
Abb. 1: Blauer Halbkreisreflektor.
Jedes Jahr werden rund 260.000 Wildtiere durch Verkehrsunfälle getötet, wobei das Reh mit ca. 85% am häufigsten betroffen ist. Im Durchschnitt ereignet sich bundesweit alle zwei Minuten ein Wildunfall. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher sein, da viele Unfälle nicht gemeldet werden. Alle bundesweit erfassten Wildunfälle erzeugen jährlich alleine Sachschäden von mehr als 650 Millionen Euro, die von den deutschen Versicherungsgesellschaften reguliert werden.
Forschungsprojekt Wirksamkeit von Wildwarnreflektoren
Wildwarnreflektoren sind eine der am häufigsten angewandten Wildunfallpräventionsmaßnahmen. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte kam eine Vielzahl an Wildwarnreflektoren auf den Markt, die laut Hersteller eine Reduzierung der Wildunfälle versprechen. Besonders blaue Wildwarnreflektoren (Abb. 1) sollen aufgrund ihrer Farbe wirksamer Wildunfälle verhindern. Bisher erfolgte die Bewertung der Wirksamkeit von Wildwarnreflektoren fast ausschließlich über Veränderungen in Wildunfallzahlen. Studien, die Verhaltensreaktionen von Wildtieren untersuchen, fehlen in Deutschland. Die Frage, ob Wildwarnreflektoren nach der Ausbringung das Verhalten von Wildtieren in Straßennähe oder bei der Straßenquerung verändern und es dadurch zu weniger Unfällen kommt, wurde in einem fünfjährigen Pilotprojekt durch die FVA erforscht.
Das Forschungsprojekt untersuchte, ob
- die Farbe Blau eine "Warnfarbe" darstellt und
- die Lichtreize des blauen Halbkreisreflektors zur Minimierung von unfallrelevanten Verhalten führen.
Farbe Blau – keine Warnfarbe

Abb. 2: Baulich veränderte Futterstation mit drei Futterschüsseln: In dieser Anordnung ist die linke Futterschüssel unbeleuchtet, die mittlere blau und die rechte warm-weiß beleuchtet.
Im Rahmen einer Kooperation mit dem Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin wurde mittels eines experimentellen Fütterungsversuchs das Verhalten von 15 Gehegerehen untersucht, ob blaues und warm-weißes Licht einen Einfluss auf das Verhalten von Rehen haben und die Farbe Blau tatsächlich eine "Warnfarbe" ist. Dazu wurden Futterschüsseln in zufällig gewählter Reihenfolge mit blauem und warm-weißem Licht angestrahlt, wobei eine Futterschüssel als Kontrolle immer unbeleuchtet blieb (Abb. 2). Die Tiere konnten frei an die Futterboxen anwechseln; das Verhalten wurde mit Infrarotkameras überwacht. Die statistischen Ergebnisse zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit bei 37% lag, dass die Tiere die blau beleuchtete Futterschüssel anwechselten, gefolgt von der warm-weiß beleuchteten Futterschüssel mit 34% und die unbeleuchtete Futterschüssel mit 29%. Mit Blick auf die Fressdauer zeigte sich, dass die Tiere an der blau und warm-weiß beleuchteten Futterschüssel im Durchschnitt signifikant rund zehn Sekunden kürzer fraßen als an der nicht beleuchteten Futterschüssel. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Licht einen signifikanten Einfluss auf die Tiere ausübte, jedoch die Argumentation der Hersteller nicht bestätigt werden konnte, dass die Farbe Blau eine "Warnfarbe" ist, da die Farbe des Lichtes keinen Einfluss auf die Fresszeiten der Tiere hatte.
Blaue Halbkreisreflektoren – kein Einfluss

Abb. 3: Ein Fahrzeug passiert ein Reh, das am Straßenrand steht.
