Seit 2007 sterben in Baden-Württemberg vermehrt Weißtannen nach Befall durch Tannenstammläuse (Dreyfusia piceae) ab. Betroffen sind 40- bis 80- jährige Tannenrein- und mischbestände, meist auf wüchsigen Standorten. Der Befall beginnt oft an den Z-Bäumen und breitet sich dann über den Bestand aus. Die Tannenstammlaus hatte offensichtlich in den trocken-warmen Monaten April 2007 und 2009 für eine Massenvermehrung gute Startbedingungen. Die dadurch geschwächten Tannen sterben aber nur dann ab, wenn zusätzlich sekundäre Tannenschädlinge auftreten. Dies sind Rindennekrosen auslösende Pilze, aber auch Tannenrüsselkäfer und –borkenkäfer.

Geschichtlicher Abriss: Erste Meldungen im 19. Jahrhundert

Die Weißtannenstammlaus (Dreyfusia piceae, Syn. Adelges piceae; Adelges piceae piceae (Ratzeburg, 1844), Chermes piceae (Ratzeburg, 1844), Chermes piceae bouvieri, Dreyfusia piceae bouvieri bzw. englisch balsam woolly adelgid, balsam woolly aphid, bzw. französisch puceron lanigère du sapin) gehört mit der Familie der Fichtengallenläuse (Adelgidae) in die Ordnung Schnabelkerfe (Hemiptera). Die Biologie der Blattläuse ist im Vergleich zu anderen Insektenarten relativ kompliziert, da ihr vollständiger Entwicklungszyklus mehrere Generationen umfasst, die sich geschlechtlich oder ungeschlechtlich vermehren und deren Tiere sich in ihrem Aussehen und ihrer Biologie sehr stark voneinander unterscheiden können. Bei der Weißtannenstammlaus handelt es sich um eine Art mit unvollständigem Zyklus (Anholozyklie), die nur auf dem Nebenwirt lebt [3,4]. Neben den Sekundärwirt "Weißtanne" ist kein Hauptwirt bekannt, das bedeutet, dass sich die Art nur ungeschlechtlich fortpflanzt. Sie befällt die Stämme von älteren Tannen (40–120 j.), ein Massenbefall führt zu leuchtend weißem Wachswollbelag am Stamm im Frühjahr und Spätsommer.

Bereits 1843 wurde von Stammläusen an Weißtannen in Mitteleuropa berichtet: In jenem Jahr wurden bei Breslau in Schlesien im Frühjahr und Herbst in 60- bis 70-jährigen Tannenbeständen die Art zum ersten Mal entdeckt und beschrieben [11]. 1885 waren bei Koblenz 40-jährige Tannen von Stammläusen befallen und starben ab. Im Jahr 1908 wurde von der Stammlaus (Dreyfusia piceae) die Art Dreyfusia nüsslini abgetrennt, die heute als Weißtannentrieblaus (Syn. Dreyfusia nordmannianae) bezeichnet wird. Ein Jahr später wurde die Weißtannenstammlaus nach Kanada eingeschleppt, wo sie bis heute ein gefürchteter Schädling an der Balsamtanne ist.

Das Phänomen absterbender Weißtannen wurde schon in großem Umfang in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts beobachtet und hatte sich fast über das ganze Verbreitungsgebiet der Weißtanne von Dänemark bis zur Schweiz und Böhmen ausgebreitet, weshalb es als "äußerst schwere Bedrohung" der Tanne angesehen wurde. Neben Hallimasch (Armillaria mellea) wurden Tannenborkenkäfer (Pityokteines spec./Cryphalus piceae), aber vor allem Trockenjahre und Tannenläuse als Verursacher gesehen [16].

Alleiniger Befall von Stammläusen meist ungefährlich

In den Folgejahren bis heute gab es immer wieder lokal Massenentwicklungen von Stammläusen, denen vereinzelt ganze Bestände zum Opfer fielen. Doch in der Regel blieb und bleibt ein alleiniger Befall mit Tannenstammläusen für die Bestände ungefährlich [14, 15]. Erst mit dem Auftreten von sekundären Schädlingen wird die Lage für die Weißtanne ernsthaft bedrohlich. Stammlausbefall und sekundärer Befall mit Pilzen vor allem der Gattung Neonectria führt zu Rindennekrosen und Absterbeerscheinungen. Daher wurde im Jahr 2005 vorgeschlagen, diese Komplexkrankheit als Tannen-Rindennekrose zu bezeichnen [2].

