Bundeswaldinventur 2022: Ausgewählte Ergebnisse für Waldinteressierte

Die Vermessung des Waldes

Ein systematisches und dauerhaft etabliertes Waldmonitoring stellt daher eine wichtige Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage für verschiedenste Akteure dar. In Baden-Württemberg ist die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) mit Sitz in Freiburg mit der Durchführung der regelmäßigen „Vermessung der Wälder“ betraut. Dabei wird schon lange nicht mehr allein auf das Wachstum der Bäume geachtet. Zahlreiche Kriterien werden heute zur Beschreibung des Waldes und seiner zahlreichen Ökosystemleistungen herangezogen.

Biodiversität in Wäldern steht dabei ebenso im Fokus, wie der Gesundheitszustand von Bäumen und Böden, die Wechselwirkungen zwischen Wald und den waldbewohnenden Tierarten, die wirtschaftliche Situation der Forstbetriebe oder die Zufriedenheit der Freizeitaktiven mit ihrem Waldbesuch. Neben den sogenannten terrestrischen Inventuren, bei denen die Daten vom Boden aus erhoben werden, spielen Verfahren der Fernerkundung für das Waldmonitoring inzwischen eine zentrale Rolle. Insofern ist die hier mit wichtigen Ergebnissen für Baden-Württemberg vorgestellte Bundeswaldinventur (BWI) ein Puzzlestein eines von verschiedenen Erhebungen getragenen Gesamtbildes vom Wald im Land. Die anderen Waldinformationsquellen können genutzt werden, um das in der BWI Erfasste einzuordnen und im Folgenden neben der reinen Darstellung von Zahlen und Fakten auch eine Interpretationshilfe zu geben. 

Schon zum vierten Mal nach 1987 hat die FVA mit ihren Partnerinnen und Partnern im Auftrag des Bundes in einem systematischen Raster die Wälder stichprobenartig vermessen und daraus das Gesamtbild errechnet. Vor allem aus der Wiederholung der Erhebungen ergeben sich interessante Schlussfolgerungen; kann doch nun verglichen werden, in welche Richtung sich der Wald in Baden-Württemberg seit der ersten Aufnahme entwickelt hat. Mit den nun ausgewerteten Erhebungen von 2022 ist ein Rückblick auf Veränderungen möglich, die in menschlichen Dimensionen dem Leben einer ganzen Generation entsprechen. Für das Waldökosystem ist diese Spanne von 35 Jahren freilich kein Zeitraum, in dem radikale Veränderungen erwartbar sind. Als langlebige Organismen entziehen sich Bäume als Individuum, aber auch im Verbund, kurzfristigen menschengewollten Umbrüchen. Transformation von Wald und Forstwirtschaft ist eben eine Generationenaufgabe und keine Baustelle für Ungeduldige.

Basis des hier Vorgetragenen sind technische Berichte der FVA, die Dr. Dominik Cullmann erstellt hat. Zusammen mit dem vormaligen Inventurleiter Dr. Gerald Kändler hat er mit Unterstützung von Uli Riemer die Erhebungen angeleitet, kontrolliert und schließlich die Datenauswertung durchgeführt. Andere Fachleute haben einen ersten Entwurf dieses Textes geprüft und kommentiert. Dem ganzen beteiligten Team gebührt daher besonderer Dank dafür, dass für das Land nun ein aktuelles, wissenschaftlich fundiertes Bild vom Wald vorliegt.

Wald bleibt Wald

38,6 Prozent der Landesfläche von Baden-Württemberg sind von Wald bedeckt. Das sind fast 1,4 Millionen Hektar. Eine Zahl, die sich in den letzten Jahren tendenziell nach oben verändert hat. Leichten Verlusten, zum Beispiel durch Baumaßnahmen, stehen in Baden-Württemberg in ähnlichem Umfang Aufforstungen oder natürliche Waldbegründung gegenüber. Eine Entwaldung findet, anders als dies vielleicht laufende EU-politische Prozesse andeuten, in Baden-Württemberg nicht statt. Die Waldfläche ist zudem nicht nur nominell konstant, sie ist auch in der Landschaft weiterhin als Wald erkennbar. Anders als in anderen Regionen Deutschlands, wie dem Harz, dem Westerwald, Teilen Frankens oder dem Thüringer Wald, die aufgrund von Sturm, Dürre und Borkenkäfer auf großen Flächen keinen Baumbestand mehr tragen, haben die Aufnahmetrupps im Land sogenannte „Blößen“, also größere Flächen ohne Bäume, nur selten gefunden. Damit das auch mittelfristig so bleibt, sind viele Anpassungsmaßnahmen nötig: eine große Herausforderung für die Forstbetriebe und die sie begleitende Politik.

