Für viele Wald-Organismen wie Insekten, Vögel und Pilze ist totes Holz eine wichtige Lebensgrundlage. Etwa ein Viertel aller Käferarten ist auf dieses Substrat angewiesen. Da Totholz für so viele Arten unverzichtbar ist, wird es allgemein als Indikator für eine hohe Artenvielfalt anerkannt. Das Waldprogramm Schweiz (WAP-CH) sieht aus diesem Grund eine Förderung von Totholz vor.
Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden die Schweizer Wälder sowohl industriell als auch privat stark genutzt. Holz, das nicht als Bauholz verwendet werden konnte, galt als Brennholz, selbst kleinste Äste wurden gesammelt. Totholz, das in einem Urwald 20 –50% des Holzvolumens ausmachen kann, wurde somit in bewirtschafteten Wäldern seltener und mit ihm viele holzbewohnende Organismen (xylobiont). In den letzten Jahrzehnten haben sich die Totholzvorräte jedoch wieder erholt, unter anderem wegen der beiden Orkane "Vivian" (1990) und "Lothar" (1999) sowie der in schwer zugänglichen Gebieten nicht rentablen Holzernte. Generell hat in den vergangenen 20 Jahren in der Praxis das Bewusstsein für die wichtigen Funktionen des Totholzes im Wald zugenommen.
Bedrohtes Totholz
Die in den letzten Jahren steigende Nachfrage nach Energieholz hat unterdessen wieder zu einer intensiveren Holznutzung in unseren Wäldern geführt. Auch qualitativ schlechtes Holz lässt sich als Energieholz verwenden, was eine vermehrte Nutzung von Sortimenten zur Folge hat, die andernfalls im Wald belassen würden. Aus dem gleichen Grund könnten in Zukunft auch ehemals extensiv genutzte Wälder wieder stärker in den Fokus der Holznutzung geraten. Dies würde die Lebensräume von holzbewohnenden, gefährdeten Arten stark einschränken.
Abb. 2 - Verlassene Spechthöhlen bieten holzbewohnenden Käfern Lebensraum. Foto: Thibault Lachat (WSL)
Abb. 3 - Kombifalle in einem Tannen-Buchenwald. Foto: Thibault Lachat (WSL)
Neben dem Totholz als Substrat haben verschiedene weitere Faktoren einen Einfluss auf das Vorkommen totholzbewohnender Arten. Dazu gehören vor allem das Licht und besondere Habitatstrukturen an stehenden Bäumen, wie beispielsweise abgestorbene Äste, Baumhöhlen (Abb. 2) oder Stammverletzungen.
Wissenschaftler der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) untersuchen die Einflüsse von verschiedenen Bestandes- und Strukturparametern auf das Vorkommen von totholzbewohnenden Käferarten in Buchenwäldern. In einer ersten Auswertung wurden je fünf Wirtschaftswälder und Naturwaldreservate miteinander verglichen. Ein wesentliches Ziel dieser Studie ist, neben dem Totholz weitere Faktoren zu ermitteln, die für das Vorkommen dieser holzbewohnenden Käferarten wichtig sind.
Abb. 4 - Artenzahlen von fünf ausgewählten, holzbewohnenden Käferfamilien und Totholzvolumen in Naturwaldreservaten (dunkle Säulen) und Wirtschaftswäldern (helle Säulen).
In zehn Buchenbeständen wurden jeweils fünf Insektenfallen installiert. Diese sogenannten Kombifallen locken durch ihre gelbe Farbe aktiv blütenbesuchende Arten an und funktionieren gleichzeitig mittels zweier Plexiglasscheiben als passive Flugfallen (Abb. 3). Die Forschenden erfassten in jedem Bestand das liegende Totholz (m3/ha). Weiter ermittelten sie den Lichteinfall, da die Sonneneinstrahlung für viele Käferarten überlebenswichtig ist. Neben Wärme ermöglicht das einfallende Licht einen üppigen Bodenbewuchs mit Blütenpflanzen, deren Pollen den Käfern als Nahrungsquelle dient. Auch die bereits beschriebenen Habitatstrukturen an stehenden Bäumen (Biotopbäume) wurden in allen Beständen ermittelt.
Untersuchte Käferfamilien
Von den verschiedenen holzbewohnenden Artengruppen wurden fünf Familien untersucht. Dazu gehören die Bock- und Prachtkäfer, deren Larven sich in Rinde und Holz von Bäumen entwickeln, die erst vor kurzer Zeit abgestorben sind. Die Schröter, zu denen der bekannte Hirschkäfer gehört, entwickeln sich nur in mehrjährigem Totholz. Die Feuerkäfer und die Buntkäfer leben räuberisch unter der Rinde von abgestorbenen Bäumen und fressen andere holzbewohnende Insekten.
