In der Schweiz sind rund 5000 Grosspilzarten nachgewiesen. Fast drei Viertel davon leben im Wald. Von diesen sind knapp die Hälfte (1550) Mykorrhizapilze, das heisst, sie leben mit Waldbäumen in einer Symbiose (Abb.1).
Mykorrhizapilze unterstützen die Pflanze bei der Aufnahme von Wasser und Mineralstoffen aus dem Boden, was besonders auf nährstoffarmen Böden oder bei Trockenstress von grosser Bedeutung ist. Zusätzlich können Mykorrhizapilze verschiedene Bäume unterirdisch miteinander vernetzen, was den Austausch von Kohlenstoff, Wasser und Nährstoffen zwischen Bäumen ermöglicht. Mykorrhizapilze schützen die Feinwurzeln vor pathogenen Krankheitserregern und vermögen gewisse Schadstoffe auszufiltern. Sie sind ihrerseits auf die höheren Pflanzen angewiesen, indem sie von Ihnen lebensnotwendige Kohlehydrate beziehen, die sie als Kohlenstoff-heterotrophe Organismen nicht selbst produzieren können. Viele Mykorrhizapilze sind artspezifisch und leben nur mit ganz bestimmten Baumarten in Symbiose.
Unter den Waldpilzen gibt es zahlreiche wertvolle Speisepilze, die nicht nur von uns Menschen geschätzt und gesammelt werden, sondern auch für Wildtiere eine wichtige Nahrungsquelle darstellen.
Pilzinventare müssen langfristig angelegt sein
Im Jahre 1975 wurde das Pilzreservat "La Chanéaz" in der Gemeinde Montagny (FR) begründet, um die Frage des Einflusses des Pilzsammelns auf die Pilzflora zu untersuchen. Die eidgenössische Forschungsanstalt WSL inventarisierte von 1975 bis 2006 auf fünf 300 m2 grossen Dauerbeobachtungsflächen in wöchentlichen Begehungen von Mai bis November alle Pilzfruchtkörper der Makromyceten (Pilzarten mit Fruchtkörpern grösser als 1 cm Durchmesser). Um Doppelzählungen zu vermeiden, wurden alle registrierten Pilze mit einem blauen Farbstoff markiert. Die resultierende Datenreihe ist heute weltweit einmalig. Nirgendwo wurde bisher die Pilzflora über einen so langen Zeitraum in einer so hohen zeitlichen und räumlichen Auflösung inventarisiert.
Erhebungen von Pilzfruchtkörpern sind aufwendig. Pilze zeigen ihre Fruchtkörper nur während eines relativ kurzen Zeitabschnitts im Jahr und sind oft nur mit mikroskopischen Untersuchungen zu bestimmen. Zudem bilden viele Arten nicht jedes Jahr Fruchtkörper. Von den insgesamt 418 inventarisiertenArten haben nur gerade vier Arten jedes Jahr fruktifiziert,106 Arten wurden nur in einem einzigen Jahr gefunden (Abb. 2). Es sind folglich Untersuchungszeiträume über viele Jahre notwendig, wenn man sich ein vollständiges Bild über die Zusammensetzung der Pilzflora machen will. Retrospektiv kann man aus der Datenreihe herauslesen, dass bei einer angenommenen Untersuchungsdauer von 16 Jahren im Durchschnitt dreiviertel der Arten erfasst worden wären, nach sechs Jahren lediglich die Hälfte. Bei einer Untersuchungsdauer von einem Jahr hätte man nur ein Viertel erfasst, im pilzreichsten Jahr 2001 immerhin fast 50 %, im schlechtesten Jahr 1989 jedoch nur knapp 5 % (Abb. 3).
Abb. 2 - Erscheinungshäufigkeit der 418 Pilzarten im Pilzreservat La Chanéaz von 1975 bis 2006: 106 Arten bildeten nur in einem einzigen Jahr Fruchtkörper, 4 Arten wurden in jedem der 32 Jahre gefunden.
