Historisch bedingt gibt es auf EU-Ebene keine gemeinsame Waldpolitik. Allerdings existiert eine Form von dezentraler Politik rund um den Wald, die in vielen Politikbereichen formuliert ist. Dies sind beispielsweise Klimapolitik, Umweltpolitik, Energiepolitik und Handelspolitik. Sie betrachten das Thema Wald jeweils aus ihrem sektoralen Blickwinkel. Dadurch kommt es zu Zielkonflikten, die bei der Umsetzung der einzelnen Politiken augenscheinlich werden. Unabhängige Waldinformation ist daher besonders wichtig, um faktenbasierte Politik zu ermöglichen. Dabei spielen die nationalen Waldinventuren eine entscheidende Rolle.
Übersicht ist alles!?
Begibt man sich auf die Website des Forest Information System for Europe, kurz FISE, dann ist man zunächst auf einer sehr übersichtlichen Adresse gelandet. Dieser Informationscontainer, der im Zuge der EU-Waldstrategie 2030 durch die Europäische Kommission und die Europäische Umweltagentur entwickelt wurde, hat den Anspruch, nationale Datenbanken, Basisfakten zu den einzelnen Ländern, politische Ziele und den Stand der bisherigen Entwicklungen zu sämtlichen Aspekten des Waldes zu sammeln.
Das reicht von klassischen forstwirtschaftlichen Daten wie Waldfläche, Waldgesellschaften und oberirdischer Biomasse bis hin zu Vielfalt, Erholung und Bioökonomie. FISE versteht sich auch als ein Portal für globales Wald-Policy-Reporting und ist mit den relevanten Organisationen wie UN-FAO, UNECE und Global Forest Watch verknüpft. Kurz: FISE möchte einen übersichtlichen Rahmen geben, ist allerdings selbst stark abhängig davon, welche Daten sie von der EU, den EEA-Mitgliedsstaaten und ihren Organisationen erhält. Ob auf FISE künftig gemeinsame Europäische Waldinventurdaten abrufbar sein werden?
„Derzeit wird ein neuer Kommissionsvorschlag zum Europäischen Waldmonitoring ausgearbeitet. Die EU-Kommission will damit ein Werkzeug schaffen, um einen zeitnahen Überblick über Fragen der Biodiversität, des Waldkohlenstoffes und der Bioökonomie für die gesamte Waldfläche der EU zu erhalten“, legt Klemens Schadauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Waldinventur am BFW, den Stand der politischen Entwicklung dar.
Die Strategien: Top-down & Bottom-up
Zwei politische Entwicklungen stehen derzeit im Dialog: Als Top-Down-Prozess entwickelt die Kommission selbst ein von den Mitgliedsstaaten relativ unabhängiges System, das ausschließlich auf Fernerkundungsdaten vor allem durch Sentinel-Satelliten beruht. Ein Vorteil liegt dabei in der zentralen Steuerung. Nachteile sieht man bei der Qualität der Daten in der Anwendung in unterschiedlich großen Gebieten. Um die Zuverlässigkeit der Daten beurteilen zu können, müssen sie jedoch ohnehin mit In-situ-Daten, also Daten vom Boden, abgeglichen werden.
Ein Bottom-up-Prozess bedeutet im Gegensatz dazu, dass die Mitgliedsstaaten ihre Waldinformationen, die sie von den nationalen Waldinventuren ableiten, an die EU-Kommission liefern. Diese Walddaten sind von den nationalen Waldinventuren vor Ort erhoben und haben eine hohe Treffsicherheit bei der Ableitung von relevanten Entscheidungen.
Dabei sind die unterschiedlichen Aufnahmemethoden zu berücksichtigen. Daher werden die Daten in einem solchen Prozess europaweit harmonisiert. „Am Ende des Tages geht es um eine Kombination dieser Strategien. Um die richtige Balance zu finden, gibt es derzeit Verhandlungen im Europäischen Rat und im EU-Parlament. Das wissenschaftliche Netzwerk ENFIN, das in diesem Zusammenhang die notwendige Fachexpertise hat, muss dabei eine wichtige Rolle übernehmen“, erläutert Klemens Schadauer die derzeitige Situation.
Lanze für ENFIN
Noch einmal zurückgeblickt: Maßgebliche Bestrebungen zur Harmonisierung von Waldinventurdaten beginnen im Jahr 2003 mit der Gründung des European National Forest Inventory Network (ENFIN), dessen Vorsitz Klemens Schadauer vom Bundesforschungszentrum für Wald innehat. Es ging vor allem darum, die nationalen Walddaten europaweit vergleichbar zu machen. Eine länderübergreifende Methode für die europäischen Landeswaldinventuren wurde geschaffen.
