Flechten sind eine Lebensgemeinschaft aus einem oder mehreren Pilzen und einem oder mehreren Photosynthesepartnern, also einer Grünalge und/oder einem Cyanobakterium. Der Pilzpartner bestimmt weitgehend das Aussehen der Flechten, also deren Wuchsform und Farbe. Er kontrolliert zwar die Vermehrung und den Wuchsort des Photosynthesepartners im Flechtenkörper, schützt diesen aber auch vor Austrocknung, Fressfeinden und UV-Strahlung, indem er ihn mit seinem Hyphengeflecht umschliesst. Der Pilz profitiert wiederum von den Assimilaten des Photosynthesepartners, also von Zuckeralkoholen oder – im Falle von Cyanobakterien – von Glucose und Stickstoffverbindungen.
Weltweit gibt es nach Schätzungen etwa 25'000 Flechtenarten, in der Schweiz sind es rund 2000. Sie sind praktisch in allen terrestrischen und einigen aquatischen Habitaten zu finden und besiedeln dort verschiedene konkurrenzarme Substrate wie die Borke oder Blätter von Bäumen und Sträuchern, Totholz, Gestein und Boden in lückigen Vegetationstypen. Viele Arten haben jedoch eine enge Bindung an Habitat oder Substrat.
Man unterscheidet bei Flechten drei verschiedene Wuchsformen:
Krustenflechten sind eng mit dem Substrat verbunden, auf dem sie wachsen oder wachsen teilweise oder sogar ganz im Substrat.
Foto: Jerzy Opioła, Wikimedia, Creative Commons
Blattflechten haben einen blattartigen Wuchs mit "lappigen" Rändern. Sie liegen dem Substrat eher locker auf. Foto: Thomas Reich (WSL)
Strauchflechten sind meist mehrfach verzweigt und wachsen entweder aufrecht oder hängend am Substrat. Zu dieser Gruppe gehören auch die sogenannten Bartflechten, die man in der Schweiz häufig an Stämmen und Ästen von Nadelbäumen in höheren Lagen entdecken kann. Foto: Ulrich Wasem (WSL)
Flechten dienen nicht nur einer Vielzahl von Tieren als Nahrung oder Versteck, sie werden auch auf vielfältige Art und Weise vom Menschen genutzt: als Nahrungsmittel in Notzeiten oder Delikatesse, Kranzschmuck, Baummodelle in Miniatureisenbahnlandschaften oder Architekturmodellen oder als Zeigerorganismen für die Luftgüte. Aufgrund der über 600 bekannten sekundären Flechteninhaltstoffe werden Flechten ausserdem zur Herstellung von Medikamenten, Farbstoffen und Parfums genutzt.
Die Elchgeweihflechte (Pseudevernia furfuracea), die auch unter dem Namen Baummoos oder Gabelflechte bekannt ist, zählt zu der Gruppe der Strauchflechten. Ihr Photosynthesepartner ist eine einzellige, kugelförmige Grünalge. An ihren leicht rinnigen, oberseits hellgrau und unterseits schwarz gefärbten Ästen wachsen korallenartige Auswüchse, die sogenannten Isidien, die vegetative Ausbreitungsorgane darstellen. Sie ist weltweit in kühl gemässigten bis subtropischen Regionen verbreitet und besiedelt vorwiegend Gehölze mit saurer Borke oder wächst an Ästen abgestorbener Bäume. Sie ist die häufigste baumbewohnende Strauchflechte der Schweiz (Swisslichens, Stand November 2018).
Wegen ihrer in der Gesamtheit herb duftenden Inhaltstoffe wurde die Art bis vor kurzem zusammen mit weiteren Flechtenarten wie dem Eichenmoos (Evernia prunastri) zur Herstellung von Parfums genutzt. Alleine in Frankreich waren es 1997 insgesamt etwa 1900 Tonnen Flechtentrockenmasse. Heutzutage verwendet man allerdings in der Parfumindustrie ausschliesslich synthetisch hergestellte Substanzen, da die Inhaltstoffe der Elchgeweihflechte und des Eichenmoos als stark allergen eingestuft werden und Ekzeme auslösen können.
Die Elchgeweihflechte hat einen strauchförmigen Wuchs mit leicht rinnigen Ästen und korallenartigen Auswüchsen. Foto: Christoph Scheidegger (WSL)
Auf den ersten Blick ähnliche Strauchflechtenarten
Eichenmoos (Evernia prunastri)
Das Eichenmoos wächst häufig zusammen mit der Elchgeweihflechte, kommt aber auch oft an Laubbäumen vor. Sie hat aber oberseits hellgrüne und unterseits weisse Äste und keine Isidien. Vegetativ vermehrt sich die Art über sogenannte Soredien, winzige Körnchen, die wie Kolonien von Staub auf den Ästen erscheinen. Foto: Christoph Scheidegger (WSL)
Astflechten (Ramalina-Arten)
Zahlreiche Strauchflechtenarten aus der Gattung Ramalina wachsen ebenfalls epiphytisch, also auf der Borke von Bäumen und Sträuchern, meist jedoch auf Laubgehölzen. Die ästigen Thallusabschnitte von Arten aus dieser Gattung sind beiderseits grünlich. Foto: Christoph Scheidegger (WSL)
Gebänderte Blasenflechte (Hypogymnia vittata)
Arten aus der Gattung der Blasenflechten sind ebenfalls oberseits hellgrau und unterseits schwarz. Der Name Blasenflechte bezieht sich auf die hohlen Thalluslappen oder -äste. Die meisten Blasenflechtenarten zählen zu den Blattflechten. Die Gebänderte Blasenflechte (Hypogymnia vittata) hat jedoch sehr schmale Thalluslappen, die an eine Strauchflechte erinnern. Im Vergleich zur Elchgeweihflechte ist die Art seltener, teilt sich aber mit ihr in hochmontanen bis subalpinen Lagen hin und wieder den Trägerbaum. Die Gebänderte Blasenflechte wächst jedoch eher dem Substrat anliegend bis aufsteigend. Foto: Jason Hollinger, Wikimedia, Creative Commons