Österreichische Waldinventur (ÖWI) 2007/09 liefert neben dem österreichweiten Wildeinflussmonitoring (WEM) Aussagen zur bundesweiten Beurteilung der Wald-Wild-Situation. In diesem Zusammenhang werden etliche Fragen gestellt: Warum sind zwei verschiedene Erhebungen nötig? Kann man eine einsparen? Wie passen die Ergebnisse zusammen? Ergänzen sie einander, oder widersprechen sie sich? Erübrigen sich dadurch die Wildschadensmeldungen der Bezirksforstinspektionen? Welche Auswirkung haben die Ergebnisse auf die Abschusspläne?

Entstehungsgeschichte

Die ÖWI erhebt seit 1960 periodisch den Waldzustand, um neben Vorrat, Zuwachs und Nutzung auch über Stammschäden, wie zum Beispiel Schälschäden, aber auch Verjüngungsentwicklung und Verbiss Informationen zu liefern. Seit 1981 wird mit permanenten Probeflächen gearbeitet. Und um aktuellere Ergebnisse zu erreichen, ging man von Zehn- auf Fünfjahresperioden über; ab dem Jahr 2000 wurden die Aufnahmeperioden auf drei Jahre verkürzt. Verbiss wurde 1970 - 90 (Periode 2 bis 4) nur auf freistehenden Jungwuchsflächen bis zu einer Höhe von 1,3 m (meist Kulturen nach Kahlschlag) erfasst. 1992-96, 2000-02 und 2007-09 (Perioden 5 - 7) wurde auch Verjüngung unter Schirm mit neuer Methode erhoben.

Die ÖWI war ursprünglich für die Bestimmung von Vorrat und Zuwachs bis maximal Bezirksebene ausgelegt. Nur auf zirka 15% der Flächen können Verjüngungen erhoben werden, diese Anzahl reicht für Bezirksergebnisse nicht mehr aus. Die ÖWI-Jugendauswertung liefert daher nur Bundes- und Landesergebnisse, wobei für kleinere Bundesländer (Burgenland, Vorarlberg und Wien) die Datenlage schon etwas zu dünn ist.

Um Bezirksergebnisse zu erhalten, haben in der Vergangenheit einzelne Länder eigene Verjüngungs- und Verbisserhebungen durchgeführt. Da die Akzeptanz der einzelnen Methoden und Ergebnisse aber recht unterschiedlich ausfiel, wuchs das Anliegen, auch Bezirksdaten nach bundeseinheitlichen, allgemein anerkannten Richtlinien in einheitlicher Qualität und mit gleich bleibendem Auswertungsstandard zu erhalten. Mit dem WEM gelang es, nicht nur diese Voraussetzungen zu erfüllen, sondern auch die Zustimmung von Forst- und Jagdvertretern zur Erhebungs- und Auswertungsmethode vor dem Start 2004 zu bekommen. Nach den Erhebungen 2004-06 und 2007-09 läuft derzeit die dritte Erhebungsperiode 2010-12.

Aus den Jahren 2007 bis 2009 liegen nun bundesweite Daten zum Wildeinfluss aus WEM und ÖWI vor: Um aus einem Vergleich nicht falsche Schlüsse zu ziehen, muss man sich über die Parallelen und die Unterschiede beider Systeme im Klaren sein, die sich in den Ergebnissen widerspiegeln.

Methodische Parallelen

Beide Verfahren gehen in ihrer Beurteilung von einem Soll-Ist-Vergleich aus. Sind ausreichend unverbissene Pflanzen der erforderlichen Zielbaumarten vorhanden, wird der Wildeinfluss auf dieser Fläche als unbedeutend eingestuft; unabhängig, davon welcher Prozentsatz der Pflanzen tatsächlich verbissen ist. Da bei nicht ausreichender Gesamtpflanzenzahl ein Soll-Ist-Vergleich jedenfalls negativ ausgehen würde, beginnende Naturverjüngung aber anfangs auch bei positiver Entwicklung eine geringe Pflanzenzahl aufweist, werden diese Flächen anhand von kritischen Verbissprozenten beurteilt. Diese liegen bei beiden Methoden bei 30 und 50%, eine für die meisten Baumarten eher großzügige Festlegung.

