Gemäss geltendem Waldgesetz ist der Kahlschlag in der Schweiz zwar verboten. Aber es gibt ihn doch: Vereinzelte Kahlschläge sind mittels Ausnahmebewilligungen möglich. Auch der in der Schweiz vorherrschende Femelschlag führt kleinflächig zu kahlschlagähnlichen Erscheinungen. Zudem sind Kahlflächen, die bei Flächenräumung nach Sturmereignissen wie "Vivian" (1990) und "Lothar" (1999) entstehen, Kahlschlägen sehr ähnlich.

In der öffentlichen Diskussion ist Kahlschlag ein Reizwort; Kahlschlag wird als brutaler Eingriff in die Natur empfunden. Auch in einem grossen Teil der Forstpraxis ist der Kahlschlag verpönt. Eine massgebliche Ursache dafür sind die grossflächigen Kahlschläge im 18. und 19. Jahrhundert, die zu Erosion und Überschwemmungen führten.

Seit einigen Jahren bringt vor allem die Wald- und Holzwirtschaft den Kahlschlag wieder in die Diskussion. Ins Feld geführt werden wirtschaftliche, technische und logistische Vorteile dieser Bewirtschaftungsform. Damit sollen die tiefen Erträge aus dem Holzverkauf durch geringere Erntekosten aufgefangen werden.

Dieser Beitrag soll die aus fachlicher Sicht relevantesten Aspekte beleuchten und damit zur Meinungsbildung beitragen. Er fasst einen ausführlicheren Aufsatz in der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen zusammen.

Definition des Kahlschlages

In diesem Beitrag definieren wir Kahlschlag wie folgt: Kahlschlag ist die vollständige Räumung aller mehr als 8 cm dicken Bäume eines Waldbestandes auf einer zusammenhängenden Fläche von mindestens 0,5 ha, falls die verbleibende Vorverjüngung weniger als 30% der Schlagfläche bedeckt. Die Vorverjüngung wird dabei nach dem Eingriff beurteilt und schliesst nur zukunftsfähige Pflanzen ein.

Bewertung für tiefe Lagen

Unsere Bewertung des Kahlschlags gilt für wirtschaftlich nutzbare Wälder der tieferen Lagen. Schutzwälder werden nicht betrachtet, denn hier gefährdet der Kahlschlag die Schutzwirkung in offensichtlicher Weise. Damit schliessen wir alle Wälder an Steilhängen und im Besonderen die Gebirgswälder mit Schutzfunktion aus.

Kahlschläge wirken sich vielfältig und markant aus. Für die wichtigsten Auswirkungen halten wir diejenigen auf Landschaftsbild, Wirtschaftlichkeit, Biodiversität, Standort und Boden sowie waldbaulichen Handlungsspielraum. Weitere Auswirkungen, insbesondere auf das Grundwasser, halten wir unter den Standortbedingungen im Schweizer Wald für nur lokal bedeutsam; daher bleiben sie hier unberücksichtigt. Den Aspekt "Wirtschaftlichkeit" behandeln wir ausführlicher als die anderen, weil er besonders häufig pro oder kontra Kahlschlag angeführt wird.

Landschaftsbild

Kahlschläge verändern das Landschaftsbild stark und für längere Zeit (Abb. 1). Die Bevölkerung nimmt Kahlschlagflächen in der Regel negativ auf, selbst wenn sie nur klein sind. Doch die Wahrnehmung ist unterschiedlich, je nachdem, wie gut eine Kahlschlagfläche sichtbar ist, wie die Schlagränder geformt sind und wo sie liegen, ob ein Nebenbestand verbleibt und ob bereits Naturverjüngung vorhanden ist.

Wir empfehlen, Kahlschläge aus landschaftsästhetischen Gründen zurückhaltend durchzuführen. Die optische Wirkung von Kahlschlägen lässt sich entschärfen: Man kann sie auf wenig exponierte Gebiete beschränken, auf geometrische Schlagränder verzichten sowie "Baumkulissen" entlang von Wegen und Strassen stehen lassen. Die Rücksichtnahme auf das Landschaftsbild trägt viel zu einer wohlwollenden Einstellung der Bevölkerung zur Waldwirtschaft bei.

Wirtschaftlichkeit

Die kurzfristigen Kostenvorteile des Kahlschlages bei der Holzernte sind unbestritten: Kahlschlag erlaubt eine rationelle, hoch mechanisierte, ganzjährige just-intime-Nutzung bei geringer Unfallgefahr. Allerdings dürfen die Holzerntekosten nicht isoliert betrachtet werden, denn auch die Kosten, die für die Bestandesbegründung und Jungwaldpflege anfallen, sowie die Ertragsseite sind mit einzubeziehen.