Ob Rehe ihr Verhalten bei Präsenz von blauen Halbkreisreflektoren verändern, wurde sowohl im Freiland in Verbindung mit Straßenverkehr an fünf Straßenabschnitten in Baden-Württemberg als auch unter kontrollierten Gehegebedingungen in Kooperation mit dem IZW untersucht. Die Umsetzung der Freilanduntersuchung erfolgte mittels Wärmebildkameras, die in 16.000 Stunden Videomaterial von 1.062 Reh-Fahrzeugereignissen lieferten (Abb. 3). Es zeigte sich, dass die Nähe der Rehe zur Straße entscheidend dafür ist, wie stark die Tiere auf herannahende Fahrzeuge reagierten. Befanden sie sich unmittelbar an der Straße, zeigten sie am häufigsten Flucht- oder Sicherungsverhalten. Dieses nahm mit Abstand zur Straße ab. Weiter zeigten die Videoaufnahmen, dass das Flucht- und Sicherungsverhalten von der Art des Fahrzeuges abhängt und Tiere bei Bussen oder Lastwagen stärker reagierten. Mit blauen Halbkreisreflektoren konnte das Verhalten der Tiere nicht dahingehend verändert werden, dass das Sicherungs- und Fluchtverhalten bei Annäherung eines Fahrzeugs gesteigert wurde – die Reflektoren hatten keinen Effekt auf das Verhalten der Tiere. Die Reaktionen von Rehen auf blaue Halbkreisreflektoren wurden auch im Gehege unter kontrollierten Bedingungen an 33 Tieren getestet. Sowohl männliche als auch weibliche Tiere zeigten dasselbe unveränderte Verhaltensmuster wie Rehe an den Straßenabschnitten, so dass die Ergebnisse der Freilanduntersuchungen bestätigt wurden.
Keine Verhaltensänderung

Abb. 4: Besendertes Reh "Nicola". (Foto: Klaus Echle)

Abb. 5: Anzahl der Straßenquerungen aller besenderten Rehe im Tages- und Jahresverlauf (blaue Punkte). Gelbe Linien stellen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang dar, gelbe Rauten zeigen die durch Verkehr getöteten besenderten Rehe. Rot symbolisiert die Höhe des Straßenverkehrs. Je dunkler der Rotton, desto höher die Anzahl der Fahrzeuge.
Darüber hinaus wurde mit Hilfe von GPS-Telemetriesendern das Verhalten von 46 Rehen über mehrere Jahre dokumentiert und untersucht, ob es nach Installation von blauen Halbkreisreflektoren zu räumlichen oder zeitlichen Veränderungen im Straßenquerungsverhalten kommt (Abb. 4). Ausgehend von 32 Rehen, die letztendlich Straßen querten, wurden deren 13.689 Straßenquerungen analysiert (Abb. 5). Es zeigte sich, dass die Tiere große individuelle Unterschiede im Verhalten aufwiesen. Die Häufigkeit einer Straßenquerung wurde von der Bewegungsaktivität des einzelnen Tieres bestimmt. Aktive Tiere querten häufiger die Straße als inaktive Tiere und die Aktivität der Tiere unterlag dabei tageszeitlichen als auch jahreszeitlichen Schwankungen. In der Dämmerung und Nachtstunden waren die Tiere aktiver wie auch im Frühling und im Herbst. Der blaue Halbkreisreflektor führte auch hier nicht zu einer Beeinflussung des Rehverhaltens. Es kam zu keiner Veränderung in der Häufigkeit der Straßenquerungen in den einzelnen Gebieten, noch zu tageszeitlichen Verschiebungen im Auftreten der Querungen von Dämmerungs- und Nachtstunden hin zu Tagstunden. Ebenso hatte die Anzahl der Fahrzeuge keinen Einfluss auf das Querungsverhalten.
Fazit
Die Ableitung der Wirksamkeit von Wildwarnreflektoren anhand von veränderten Wildunfallzahlen ist aufgrund vieler Einflussfaktoren kritisch zu betrachten und führt zu keinen eindeutigen Ergebnissen. Eine Analyse von 43 Studien zu Wildwarnreflektoren über einen Zeitraum von 40 Jahren zeigt, dass Wildwarnreflektoren keine signifikante Reduktion von Wildunfallzahlen erzielten[1]. Eindeutige Aussagen zur Wirkungsweise ermöglicht nur die Analyse des Verhaltens von Wildtieren. Mit direktem Blick auf das Rehverhalten wird deutlich, dass blaue Halbkreisreflektoren keine Verhaltensänderungen bei Rehen hervorrufen sowohl am Straßenrand im Beisein von Straßenverkehr als auch langfristig in der Häufigkeit von Straßenquerungen bei GPS-besenderten Rehen[2,3]. In experimentellen Gehegeversuchen zeigten Rehe dasselbe unveränderte Verhaltensmuster wie Rehe an den Straßenabschnitten, so dass die Ergebnisse der Freilanduntersuchungen bestätigt wurden[2]. Zusätzlich konnten Fütterungsversuche nachweisen, dass die Farbe Blau keine "Warnfarbe" für Rehe darstellt[4]. In der Summe zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass blaue Halbkreisreflektoren das Verhalten von Rehwild nicht dahingehend ändern, dass Wildunfälle vermieden werden und daher eine Wirksamkeit zweifelhaft ist.