DIABOLO, ein Horizon 2020-Förderprojekt, trieb diesen Prozess voran und führte zu einer Berechnung der harmonisierten Vorräte auf gesamteuropäischer Ebene. „Waldinventuren liefern als statistische Informationssysteme wichtige Aussagen über Zustand und die Entwicklung der Wälder und sind die Grundlage für forst- und umweltbezogene Entscheidungsprozesse. Außerdem gewährleisten sie die Erfüllung von Berichtspflichten in internationalen Verträgen und unterstützen die Forschung über Waldökosysteme“, fasst Klemens Schadauer die Aufgaben von Waldinventuren zusammen.
„Generell ist die Informationsbasis für den Wald in Europa nicht schlecht. Es gibt keinen anderen Landschaftsteil, in dem so viele Daten erhoben werden wie im Wald. Zwischen den Mitgliedsländern gab und gibt es aber Unterschiede, wenn man sich die Details anschaut“, gibt Klemens Schadauer zu verstehen. Abweichungen bei der Berechnung des Holzvorrates betrugen im Schnitt 10 % und im Maximum 30 %. Diese Unstimmigkeiten waren durch unterschiedliche berücksichtigte Baumteile wie Wipfelstücke, Äste oder Stöcke bzw. aufgrund verschiedener Mindestdurchmesser in der Baumerfassung, die von 0,1 cm bis 12 cm reichten, bedingt.
„Daher ist die Harmonisierung der Holzvolumina für Einzelstämme eine sehr wichtige Grundlage, um Vorräte, Zuwachs und Ernte berechnen zu können. Für eine einheitliche und international vergleichbare Berechnung der Holzressourcen ist das unerlässlich“, fasst der Wissenschaftler Thomas Gschwantner zusammen. Er war ein Task Leader von Distributed, Integrated and Harmonised Forest Information for Bioeconomy Outlooks, kurz DIABOLO.
Blick in die Zukunft
Pläne hinsichtlich der Verwendung der Waldinventurdaten gibt es einige. So möchte die EU-Kommission die Sentinel-Satellitenbilder für eine jährlich aktualisierte Waldflächenkarte verwenden, um Veränderungen wie Rodungen und Neubewaldungen räumlich genau zu eruieren. Die Mitgliedsstaaten etwa wollen diese Karte aus den Daten ihrer Waldinventuren erstellen und hinterfragen die Notwendigkeit einer jährlichen Aktualisierung.
An dieser Stelle tritt das Netzwerk ENFIN als eine Art Mediator zwischen EU und Mitgliedsstaaten auf, der mit seiner profunden Erfahrung die Aufgabe hat, zu dieser Thematik wissenschaftsbasierte Lösungen zu erarbeiten. Die EU setzt bei bestimmten Themen wie Vorrat oder Zuwachs aber jetzt schon auf die nationalen Daten. Wie bereits erwähnt, spielt das Netzwerk ENFIN auch hier eine wichtige Rolle, da sie für die Harmonisierung dieser Daten entsprechende Methoden entwickelt hat. Wie sich das neue EU-Waldinventurgesetz auswirken wird?
„Generell wird das neue europäische Gesetz stark in die nationale Waldadministration und in die nationalen Waldgesetze eingreifen. Auch die Waldbewirtschaftung wird von so einem Regelwerk betroffen sein. Daher müssen die Institutionen, die sich mit diesen Fragen auf nationaler Ebene seit Jahrzehnten beschäftigen, sich auch in die Entscheidungsprozesse einbringen können“, bringt es ENFIN-Vorsitzender und Wissenschaftler Klemens Schadauer auf den Punkt. Wo steht man momentan mit ENFIN? „Derzeit gibt es Bestrebungen, das Netzwerk in eine neue Organisationsform zu bringen, um als internationaler Partner agieren zu können. In baldiger Zukunft wird man als Verein tätig sein,“ erklärt Klemens Schadauer die Situation.
Nachhaltige Entwicklung
Die Rolle des Waldes und der Waldprodukte ist für die Entwicklung einer nachhaltigen Gesellschaft von großer Bedeutung. Sie verringern die Abhängigkeit von nicht-erneuerbaren Rohstoffen. Dies zeigt sich auch am Stellenwert, den der Wald und Holzprodukte bei der kreislauforientierten Bioökonomie in der politischen Debatte einnimmt. Unabhängige Waldinformation ist für diese Entwicklung eine entscheidende Grundlage. Das ENFIN Netzwerk kann deshalb einen wichtigen Beitrag für die Zukunft des europäischen Waldes bieten.