Baden-Württemberg hat eine besonderer Verantwortung

Die Unteren Forstbehörden (UFB’n) melden seit 2007 zunehmenden Befall durch Weißtannenstammläuse (Abb. 4). Die Weißtanne ist mit einer Waldfläche von über 100.000 ha, also mit einem Anteil von 8 %, nach der Fichte und der Rotbuche die drittwichtigste Baumart in Baden-Württemberg. Ihr Verbreitungsgebiet liegt hauptsächlich im submontanen bis montanen Bereich. Baden-Württemberg hat daher in Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber der Weißtanne. Neben dieser grundsätzlichen Verantwortung zum Erhalt einer wichtigen einheimischen Baumart sind auch wirtschaftliche Aspekte von großer Bedeutung: Die Weißtanne ist die typische Baumart des Plenterwaldes und damit eine wichtige finanzielle Größe vor allem im bäuerlichen Privatwald. Sollte die Einschätzung des Gefahrenpotentials der Tannenläuse und ihrer Sekundärfolgen ergeben, dass die Weißtanne in ihrem Hauptvorkommensgebiet stark bedroht ist, dann besteht akuter Handlungsbedarf.

Ablauf und Entwicklung der Krankheit

Ziel der aktuellen Untersuchungen der FVA ist es, Ablauf und Entwicklung der Krankheit in Baumhölzern in Baden-Württemberg zu beobachten und zu analysieren. Von Interesse ist neben der Reaktion des Einzelbaumes auch die Entwicklung der Krankheit in den Beständen. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Massenentwicklung der Weißtannenstammlaus und ihr Einfluss auf den Ablauf der Tannen-Rindennekrose. Aus den Erkenntnissen sollten vorläufige Empfehlungen für die Weißtannenbewirtschaftung abgeleitet werden, die Handlungsoptionen zur Eindämmung des Lausbefalls aufzeigen.

Untersuchungsmethodik

Zur Datenerhebung in den Jahren 2009 und 2010 wurden in acht Untersuchungsgebieten (UG) von Lörrach im Südwesten bis zum Ostalbkreis im Nordosten Baden-Württembergs Tannenbestände ausgesucht, die in den Kreisforstämtern bereits als besonders stark befallen bekannt waren (Abb. 2, Tab. 1). Diese stockten meist auf durch mäßig frische Lehme bzw. Tone geprägten, bisweilen wechselfeuchten Standorten. In diesen Beständen wurden 22 Probeflächen der Größe 30 x 30 m² angelegt, auf denen dreimal jährlich die Einzelbäume nach einem festgelegten Katalog von Parametern bonitiert wurden. Zusätzlich wurden in vier Gebieten je fünf Bäume in einem Gradienten von "vital" bis "abgängig" gefällt und auf Stammlausinfektionen und weitere Schadsymptome untersucht. So konnte das Vorkommen der pilzlichen und tierischen Erreger aus Stammproben sowie Zweig- und Astmaterial analysiert werden. An diesen wurden Rindenfarbe, Rindenbesatz mit Pathogenen (quantitativ), Harz- uund Schleimfluss; Harztropfen und Rindennekrosen aufgenommen. In Bhd-Höhe entnommene Baumscheiben (Jahrringbreiten) dienten der Ermittlung der Zuwachsentwicklung. Mit Pheromonfallen in sechs UG wurden Tannenborkenkäfer nachgewiesen.