Vielfalt des Waldeigentums – Vielfalt der Waldökosystemleistungen

Das Waldeigentum in Baden-Württemberg ist breit gestreut. Traditionell sind fast alle Kommunen im Land auch Waldbesitzerin und bewirtschaften diese Flächen im Interesse ihrer Bürgerinnen und Bürger. Im ländlichen Raum führt dies regelmäßig zu anderen Bewirtschaftungsprinzipien als zum Beispiel in den Städten mit ihren urbanen Umfeldern. Das starke Drittel der Waldfläche, das in privater Hand ist, weist aber eine noch weitaus größere Heterogenität auf.

Daher werden hier die Flächenanteile des Privatwaldes nach der Größe der Betriebe besonders differenziert dargestellt (Abb. 1). Tatsächlich ist die Vielfalt des Privatwaldes auch damit nur näherungsweise abgebildet. Allein hinter den elf Prozent Flächenanteil des Kleinprivatwaldes (bis einschließlich fünf Hektar) verbergen sich Zehntausende von Personen, Familien oder Erbengemeinschaften mit ihren individuellen Vorstellungen und Fähigkeiten. Managementziele und Bewirtschaftungsintensität unterscheiden sich stark und spiegeln sich in unterschiedlichen Ökosystemleistungen der jeweiligen Wälder wider. 

Mit Blick auf ein rationales Management werden vielfach Vorteile im Verschwinden von solchen Kleinstbetrieben gesehen. Die Vorteile einer breiten Eigentumsstreuung sollten darüber aber nicht in Vergessenheit geraten. Zum einen hängen die Verankerung des Waldeigentums in der Gesellschaft und die Akzeptanz von Forstwirtschaft eng miteinander zusammen. Zum anderen gilt die beschriebene Vielfalt der Managementsysteme gerade mit Blick auf eine ungewisse Zukunft als großes Potential für gelungene Klimaanpassung und die zukünftige Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse. 

Der Staatswaldanteil wiederum ist mit einem knappen Viertel der Waldfläche Baden-Württembergs eher gering. Anliegen des Landes lassen sich somit nur teilweise im eigenen Wald umsetzen. Gerade die großen Transformationsprozesse der Klimaanpassung, der Bioökonomie oder des Biodiversitätsschutzes müssen sich vor allem auch auf fundierte Forschung, engagierte Beratung und die finanzielle Förderung der anderen Waldbesitzarten stützen können, um erfolgreich zu sein.

Nicht nur im Herbst: Der Wald ist zunehmend bunt

Verglichen zu anderen Regionen auf der Welt gibt es in Deutschland von Haus aus relativ wenige Baumarten. Nicht alle von ihnen fanden in der Forstwirtschaft das gleiche Interesse. Nadelbäume, wie die Fichte, erwiesen sich als vielfältiger verwertbar als die oftmals zur Brennholzlieferantin degradierte Buche. Insofern ist die Baumartenverteilung bislang von einigen wenigen Arten charakterisiert. Schaut man auf die Fläche, die die Baumarten heute einnehmen, sind viele Wälder von Fichten und Buchen bewachsen (Abb. 2). Das spiegelt sowohl die Naturgeschichte des Landes als auch dessen Kulturgeschichte wider. Auffällig ist eine Besonderheit, die nur Baden-Württemberg hat: der hohe Tannenanteil. Das Land hat mehr Tannenwälder als alle anderen Bundesländer zusammen.

Die Tanne ist auch eine jener Arten, die von der gezielten Veränderung der Wälder in Richtung gemischter Wald profitieren konnte; ihre Anteile steigen moderat, aber kontinuierlich an (Abb. 3). Die jüngst inzwischen auch an den Tannen beobachteten Forstschutzprobleme schlagen sich somit in den Zahlen der BWI bislang nicht entsprechend nieder. Ähnlich sieht es auch bei der Douglasie aus. Auch wenn sie weiterhin insgesamt lediglich geringe Flächenanteile aufweist, konnte sie erfolgreich als weitere Mischbaumart etabliert werden. Auch die Buche zeigt auf deutlich höherem Niveau über die letzten Jahrzehnte hinweg diesen positiven Trend. Sie ist die Laubbaumart Baden-Württembergs mit einer deutlich größeren Bedeutung als sie etwa den ebenso zunehmenden Eichen bislang zukommt. 

