Natürliche Gegenspieler können das Gradationsgeschehen von Forstschädlingen massiv beeinflussen. Insbesondere sind dies Parasitoide wie Schlupf- und Erzwespen. Auch kurzfristig können dann großflächige Insektizideinsätze ausgesetzt werden. Insbesondere während der Vorbereitung großflächiger Insektizidanwendungen sind verstärkte Untersuchungen vor allem dann notwendig, wenn die Folgeüberwachung deutliche Abweichungen zur ursprünglich erstellten Prognose aufzeigt (Möller et al. 2007).
Häufig ist dann eine komplexe Betrachtung des Schadgeschehens unter Beachtung von Witterungsgeschehen und natürlichen Gegenspielern erforderlich. Das große Artenspektrum an Parasitoiden, wie z. B. Schlupfwespen, Raupenfliegen und Erzwespen, sowie räuberischer Insekten, erfordert bei der Bewertung der Situation eine gute Artenkenntnis und langjährige Erfahrung.
Die ausgedehnten, oft gering strukturierten Kiefernwälder des nordostdeutschen Tieflandes weisen eine hohe Disposition gegenüber dem Massenauftreten nadelfressender Kiefernschadinsekten auf. Eine große Empfindlichkeit von Waldökosystemen gegenüber Insektenattacken ist in hohem Maße auf die nicht ausreichende Wirkung natürlicher Gegenspieler der Schadorganismen zurückzuführen. Die numerische Reaktion der Gegenspieler folgt der Gradation der Wirtspopulation in der Regel im Abstand von 2-3 Jahren, d. h. meist erst nach massivem Fraß und entsprechenden Bestandesschäden. Häufig können deshalb bei Massenvermehrungen nur Insektizidapplikationen großflächige Bestandesschäden verhindern.
Strategien der Wirtsfindung bei Eiparasitoiden
Um einen neuen Wirt zu finden, müssen die winzigen Wespen nach dem Schlupf im selben Lebensraum suchen oder einen neuen erschließen. Große Distanzen können sie nur überwinden, indem sie sich passiv mit dem Wind verwehen lassen oder Transportmittel nutzen, in der Regel die größeren, adulten Wirte (=Phoresie). Um den richtigen „Transporter“ zu finden, nutzen viele Eiparasitoide Pheromone des adulten Wirts. Auch pflanzenbürtige Botenstoffe, die durch den Fraß der Wirtslarven oder durch die Eiablage induziert werden, locken verschiedene Eiparasitoid-Arten zum Wirt. Die Reaktion der Eiparasitoide auf solche Warnsignale stoppt die Entwicklung der Blatt- und Nadelfresser schon im Ei und verhindert so Fraßschäden (Hilker & Meiners 2006). Nach Hilker und McNeil (2008) müssen Parasitoide in einer hoch komplex „duftenden“ Umgebung navigieren. Ihre Fähigkeit, Duft-Signale richtig zu bewerten und so die Anwesenheit eines Wirts zu erkennen, ist unter solchen Bedingungen höchst erstaunlich.
Eiparasitoide des Kiefernspinners, Dendrolimus pini
Während der letzten Gradation des Kiefernspinners ließen sich in den Brandenburgischen Befallsgebieten deutlich zwei unterschiedliche Situationen nachvollziehen. In einigen Beständen stieg die Populationsdichte rasant und überschritt 2005 das Vielfache der kritischen Dichte (= Prognose Kahlfraß). Entsprechend kam es im Juli 2005 flächig zum vollständigen Nadelverlust. Der folgende Dürresommer 2006 führte zum kompletten Absterben der betroffenen Kiefern und damit zu flächigen Bestandesverlusten. Parasitoide konnten hier der Gradation nicht rechtzeitig folgen.
In anderen Waldbeständen stieg die Populationsdichte des Kiefernspinners moderater. 2005 wurden trotz deutlichen Befalls keine kritischen Dichten erreicht. Lokal intensive Fraßschäden durch die Raupen sowie ein teilweise intensiver Falterflug waren im Sommer 2005 im Land Brandenburg Anlass zur Vorbereitung einer Herbstapplikation von Pflanzenschutzmitteln. Damit sollte in den bereits stark entnadelten Beständen Kahlfraß durch die im Spätsommer schlüpfende neue Raupengeneration vermieden werden. Bei Probefällungen waren aber im September 2005 keine entsprechenden Raupendichten auffindbar. Es zeigte sich, dass die Eier zu fast 100 % parasitiert worden waren. Im Herbst 2005 konnte somit großflächig auf Insektizidapplikationen verzichtet werden. In benachbarten Beständen kam es auf Grund von Populationsdichten, die über dem Mehrfachen der kritischen Zahl lagen, trotz Eiparasitierungsraten von über 90 % in der Folge noch zu merklichen bis starken Fraßschäden, aber nicht zu Kahlfraß. Die weiteren Überwachungsschritte belegten dann den Zusammenbruch der Kiefernspinnerpopulation im betroffenen Befallsgebiet. Hohe, aber nicht bestandesgefährdende Raupendichten im Frühsommer 2005 waren Ursache für eine ausreichende Wirkung eines Ei-Parasitoiden in der Folgegeneration des Wirts.