Abb. 3 - Prozentualer Anteil der erfassten Arten in Abhängigkeit der Untersuchungsdauer (Anzahl aufeinander- folgender Jahre) am Beispiel der 32jährigen Datenreihe aus dem Pilzreservat La Chanéaz. Die dicke Linie zeigt die durchschnittliche Anzahl erfasster Arten, die untere Linie den tiefsten, die obere den höchsten Wert.
Anteil der Mykorrhizapilze nimmt ab
In den 1980er Jahren wurde an verschiedenen Orten beobachtet, dass Mykorrhizapilze in Abundanz und Artenvielfalt abnahmen, währenddem Sabrobe zunahmen. Wir haben unsere langfristige Datenreihe auf eine mögliche Verschiebung des Anteils der Mykorrhizapilze überprüft und stellen auch hier eine markante Veränderung fest: der Anteil an Fruchtkörpern von Mykorrhizapilzen hat sich zwischen 1975 und 2006 fast halbiert, er ist von knapp 80 % auf rund 40 % zurückgegangen. Der Anteil an Arten ist ebenfalls zurückgegangen von knapp 75 % auf rund 60 % (Abb. 4). Ist dieser Rückgang ein Vorbote für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Wälder im Pilzreservat La Chanéaz?
Abb. 4 - Anteil der Mykorrhizapilze (%) im Pilzreservat La Chanéaz von 1975 bis 2006.
Mögliche Gründe für einen Rückgang der Mykorrhizapilze
- Stickstoff
Man weiss heute, dass Mykorrhizapilze sehr sensibel auf Umweltveränderungen reagieren, ganz besonders auf erhöhte Stickstoffkonzentrationen im Boden. In Düngungsversuchen konnte ein negativer Effekt experimentell reproduziert werden. Die meisten Pilze kehren aber zurück, sobald die Stickstoffeinträge wieder auf ein "normales Mass" zurückgehen. - Physiologie des Baumes
Auf leergefegten Sturmschadenflächen oder nach Kahlschlägem findet man in den nachfolgenden Jahren keine Fruchtkörper von Mykorrhizapilzen mehr. Der Grund ist, dass die Pilze nicht mehr von den baumeigenen Kohlenhydraten versorgt werden. Die Pilzmycelien im Boden können hingegen ohne Bäume noch einige Zeit weiter leben, ohne Fruchtkörper zu bilden.
Pilze sind als heterotrophe Organismen davon abhängig, ob und wie viel Kohlenstoff in für sie nutzbarer Form zur Verfügung steht.Interessant ist, dass während des Baumwachstums eine Sukzession der Mykorrhizapilzarten stattfindet: Sämlinge werden von anderen Pilzarten besiedelt als Altbäume. Auch legen verschiedene Forschungsresultate nahe, dass ein Zusammenhang zwischen Baumwachstum und Pilzwachstum besteht. Tatsache ist, dass die Hauptfruktifikation der meisten Pilze im Spätsommer liegt, also in einer Zeit, in welcher der Baum sein Wachstum weitgehend abgeschlossen hat und der Eigenbedarf an Kohlenhydraten sinkt. Die produzierten Kohlenhydrate stehen dann also vermehrt den Mykorrhizapilzen zur Verfügung.
Gute und schlechte Pilzjahre
Die Langzeituntersuchung über den Einfluss des Pilzsammelns hat gezeigt, dass das Pilzsammeln die Pilzflora nicht signifikant beeinflusst. Sie hat aber aufgezeigt, dass die Fruchtkörpermengen von Jahr zu Jahr stark schwanken. Im Jahr 1989 wurden auf den insgesamt 1500 m2 lediglich 182 Fruchtkörper gezählt. Das Maximum datiert aus dem Jahr 1993 mit 9800 Fruchtkörpern. Im Mittel waren es 3600 Fruchtkörper pro Jahr. Man spricht in diesem Zusammenhang von guten und schlechten Pilzjahren.
In Pilzsammlerkreisen wird das Wetter als hauptverantwortlicher Faktor für das Pilzvorkommen betrachtet. Nach Niederschlägen und bei nicht zu kalten Temperaturen werden nach Meinung von Pilzsammlern am meisten Pilze erwartet. Doch immer wieder wird man überrascht und die Prognosen werden nicht erfüllt.
