Defizite durch menschliche Eingriffe
Zwar weisen Fließgewässer im Wald in der Regel einen sehr guten chemischen Zustand auf. Der ökologische Zustand ist jedoch häufig durch menschliche Eingriffe beeinträchtigt: Waldbäche werden zerschnitten, begradigt, mit Rohren versehen oder von standortfremden Baumarten gesäumt. Diese anthropogenen Veränderungen wirken sich auf die Lebensgemeinschaften in und an Waldbächen aus.
Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und das Wassergesetz Baden-Württemberg (WG-BW) definieren Standards für die Struktur und Durchgängigkeit, um Gewässer im Wald wieder in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen und langfristig zu erhalten.

Abb. 1. Durch menschliche Eingriffe veränderte Struktur der Fließgewässer. Foto: Lisa Anhäuser (FVA BW)
Hindernisse für Lebewesen
Rund ein Drittel der Fläche Baden-Württembergs ist bewaldet. Diese Wälder sind durchzogen von Fließgewässern. Ein verzweigtes Netz aus Quellbächen und Kleingewässern sammelt die Niederschläge aus den Waldflächen bevor sie in die Talgewässer des Offenlandes münden. Mit einer Länge von insgesamt 50.000 Kilometern stellen sie ungefähr 36 % der gesamten Fließgewässerstrecke Baden-Württembergs dar.
Neben der hohen Dichte an Fließgewässern ist der Wald durch ein engmaschiges Wegenetz erschlossen. Kreuzt ein Fließgewässer einen Forstweg, wird das Wasser in der Regel durch Betonrohre unter dem Weg hindurchgeführt (Abb. 2). Häufig unterbricht diese Baumaßnahme die Durchgängigkeit des Gewässers und damit sowohl die Wandermöglichkeit wassergebundener Organismen als auch den Sedimenttransport (Abb. 4).
Am Auslauf der Rohre bildet sich häufig ein Absturz. Ist dieser höher als zehn Zentimeter, können ihn viele Lebewesen stromaufwärts nicht mehr überwinden (Abb. 2 und 3). Für Fische wie die Groppe (Cottus gobio) stellt dies eine Wanderbarriere dar. Zudem fehlt in den Verrohrungen meist ein natürliches Sohlsubstrat, das für die Aufwärtswanderung des Makrozoobenthos (Lebensgemeinschaft im Bachbett) notwendig ist. Durch diese Barrieren werden die jahreszeitlichen, entwicklungs- und umweltbedingten Wanderungen sowie die Wiederbesiedlung erheblich beeinträchtigt.
Mangel an Refugien
Studien haben gezeigt, dass sich solche Fragmentierungen aufgrund der räumlichen Trennung auch negativ auf Fischpopulationen auswirken können. Die Populationen verarmen sowohl genetisch als auch zahlenmäßig. Dies kann schließlich zum Verlust von Arten in ganzen Gewässerabschnitten führen.
Der Klimawandel verschärft dieses Problem: Die bewaldeten Oberläufe werden in Hitzesommern als kühlende Rückzugsgebiete für Fischpopulationen immer wichtiger. Die Durchgängigkeit von Fließgewässern ist daher eine notwendige Anpassung an den Klimawandel.
In einer Untersuchung der FVA wurden insgesamt 115 Wanderungshindernisse an Waldbächen in unterschiedlichen Forstrevieren Baden-Württembergs erfasst. Sie kommt zum Ergebnis, dass sich im Durchschnitt 2,7 Querverbauungen pro Kilometer Lauflänge befinden. Beispielhaft ist das Neuhäuserbächle im Schwarzwald (Abb. 5).

