Die biologische Vielfalt gewährleistet zahlreiche Ökosystemleistungen, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft essenziell sind. Agronomische und industrielle Entwicklungen haben der Biodiversität in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten deutlich zugesetzt, aber es gibt auch zahlreiche staatliche und private Initiativen, die diesem negativen Trend entgegenwirken – und das mit Erfolg. Durch dieses Vorgehen soll die Qualität und Quantität der Lebensräume für die Arten verbessert werden.
Biodiversitäts-Monitoringprogramme in der Schweiz
Die Schweiz verfügt seit mehr als zwei Jahrzehnten über qualitativ hochwertige Biodiversitäts-Monitoringprogramme (s. Abb. 2), durchgeführt und finanziert von verschiedenen Institutionen. Die Programme wurden mit unterschiedlichen Zielen und für verschiedene räumliche Ebenen geschaffen und erheben Daten zu einer Vielzahl von Aspekten der Biodiversität. Sie ergänzen sich gegenseitig.
Damit aber auch ein Gesamtbild zum Zustand und zur Entwicklung der Biodiversität sichtbar wird, müssen diese Ergebnisse zusammengeführt werden. Die Programme nutzen zum Teil heute schon Synergien. In gewissen Programmen erhobenen Daten werden auch für die Indikatoren anderer Programme verwendet (so z.B. Daten des MHB für das BDM und ALL-EMA; s. Abb. 2). Nach wie vor gibt es aber noch Lücken in der Monitoringlandschaft. Die Zusammenarbeit kann also noch optimiert werden.
Der Auftrag zur Überwachung der Biodiversität ist in internationalen Übereinkommen und im Bundesrecht festgeschrieben. In der Schweiz existieren zahlreiche Programme zur Erfassung bestimmter Biodiversitätsaspekte auf verschiedenen räumlichen Ebenen. Hier sollen kurz einige der wichtigsten und grössten Programme vorgestellt werden. Mehr dazu finden Sie auf Seite 8 und 9 im Heft "Biodiversität überwachen". Hier nur einige Beispiele:
- Biodiversitätsmonitoring Schweiz (BDM): Dauerbeobachtung der Artenvielfalt in der Schweiz für Brutvögel, Gefässpflanzen, Moose, Mollusken, Tagfalter sowie Gewässerinsekten. Aufgrund des Aufnahmedesigns v.a. Erfassung häufiger und mittelhäufiger Arten.
- BDM VS: Dauerbeobachtung der Artenvielfalt auf Arealen des Eidg. Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport für Brutvögel und Gefässpflanzen.
- Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz (WBS): Programm zur Überwachung der Biotope von nationaler Bedeutung wie Trockenwiesen, Auen, Moore etc. Dort werden je nach Biotop Amphibien, Moose oder Gefässpflanzen überwacht.
- Schweizerisches Landesforstinventar (LFI): Hier werden Zustand und Veränderungen des Schweizer Waldes anhand der Gehölzarten erfasst. Darüber hinaus werden Parameter erhoben, die Rückschlüsse auf die ökologische Qualität zulassen (Totholzvolumen, Naturnähe, Baummikrohabitate etc.).
- Rote Listen (RL): Sie zeigen den Gefährdungsgrad von Arten oder Lebensräumen und werden im Auftrag des Bundes nach den Kriterien der Weltnaturschutzunion IUCN durch die nationalen Daten- und Koordinationszentren realisiert. Derzeit existieren für die Schweiz 20 Rote Listen.
- Monitoring Brutvögel (MHB): Dauerbeobachtungen der Bestände und der Artenvielfalt der häufigen und verbreiteten Brutvögel der Schweiz.
- Kantonale Monitorings: Dauerbeobachtung der Artenvielfalt in den Kantonen Aargau, Thurgau, Graubünden und Luzern im Aufbau, in Genf und Basel-Landschaft Überwachung aller Amphibienlaichgebiete von nationaler Bedeutung. Es werden häufige und mittelhäufige Arten bei: Amphibien, Brutvögeln, Gefässpflanzen, Tagfaltern, Mollusken und Gewässerinsekten erfasst.
Beispiele weiterer Monitoringaktivitäten sind: Jagd- und Fischereistatistik von Bund und Kantonen, verschiedene Monitoringprogramme für den Wald, Pilotstudie für ein Monitoring der genetischen Vielfalt (GenDiv) u.v.m.
Schweizer Biodiversitäts-Monitoring-System
Das Monitoring der Biodiversität in der Schweiz ist ein über Jahrzehnte gewachsenes und gut durchdachtes System:
Schritt 1: Zusammentragen von Datengrundlagen für die Überwachung über längere Zeiträume (mehr als 56'000 Arten von Tieren, Pflanzen und Pilzen in mindestens 225 Lebensraumtypen). Bei den vielen Wechselwirkungen etc. Hinzu kommt noch die Wirkung der Natur auf uns Menschen. Ist es nicht möglich, die Biodiversität in einer einzigen Zahl auszudrücken. Erfassung von Daten zur Luftverschmutzung oder zum Klimawandel lassen sich mit messbaren Parametern erfassen wie Ozonbelastung, Luftbelastung oder CO2-Gealt der Atmosphäre.
Schritt 2: Verwaltung und Auswertung der Daten. Gerade die Auswertung ist finanziell oft unterdotiert.