Damit sind Trends angesprochen, die sich auch bei den bislang eher seltenen Laubbäumen fortsetzen: Sie gewinnen kontinuierlich an Raum und Bedeutung. So kommen etwa auch Bergahorn und Linde heute häufiger vor als vor 35 Jahren. Leider lässt sich das von der einst als Zukunftsbaumart gepriesenen Esche nicht mehr sagen. Die unter einem eingeschleppten Pilz leidende Baumart verlor zuletzt drastisch an Fläche. In welchem Umfang sich die intensiven Bemühungen, gerade auch der FVA, um neue Behandlungskonzepte und weniger anfällige Sorten in einem Rückgewinn der alten Bedeutung niederschlagen können, muss sich zeigen. Momentan werden immer noch Eschenflächen von anderen Baumarten übernommen.

Neben den vielen Gewinnern der neuen Waldbaukonzepte, die auf Naturnähe und Risikostreuung setzen, fallen vor allem zwei Verliererinnen ins Gewicht: Fichte und Kiefer. Ihre Anteile brechen bei der Fichte kontinuierlich und deutlich (Abb. 3) und bei der Kiefer 2022 etwas verlangsamt ein. Sie gelten in vielen Regionen inzwischen als Problembaumarten im Klimawandel. Trockenheit, Hitze, Insekten und anderen Pathogenen haben sie in vielen Landesteilen inzwischen wenig entgegenzusetzen.

Hinweise auf die zukünftige Entwicklung der Wälder beziehungsweise deren Potential finden sich insbesondere in der Waldverjüngung (Abb. 4). Vergleicht man die Zahlen aus den letzten 20 Jahren, unterstreicht dies den Trend in Richtung Laubbäume besonders eindrücklich. Fast drei Viertel der nachwachsenden Bäumchen sind inzwischen Laubbäume. Die Schere zwischen den wenigen Nadel- und den vielen Laubbäumen im Verjüngungsalter geht immer weiter auf. Das gilt insbesondere für den Körperschaftswald, der durch besonders niedrige Nadelbaumanteile in der Verjüngung von heute nur mehr 21 Prozent auffällt.

Resümierend lässt sich festhalten, dass in Baden-Württemberg ein auch bundesweit zu verzeichnender Trend einer deutlichen Abnahme der Nadelbäume, bei hohen Zugewinnen der Laubbäume zu verzeichnen ist. Vor allem der schnelle Rückgang der Fichte ist mit dem vergleichsweise moderaten Anstieg von Douglasie und Tanne nicht kompensiert worden. Das ist insofern relevant als in der aktuellen forstpolitischen Diskussion von Seiten der Holzindustrie auf die große Abhängigkeit ihrer Investitionsentscheidungen von den verfügbaren Nadelbäumen verwiesen wird. Diese Veränderungen haben bereits in den vergangenen Jahren die Agenda sowohl für die Holzforschung als auch die Politik intensiv beeinflusst. Die vorliegenden Ergebnisse der BWI sind eine Einladung, an diesen Bemühungen engagiert festzuhalten. 

Für die Biodiversität und die Klimaanpassung ist es zu begrüßen, dass Baden-Württembergs Wälder zunehmend gemischt sind und bislang seltene Baumarten Verbreitung finden. Wälder aus nur einer Baumart befinden sich lediglich noch auf zwölf Prozent der Waldfläche. Zwei Drittel der Wälder gelten heute schon als stark gemischt. Sorgenfalten bereiten Fachleuten aber ausgerechnet die beiden wichtigsten Baumarten im Land, Buche und Fichte. In den Modellen der Vegetationskunde wird beiden Arten in vielen Landesteilen im Zuge des Klimawandels keine große Zukunft als herrschende Baumart vorhergesagt. 

Da sieht man eher Eichen, Hainbuche oder Linden im Vorteil. Dort, wo die beiden Arten weiterhin dominant sind, aber nicht als klimaangepasst gelten, stecken erhebliche Risiken. Insofern sind weiterhin große Bemühungen nötig, um die eingeschlagene Richtung mit Blick auf eine Veränderung der Baumartenzusammensetzung und einer kleinflächigeren Mischungsstruktur engagiert fortzusetzen. Hier besteht nicht nur weiterer Forschungsbedarf, es wird vor allem auch viel Unterstützung für die Waldbesitzenden sowie Engagement der Jagdausübenden nötig sein. Wie die Forstlichen Gutachten zeigen, unterliegen gerade auch Mischbaumarten mit relativ gutem Anpassungspotential an die Klimaveränderung regional noch einem hohen Verbissdruck, insbesondere durch Rehe.