Tab. 1: Standortcharakteristika der Untersuchungsflächen.
FlächeBodentypBodenhorizonteGeländeexpositionHöhenlage
GaggenauMäßig frischer RötellehmMull bis Mullmoder; BraunerdeMäßig frische Flachlagen und breite, rückenartige Verebnungenkollin
Rosenberg-HohenbergMäßig frischer SandMullmoder bis Mull, örtlich Moder; Braunerde, z.T. podsoligMäßig frische Verebnungen und schwach geneigte Lagen, sowie breitere Rückensubmontan
Sulzbach- LaufenSaurer wechselfeuchter TonModer, örtlich Rohhumus (Störungshumusform); ± podsoliger Pseudogley-Pelosol bis Pelosol-PseudogleyEbene und schwach geneigten Lagensubmontan
KandernMäßig frischer MischlehmMullmoder bis Moder; Braunerde und Parabraunerde, teilweise podsoligMäßig frische Flachlagensubmontan
LoßburgMäßig frischer MergeltonhangMull; Braunerde-PelosolMäßig frische Hängesubmontan
HorbMäßig frischer KalkverwitterungslehmMull; Terra fusca bis Braunerde-Terra fuscaMäßig frische Flachlagen; mittelgründig, in Klüften tieferreichendsubmontan
RottweilWechselfeuchter Lettenkeuper-MischlehmMull bis Mullmoder; Parabraunerde-Pseudogley und Braunerde-Pseudogley bis PseudogleySchwach bis ausgeprägt wechselfeuchte, örtlich bis vernässende Flachlagen, insbesonders Verebnungen und Flachmuldensubmontan
 Grundfrischer SandlehmMull bis Mullmoder; Parabraunerde, im Unterboden pseudovergleytGrundfrische Flachlagensubmontan
 Wechselfeuchter Lettenkeuper-MischlehmMull bis Mullmoder; Parabraunerde-Pseudogley und Braunerde-Pseudogley bis PseudogleySchwach bis ausgeprägt wechselfeuchte, örtlich bis vernässende Flachlagen, insbesonders Verebnungen und Flachmuldensubmontan
HägMäßig frischer lehmiger Steinschutt-SommerhangMull bis Mullmoder; Braunerde, örtlich Ranker-BraunerdeMäßig frische Hanglagenmontan

Betroffen ist vor allem schwaches, in Ausnahmefällen mittleres Baumholz auf wüchsigen Standorten (Tab. 1, Abb. 9) in meist einschichtigen Misch- und Reinbeständen. Es werden vor allem Tannen auf gut wasserversorgten Standorten am Bestandesrand oder an Innenrändern (z. B. Rückegassen) von Stammläusen befallen. Kommt es zu einer Infektion im Bestand, so beginnt diese bevorzugt an Z-Bäumen, die zuvor freigestellt worden waren.

Tannen mit einer Rindenstruktur, auf der die Lentizellen sehr deutlich sind (ausgeprägte Korkwarzen, die sich stärker von der Rinde abheben), werden viel häufiger von Läusen befallen; Tannen mit schuppiger oder rissiger Rinde dagegen seltener (Abb. 10). Die Beobachtungen vor Ort unterstreichen dieses Phänomen. Gerade in der Progradation, dem Beginn eines Massenwechsels der Stammläuse, beginnt der Befall an diesen Lentizellen, die den Läusen ein müheloses Eindringen und "Saugen" ermöglichen.

Entwickelt sich die Population weiter, wird schließlich der gesamte Stamm von etwa Kniehöhe bis zum Kronenansatz besiedelt. Meist ist der Stamm rundum von Läusen besiedelt. Es konnte keine bevorzugte Besiedlungsseite (Sonnen-, Schattenseite) belegt werden. Die Hypothese, dass die Stammbesiedlung eher von oben beginnt, ließ sich ebenfalls nicht bestätigen.

Komplexes Zusammenspiel abiotischer und biotischer Faktoren

Das beginnende Krankheitsbild entsteht offensichtlich durch ein komplexes Zusammenwirken verschiedener abiotischer und biotischer Faktoren. Die Beobachtung des Krankheitsablaufes in den 22 Untersuchungsparzellen über 2 Jahre hinweg lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die Rinde von Weißtannen ist ein bis mehrere Jahre (Vorjahresbefall ist an der Schwarzfärbung zu erkennen) mit Wollläusen besetzt; im Frühjahr und Spätherbst, teils bis Mitte Dezember hinein, wird dieser Besatz durch schneeweiße Stämme besonders deutlich. Entfernt man Flechten oder Moose am Stamm, sind selbst darunter vereinzelt Tannenläuse zu finden.
  • Die Tanne bildet als Reaktion auf den Stammlausbefall gegen Ende des dritten Befallsjahres eine pathalogische Borke, damit kann die Tanne der Laus "entwachsen", weil deren Stechrüssel nicht mehr lang genug ist, um die Borke zu durchstechen: "Die Tanne streift durch Borkenbildung die Laus ab" [8].
  • Unter der abgestorbenen Borke bildet sich neues Periderm. Die charakteristische, durch die Wachswolle hervorgerufene Weißfärbung ist völlig verschwunden, einige Stämme behalten für eine Weile noch eine grau-schwarze Grundfärbung, die dadurch entsteht, dass sich Pilze auf den Lauskadavern angesiedelt haben.