Abb. 5. Durchgängigkeit des Neuhäuserbächles im Schwarzwald. Grafik: FVA BW
Durchgängigkeit erhöhen
Dolen und Rohre unter Forstwegen stellen die häufigsten Unterbrechungen der Durchgängigkeit von Fließgewässern im Wald dar. Aufgrund des Gefälles am Rohrauslauf, der hohen Fließgeschwindigkeit im Rohr und der glatten Rohrwand bieten sie wandernden Tieren keine Möglichkeit, flussaufwärts zu gelangen (Abb. 6).
- Fließgeschwindigkeit:
Die Fließgeschwindigkeit im Rohr wird vom Gefälle und von der lichten Breite im Vergleich zur Sohlbreite bestimmt. Die meisten Fischarten und Jungtiere können schon bei einer Fließgeschwindigkeit über 0,5 m/s pro Sekunde nicht mehr aufsteigen. - Absturz am Rohrausgang (eine Art Wasserfall):
Eine Absturzhöhe von mehr als 10 cm ist für Groppen und Makrozoobenthos unpassierbar. - Bachsohle (Gewässergrund):
Ohne durchgehende Bachsohle ist die Aufwärtswanderung von Gewässerorganismen des Makrozoobenthos, die sich durch das Lückensystem bewegen, stark beeinträchtigt.
Richtig eingebaut, ausreichend dimensioniert und zu einem Drittel in die Gewässersohle eingelassen, sind Verrohrungen in beide Richtungen durchgängig: stromaufwärts für wandernde Organismen und stromabwärts kann das mitgeführte Geschiebe durch die Rohre transportiert werden (Abb. 8 und Abb. 9).
Handlungsempfehlungen
- Verrohrte Strecken so kurz wie möglich halten, Rohre mit mehr als 20 m Länge sind gewässerökologisch unverträglich
- Verbaute Rohre sollten eine lichte Breite von mindestens 80 cm aufweisen
- Das Verhältnis lichte Breite zu Länge sollte 1:10 nicht unterschreiten
- Das Gefälle des Rohres sollte dem Gefälle des Bachlaufs entsprechen
- Eine durchgängige Bachsohle gewährleisten, indem Rohre zu einem Drittel in der Bachsohle verbaut werden
- U-Profile statt Rohre verwenden, hier bleibt die Bachsohle erhalten
- Im Idealfall Uferstreifen anlegen, die auch am Ufer wandernden Tierarten eine Durchquerung ermöglichen. Hierfür können Wellstahlrohre verbaut werden.
Beispiele
Am Krunkelbach im Hochschwarzwald wurde ein nicht durchgängiges Betonrohr (Abb. 7) durch eine Brücke mit U-Profil ersetzt (Abb. 8). Die zuständige Untere Wasserbehörde definierte die Maßnahme als Gewässerausbau (Rechtliche Grundlagen und Zuständigkeiten). Grund war eine wesentliche Veränderung der Anlagen, die nicht genehmigungsfrei durchgeführt werden konnte.
Weitere Beispiele finden Sie im Artikel "Projekte an Fließgewässern nach der Wasserrahmenrichtlinie".
Forstwege verträglich anlegen

Abb. 11. Forstweg entlang eine Waldbachs. Foto/Grafik: Lisa Anhäuser (FVA BW)
Forstwege, Gräben und Rückegassen sind notwendige Infrastruktur für die Waldbewirtschaftung. Zudem erschließen sie den Wald für erholungssuchende Menschen. Führen Wege aber zu eng an einem Fließgewässer entlang, engen sie dessen Lauf ein, begradigen ihn und vermindern dadurch die natürliche Gewässerdynamik. Sie wirken als Barriere für den natürlichen Wasserzufluss und nehmen einer potenziellen Aue den Raum.
Wege und Seitengräben beschleunigen den Oberflächenabfluss und entwässern die Waldflächen, was sowohl Austrocknung als auch Hochwasser begünstigt. Verlaufen Forstwege horizontal zum Hang, wirken sie wie Dämme und können die natürlichen Abflussverhältnisse verändern. Dies gilt insbesondere, wenn Quellen und kleinere Zuflüsse in die Seitengräben entwässern.
Eine höhere Strömungsgeschwindigkeit und ein beschleunigter Abfluss wirken sich negativ auf die Arten in den Fließgewässern aus. Natürlich gewundene Waldbäche haben eine höhere Strukturvielfalt und sind mit dem Auenbereich verbunden, was förderlich für die Artenvielfalt ist. Überdies können sie durch ihr freies Mäandrieren mehr Wasser führen und dazu beitragen, Hochwasserschäden im Unterlauf zu vermeiden.
Handlungsempfehlungen

Abb. 12. Abstand zum Fließgewässer.