Wald in Baden-Württemberg – eine gut gefüllte Vorratskammer

Seit Jahrzehnten stiegen in Baden-Württemberg die in den Wäldern stehenden Holzmengen an. Dieser Trend wurde weder von den starken Stürmen der 1990er oder 2000er Jahre noch von einer zeitweise großen Holznachfrage gebremst. Nach Bayern (405 m³/ha) steht das Land mit 373 m³/ha bundesweit auf einem Spitzenplatz. In Summe ergibt dies im Land einen Holzvorrat von 495 Millionen m³. Das sind fast 33 Millionen m³ mehr als zum Zeitpunkt der ersten BWI im Jahr 1987.

Es ist bemerkenswert, dass selbst die Trockenjahre ab 2018 mit ihren weitreichenden Folgen für den Gesundheitszustand der Wälder zu keiner deutlichen Trendumkehr geführt haben. Nach dem 2012 gemessenen Spitzenwert von 377 m³/ha ist mit dem 2022 erhobenen Wert nur ein geringer, statistisch nicht gesicherter, Rückgang zu verzeichnen. Baden-Württemberg stemmt sich diesbezüglich gegen die Entwicklung anderer Regionen in Deutschland, die zum Teil bis zu zehn Prozent ihrer Hektarvorräte eingebüßt haben. Gerade bei der Fichte verläuft die Entwicklung inzwischen regional sehr unterschiedlich. In Baden-Württemberg sind immer noch 37 Prozent des Holzvorrats Fichten. Ähnlich wie Bayern stellen sich die Verluste noch moderat dar.

Andere Bundesländer haben in den letzten Jahren bei dieser Baumart dramatischere Veränderungen erfahren. In Hessen und Nordrhein-Westfalen ging in den letzten zehn Jahren etwa die Hälfte des Fichtenvorrates verloren, in Sachsen-Anhalt sogar drei Viertel. 

Viel interessanter als der Vergleich von Mittelwerten über ganze Länder hinweg ist die Dynamik, die sich auch diesbezüglich in den einzelnen Wäldern abbildet, wenn sich deren Baumartenzusammensetzung und Altersstruktur verändern. So spiegelt sich der Rückgang der Fichte naturgemäß auch in Baden-Württemberg in abnehmenden Gesamtholzvorräten dieser Baumart wider (Abb. 5). Ohne dass dies jedoch etwas an der grundsätzlichen Bedeutung der Baumart ändern würde, denn die Fichtenvorräte im Land sind mit 185 Millionen m³ weiterhin erheblich. Von keiner Baumart steht nur annähernd so viel Holz im Wald wie von der Fichte!

Die Verteilung auf die Eigentumsarten ist aber sehr unterschiedlich. Das bildet sich zum einen in den Hektarvorräten ab, die zwischen 399 m³/ha (Staatswald), 430 m³/ha (Körperschaftswald) und 480 m³/ha (Privatwald) schwanken. Gilt aber auch für die absoluten Zahlen: Ein Viertel des gesamten Holzvorrates steht vielfach in Form von älteren Fichten oder Tannen im Privatwald. Insbesondere der Mittlere Privatwald verfügt weiterhin über hohe Nadelholzreserven, oder sitzt – je nach Betrachtungsweise – auf hohen Risiken. Alte, hohe und eng stehende Nadelbäume sind auch ein Zeichen für die Verwundbarkeit von Wäldern gegenüber natürlichen Faktoren wie dem Windwurf, Trockenheit oder Borkenkäfern. Vor dem Hintergrund des laufenden Strukturwandels im Privatwald, der sich auch in räumlicher Entfernung zum eigenen Wald und schwindender Professionalisierung der Betriebsinhaberinnen und -inhaber ausdrücken kann, ist ein gelungenes Risikomanagement für diese Wälder von ganz erheblicher Bedeutung für den Walderhalt und die andauernde Ressourcenverfügbarkeit im Land.

Auch über alle Hauptbaumarten hinweg gilt, dass im Privatwald höhere Vorräte zu verzeichnen sind als in Körperschafts- und Staatswaldungen (Abb. 6).