Literatur
- Falko Brieger, Robert Hagen, Daniela Vetter, Carsten F. Dormann, Ilse Storch (2016): Effectiveness of light-reflecting devices: A systematic reanalysis of animal-vehicle collision data. Accident Analysis and Prevention 97, 242-260
- Falko Brieger, Robert Hagen, Max Kröschel, Florian Hartig, Imke Petersen, Sylvia Ortmann, Rudi Suchant: Do roe deer react to wildlife warning reflectors? A test combining a controlled experiment with field observations. European Journal of Wildlife Research (2017) 63:72. DOI 10.1007/s10344-017-1130-5
- Jim-Lino Kämmerle, Falko Brieger, Max Kröschel, Robert Hagen, Ilse Storch, Rudi Suchant (2017): Temporal patterns in road crossing behaviour in roe deer at sites with wildlife warning reflectors PLoS ONE 12(9): e0184761.
- Falko Brieger, Jim-Lino Kämmerle, Nadja Martschuk, Sylvia Ortmann, Robert Hagen (2017): No evidence for a ‘warning effect’ of blue light in roe deer. Wildlife Biology: wlb.0033.
Könnten wie bei Pferden einige Streifen am Straßenrand helfen?
Pferde neigen zum Scheuen, wenn auf dem Boden vor ihnen Rillen sind, oder auch nur Streifen auf der Straße aufgemalt sind. Der Grund sind ihre Hufe, mit denen sie durchrutschen könnten, weswegen es sich genetisch einprogrammiert hat, gar nicht erst den Bereich mit den Rillen/Streifen zu betreten. Ich meine mich auch zu erinnern, dass es sich bei Rindern ähnlich verhält. Da Rehe ebenso Huftiere sind, könnte ich mir vorstellen, dass einige Streifen am Straßenrand zu einer deutlichen Abnahme des Wildwechsels führen könnten. Füchse, Wildschweine etc würde dies zwar nicht abhalten, allerdings sind diese auch deutlich kleiner und damit bei Zusammenstößen mit PKWs weniger gefährlich für die Autofahrer. Sollte dies zuverlässig funktionieren, dann würde sich anbieten, an bestimmten Abschnitten keine Streifen anzubringen, um den Tieren eine Überquerungsmöglichkeit zu bieten. Der Verkehrsfluss könnte in diesem Bereich entsprechend gelenkt und verlangsamt werden. Die Kosten für diese Anpassungsmaßnahme sich in Grenzen. Geht man von 1000km aus, die mit Streifen versehen werden müssten und 300 Euro pro Meter, dann würde dies in einmaligen Kosten von etwa 300 Mio Euro münden und einmal alle 10 Jahre erneuert werden. Das Anbringen der Streifen würde sich damit genau dann lohnen, wenn sich damit die Versicherungskosten aufgrund von Wildunfällen um 5% reduzieren ließen.Könnten wie bei Pferden einige Streifen am Straßenrand helfen?
Ein Interessanter Aspekt in der Wildunfallprävention, der bis dato noch keine Beachtung erhalten hat. Grundsätzlich lohnt es sich, in der Wildunfallprävention verschiedenen Ideen nachzugehen, um die hohe Anzahl an Wildunfällen langfristig zu reduzieren. Bevor eine Maßnahme in die Praxis umgesetzt wird, sollte sie wissenschaftlich begleitet und die Wirksamkeit untersucht werden, um zum einen gesicherte Erkenntnisse zu einer Maßnahme zu erhalten und zum anderen finanzielle Ressourcen zu schonen, wenn eine Maßnahme sich als nicht sinnvoll erweist. Dies gilt auch für die vorgeschlagene Maßnahme. Grundsätzlich verfügt das überörtlich überregionale Straßennetz über eine weiße Streifenmarkierung zum Fahrbahnrand. Diese entspricht in etwa der vorgeschlagenen Maßnahme, wenn auch nur als einfacher Streifen, und führt nicht dazu, dass Wildtiere weniger häufig die Straße queren bzw. Querungen unterbunden werden. Gezielte Querungsmöglichkeiten, die wie vorgeschlagen in der Streifenmarkierung vorgesehen sein sollen, müssten wiederum intensiv mit Maßnahmen versehen werden, um das Risiko eines Wildunfalls an diesen Querungsstellen zu reduzieren, die wiederum kostenintensiv sind. Darüber hinaus ist das Anbringen von Fahrbahnmarkierungen, die nicht den Verordnungen entsprechen, nicht ohne weiteres möglich. Dass die Versicherungswirtschaft ein Interesse an der Reduktion von Wildunfällen hat, die mittlerweile über 800 Mio. Euro verursachen, ist leider ein Irrglaube und wurde der FVA vor einigen Jahren entsprechend kommuniziert. Beste Grüße, Falko Brieger