Damit wäre die Entwicklung der Laus bis zur nächsten Massenvermehrung unspektakulär verlaufen.

Sekundärschädlinge bringen die Gefahr

Jedoch während der seit 2007 anhaltenden Entwicklung kommen zum Lausbefall sehr häufig sekundäre Schädlinge hinzu, die im Extremfall zum Absterben der Weißtannen führen. Schon früh folgten Rindenpilze (Neonectria) und Tannenrüsselkäfer.

Tannenrüsselkäfer

Da dieser Käfer sehr früh schwärmt, können bereits im März Bäume befallen werden. Ein Frühjahrsbefall führt dazu, dass die Bäume partiell ihre älteren Nadeln verlieren, die jüngeren Nadeln werden an einzelnen Zweigen braun. Werden die Bäume später in der Saison befallen, behalten sie die grünen Nadeln bis zum nächsten Frühling.

Ein Rüsselkäferbefall wird daran erkannt, dass im unteren Kronenteil vereinzelte dürre Äste mit noch vorhandenen, aber schon rot verfärbten Nadeln entstehen, während zeitgleich die Krone schütter ist, aber grün bleibt. Meist bleiben nur zwei bis drei Nadeljahrgänge erhalten. Es finden sich Harztropfen auf dem Stamm, zudem tritt Harz- und/oder Schleimfluss aus Grünästen, Totästen und Astwunden aus. Dies ist offensichtlich eine Abwehrreaktion des Baumes auf den Reifungsfraß im Frühjahr und die Anlage der Eigrübchen durch die Weibchen während der gesamten Vegetationsperiode. Unter der Rinde finden sich bei fortgeschrittenem Befall bereits die klassischen Spanpolsterwiegen, die Jungkäfer bohren sich aus, es bleiben runde Ausbohrlöcher an der Rinde übrig. Auch an Bäumen mit grüner Krone findet man Spechthiebe, nach der bisherigen Erfahrung besonders im unteren Stammbereich bis etwa 2 m Höhe. Diese treten vor allem vom Frühherbst bis zum Winter auf.

Hallimasch

Neben dem Rüsselkäfer können die Laustannen zusätzlich vom Hallimasch (Armillaria mellea) und vom Neonectria-Pilz befallen sein. Der Hallimasch ist am Stammfuß zu finden, den Neonectria-Befallerkannt man an nekrotischem Gewebe und an den rot-orangen Fruchtkörpern (Perithezien) auf der Rinde. Die Fruchtkörper sieht man auch mit bloßem Auge, besser aber mit einer Lupe. Deutlicher als an den winzigen Fruchtkörpern ist der Neonectria-Befall an Stammrissen zu erkennen, aus denen Schleim austritt. Das geht soweit, dass sich manchmal unter den befallenen Bäumen regelrechte Pfützen bilden.

Am Ende können nach drei bis vier Jahren in den betroffenen Beständen weiße, schwarze und entrindete Tannen nebeneinander stehen, einige unter ihnen können sich sichtbar erholt haben und frei von Läusen und sekundären Schädlingen sein.