Gleichzeitig gilt das oben Gesagte: Die Heterogenität ist nirgends so groß wie im Privatwald. Sehr hohen Vorräten im Kleinprivatwald stehen geringere im Großprivatwald gegenüber. Vor allem bei den Buchen sticht der Kleinprivatwald mit sehr hohen Vorräten hervor. Die Sorge, das Buchenholz würde gerade in dieser Waldbesitzart übermäßig im bäuerlichen Ofen verheizt werden, lässt sich somit nicht bestätigen.

Waldstruktur als Risikofaktor

Nun ist es sowohl für den Betrieb eines Sägewerkes wie auch den an Klima- oder Waldnaturschutz Interessierten nicht nur wichtig zu wissen, wo beziehungsweise in welchen Waldbesitzarten wieviel Holz steht, sondern es ist bedeutsam, wie es sich auf die Stärkeklassen der Baumarten verteilt. Und auch hier gibt es seit Jahrzehnten einen klaren Trend. Er ist davon gekennzeichnet, dass die Holzvorräte in den kleineren Durchmesserklassen abnehmen und ab einem Durchmesser von 40 Zentimetern ansteigen. Der Vorrat verschiebt sich also zunehmend in Richtung der dickeren und damit oftmals auch älteren Bäume. Grund dafür sind sowohl die Entstehungsgeschichte vieler Wälder mit diversen Aufforstungswellen und der damit verbundenen typischen Altersklassenstruktur als auch die Nutzungspraktiken der letzten Jahre. Im Ergebnis steht heute fast vier Mal so viel Holz in Form von alten und dicken Bäumen (stärker 70 Zentimeter) im Wald als dies 1987 der Fall war. 

Dieses „Dickerwerden“ der Bäume freut sicher viele Waldbesucherinnen und -besucher, die zunehmend auf imposante Baumgestalten treffen; es fördert auch die Bildung von Mikrohabitaten und Totholz und dient insofern der Biodiversität. Aus ökonomischer Sicht ist der steigende Anteil starken Holzes jedoch auch ein Risikofaktor und für die Forstbetriebe vielfach mit Vermarktungsproblemen verbunden, wenn sich Sägewerke mit ihrer Technik auf die schwächeren Massensortimente spezialisiert haben und wenig Interesse an starken Tannen, Fichten oder Buchen besteht. Initiativen, die bessere Vermarktungsmöglichkeiten vor allem für das starke Laubholz eröffnen, kommt vor diesem Hintergrund wachsende Bedeutung zu.

Ein besonderes Dilemma ergibt sich aus dieser Situation beim Klimaschutz. Manche Akteurinnen und Akteure sehen in dicken Bäumen – unabhängig von der Baumart – vor allem den gebundenen Kohlenstoff. Wie beim Menschen auch, steigt mit dem Alter und der damit verbundenen größeren Baumhöhe aber auch die Anfälligkeit gegenüber Belastungsfaktoren. Die jährlichen Aufnahmen des Waldzustandsberichts zeigen, dass junge Wälder deutlich weniger von Laub- beziehungsweise Nadelverlusten betroffen sind und somit als vitaler gelten. 

Altbestände aus Fichte, Tanne, zum Teil auch Buche, stellen unter sich ändernden Bedingungen durch den Klimawandel eben vielfach auch einen höchst unsicheren Speicher dar. Insbesondere entsteht aber auch ein Zielkonflikt zur dringend gebotenen Klimaanpassung. Sie legt Eingriffe in diese alten Baumbestände nahe, um zum einen frühzeitig für Verjüngung zu sorgen und andererseits rechtzeitig die Baumartenzusammensetzung ändern zu können. Des Weiteren sorgt ein höherer Anteil von Jungbeständen dafür, dass die Wälder wieder kräftiger wachsen und somit zukünftig mehr Kohlenstoff der Atmosphäre entzogen werden könnte als dies zuletzt noch der Fall war.

Nutzungspotentiale richtig abschätzen und realisieren

Nutzungspotentiale an Holz ergeben sich insbesondere aus dem natürlichen Zuwachs der Bäume. Der kann von verschiedenen Faktoren beeinflusst sein. Dazu zählen variable Umweltbedingungen auf die der Baum trifft, ebenso wie dessen Alter. Insofern ist es für Fachleute zunächst wenig überraschend, dass vor dem Hintergrund der jüngsten Witterungsextreme sowie der aktuellen Altersstruktur der Wälder die Zuwächse aller Baumarten geringer sind als sie es in der Vergangenheit noch waren. Mit Hilfe intensiv beobachteter Versuchsflächen lassen sich diese Zusammenhänge im Detail analysieren und besser verstehen. 