Beide Methoden erheben Pflanzen erst ab einer Mindestpflanzenhöhe von 10 cm und erfassen somit nicht den gesamten Wildeinfluss, sondern stellen gewissermaßen eine Untergrenze fest.

Schadensbegriff: Beiden Methoden geht es nicht primär um die Quantifizierung des wirtschaftlichen Schadens durch Verbiss, sondern um die Darstellung des landeskulturellen Schadens durch Verlust von Baumarten, genetischer Variabilität und Stabilität. Ziel ist nicht Entschädigung, sondern Schadensvermeidung. Das WEM vermeidet den Begriff Wildschaden und spricht von Wildeinfluss, da Wildschaden erst bei länger anhaltendem starken Wildeinfluss eintritt, aber durch Senken desselben unter Umständen noch zu vermeiden ist.

Methodische Unterschiede

Punktraster: Die ÖWI erhebt detailliert auf allen verjüngungsnotwendigen Hochwaldprobeflächen, auf denen Verjüngung vorhanden ist. Der Erhebungsraster wird streng eingehalten, der Flächenbezug dadurch gewahrt (Ergebnisse können somit auch in Hektarwerten angegeben werden).

Das WEM legt für jeden Bezirk einen individuellen Raster fest, um mindestens 40 Waldpunkte zu treffen. Findet man auf einem Rasterpunkt keine Verjüngung, so sucht man innerhalb von 200 m im Umkreis die nächstgelegene Verjüngungsfläche auf. So erhält man genügend Flächen, verliert aber den Flächenbezug. Das WEM kann daher nur anteilsmäßige Aussagen über den Zustand der Verjüngung im Bezirk machen, nicht aber deren absolute Fläche oder das Ausmaß des Verjüngungsdefizits bestimmen.

Verjüngungsnotwendig nach ÖWI sind Blößen, Jungwüchse bis 1,3 m und Baumhölzer im letzten Fünf-tel ihres Bestandeslebens. Das WEM scheidet nur Dickungen und Stangenhölzer als "nicht verjüngungsnotwendig" aus. Die Beurteilung der Verjüngungsnotwendigkeit von Baumhölzern erfolgt nicht a priori über das Bestandesalter, sondern über das Aufnahmekriterium vorhandener Bäumchen höher als 30 cm als Indikator für ausreichende Lichtverhältnisse.

Vorhandensein von Verjüngung: Ab wie vielen Pflanzen spricht man von einer "vorhandenen Verjüngung"? Das Kriterium darf nicht zu tief angesetzt werden, damit nicht jeder erste Verjüngungsversuch, der vielleicht wegen Lichtmangel, Frost, Trockenheit usw. wieder spurlos verschwinden kann, erhoben wird. Ein zu hoch angesetzter Schwellwert würde dagegen bewirken, dass in frühen Verjüngungsstadien das selektive Herausäsen einer Baumart nicht abgebildet werden kann. Hier gehen die beiden Verfahren unterschiedlich vor: Die ÖWI setzt die für die Erhebung nötige Mindestpflanzenzahl je nach Pflanzenhöhe fest: Von zehn Stück bei knapp unter 130 cm bis zu 150 Stück bei knapp über 10 cm Pflanzenhöhe.

Das WEM erhebt ab fünf Pflanzen über 30 cm Höhe, wenn diese einen Abstand von 1,5 m voneinander haben. Wenn fünf Pflanzen auf der Fläche verteilt über 30 cm hoch wachsen konnten, dann werden Lichtmangel, Frost, Trockenheit usw. als Hemmfaktoren ausgeschlossen werden können.