Befunde an Einzelbäumen

Die Untersuchung der gefällten Probebäume erbrachte weitere wichtige Befunde: Der Befall mit Neonectria spec. führt zu Kambialnekrosen (Abb. 5) und zum Absterben des Phloems. Als Stressindikator finden sich traumatische Harzkanäle im Holz und Rindennekrosen im Bast. Der Pilzbefall wird ermöglicht durch Verwundungen an der Rinde (Mikronekrosen), die durch die Einstiche der Läuse entstehen. Es kommt nachfolgend zur Verkürzung des Austriebs und zum Absterben der Krone. In der Folge sterben Kambium und Rinde stammumfassend ab. Verstärkt wird der Schaden ferner durch das Auftreten von Weißtannenrüsselkäfern (Pissodes piceae) und sekundären Tannenborkenkäfern wie Cryphalus piceae, Pityokteines curvidens, P.spinidens, P.vorontzovi. In sechs der acht UGs wurden Pheromonfallen aufgehängt. Damit wurden im Frühsommer überall regelmäßig Tannenborkenkäfer der Gattung Pityokteines nachgewiesen, in der Mehrzahl der Krummzähnige Tannenborkenkäfer (P. curvidens). In fast allen Astproben aus vier diesbezüglich bearbeiteten Gebieten (Häg, Horb, Loßburg und Rottweil) wurden Nachweise des Kleinen Tannenborkenkäfers erbracht.

Die Jahreszuwächse verminderten sich seit dem Jahr 2007 bei den Bäumen, die im Gelände als kränkelnd, stark geschädigt und abgängig bezeichnet wurden. Lediglich die als vital bzw. schwach kränkelnd bezeichneten Bäume zeigten keinen Einbruch des Wachstums (Abb. 11).

Bewertung der Ergebnisse

Durch den Saugprozess der Fichtengallenläuse kommt es zu einer Vernichtung der peripheren Rindenschicht bis zu einer Tiefe von 3–4 mm, zur Bildung einer pathologischen Borke und zur Beeinträchtigung des Drüsenepithels der Harzkanäle [9]. Der Tannenstammlausbefall führt ferner zu einer Verringerung der Wasserleitfähigkeit der Tanne [7]. Damit induziert die Laus einen Wasserstress und prädisponiert die Tanne für einen Befall durch Sekundärschädlinge. Die Tannenstammlaus ist damit disponierend für den Rindenpilz Neonectria fuckeliana var. macrospora [2].

Neben den Schäden durch die Rindennekrosen fallen in Baden-Württemberg vor allem die sekundären Schäden durch den Tannenrüsselkäfer auf: Der Weißtannenrüssler befällt normalerweise bevorzugt ältere, unterdrückte bzw. geschwächte und kränkelnde Tannen. Im Jahr 2009 wurde diese Käferart bislang vor allem in Beständen auffällig, in denen die Tannenstammlaus seit mehreren, aufeinander folgenden Jahren auftritt. Früher wurde häufiger beobachtet, dass besonders die Auflichtung der Tannenkronen infolge mehrjährigen Fraßes durch den Tannentriebwickler (Choristoneura murinana) eine höhere Disposition für den Befall mit Weißtannenrüssler zur Folge hatte. Der Tannentriebwickler war allerdings in Baden-Württemberg in den letzten 20 Jahren bedeutungslos und spielt auch derzeit keine Rolle. Weiterhin wurde der Tannenrüssler oft in abgängigen Tannen beobachtet, die infolge des "Tannensterbens" vor allem in den 1970er und 1980er Jahren abstarben [1]. Da der Rüsselkäfer in der Regel Tannenstämme zerstreut im Bestandesinnern befällt, kann sein stärkeres Auftreten eine Durchlöcherung der Bestände und die Herabsetzung ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber Sturm- und Schneeschäden zur Folge haben. Die Art nimmt unterschiedliches Brutmaterial an, so z. B. auch frische Tannenstubben. Selbst wenige Larvengänge genügen, um eine Tanne zum Absterben zu bringen.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