Vor allem aber hängt die Wirtschaftlichkeit jedes Waldbauverfahrens stark von den zukünftigen Rahmenbedingungen ab, zum Beispiel von der Holzpreisentwicklung. Über lange Zeiträume ist deshalb eine finanzielle Bewertung von Betriebsformen unsicher. Ökonomische Argumente haben daher ihren Stellenwert, können aber nicht allein bestimmend sein.

Die Frage einer gewinnbringenden oder zumindest kostendeckenden Waldbewirtschaftung stellt sich für die ganze Waldbranche in der Schweiz. Die Waldwirtschaft muss sich im internationalen Umfeld positionieren. Wir empfehlen, die Bewirtschaftung konsequent auf ein Produktionsziel auszurichten. Konkret heisst das, sich je nach Standortproduktivität und aktuellem Bestand für Wertholz- oder Massenproduktion zu entscheiden. Damit kann man die spezifischen Stärken der Schweiz im internationalen Umfeld ausspielen.

Für eine Fokussierung auf die Wertholzproduktion sprechen der grosse Anteil wüchsiger Standorte an der Waldfläche, das grosse Baumartenspektrum, die kleinflächigen Betriebsstrukturen, die hervorragenden Fachleute und die fundierten fachlichen Grundlagen. Die hohen Erträge aus dem Holzverkauf erlauben es, waldbauliche Investitionen und eine selektive Holznutzung im Dauerwald, Plenterwald oder Femelschlagwald zu finanzieren. Dabei leisten die Sortimente von geringer Qualität, die das Hauptvolumen der Schläge ausmachen, wichtige Kostendeckungsbeiträge.

Kahlschlag ist für die Wertholzproduktion nur in einem Spezialfall wirtschaftlich vorteilhaft: Bei einer plantagenartigen, intensiven Wertholzproduktion mit Pflanzung, Pflege und Astung kurzumtriebiger Baumarten, zum Beispiel mit Kirschbaum, Nussbaum, Pappel oder Douglasie. Weltweit investieren grosse Firmen in solche Waldbausysteme, in der Schweiz fehlen entsprechende Erfahrungen.

Bei einer Fokussierung auf geringwertige Sortimente (Massenproduktion) heisst die Maxime Kostensenkung. Hier dürfte Kahlschlag gegenüber Femelschlag oder Dauerwald wirtschaftlicher sein. Diese Variante eignet sich besonders für wenig produktive Standorte. Entsprechend den angestrebten, billigeren Massenprodukten darf dabei waldbaulich nur minimal investiert werden. Pflanzung und Pflege lohnen sich kaum.

Ein Schwerpunkt dürfte künftig in der Energieholzproduktion liegen. Kleinflächige Kahlschläge, zum Beispiel in Niederwäldern, und die Nebenprodukte der übrigen Waldbewirtschaftung liefern den Rohstoff. Dazu kommt die vorzeitige Nutzung minderwertiger Bestände. Die Holzkette verläuft entlang kurzer Transportwege vom Wald zu den Konsumenten (regionale Verwertung). Die Kürze der Transportwege und die Kundennähe stellen die massgeblichen Wettbewerbsvorteile der Schweizer Waldwirtschaft im Vergleich zu Anbietern aus dem Ausland dar.

Ein Sonderfall sind Umwandlungen von Reinbeständen. So lassen sich sturmgefährdete Bestände mit Kahlschlag kostengünstig und rasch verjüngen, zum Beispiel standortfremde Fichtenbestände. Man überlässt die Flächen anschliessend der Naturverjüngung oder pflanzt ausgesprochene Lichtbaumarten wie etwa die Eiche.

Biodiversität

Auf frischen Kahlschlagflächen kommen mehr Pflanzen- und Insektenarten vor als im geschlossenen Wald. Diese kurz- bis mittelfristige Zunahme nach einem Kahlschlag ist vergleichbar mit Situationen nach Windwürfen, Waldbränden oder grossflächigen Käferschäden. In Kombination mit Femel- oder Dauerwaldbewirtschaftung können einzelne Kahlschläge daher die Biodiversität vergrössern (Abb. 3). Dies gilt speziell für die Bewirtschaftung von Niederwäldern.

Bei grossflächiger Kahlschlagwirtschaft verschwinden hingegen typische Waldarten und besonders jene, deren Lebensraum alte Bäume sind. Wer Kahlschläge plant, muss daher darauf achten, dass Alt- und Uraltbestände sowie seltene Tier- und Pflanzenarten grossräumig erhalten bleiben. Hierzu sind überbetriebliche Betrachtungen nötig. Geeignete Grundlagen sind Standort- und Biotopschutzkartierungen.