Aufnahmefläche: Der ÖWI-Probekreis hat 300 m², der WEM-Probekreis 100 m² Probepflanzenauswahl: Die ÖWI nimmt jeweils fünf Probepflanzen zwischen 10 und 130 cm Höhe je Baumart, und zwar die höchsten und dem Mittelpunkt nächsten Individuen.

Das WEM erhebt von jeder Baumart die ersten 20 Pflanzen zwischen 10 und 30 cm und die ersten 30 Pflanzen zwischen 30 und 500 cm, von Norden aus im Uhrzeigersinn, jedenfalls wird aber eine Achtel- oder Sechzehntelfläche fertig ausgezählt.

Durch die größere Fläche fallen in die ÖWI-Erhebung meist etwas mehr Baumarten hinein, dafür erfasst das WEM wesentlich mehr Probepflanzen auf mehr Flächen.
Verbissansprache: Die ÖWI beobachtet den mehrjährigen Leittriebverbiss, während sich das WEM auf den Verbiss des vorjährigen Leittriebes beschränkt.

Ziele der beiden Erhebungen

Aufgabe der ÖWI-Erhebung ist es eine Aussage über die Höhe des Wildschadens durch Verbiss und Verfegen zu machen. Daher wurde der mehrjährige Leittriebverbiss als Schadensweiser herangezogen. Nur mehrere Jahre hindurch am Leittrieb verbissene Pflanzen werden als geschädigt gewertet, Pflanzen mit einmaligem Leittrieb- oder nur Seitentriebverbiss gehen als ungeschädigt in den Soll-Ist-Vergleich ein.

Aufgabe des WEM ist es, für jeden Bezirk das Niveau des Wildeinflusses und seine Entwicklung seit der letzten Erhebung festzustellen. Da hier einzelne Jahre miteinander verglichen werden, ist als Kenngröße der vorjährige Leittriebverbiss heranzuziehen, weil dieser jeweils eine volle Verbisssaison abbildet.

Vergleich der Ergebnisse unter Berücksichtigung der Methodenunterschiede

Da die ÖWI mehrere Jahrestriebe berücksichtigt, sollte das Ergebnisniveau erwartungsgemäß höher liegen als bei Berücksichtigung nur eines einzelnen Jahrestriebes wie beim WEM. Dafür ist aber das Ergebnis nicht so großen Schwankungen unterworfen. So wirkt sich zum Beispiel der starke Winter 2006, im ÖWI-Ergebnis kaum aus, in den WEM-Ergebnissen von 2007 aber sehr. Das WEM "bezahlt" die höhere Aktualität und den besseren Vergleich einzelner Jahre durch relativ hohe Schwankungen der Ergebnisse. So sind etwa im Waldviertel im Jahr 2007 ein Drittel der Punkte besser als 2004 und im Jahr 2010 ist das Ergebnis wieder fast das alte.

Die Ergebnisse aus ÖWI und WEM stellen deshalb eine interessante und wichtige Ergänzung füreinander dar. Zeigen sie für eine Auswerteeinheit unterschiedliche Werte an, bedeutet das keinen Widerspruch, weil sie letztlich verschiedene Merkmale beobachten.

Ergebnisvergleich nach Waldgesellschaften und Bundesländern

Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse der ÖWI (Wildschaden – WS) und des WEM (Wildeinfluss - WE) im Zeitraum 2007-09 für Nadelwald, Mischwald und Laubwald. Jede dieser Gruppen umfasst etwa ein Drittel des österreichischen Waldes. Im Nadelwald liegt der Flächenanteil der geschädigten Flächen aus der ÖWI deutlich höher, im Mischwald etwas höher, aber im Laubwald niedriger bzw. fast gleich wie jener des starken Wildeinflusses aus dem WEM.