Es handelte sich um die mit den Erzwespen verwandte Zwergwespen-Art Telenomus laeviusculus. Der winzige Hautflügler mit einer Flügelspannweite von 1 mm, hatte auch Anfang der 1950er Jahre großen Anteil am Zusammenbruch der Kiefernspinnergradation.
Eiparasitoide des Kiefernspanners, Bupalus piniaria
Ein aktuelles Beispiel für die Wirksamkeit der Eiparasitoide des Kiefernspanners ließ sich 2008 beobachten. Die flächige Überwachung der Kiefernbestände in den Wäldern Brandenburgs hatte nach schon 2 Jahren der Progradation im Winter 2007/2008 für den Kiefernspanner Dichten angezeigt, die Kahlfraß und damit Bestandesschäden befürchten ließen. Um die Situation ganz aktuell bewerten und damit eine Entscheidung über einen Pflanzenschutzmitteleinsatz treffen zu können, wurde in den als gefährdet ausgewiesenen Beständen die Eiablage mit Hilfe von Probefällungen kontrolliert. Mitte Juli konnte so auf Grund hoher Anteile parasitierter Eier in Brandenburg Entwarnung gegeben werden (Abb. 3). Trotz der Aussicht, kleinflächig auch starke Nadelmasseverluste hinnehmen zu müssen, überzeugte das Argument, dass Parasitoide von unbehandelten Flächen aus in benachbarte, befallene Bestände ausstrahlen und dort wesentlich zielsicherer und langfristiger wirksam werden können.
Die geschlüpften Erzwespen, nur ca. 0,5 mm groß, wurden als Trichogramma evanescens bestimmt. Diese Art ist als effektiver Gegenspieler des Kiefernspanners bekannt, parasitiert aber auch Eier der Forleule sowie zahlreicher anderer Insektenarten.
In die Gesamtbetrachtung des aktuellen Massenwechselgeschehens des Kiefernspanners muss neben den Parasitoiden auch die Witterung einbezogen werden. Diese beeinflusst nicht nur Entwicklung und Populationsdichte der Antagonisten, sondern war im genannten Fall sicherlich günstige Voraussetzung für deren rechtzeitige und ausreichende Wirkung. Schon die überdurchschnittlich hohe Niederschlagsmenge im Sommer 2007 hatte sich als ungünstig für den Kiefernspanner erwiesen, Falterflug und Entwicklung der Eiräupchen wurden negativ beeinflusst.
Konsequenzen für Waldschutz und Waldbau
Es gilt auch in Zukunft, die von Ratzeburg (1844) als "mächtige Alliirte der Forstbedienten“ (Abb. 4) bezeichneten Parasitoide einerseits bei der Bewertung einer Bestandesgefährdung zu berücksichtigen, andererseits intensiv zu fördern. Bei angezeigter Bestandesgefährdung muss die Überwachung der Vitalität der Schädlingspopulationen mit artspezifischen Methoden bis kurz vor dem Insektizideinsatz erfolgen, um den Einfluss von Gegenspielern oder ungünstiger Witterung registrieren zu können und die Entwicklung sowie Ausbreitung der natürlichen Gegenspieler nicht durch Insektizide negativ zu beeinflussen. Nicht bestandesgefährdende Fraßschäden sind zu dulden, um den Parasitoiden zeitlichen Vorlauf zu verschaffen. Bei Bestandesgefährdung sollten immer möglichst selektive Insektizide Verwendung finden, um natürliche Gegenspieler und Nebenwirte zu schonen. Erforderlich ist eine Verstärkung der Vor-Ort-Beratung durch Waldschutzspezialisten und die Schulung der Forstpraktiker, um den Einfluss natürlicher Gegenspieler zu erkennen.
Mit einer Erhöhung der Strukturvielfalt im Wald müssen günstigere Bedingungen für Schädlingsantagonisten geschaffen werden (Möller 2008). Es ist bekannt, dass die Biodiversität mit der Höhe der trophischen Ebene steigt und Parasitoide die höchsten Artenzahlen erreichen können (Kratochwil & Schwabe 2001). Mit der Anzahl von Pflanzenarten steigt die Zahl potentieller Nebenwirte der Antagonisten und gleichzeitig wird die Nahrungsgrundlage für die adulten Parasitoide gestärkt. Das sind möglichst artenreiche Nektarpflanzen und Ausscheidungen von Läusen (Honigtau), die von einer hohen Pflanzenvielfalt ebenfalls profitieren. Wichtig bleibt dabei zu verhindern, dass überhöhte Wilddichten die Bemühungen um eine größere Vielfalt der Baum-, Strauch- und Krautschicht wieder zunichte machen.