Dass Autobahnüberquerungen von Wildtieren für alle Verkehrsteilnehmenden unfallfrei enden, ist keineswegs selbstverständlich. Jährlich sterben in der Schweiz zwischen 350 und 450 Hirsche im Strassenverkehr. Kollisionen sind auch für Autolenker nicht ungefährlich.
Staus im Wildverkehr
Die Problematik hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschärft, denn die Zahl der Hirsche auf Wanderschaft nimmt zu. Tiere aus dem wachsenden Bestand in den Voralpen ziehen Richtung nördlicher Jura, wo noch kaum Artgenossen leben. Autobahnen blockieren ihren Weg dahin. So kommt es zu Staus im Wildtierverkehr – zum Beispiel zwischen Kestenholz und Niederbuchsiten (Kanton Solothurn). An den Zäunen der A1 endet die Fernwanderroute, die von den Voralpen nördlich des Brienzersees via Emmental und Oberaargau (Kanton Bern) an den Fuss des Solothurner Juras führt.
Abb. 2. Die Zahl der Hirsche auf Wanderschaft nimmt zu. Eine gute Vernetzung geeigneter Lebensräume ist für sie unerlässlich. Foto: Renato Grassi (SJV)
Strassen und Schienen sind aber nicht das einzige Hindernis, das die Mobilität der Wildtiere hierzulande zusehends einschränkt. Die Ausdehnung des Siedlungsgebietes verschärft die Situation zusätzlich. Eine gute Vernetzung geeigneter Lebensräume wäre für Hirsche aber unerlässlich, damit mögliche Habitate, die derzeit von ihnen noch nicht besiedelt sind, kolonisiert werden können Als "typischer Fernwanderer mit ausgeprägten saisonalen Wanderungen ist der Hirsch auf solche Verkehrswege angewiesen", bemerkt Thomas Gerner von der BAFU-Sektion Wildtiere und Wildbiodiversität.
Nationalstrassennetz der Fauna
Ein nationales Inventar erfasst 304 Wildtierkorridore von überregionaler Bedeutung. Sie bilden das "Nationalstrassennetz der Wildtiere". Doch nur ein Viertel dieser Korridore ist heute noch ungehindert benutzbar. Im Jahr 2003 entschieden das Bundesamt für Strassen (ASTRA) und das Bundesamt für Umwelt (BAFU), 40 Korridore, die von Nationalstrassen unterbrochen sind, mit dem Bau von Wildtierpassagen zu sanieren. Durch Bauwerke, welche das Hindernis überwindbar machen, sollen die bestehenden Lücken geschlossen werden. Im Juni 2014 wurde letztmals Zwischenbilanz gezogen. Dabei stellte man fest, "dass bei einem Fünftel dieser Wildtierkorridore die Lücken bereits wieder geschlossen waren oder die nötigen Massnahmen in der Realisierungsphase sind", wie Adrien Zeender von der Sektion Landschaftsmanagement im BAFU festhält.
Mehr als ein Drittel der Sanierungsvorhaben befinden sich zudem in der Projektierungsphase. Andererseits sind 17 Vorhaben noch gar nicht erst gestartet. "Wir freuen uns natürlich über die Fortschritte, wünschen uns aber auch, dass es noch schneller vorangeht", sagt Zeender.
Entscheidend ist die richtige Lage
Gelungene Wildtierübergänge gibt es viele. Einer davon befindet sich bei Riemberg (Kanton Solothurn) und führt über die A5 zwischen Biel und Solothurn. Er wurde 2001 gleichzeitig mit dem Autobahnabschnitt für rund 5 Millionen Schweizer Franken gebaut und ist seither für Hirsche, Wildschweine, Rehe und Dachse eine wichtige Verbindung zwischen dem Jura und den grossflächig zusammenhängenden Wäldern rund um den Leuzingerwald im Mittelland. Es handelt sich um einen Wildtierkorridor von überregionaler Bedeutung.
Dass der Übergang von den Tieren akzeptiert und benutzt werde, hätten Nachtsichtaufnahmen in den Jahren nach dem Bau gezeigt, sagt Mark Struch, Wildtierbiologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Amt für Wald, Jagd und Fischerei des Kantons Solothurn. Wichtig für die Akzeptanz der Übergänge seien eine ausreichende Breite, die im vorliegenden Fall rund 60 m beträgt und ein durch Hecken in Richtung Fahrbahn sichergestellter Schutz.