Auch Licht ist wichtig
Während der zweimonatigen Fangdauer fanden die Forschenden von den untersuchten Käferfamilien 1946 Individuen von 28 verschiedenen Arten, wobei die Familie der Bockkäfer mit 19 Arten am häufigsten vertreten war. Eine grosse Menge an Totholz und vielfältige Habitatstrukturen wirkten sich positiv auf die Anzahl der Käferarten aus. Aber auch die Bestandeslücken, und somit der Lichteinfall auf den Waldboden, beeinflussten die Anzahl Käferarten. Naturwaldreservate wiesen im Allgemeinen mehr Totholz und mehr Habitatstrukturen an stehenden Bäumen auf als bewirtschaftete Waldbestände. Entsprechend gerieten in Naturwaldreservaten meist sowohl mehr Käferarten als auch mehr Individuen in die Kombifallen. Die unterschiedlichen Lichtverhältnisse in Wirtschaftswäldern und Naturwaldreservaten liessen diesbezüglich keine nennenswerten Unterschiede erkennen.
Zwei der zehn Flächen fielen bezüglich ihrer Käferarten-Zahl speziell auf. Der Wirtschaftswald bei Othmarsingen wies zwar eine auffallend hohe Artenvielfalt auf, war aber arm an Totholz. Und das totholzreiche Naturwaldreservat bei St. Ursanne war ausgesprochen artenarm (Abb. 4).
Die Totholzmenge alleine war also nicht ausschlaggebend für die Artenvielfalt. Vielmehr trugen der Lichteinfall an den Fallenstandorten und die bereits beschriebenen Habitatstrukturen dazu bei, dass auch der totholzärmere Bestand für holzbewohnende Arten wertvolle Habitate aufwies. Das Naturwaldreservat im Jura bestand hingegen grösstenteils aus zahlreichen relativ dünnen Bäumen und war daher sehr lichtarm. Im Wirtschaftswald Othmarsingen im Aargau standen dagegen einige sehr dicke und alte Bäume und der Bestand wies sehr viele Lücken auf. Dadurch hatte sich am Boden eine üppige Krautschicht mit zahlreichen Blütenpflanzen eingestellt. Es muss aber betont werden, dass sich diese Untersuchung vor allem auf blütenbesuchende Käfergruppen beschränkte, und dass dabei unter den Käfern keine Raritäten gefunden wurden. Für andere, nicht blütenbesuchende und seltenere Insektenarten (z. B. Pilzbesiedler) könnte der Vergleich Wirtschaftswald–Waldreservat anders ausfallen.
Käfer brauchen Nischen
Genügend Totholz in verschiedenen Qualitäten ist für holzbewohnende Käferarten eine Grundvoraussetzung. Im Hinblick auf eine grosse Artenvielfalt spielt die Bestandesstruktur neben dem vorhandenen Totholz eine besondere Rolle. Eine grosse Strukturvielfalt in einem Wald ist jedoch nicht auf Naturwaldreservate beschränkt. Diese können aufgrund ihrer aktuellen Waldentwicklung durchaus gleichförmig aufgebaut sein und deswegen eine geringe Vielfalt holzbewohnender Käferarten aufweisen. Umgekehrt können auch vielseitig strukturierte Wirtschaftswälder mit alten Bäumen artenreich sein. In eher gleichförmig aufgebauten Hallenwäldern sind Lücken mit totem Holz und vermehrtem Lichteinfall sowie alte und dicke Bäume eher selten. Bestände, in denen jedoch verschiedene Entwicklungsstufen nebeneinander vorkommen, sind um einiges strukturreicher. Neben sehr jungen Bäumen stehen dicke und alte Bäume mit besonderen Lebensraumnischen. In strukturreicheren Beständen sind auch besonnte Lücken häufiger zu finden.
Holzbewohnende Arten fördern
Die Ausscheidung von Naturwaldreservaten ist für den Erhalt vieler auf Totholz angewiesener Arten unabdingbar. Aber auch gewisse Wirtschaftswälder können wertvolle Lebensräume für holzbewohnende Lebewesen sein. Deshalb ist eine entsprechende Bewirtschaftung sehr wichtig.
Abb. 5 - Totholz im Buchenwald. Foto: Doris Hölling (WSL)
Neben dem Liegenlassen von totem Holz richten sich die waldbaulichen Massnahmen, mit denen holzbewohnende Käferarten in einem Wirtschaftswald gefördert werden können, darauf aus, in einem Bestand eine grösstmögliche Strukturvielfalt anzustreben. Das schliesst auch die Habitatstrukturen einzelner Baumindividuen ein. Dafür eignen sich kleinflächige Nutzungen, die den natürlicherweise entstehenden Lücken in einem sich selbst überlassenen Wald ähnlich sind. Hiebarten wie Femel- oder Plenterhiebe sind geeignet, um solche Lücken zu schaffen.
Werden nach einem Holzschlag besonders in diesen Lücken der Schlagabraum und auch qualitativ minderwertige Baumteile grösserer Durchmesser liegen gelassen, entstehen wertvolle Lebensräume für viele holzbewohnende Arten. Um auch Strukturen an lebenden Bäumen zu fördern, kann für einen Bestand eine Art Altbaumkonzept ausgearbeitet werden. Das Bundesamt für Umwelt und die Vogelwarte Sempach empfehlen zwischen fünf und zehn alte Bäume pro Hektare, die langfristig oder für immer stehen bleiben. Von solchen Massnahmen profitieren nicht nur holzbewohnende Insekten, sondern auch andere auf totes Holz angewiesene Arten von Vögeln, Säugetieren, Pilzen, Flechten und Moosen.