Bei der zuwachskräftigen Baumart Fichte wird die Veränderung besonders deutlich. Während in der BWI 2002 noch fast 17 m³/ha gemessen wurden, liegt der Zuwachs in der aktuellen Erhebung 2022 nur mehr bei knapp 14 m³/ha. Über alle Baumarten hinweg wuchsen die Bäume in Baden-Württemberg im Mittel noch um knapp 11 m³/ha zu. Das ist, wie bereits erwähnt, weniger als in der Vergangenheit, aber mehr als in allen anderen Bundesländern gemessen wurde. Baden-Württembergs Wälder gelten insofern weiterhin als besonders produktiv.

Im Zuge der BWI wird auch untersucht, welcher Anteil der Bäume in der letzten Periode ausgeschieden ist und welche Gründe es hierfür gab. In der Regel werden die ausscheidenden Bäume im Rahmen von forstwirtschaftlichen Maßnahmen genutzt. Die Daten verraten aber auch, dass dies immer weniger der Fall ist. Der Anteil der Nutzung am sogenannten „Abgang“ ging zuletzt von 93 Prozent auf 89 Prozent zurück. Das heißt, es bleibt heute mehr Totholz im Wald zurück, als dies früher üblich war.

Die Waldbesitzarten gehen mit ihren Nutzungspotentialen unterschiedlich um. Im Mittleren und im Kleinprivatwald liegt der Abgang unter dem Zuwachs, im Großprivatwald liegt er darüber und in den öffentlichen Wäldern halten sich Zuwachs und Abgang ebenso in etwa die Waage wie dies für den gesamten Privatwald gilt (Abb. 7).

Damit sind noch keine Aussagen über die Entwicklung der einzelnen Baumarten getroffen. Phänomene wie das Eschentriebsterben oder der Massenbefall der Fichte mit Borkenkäfern führten dazu, dass bei diesen Arten viel mehr Holz genutzt wurde oder tot im Wald verblieb, als im gleichen Zeitraum nachwuchs. Bei den Baumarten Tanne, Douglasie oder Buche verhält es sich umgekehrt. Da wuchs zwischen 2012 und 2022 mehr Holz zu, als gleichzeitig ausschied. Bei der Eiche ist dieses Phänomen sogar besonders stark ausgeprägt: Sie hat weniger unter verminderten Zuwächsen zu leiden, wurde aber auch nur sehr zurückhaltend genutzt. Ergebnis ist ein deutlicher Überhang des Zuwachses. 

Wie ist diese Situation zu bewerten? Ein klassisches Verständnis von Nachhaltigkeit zielt ja darauf ab, dass im Wald nicht mehr Holz genutzt wird, als gleichzeitig nachwächst. Wie oben dargestellt, wird dieses Prinzip in Baden-Württemberg über alle Waldungen, Baumarten und Jahrzehnte hinweg betrachtet respektiert. Im kleineren Privatwald stieg der Vorrat sogar immer weiter an. Im Zuge klimatischer Veränderungen und vor allem auch vor dem Hintergrund einer Folge von Hitze- und Dürrejahren kommt es jüngst aber auch zu hohen, oftmals ungeplanten Nutzungen etwa bei Fichte und Buche. Gleichzeitig kann eine Nutzungsintensivierung sogar geboten sein, um den Waldumbau in Richtung gemischter Waldbestände überhaupt zu ermöglichen. Nur wo Licht und Wasser auf den Boden kommen, kann Waldverjüngung gelingen. Nutzungsraten, die über dem Zuwachs liegen, sind also zum Teil durch natürliche Ereignisse induziert und können andererseits Wegbereiter für den notwendigen Waldumbau sein. 

Die beschriebene Waldentwicklung hat offensichtliche wirtschaftliche Folgen. Der generelle Rückgang der Holzzuwächse und die Verschiebung der Baumartenzusammensetzung in Richtung Laubholz reduzieren das ökonomische Potential der Forstbetriebe und schmälern etwa nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Beirates Waldpolitik (WBW) beim Bundeslandwirtschaftsministerium mindestens mittelfristig deren Einkommensmöglichkeiten. Klassische Finanzierungsmodelle für andere Ökosystemleistungen, deren Kosten bislang überwiegend aus den Holzerlösen bestritten wurden, sind daher in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund müssen etwa nach dem WBW alternative Finanzmodelle, die die Honorierung von Ökosystemleistungen beispielsweise über Steuermittel in den Vordergrund rücken, an Aufmerksamkeit gewinnen, wenn der gesellschaftliche Nutzen der Wälder wenigstens stabil gehalten werden soll.