Offensichtlich ist mehrjähriger Leittriebverbiss beim Nadelholz besser anzusprechen als im Laubholz. Mit Ausnahme von Ahorn und Esche ist beim Laubholz weiter zurückliegender Leittriebverbiss bzw. welcher Trieb vor zwei oder drei Jahren der Leittrieb war viel schwerer zu erkennen. Man kann daraus schließen, dass die ÖWI in Laubwäldern den Wildschaden eher unterschätzt und dass in den höher gelegenen langsam wüchsigen Nadelwaldgesellschaften der mehrjährige Leittriebverbiss eine größere Rolle spielt als in den tiefer gelegenen rasch wüchsigeren Laubwaldgebieten. Jedenfalls ist aus beiden Erhebungen ablesbar, dass nur etwa ein Viertel bis ein Drittel der Verjüngungsflächen in Österreichs Wald nicht von Wild geschädigt (ÖWI) bzw. nicht oder kaum von Wild beeinflusst werden (WEM).

In Abbildung 2 fehlen Oberösterreich und Vorarlberg, für die leider 2007-09 keine WEM-Ergebnisse zur Verfügung stehen. Unter dem Landeskürzel ist die jeweilige Flächenanzahl angegeben. Im Burgenland stehen der ÖWI nur 23 Flächen mit Jugenderhebung zur Verfügung, für ein brauchbares Ergebnis viel zu wenig, beim WEM sind es immerhin 334 Flächen. Das gleiche Verhältnis gilt für Vorarlberg und Wien. Länder mit einem hohen Anteil an Nadelwäldern (KTN, STM, TIR) zeigen erwartungsgemäß beim ÖWI-Ergebnis höhere Werte als beim WEM, bei Länder mit mehr Laubwäldern ist es umgekehrt (BGL, NOE).

Ergebnisvergleich Entwicklung / Trend

Besondere Vorsicht ist beim Vergleich der Entwicklungstrends aus beiden Erhebungen geboten, da die Beobachtungszeiträume unterschiedlich sind (Abbildung 3). Die ÖWI vergleicht die Erhebungen aus 2000-02 mit 2007-09, das WEM die Jahre 2004-06 mit 2007-09. Da die WEM-Ergebnisse stärkeren Jahresschwankungen unterliegen, muss eine entgegengesetzte Trendaussage keinen Widerspruch darstellen.

Trotzdem stimmen die Trendergebnisse im Burgenland und in der Steiermark (Verschlechterung gegenüber der Vorperiode) und in Kärnten, Niederösterreich und Tirol (Verbesserung gegenüber Vorperiode) überein.
Keine Übereinstimmung liegt für Salzburg vor, hier sind die Veränderungen in beiden Auswertungen aber auch sehr gering.

Nicht vergleichbares Ergebnis "Verjüngung notwendig, nicht vorhanden":
Dieses wichtige Ergebnis, das Auskunft gibt über Größe und Entwicklung des Verjüngungsdefizits (auf wie viel Fläche wäre Waldverjüngung nötig, ist aber wildbedingt nicht vorhanden) wird ausschließlich von der OWI geliefert.

Zusammenfassung

Die Ergebnisse von ÖWI und WEM sind nicht direkt vergleichbar, ergänzen sich aber in wertvoller Weise. Beide belegen für ihre Zielgrößen Wildeinfluss und Wildschaden ein hohes Niveau in Österreich. Auf zwei Drittel bis drei Viertel der Verjüngungsflächen besteht Handlungsbedarf. Aussagen über einzelne Jagdreviere und direkte Maßnahmen (zum Beispiel Abschusspläne) sind nicht möglich.

Die Beurteilung der lokalen Situation durch die Bezirksforstinspektionen oder eigene Erhebungen zur Feststellung waldverwüstender Wildschäden nach FG § 16 in Extremfällen sind daher nach wie vor unverzichtbar, ÖWI und WEM liefern allerdings wertvolle Hinweise. Das WEM bietet die Möglichkeit, zusätzlich auch für einzelne Betriebe oder Reviere eigene Erhebungen mit je 40 Punkten je Einheit durchzuführen und vom BFW auszuwerten zu lassen. Damit wäre eine Grundlage für revierbezogene Aussagen und Maßnahmenableitung gegeben.