliche Forschung.