Boden und Standort

Kahlschläge können Lokalklima und Boden stark verändern. Sie wirken sich allerdings je nach Relief und Bodenbeschaffenheit sehr unterschiedlich aus; so kann Vernässung auftreten, aber auch Austrocknung. Auf sauren Böden können Kahlschläge zu einer verstärkten Mineralisierung und Auswaschung von Nährstoffen führen. All diese Veränderungen können die Lebensbedingungen der Bodenorganismen sowie die Verjüngung und das Wachstum der Bäume für lange Zeit beeinträchtigen. Es gibt aber durchaus auch Standorte, auf denen Kahlschläge die Bodenqualität kaum vermindern. Diese Standorte sind durch Experten zu bezeichnen; sie könnten in Waldentwicklungs- oder Waldfunktionsplänen festgelegt werden.

Handlungsspielraum

Waldbestände entwickeln sich wesentlich langsamer, als sich die Ansprüche der Gesellschaft an den Wald verändern. Wenn Waldbestände einen grossen Handlungsspielraum bieten, können künftige Generationen den Wald bei geänderten Ansprüchen relativ rasch umgestalten.

Einen maximalen waldbaulichen Handlungsspielraum bietet ein dauernd bestockter, stufig aufgebauter Mischwald mit standortgerechten Baumarten. Hier können jederzeit mehrere Holzarten verschiedener Qualität geerntet werden. Ebenso werden die übrigen Waldfunktionen weitgehend und dauerhaft erfüllt. In Dauer- und Plenterwäldern und etwas weniger ausgeprägt auch im kleinflächigen Femelschlagsystem bleibt dieser grosse Spielraum stets im ganzen Wald erhalten.

Nur einen geringen Handlungsspielraum bietet hingegen eine kahl geschlagene Waldfläche. Während Jahren lässt sich kein Holz ernten, und auch nach Jahrzehnten sind die waldbaulichen Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Ändern sich die Ansprüche von Eigentümern und Gesellschaft, kann nicht reagiert werden. Diese klaren Nachteile auf der einzelnen Kahlschlagfläche lassen sich in grösseren Waldgebieten vermindern, wenn Kahlschläge zeitlich gestaffelt oder nur vereinzelt ausgeführt werden.

Kahlschläge sollen daher nur dort ausgeführt werden, wo über viele Jahrzehnte auf einen grossen waldbaulichen Handlungsspielraum verzichtet werden kann. Kahlschläge sind auch dort vertretbar, wo der Handlungsspielraum aufgrund der aktuellen Bestände schon jetzt gering ist.

Bilanz

Kahlschlag ist weder grundsätzlich abzulehnen noch als Allheilmittel für die wirtschaftlichen Probleme der Waldwirtschaft anzusehen. Eine unvoreingenommene Analyse ergibt vielmehr ein differenziertes Bild. Oft gehörte Extrempositionen sind nur schwer zu begründen. Auch in den Schweizer Wäldern hat der Kahlschlag ein begrenztes Potenzial.

Für Kahlschläge sprechen insbesondere die Wirtschaftlichkeit der Holzproduktion, vor allem im Rahmen einer kostengünstigen Massenproduktion, und teilweise die Biodiversität. Der Schutz des Landschaftsbildes und die Erhaltung der Standortqualität sprechen häufig dagegen. Zudem schränken Kahlschläge den waldbaulichen Handlungsspielraum auf Jahrzehnte hinaus ein.

Sollen Kahlschläge künftig im Schweizer Wald eine Rolle spielen, ist ein fachlich fundierter Rahmen zu stecken und praxisgerecht umzusetzen. Standorte und Bestände, die für Kahlschlag in Frage kommen, sind überbetrieblich zu bezeichnen. Heute fehlen aber die Grundlagen, um dies seriös zu tun.

Wir wagen dennoch die Schätzung, dass Kahlschläge in den meisten Regionen der tieferen Lagen auf 10 bis 20% der Waldfläche vertretbar sind. In einzelnen Gebieten kann es auch mehr oder weniger sein. Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Waldbesitzer einen fachlich definierten Spielraum bewusst nicht nutzen würde. Wir raten davon ab, den Kahlschlag ohne griffige Planungs- und Kontrollmechanismen generell freizugeben. Dies würde schwerwiegende Nachteile für die vielfältigen Leistungen des Waldes zugunsten der Gesellschaft und für das Image der Waldwirtschaft mit sich bringen.

(TR)