Abb. 13. Querabschläge an Gräben

Abb. 14. Sedimentationsräume

Abb. 15. Anlegen von Raubäumen, um Gewässerstrukturen aufzuwerten, Ufer zu befestigen und Uferbestockung zu verjüngen, Fotos: Urs Fischer
- Abstand zum Fließgewässer
Bei Neuanlage oder -gestaltung des Wegenetzes sollte genügend Abstand zwischen Weg und Fließgewässer eingehalten werden (Abb. 12), damit Platz für die natürliche Gewässerdynamik ist. Bei kleineren Fließgewässern im Wald kann man als groben Anhaltspunkt für die Entfernung den gesetzlich festgelegten Gewässerrandstreifen von 10 m (§ 9 Abs. 1 WG) oder noch besser eine Baumlänge annehmen (etwa 30 m). - Querabschläge an Gräben
Durch Querabschläge auf Forstwegen (Abb. 13) kann überschüssiges Niederschlagswasser über die Seitengräben in die Waldbestände abgeleitet werden. Dies trägt zum klimawandelangepassten Wasserhaushalt der Wälder bei (Wasserretention). - Sedimentationsräume
Im Zuge von Wegebau- und Instandsetzungsmaßnahmen besteht die Möglichkeit Kleingewässer und Tümpelgruben entlang der Forstwege anzulegen. Diese dienen als Sedimentationsräume (Abb. 14), um den Bodeneintrag in Fließgewässer zu reduzieren. Zusätzlich sind gerade periodisch austrocknende Tümpel und Pfützen, die kaskadenartig angelegt werden können, naturschutzfachlich wertvolle Laichgewässer für Amphibien (z. B. Gelbbauchunke). - Rückbau von Längsverbauungen
Künstliche Uferbefestigungen schränken die Strukturvielfalt des Fließgewässers ein und sollten möglichst rückgebaut werden. Zur Uferbefestigung sind ingenieurbiologische Methoden wie Weidenflechtwerke und -spreitlagen, Faschinenwalzen oder Stangenverbau geeignet. Auch Raubäume mit hohem Verzweigungsgrad (bevorzugt Nadelholz) beziehungsweise Raubaumketten (Abb. 15) können in Uferbereichen gefällt und eingebracht werden. Bachbegleitende Bäume wie zum Beispiel Erlen können auf den Stock gesetzt, also radikal zurückgeschnitten werden, so dass sie wieder austreiben können.
Gewässersohle als Lebensraum erhalten

