Die Verkehrssicherheit ist in Deutschland durch jährlich über 250.000 dokumentierte Wildunfälle mit größeren Säugetieren erheblich beeinträchtigt: rund eine halbe Milliarde Euro Sachschäden, mehrere tausend Verletzte und einige dutzend Verkehrstote belegen dies eindrücklich. Zusätzlich entsteht ein jährlicher Wildbretverlust in Höhe von ca. 16 Millionen Euro. Folgen für einzelne Tierarten können dagegen nur ansatzweise geschätzt werden. Besonders für seltene Tierarten wie beispielsweise Luchs und Wildkatze ist von verheerenden Auswirkungen auszugehen. In der Schweiz ist der Verkehr für Luchse die Haupttodesursache. 70 von bisher insgesamt 163 getöteten Luchsen kamen durch Verkehr ums Leben.

Untersuchungen der FVA zeigen, dass sich etwa 30–40 % der jährlich rund 20.000 auftretenden Wildunfälle in Baden-Württemberg in Schwerpunkten ereignen, während die restlichen zerstreut im Straßennetz verteilt sind. Der Einsatz von Bauwerken als Tierquerungshilfen (Grünbrücken) ist limitiert und nicht überall angebracht.

Vor diesem Hintergrund ist die Anwendung von effizienten, praxistauglichen und flächig einsetzbaren Wildunfallpräventionsmaßnahmen notwendig. Die Wirksamkeit von bisher gängigen Maßnahmen wie z. B. optische und akustische Wildwarnreflektoren oder Duftzäune ist jedoch umstritten und wurde bisher nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht.

Ziel der Untersuchung

Das Ziel des Projektes ist es, die Wirksamkeit der gebräuchlichsten Wildunfallpräventionsmaßnahmen wissenschaftlich zu überprüfen. Der Fokus liegt hierbei auf den Maßnahmen "optischer Wildwarnreflektor" und "Duftzaun", da diese aktuell in vielen Jagdrevieren zum Einsatz kommen.

Die Besonderheit dieses Projektes liegt darin, dass zum ersten Mal die Reaktion von Wildtieren auf Wildunfallpräventionsmaßnahmen untersucht wird. Dies wird im Rahmen einer umfassenden Untersuchung des Raum-Zeit-Verhaltens von Rehen durchgeführt. Hierdurch können nicht nur Aussagen über die Effektivität spezifischer Präventionsmaßnahmen gemacht werden, sondern es werden auch gleichzeitig einzelne Faktoren identifiziert, die eine entsprechende Funktionalität beeinflussen.

Bei den bisher durchgeführten Untersuchungen handelt es sich dagegen meist um reine Vorher-Nachher-Vergleiche der Wildunfallstrecken, d. h. es wird die Entwicklung der Wildunfallzahlen vor und nach Installation von Maßnahmen betrachtet. Diese Untersuchungen führten jedoch zu sehr kontroversen Ergebnissen. Während die Unfallzahlen in einigen Untersuchungen nach Installation der Maßnahmen zurückgingen, konnte in anderen Untersuchungen keine Veränderung festgestellt werden. Potentielle Einflussfaktoren, die sich zum Beispiel auf das Raum-Zeit-Verhalten der Wildtiere auswirken und somit auch die Wirkungsweise von Wildunfallpräventionsmaßnahmen beeinflussen können, wurden meist gar nicht oder nur unzureichend beachtet.

Vorgehensweise

Die Effektivität der beiden Wildunfallpräventionsmaßnahmen wird an der Modellart Reh getestet. Rehe stellen aus mehreren Gründen eine ideale Tierart für die Untersuchung dar. Sie sind bei uns:

  • flächendeckend und häufig in hohen Dichten vorhanden,
  • sehr mobil und
  • mit ca. 20.000 Tieren am häufigsten von Verkehrsmortalität betroffen.