Wie naturnah ist die Natur im Anthropozän?

Was ist Natur? Diese Frage versucht auch die BWI zu beantworten und stützt sich dabei auf die „lokale natürliche Waldgesellschaft“ beziehungsweise eine im Modell gebildete sogenannte „heutige Potentielle Natürliche Vegetation“ des jeweiligen Standortes. Gemessen an dieser Referenz erreicht Baden-Württemberg im Vergleich der Bundesländer einen Spitzenplatz. In keinem anderen Land gibt es mehr als „sehr naturnah“ sowie „naturnah“ klassifizierte Waldflächen. Knapp über die Hälfte der Waldflächen haben diesen Status. Dabei tragen die öffentlichen Wälder besonders stark zu diesem Ergebnis bei. Während vor allem im Staatswald ein hoher Anteil naturnaher Waldflächen zu finden ist, sind vergleichsweise größere Anteile des Privatwaldes als „kulturbetont“ oder „kulturbestimmt“ eingestuft.

Wie eingangs erläutert, laufen Veränderungsprozesse in Wäldern nur langsam und nach Eigentumsformen differenziert ab. Im zeitlichen Vergleich wird deutlich, dass etwa die „kulturbestimmten“ Wälder in den letzten zwanzig Jahren beständig weniger werden, aber keine Sprünge in Richtung Naturnähe zu verzeichnen sind. 

Der Waldumbau bleibt daher mit Blick auf verschiedene Ziele wichtig. Dies gilt aus Gründen des Naturschutzes ebenso wie aus der Notwendigkeit der Klimaanpassung. In beiden Fällen ist auch eine Weiterentwicklung der Referenzen nötig. Ein Rückblick allein auf die historisch etablierte, oftmals als heimisch deklarierte Natur ergibt im Anthropozän beziehungsweise in Zeiten des Klimawandels wenig Sinn. Wälder, die heute als „naturnah“ klassifiziert werden, sind im Hinblick auf den Klimawandel auf manchen Standorten nicht automatisch zukunftsfähig. An der FVA wurden daher Vorschläge für eine Weiterentwicklung dieser Referenzzustände vorgelegt (Hinze et al. 2023).

Platz für Specht und Käfer?!

Vor diesem Hintergrund einer problematischen Naturnähebewertung kommt weiteren Kriterien, die den naturschutzfachlichen Wert von Wäldern indirekt zu beurteilen helfen, besondere Bedeutung zu. Dazu zählen neben der Baumartenzusammensetzung vor allem das Vorkommen jener Requisiten, auf die Artengruppen wie Pilze, Insekten, Vögel oder Fledermäuse besonders angewiesen sind. Der Blick richtet sich bei diesen Fragestellungen auf das Vorhandensein besonders alter Bäume, das Totholz und sogenannte Biotopbäume, bei denen etwa Fruchtkörper von Pilzen oder Bruthöhlen sichtbar sind. 

Wie oben bereits erwähnt, gibt es in den Wäldern Baden-Württembergs einen Trend, Bäume älter werden zu lassen, als dies in der Vergangenheit üblich war. Das wird nicht nur an der Verschiebung der Holzvorräte in Richtung der höheren Durchmesserklassen von Bäumen bemerkbar, sondern wird auch am Flächenanteil der verschiedenen Altersklassen deutlich (Abb. 8). Bäume, die ein Alter von 100 Jahren und mehr aufweisen, gewinnen seit der ersten Durchführung der Inventur 1987 kontinuierlich an Bedeutung. Das gilt namentlich auch für Buche und Eiche, zwei Baumarten, die wegen ihrer Habitatqualität besonders im Fokus des Naturschutzes stehen. Aktuell wachsen im Land auf über 400 Tausend Hektar Wälder, die älter als 100 Jahre sind. Auf fast 70 Tausend Hektar steht besonders alter Wald über 160 Jahre. Gegenüber der ersten Inventur von 1987 hat sich die Fläche dieser besonders alten Wälder mehr als verdreifacht.