  • Bei Pflege- und Hiebsmaßnahmen in den gefährdeten Beständen während einer Massenentwicklung der Stammlaus empfehlen wir möglichst keine oder nur sehr wenige Eingriffe. Wir raten generell nicht zu einer Abkehr von der Z-Baum-Bewirtschaftung, doch sollten Z-Bäume in dieser sensiblen Phase nicht zu radikal freigestellt werden. Zudem ist es ratsam, nicht alle Bedränger zu entnehmen.
  • Die Stammlausinfektion kann auch einer harmlosen Entwicklung folgen: Durch Borkenbildung streift die Tanne die Laus quasi ab, eine Neuinfektion desselben Baumes ist erst allenfalls nach einem Dutzend Jahren wieder möglich. Wenn inmitten von stark mit Läusen bedeckten Stämmen andere lausfreie Tannen stehen, so dürften dies solche sein, die sich für eine Zeitlang ihrer Läuse erwehrt haben [10]. Es ist derzeit nicht bekannt, welche Rahmenbedingungen diese "Selbstheilung" verursachen. Es besteht also dringender Forschungsbedarf, die Parameter zu ermitteln, die die sekundären Schädlinge fördern.
  • Bei festgestelltem Befall durch Stammläuse und Sekundärschädlinge muss allerdings umgehend eingeschlagen werden. Falls das Holz nicht sofort abgefahren werden kann, muss es entrindet werden.

Grundsätzlich sollten alle mittelalten Tannenbestände auf die nachfolgend aufgeführten Symptome kontrolliert werden, bevorzugt solche Bestände, die bereits in der Vergangenheit diese Befallszeichen aufgewiesen haben.

  1. Bäume, die noch keine Spechthiebe aufweisen, aber mehrfach Stammlausbesatz hatten und aktuell Schleim- und oder Harzfluss aufweisen, sollen markiert und mindestens einmal monatlich überprüft werden. Es gibt deutliche Hinweise dafür, dass eine nur durch Stammlausbefall geschwächte Tanne unter günstigen Witterungsbedingungen einen Angriff des Weißtannenrüsslers abwehren kann.
  2. Zeigt sich bei der Kontrolle, dass Harz- und Schleimfluss deutlich zunehmen, ist besonders auf Weißtannenrüsslerbefall zu achten. Bei vorhandenen sichtbaren Befallsanzeichen sind auch solche Bäume sofort zu fällen und abzufahren.
  3. Finden sich aktuell Hinweise auf Hallimasch und/oder größere Rindennekrosen und/oder Weißtannenrüsslerbefall (Spechthiebe, abblätternde Rinde, runde Ausbohrlöcher der Jungkäfer; Fraßbild/Puppenwiegen der Larven), dann sind solche Bäume zu entnehmen und sofort abzufahren.
  4. Überwinterungsbäume mit einer großen Zahl von kleinen Harztropfen sollten dokumentiert und beobachtet, aber nicht entnommen werden.
  5. Es muss ganz besonders auf die Trieblänge (Fernglas) und auf abfallende Nadeln geachtet werden. Anomal kurze Triebe und Nadelfall weisen noch vor dem Harz/Schleimfluss auf einen Befall durch den Weißtannenrüssler oder Hallimasch in den geschwächten Beständen hin.
  • Sollte eine Abfuhr nicht möglich sein, können berindete Hölzer sofort bei der Lagerung mit einem zugelassenen Insektizid rundum tropfnass gespritzt werden (Vorausflugspritzung). Dabei sind die in den Gebrauchsanweisungen enthaltenen Anwendungsvorschriften (Abstand zu Gewässern u. a.) strikt zu beachten. Auf die Dokumentationspflicht der Insektizidbehandlung wird ausdrücklich hingewiesen.
  • Präventiv sollte die Tanne – unter Beachtung der lokalen Schlusswaldgesellschaft – am besten mit Buche und/oder Fichte gemischt und ein stufiger Bestandesaufbau angestrebt werden. Weitere Handlungsempfehlungen finden sich in [6]. Plenterwälder sind nach bisherigen Beobachtungen nicht oder nur wenig von dieser Komplexkrankheit betroffen.

Weitere Forschung nötig

Gegenwärtig wird der Frage nach der zentralen Rolle der Tannenstammlaus im Gefüge der Tannen-Rindennekrose nachgegangen. Aus den Erkenntnissen heraus wollen die Forscher eine Risikoanalyse erstellen, um die Strategie präventiver bzw. kurativer Maßnahmen zu verfeinern. Gerade vor dem Hintergrund von klimatischen Veränderungen, die die Stammläuse sicherlich begünstigen, muss diese Strategie bei der Weißtannenbewirtschaftung berücksichtigt werden.

Literatur