Die Untersuchung des Raum-Zeit-Verhaltens der Rehe erfolgt beispielhaft mit Hilfe der Satellitentelemetrie an einer für Wildunfallschwerpunkte typischen Landschaftssituation: Wald-Straße-Offenland (Abb. 1). Gemäß einer vor einigen Jahren an der FVA durchgeführten Untersuchung zu Wildunfallschwerpunkten in Baden-Württemberg traten in diesen Landschaftsbereichen die häufigsten Wildunfälle auf, da die Tiere im Offenland nach Nahrung suchen und dazu aus dem Wald über die Straße wechseln.

Der Fang der Rehe erfolgt über Nacht mit Kastenfallen (Abb. 2), in die die Tiere über die Wintermonate mit Apfeltrester gelockt werden. Ist ein Reh in einer Falle gefangen, wird es am folgenden Morgen von zwei Personen befreit und zunächst mit einer Augenbinde versehen. Die Tiere beruhigen sich sofort, so dass die Besenderung mit GPS-Halsbandsendern ohne aufwändige Narkose möglich ist. Neben der Besenderung werden die Tiere mit Ohrmarken markiert sowie das Gewicht, die Gesamtkörperlänge, die Hinterfußlänge und die Schulterhöhe gemessen.

Bei den Sendern handelt es sich um GPS-Sender der neuesten Generation (Abb. 3). Sie sind aktuell mit 370 g die leichtesten Produkte ihrer Klasse und ermöglichen bis zu 37.000 Positionsbestimmungen. Gleichzeitig kann das Verhalten des Tieres über einen integrierten 3D-Beschleunigungssensor registriert werden, der die Bewegung des Halsbandes in drei Richtungen erfasst. Die im Data-Logger des Halsbandes gespeicherten Daten werden per VHF-Übertragung im Gelände auf ein mobiles Handgerät übertragen und stehen dann zur weiteren Verarbeitung am PC bereit.

Die GPS-Halsbandsender ermöglichen die genaue Positionsbestimmung der Tiere an zuvor festgelegten Zeitpunkten, z. B. in Intervallen von 15 Minuten. Die Sender sind vergleichbar mit einem Navigationssystem im Auto, das zu jeder Zeit die Position des Fahrzeuges kennt. Die Taktung der Sender kann bis auf eine Aufnahme pro Sekunde heruntergesetzt werden. Zusammen mit den Daten des 3D-Beschleunigungssensors kann so das Verhalten der Tiere in der Landschaft sehr detailgetreu beobachtet werden.

Primäres Interesse gilt den Straßenquerungen der Tiere und deren Reaktion auf die beiden Wildunfallpräventionsmaßnahmen. Hierfür werden die Wildunfallschwerpunkte zusätzlich mit Videoüberwachung und Fotofallen ausgestattet, um das Verhalten der Rehe bei herannahenden Fahrzeugen festzuhalten. Das Fahrzeugaufkommen soll mit Hilfe einer Zählschleife im Straßenbelag erfasst werden, so dass zeitlich exakte Aussagen getroffen werden können. Somit ist eine Auswertung der Reaktion eines Tieres auf ein vorbeifahrendes Fahrzeug möglich.

Die Laufzeit des Projektes beträgt von Juli 2009 an 5 Jahre. In diesem Zeitraum werden bis zu 80 Rehe an den ausgewählten Wildunfallschwerpunkten besendert. Die hohe Anzahl ist notwendig, um statistisch aussagekräftige Ergebnisse erzielen zu können Die Umsetzung des Projektes findet in enger Kooperation mit der Jägerschaft, den Waldbesitzern und den jeweiligen Unteren Forstbehörden statt.

Vorstudie 2010

Für einen Vorversuch im Winter 2010 wurden bei Appenweier 5 Rehe gefangen und besendert (Abb. 4 und 5). Bei den Tieren handelt es sich um 3 weibliche und 2 männliche Tiere unterschiedlichen Alters. Im Vorversuch sollen zum einen die Funktionalität der Sender und des Fangsystems überprüft werden. Zum anderen sind die gewonnenen Informationen zum Verhalten von Rehen in der näheren Umgebung von Straßen notwendig, um die Programmierung der GPS-Sender und den Einsatz der Videotechnik für den Hauptversuch im kommenden Jahr zu optimieren (Abb. 6).