Abb. 16. Bachsohle mit Lückensystem nach Rückbau des Sohlverbaus. Foto: Veronika Wenz (FVA BW)
Ist das Bachbett verbaut, fehlt das feine Lückensystem der natürlichen Gewässersohle. Kleinlebewesen finden auf dem glatten Verbau keinen Halt und Schutz, die Wanderung stromaufwärts ist gestört.
Für den komplexen Lebensraum Bachsohle gibt es keinen Ersatzlebensraum, auf den die Tiere ausweichen könnten. Die Sohlverbauung wirkt als Barriere. Zudem ist durch die versiegelte Sohle die Verbindung zum Grundwasser unterbrochen. Dort lebende Wassertiere können nicht in das Gewässerbett ein- und auswandern. Nach Möglichkeit sollte eine Sohlverbauung rückgängig gemacht und eine Bachsohle mit Lückensystem etabliert werden (Abb. 16).
Bachbegleitende Waldbestände pflegen
Bäume, die im Umfeld von Fließgewässern wachsen, haben Einfluss auf diese.
Nicht standortheimische Fichtenreinbestände
Nicht standortheimische Fichtenreinbestände (Picea abies) können sich negativ auf die Ökosystemfaktoren in Bächen und Auen auswirken:
- Nahrungskette (Nadelstreu statt Laubstreu)
Nadelstreu beeinträchtigt die gesamte Nahrungskette im Bach, weil sie für viele Zerkleinerer schlechter aufzuschließen ist. Dadurch steht bereits am Anfang der Nahrungskette weniger Material für andere Ernährungstypen zur Verfügung. - Versauerung
Viele Organismen in Fließgewässern reagieren empfindlich auf den pH-Wert. Nadelstreu kann den pH-Wert im Gewässer senken. Außerdem kann saures Wasser bestimmte Gesteine zersetzen. Besonders empfindlich ist zum Beispiel Buntsandstein, der vor allem in Mittelgebirgen wie Schwarzwald und Odenwald vorkommt. - Lichtmangel im Winter
Nadelbäume beschatten das Gewässer ganzjährig. Fällt zu wenig Licht in den freien Wasserkörper, wird die Primärproduktion photosynthetisch aktiver Algen und Pflanzen beeinträchtigt. Dies wirkt sich auf die gesamte Nahrungskette aus. - Licht (Kompensationsflüge)
Organismen wie die Eintagsfliege leben als Larve in Fließgewässern und werden mit der Strömung verdriftet. Als Anpassung an die Abwärtsdrift und die Verlagerung des Lebensraumes führen sie im Adultstadium einen Kompensationsflug flussaufwärts durch. Lichtmangel in dichten Fichtenreinbeständen kann diesen Kompensationsflug beeinträchtigen und so als Ausbreitungshindernis wirken.
Standortheimische Ufergehölze
Standortheimische Ufergehölze erfüllen eine Vielzahl ökologischer Funktionen für das Fließgewässer. Sie sollten in den Uferbereichen deshalb besonders gefördert werden.
- Beschattung im Sommer
Die Beschattung durch Laubbäume im Sommer reduziert die Temperaturschwankungen des Wassers im Jahresverlauf und erhöht die Sauerstoffkonzentration. Insbesondere rheophile (strömungsliebende) Arten sind auf kühles und sauerstoffreiches Wasser angewiesen. Außerdem dient die Laubstreu im Wasser als Nahrungsgrundlage für das Makrozoobenthos, das erste Glied in der Nahrungskette. - Erosionsschutz
Tiefwurzelnde Baumarten wie die Esche schützen vor Erosion und wirken sich positiv auf den Wasserrückhalt aus.
Handlungsempfehlungen
Management nicht standortheimischer Arten
Im Sinne der Gewässerökologie sollten Fichtenreinbestände im Uferbereich nach und nach entnommen werden. Die negativen Auswirkungen von ufernahen Fichtenreinbeständen sind vor allem an kleineren Fließgewässern mit einer Sohlbreite von bis zu fünf Metern groß. Ein mittelfristiger Umbau der Bestände in Laubwald wird daher empfohlen.
Bei der Entfernung von ufernahen Bäumen sind größere Kahlhiebe zu vermeiden, da sie sich negativ auf die Gewässerfauna und die Bodeneigenschaften auswirken. Sie können das unerwünschte Wachstum von Neophyten, menschlich eingebrachte standortfremde Pflanzen, fördern. Sonneneinstrahlung erwärmt das Gewässer und verringert den Sauerstoffgehalt im Wasser. Auf den offenen Flächen bilden sich Hochstaudenfluren, die das Aussamen standortgerechter Baumarten wie der Esche verlangsamen. Zudem kann es zur Erosion des Oberbodens und damit zu Nährstoffeinträgen in die Gewässer kommen. Markante Einzelbäume können durchaus belassen werden.
Förderung standortheimischer Arten
Zur Förderung standortheimischer Baumarten kann zusätzlich zur Naturverjüngung aktiv gepflanzt werden. Beispielsweise hat die Erle auf natürliche Weise oft keine Chance gegen die aufkommende Fichte. Daher kann es sinnvoll sein, die Naturverjüngung unerwünschter Baumarten zu unterdrücken. Dies beschleunigt die Entwicklung einer naturraumtypischen Vegetationszusammensetzung im gewässernahen Bereich und in der Aue.
Der Baumbewuchs in Ufernähe kann in zwei Bereiche unterteilt werden:
- Die Weichholzaue im bachnahen Mittelwasserbereich ist durch schnellwüchsige Baumarten geprägt.
- Die Hartholzaue im bachferneren Mittelwasserbereich wird nur von Spitzenhochwasser überflutet.
In Anlehnung an die potenziell natürliche Vegetation sind in Abbildung 17 geeignete Baumarten für die beiden Bereiche dargestellt.
1 Oberhalb des Mittelwasserbereichs |
- Gemeine Esche (Fraxinus excelsior) - Ulmen (Ulmus glabra und Ulmus laevis) - Stieleiche (Quercus robur) - Bergahorn (Acer pseudoplatanus) - Vogelbeere (Sorbus aucuparia) - Faulbaum (Frangula alnus) |
2 Im Mittelwasserbereich |
- Schwarz-Erle (Alnus glutinosa) - Grau-Erle (Alnus incana) - “Schmalblattweiden” - Traubenkirsche (Prunus padus) |
Totholzmanagement
Totholz ist in Fließgewässern in unterschiedlicher Form und Funktion nützlich: Einzelne große Elemente wie umgestürzte Bäume, strömungsparallele Stämme oder Ansammlungen, sogenannte Geniste und Fänger (Abb. 8), dienen als Erosionsschutz am Ufer, als Unterschlupf für Fische und Kleintiere sowie als Keimbett für Pflanzen.
Derzeit ist Totholz in Waldbächen in viel zu geringem Umfang vorhanden. Um mehr Dynamik und Strukturreichtum im Gewässer zu erreichen, kann stellenweise Totholz eingebracht oder belassen werden. Beim Einbringen ist darauf zu achten, dass die Hölzer nicht abdriften und flussabwärts zu Verklausungen an Durchlässen führen.

Abb. 18. Totholz erfüllt wichtige Funktionen im Bachlauf