"Wildtiere verweilen nicht auf solchen Übergängen, sondern queren sie zügig", weiss Struch. "Deshalb darf es darauf auch keine Hindernisse oder gar Feuerstellen geben, wie dies andernorts auf Wildtierquerungen auch schon mal der Fall war." Für den Erfolg solcher Übergänge sei aber vor allem die richtige Lage entscheidend. Die Bauwerke müssten in der unmittelbaren Fortsetzung der natürlichen Wanderrouten der Tiere eingerichtet werden.
Auf beiden Seiten der Brücke sollte es zudem Leitstrukturen wie etwa Hecken oder Büsche als Orientierungshilfen für die Tiere geben, führt Struch weiter aus. Ideal sei es, wenn dies- und jenseits der Brücken ökologische Ausgleichsflächen wie Buntbrachen, Ackerrandstreifen oder Niederhecken lägen, die während mehrerer Jahre unverändert blieben.
Einige der wichtigen Wanderrouten verlaufen durch den Kanton Solothurn. Damit diese für Wildtiere weiterhin mehr oder weniger durchlässig sind, schied der Kanton 2007 entsprechende regionale und überregionale Wildtierkorridore ausserhalb der Bauzonen aus, die in den kantonalen Richtplan aufgenommen wurden.
Abb. 3. Shematische Darstellung einer Wildtierüberführung und der für ihre Funktionstüchtigkeit notwendigen Gestaltungselemente. Die Abbildung zeigt ein Gestaltungsbeispiel, das eine gewisse Kontinuität zwischen offenen Flächen und Waldflächen sicherstellt. Copyright UVEK (2001); Grundlagenbericht für die Richtlinie "Planung und Bau von Wildtierpassagen an Verkehrswegen".
Vorzeigeprojekt im Seeland
Ein Vorzeigeprojekt wurde zwischen Gals, Gampelen, Ins und Müntschemier im Kanton Bern realisiert. Die Gegend war von mehreren Verkehrsachsen durchzogen und wird landwirtschaftlich intensiv genutzt. Mit dem Bau einer Umfahrungsstrasse waren dann auch die verschiedenen Massnahmen zur Biodiversitätsförderung verbunden. Auf einer Fläche von 50 Hektaren entstanden ökologische Ausgleichs- und Ersatzflächen wie zum Beispiel extensiv genutzte Wiesen. Kleingehölze mit Krautsaum oder Bachläufe mit vielfältiger Ufervegetation.
Um dem Wild die Querung der Umfahrungsstrasse und der Bahnlinie Neuenburg-Bern zu ermöglichen, wurden zwei Tierunterführungen und eine 85 m breite Wildtierbrücke gebaut.
Zwischen 2009 und 2013 wurden im Auftrag des Kantons diverse Erfolgskontrollen durchgeführt. Man habe insgesamt eine "ökologische Bereicherung der intensiv genutzten Kulturlandschaft" erzielt so Susanne Müller, Biologin und Projektleiterin beim Tiefbauamt des Kantons Bern. Die Standorte der Leit- und Ausgleichsflächen seien richtig gewählt worden, weshalb insbesondere das Fazit für die Wildtierbrücke positiv ausfällt. Sie "funktioniert als Querungsbauwerk für alle grossen Wildtierarten", ist im Schlussbericht nachzulesen. Mittels Fotofallen wurden Wildschwein, Reh, Dachs, Fuchs und Feldhase als Nutzer nachgewiesen. Das Bauwerk hat zudem zu einer Aufwertung des östlich der Verkehrsachsen gelegenen Gebietes Ziegelmoos-Islere als Lebensraum für den Feldhasen beigetragen.
"Auch die Wildtierbrücke selbst mit extensiv genutzten Wiesen, Gebüschgruppen und weiteren Strukturelementen erfüllt eine wichtige Rolle als Lebensraum", heisst es im Bericht. Belegt ist die unter anderem für die Vogelarten Dorngrasmücke, Schwarzkehlchen und Grauammer sowie für die Reptilienarten Ringelnatter, Blindscheiche, Zaun- und Mauereidechse.
Wildtierstrassen: Neue Wege für Hirsch und Reh
Folgender Kurzfilm wurde von Gregor Martius, Damian Ortiz-Rodríguez, Robert Pazur und Josef Senn, Doktoranden und Forschenden der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL gedreht, während sie am Filmmaking Marathon 2017 in Zürich teilnahmen. Der Film stellt Strassen als Barrieren für Wildtiere dar und zeigt Lösungen zur Wiederherstellung von Lebensräumen für Wildtiere.