Dies führte zur Idee des integrativen Biodiversitätsschutzes in Wäldern, die nicht einem strengen Schutzregime (also Segregation) unterliegen. Die Intention dahinter war nicht zuletzt, dem Ruf nach immer mehr streng geschützten und der wirtschaftlichen Nutzung entzogenen Wäldern etwas entgegenzusetzen, nämlich die nachhaltige forstliche Nutzung – bei gleichzeitiger Erhaltung der Biodiversität: Integration statt Segregation.
Ein europäisches Netzwerk
Auf Basis mehrerer Forschungsprojekte entstand schließlich eine politische Initiative – das Europäische Integrate-Netzwerk. Dieses wurde 2016 auf Initiative Deutschlands und Tschechiens unter Beteiligung Österreichs gegründet und durch eine geeignete internationale Vertragskonstruktion mit einem Multi-DonorTrust Fund als Finanzierungsinstrument institutionalisiert. Das Sekretariat wird durch das Europäische Forstinstitut (EFI) in Bonn unter der Leitung von Dr. Bernhard Wolfslehner geführt. Österreich ist in dieser forstpolitischen Initiative durch das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft (BML) in Person von Dr. Johannes Schima vertreten, die fachlichen Belange werden durch das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) koordiniert. Derzeit hält Österreich auch den Vorsitz des Netzwerks, vertreten durch Dr. Georg Frank.
Integrate-Grundlagen
Die Zielsetzungen des Netzwerks sind:
- Förderung der Biodiversität in bewirtschafteten Wäldern unter den Bedingungen des Klimawandels und den damit verbundenen Herausforderungen
- Unterstützung von forstpolitischen Prozessen und deren Umsetzung
- Verstärkung der Interaktion zwischen Forschung, Politik, Praxis und Gesellschaft
Grundidee ist, dass durch einfache Maßnahmen auf der Fläche möglicherweise mehr für die Erhaltung der Biodiversität erreicht werden kann als durch die bloße segregative Ausweisung von Schutzgebieten. Auf jeden Fall sind integrative biodiversitätserhaltende Maßnahmen oder Unterlassungen innerhalb des Rahmens der normalen Waldbewirtschaftung von entscheidender Bedeutung für den Austausch zwischen Schutzgebieten (etwa Kernzonen und Naturwaldreservaten).
Mit relativ geringem Aufwand lassen sich Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität in bewährte waldbauliche Konzepte integrieren und flächendeckende Verbesserungen erzielen. Dies ermöglicht auch eine weitere, notwendige Nutzung des europäischen Waldes. Allerdings müssen auch die waldbaulichen Methoden an diese Zielerweiterung angepasst werden.
Marteloskope als Ausbildungs- und Übungsflächen
Abb. 2: Marteloskope dienen als Übungsflächen, zum Beispiel zur Auszeige von Habitatbäumen. Foto: BFW
Marteloskope sind Demonstrationsflächen in der Größenordnung von meist 0,25 bis 1 ha. Jeder Baum ist koordinativ erfasst und im Hintergrund mit vielen Attributen versehen, darunter ertragskundliche Kennzahlen, aber auch Biodiversitätsmerkmale wie Baumhöhlen und eine ganze Reihe anderer Baummerkmale. Marteloskope dienen als Übungsflächen. Je nach Fragestellung kann der Nutzer oder die Nutzerin am Tablet verschiedene Arten der Auszeige vornehmen – von rein ertragskundlich orientiert bis wertzuwachsorientiert oder bis zur größtmöglichen Anzahl an Habitatbäumen. Eine spezielle Software und angepasste Schulungsprogramme hierfür werden laufend verbessert und erweitert. Neue Entwicklungen geben Auskunft über den Wertzuwachs oder über die Kohlenstoffspeicherung bei unterschiedlichen Behandlungsmethoden.
Die Palette der Anwendungen reicht aber auch bis zur Nutzung durch interessierte Personen in Wäldern im Stadtbereich, bei freiem Zugang zur Software. Auf diese Weise kann auch Verständnis für unterschiedlichste Maßnahmen der Waldbewirtschaftung erzeugt werden. Derzeit betreibt das Integrate-Netzwerk 233 Marteloskope in 26 europäischen Staaten. Dabei werden unterschiedliche Waldtypen, Besitzkategorien und Behandlungsstrategien abgebildet. In Österreich wurden vom BFW drei Marteloskope im Waldcampus Traunkirchen eingerichtet, ein Marteloskop in Tirol dient der Schulung von Waldaufsehern.
Forstpolitisch denken
Auch forstpolitisch kann dem Integrate-Konzept zunehmende Bedeutung zukommen. Angesichts einer Vielzahl waldrelevanter Politiken in jüngster Zeit mit verstärkten Naturschutzzielen sind proaktive Ansätze für die Waldbewirtschaftung wichtig. Damit soll auch politisch demonstriert werden, dass Waldbewirtschaftung und Biodiversitätsschutz keinen Widerspruch bilden. Integrate verfolgt den Ansatz, Forstpolitik mit konkreten Umsetzungsstrategien zu verbinden. Unter anderem soll das 2024 gestartete EU-Projekt Transformit komplementär dazu beitragen, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse für die praktische Umsetzung und transnationale Kooperation nutzbar zu machen.
Strategien auf den Waldboden bringen
Abb. 3: Ein angelegter Tümpel neben einer Forststraße fördert die Biodiversität. Foto: BFW
Die bedeutendsten Konferenzen zur Erhaltung der Biodiversität nützen nichts, wenn die Ergebnisse nicht auf den Waldboden gebracht werden. Und das kann nur durch die Waldbewirtschafter:innen selbst geschehen. Biodiversität ist kein Produkt, sondern die Voraussetzung für nachhaltig funktionierende und resiliente Waldökosysteme. Neben der Nutzung der Marteloskope pflegt das Integrate-Netzwerk daher einen regen Austausch zwischen Wissenschaftler:innen, Entscheidungsträgern und Praktiker:innen.
Auf den Dialog mit Praktikern und die Aufzeigung von gelungenen Initiativen wird größter Wert gelegt. Es gibt neue Konzepte, um Waldbesitzer für die Biodiversität im Wald zu begeistern und den Gedanken des integrativen Biodiversitätsschutzes in ihrer täglichen Arbeit umzusetzen. Ein Beispiel ist das österreichische Projekt „Wir schau‘n auf unsere Wälder“, das wir auch entsprechend ins Licht rücken wollen. Das jährliche Treffen aller Mitgliedstaaten wird im Herbst 2024 in Österreich stattfinden, unter besonderer Berücksichtigung der heimischen Besitzstruktur, die sich durch den hohen Privatwaldanteil von anderen Staaten unterscheidet.