Das klimatisch aussergewöhnliche Jahr 2003 zeigt, dass Pilze sehr widerstandsfähig zu sein scheinen gegenüber langen Trockenperioden. Im Sommer blieben in weiten Teilen der Schweiz die Körbe der Pilzsammler leer und man erwartete allgemein einen Totalausfall der Pilzernte. Doch mit den Niederschlägen Ende Oktober wurde 2003 ganz unerwartet zu einem durchschnittlich guten Pilzjahr. Pilzmycelien können offenbar längere Trockenperioden im Boden unbeschadet überdauern. Forschungen haben gezeigt, dass nicht nur Trockenheit die Fruchtkörperbildung reduziert, sondern dass klimatische Bedingungen die Pilzflora offenbar auch langfristig beeinflussen können.
Die Zusammenhänge zwischen Wetter und Pilzfruchtkörperbildung sind jedoch nicht ganz so trivial wie es auf den ersten Blick scheint. Temperatur und Niederschläge sind zwar wichtige Faktoren für das Pilzwachstum, doch kann damit allein das Fruchtkörpervorkommen nicht erklärt werden. Die Frage, warum zu bestimmten Zeiten an gewissen Standorten mehr Pilze wachsen als an anderen und warum es gute und schlechte Pilzjahre gibt, ist also bis heute noch nicht geklärt.
Ist ein Wald ohne Pilze möglich?
Der festgestellte Rückgang der Mykorrhizapilze ist eine ernst zu nehmende Erscheinung. Auch wenn die Artenanzahl der Mykorrhizapilze in unseren Wäldern hoch ist, ist jeder Verlust an Vielfalt nachteilig. Fest steht, dass wir heute mit verschiedenen Gefährdungspotentialen rechnen müssen, welche zu Veränderungen in der Diversität der Pilzflora führen können, von Eutrophierung über Habitatsverlust bis zu Klimawandel.
Die Datenreihe aus dem Pilzreservat La Chanéaz macht deutlich, dass bei Pilzen lange Untersuchungszeiträume notwendig sind. Das Pilzsammelexperiment schaut auf 32 Jahre zurück und die Auswertung hat gezeigt, dass bei Pilzen nur lange Untersuchungszeiträume zu schlüssigen Resultaten führen können. Langzeituntersuchungen führen oft auch zu unerwarteten, ungeplanten Resultaten, deren Bedeutung erst retrospektiv, nach Abschluss der Zeitreihen, erkennbar werden.
Zu Waldpilzen ist unbedingt Sorge zu tragen, wenn man sich die vielfältigen Funktionen dieser Pilze vor Augen führt. Unzählige Gewächshausexperimente beweisen, dass Pflanzen mit Mykorrhizapilzen besser wachsen und stresstoleranter sind als Pflanzen ohne Pilzpartner. Die Frage, ob ein Wald ohne Mykorrhizapilze auskommen würde, können wir bis heute aus methodischen Gründen nicht beantworten. Hierzu wären Experimente nötig, in welchen die Mykorrhizapilze selektiv eliminiert werden. Solche Versuche sind bisher erfolglos geblieben.
Neben der Bedeutung für die Ernährung und Gesundheit der Waldbäume stellen Waldpilze eine interessante Nichtholz-Ressource des Waldes dar, welche einer breiten Bevölkerung als wichtige Freizeitbeschäftigung dient. Ein nachhaltig genutzter Wald mit einer grossen Baumartenvielfalt ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Erhalt einer hohen Vielfalt an Waldpilzen. Und eine hohe Diversität an Mykorrhizapilzen ist eine Voraussetzung für einen gesunden Wald. Ganz nach dem Motto: ohne Wald keine Pilze – ohne Pilze kein Wald.
Abb. 5 - Der Wieseltäubling (Russula mustelina) ist ein Mykorrhizapilz, der gemäss Untersuchungen nur in gesunden Fichtenwäldern wächst. Foto: J.K. Lindsay