Interessant, dass vor allem der Privatwald zu dieser Entwicklung beiträgt. Hier sind die höchsten Zuwächse an alten Wäldern zu verzeichnen. Das gilt über alle Baumarten hinweg, aber auch wieder für die naturschutzfachlich besonders bedeutsamen Alteichen, die im privaten Waldbesitz in den letzten 35 Jahren sogar eine positivere Entwicklung nahmen als etwa im Staatswald.

Mit dem höheren Alter der Bäume, den vielfachen Stressfaktoren, die die Mortalität der Bäume verändern, aber auch einem geänderten Nutzungsregime (siehe “Nutzungspotentiale richtig abschätzen und realisieren“) bleibt mehr totes Holz im Wald zurück. Im Vergleich der letzten beiden Inventuren von 2012 und 2022 stieg der Totholzvorrat von circa 29 m³/Hektar auf etwa 34 m³/Hektar an. Da die Arten auf die Qualität des Totholzes sehr unterschiedlich reagieren, sind einfache Schwellenwerte über „genügend“ Totholz nur bedingt aussagekräftig. Die BWI differenziert das gefundene Holz daher nach verschiedenen Kategorien (Abb. 9). 

Die Inventur zeigt auch, dass viel mehr Nadelholz im Wald bleibt als Laubholz, oftmals als liegendes Holz, das damit einem relativ schnellen Abbau ausgesetzt ist

Die Menge des verbleibenden Totholzes ist je nach Waldeigentumsarten unterschiedlich, der Privatwald weist etwas geringere Werte auf als die anderen Waldbesitzarten (Abb. 10). Alle Werte zeigen aber die gleiche Richtung an: Totholz nimmt zu. Beim wichtigen stehenden Totholz als Baum hat sich die Menge inzwischen mehr als verdoppelt.

Auch die Zahl der Biotopbäume verzeichnet einen positiven Trend. Sie hat zwischen 2012 und 2022 von etwa sieben Millionen auf heute etwa zehn Millionen zugenommen. Ihre Stammzahl pro Hektar stieg deutlich an (Abb. 11). Das gilt grundsätzlich für alle Waldbesitzarten.

Weiterentwicklung des Waldmonitorings in Baden-Württemberg

Die BWI liefert als „Mutter aller Inventuren“ einen wichtigen Überblick über die Waldentwicklung im Land. Durch die gleich gelagerte Datenerfassung im restlichen Deutschland ergeben sich wichtige Vergleichsmöglichkeiten. Dass die Inventur nur alle zehn Jahre durchgeführt wird, ist mit Blick auf die große Dynamik, die die Waldentwicklung im Klimawandel ergriffen hat, inzwischen unbefriedigend. Für den schnellen Blick auf den Wald und seine Veränderung kommt daher der Fernerkundung große Bedeutung zu. Es ist wichtig, dass das Land diese Kompetenz vorhält, um in Waldfragen handlungsfähig zu sein. Das gilt gerade auch vor dem Hintergrund der von der Europäischen Kommission angekündigten Ambitionen, ein eigenes an den Bedürfnissen Brüssels ausgerichtetes europäisches Waldmonitoring etablieren zu wollen. Die von der Landesregierung in Aussicht gestellte Einrichtung eines Fernerkundungszentrums an der FVA stellt daher einen wichtigen Schritt dar, um die Maßnahmen der Waldstrategie des Landes gezielt vorbereiten und ihre Wirkung überwachen zu können.

Die BWI wird schon heute durch viele Spezialinventuren ergänzt beziehungsweise eine Interpretation der erhobenen, beschreibenden Daten erst ermöglicht. So werden in Baden-Württemberg Daten über die oberirdische Baumvegetation mit Analysen der Waldböden verschnitten, um ein besseres Verständnis des Gesamtsystems zu erhalten. Insbesondere das systematische Biodiversitätsmonitoring ergänzt die BWI bei der Beantwortung von Fragen von hoher politischer Relevanz und Aktualität. Inzwischen ist das im Offenland bereits etablierte Monitoring von Arten auch für die Wälder des Landes fertig entwickelt. Eine Eröffnungsbilanz zur Situation von waldgebundenen Insekten, Fledermäusen und Vögeln liegt vor. Auch diese wichtige Informationsquelle kann ihre Bedeutung aber erst dann ausschöpfen, wenn durch eine Verstetigung der Erhebung Vergleiche ermöglicht werden, um Entwicklungen sicher erkennen zu können.