Schritt 3: Um wirkungsvolle Massnahmen ergreifen zu können: Verstehen der Entwicklungen, Zurückführen auf mögliche Ursachen.
Schritt 4: Dialog mit anderen Sektoren wie der Land- und Waldwirtschaft oder der Siedlungsentwicklung.
Die Datenerhebung in der Schweiz ist bereits sehr breit aufgestellt, wie man in der Grafik (Abb. 2) erkennen kann. Angesichts der Komplexität ist es verständlich, dass es nach wie vor zahlreiche Lücken gibt, von denen manche gefüllt werden sollten. Dies betrifft v.a. die Insekten, die genetische Diversität und die Ökosystemfunktionen und -leistungen oder die räumliche Auflösung.
Einige Kantone haben ein kantonales Biodiversitätsmonitoring aufgebaut oder sind dabei. Von der Wissenschaft gibt es Vorschläge, wie das Schweizer Monitoringsystem weiterentwickelt und ausgebaut werden könnte. Dabei spielen neue technische Entwicklungen wie z.B. zur Erfassung der Insektenbiomasse mittels Radars oder die automatisierte Bestimmung von Fledermäusen und Vögeln (Bioakustik) eine wichtige Rolle. Aber ein wichtiger Punkt ist, dass es auch zukünftig nicht ohne Personen mit der entsprechenden Artenkenntnis funktioniert. Nachwuchsförderung ist hier unbedingt angezeigt.
Basierend auf den Monitoringdaten lassen sich nicht nur Entwicklungen aufzeigen, sondern auch Modelle und Szenarien entwickeln und damit den Blick in die Zukunft wagen, was ganz neue Massnahmen auslösen kann. Umgekehrt lassen sich auch Wirkungen von Entscheidungen oder Massnahmen unter heutigen oder veränderten gesellschaftlichen Rahmen- oder Klimabedingungen abschätzen.
Indem die verschiedenen Daten zur biologischen Vielfalt zusammengeführt und miteinander verknüpft werden, gewinnen sie an Bedeutung. Diese Strategie fördert die Nutzung der Daten und macht die verschiedenen Akteurinnen und Akteure des Datennetzwerks sichtbarer und erleichtert es zudem allen, einen Beitrag zu leisten, das Wissen über die biologische Vielfalt zu erweitern, sie zu erhalten und zu fördern.
Eine grosse Herausforderung aller Monitoringprogramme ist die sachlich richtige Kommunikation. Mit dem Projekt für einen "Multidimensional Biodiversity Index" MBI hat das Forum für Biodiversität Schweiz in Zusammenarbeit mit der sanu einen Versuch gestartet, auf Basis bestehender Indikatoren einen umfassenden nationalen Index für Biodiversität und ihre Leistungen zu berechnen und damit die Kommunikation zu vereinfachen. Bis ein solcher Index angewendet werden kann, gibt es aber noch viel zu tun.
Projekt: Multidimensionaler Biodiversitätsindex für die Schweiz
Um Biodiversität in allen Sektoren des öffentlichen Lebens zu berücksichtigen und sie in wirtschaftliche, politische und soziale Entscheidungen einzubeziehen, benötigt man verständlich aufbereitete Daten, die auf einfache Art kommuniziert werden können. Ein koordinierter und sektorübergreifender Biodiversitäts-Gesamtindex inkl. aller Leistungen, der die verschiedenen Aspekte der Biodiversität erfasst, wäre da sehr hilfreich.
Das World Conservation Monitoring Center des UN-Umweltprogramms hat einen Vorschlag für einen solchen mehrdimensionalen Index der biologischen Vielfalt und ihrer Leistungen (MBI) entwickelt, der jetzt von mehreren Ländern erprobt wird. Das Forum Biodiversität Schweiz in Zusammenarbeit mit der sanu führte ein Pilotprojekt dazu durch. Während die sanu die Akzeptanz und die Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder eruiert hat, hatte das Forum für Biodiversität den Auftrag, einen MBI-Prototyp für die Schweiz zu berechnen. Ziel ist, dass jeder Teil des Gesamtindex für sich allein verständlich, relevant und erklärbar ist. Noch sind die Projektarbeiten noch nicht abgeschlossen.
Die Biodiversitätsindikatoren sollen den Zustand und die Entwicklung eines bestimmten Biodiversitätsaspektes datenbasiert aufzeigen. Bei der Interpretation ist grosse Sorgfalt geboten, da Indikatoren stark vereinfachen. Bei der Beurteilung der Ergebnisse darf der Kontext daher nicht ausser Acht gelassen werden.
Neue Technologien mit grossem Potenzial
Die Verluste an biologischer Vielfalt und die prognostizierten Rückgangsraten machen deutlich, wie dringend die Überwachung der Biodiversität auf verschiedenen räumlichen und zeitlichen Ebenen ist. Die Überwachung erfolgt jedoch häufig nur auf lokaler Ebene, was eine Verallgemeinerung auf ganze Regionen oder Länder erschwert. Mittlerweile wurden ergänzende Ansätze vorgeschlagen, um solche Lücken zu schliessen.
Neue Technologien verändern derzeit die Biodiversitätsforschung und-praxis und damit auch die Überwachung der biologischen Vielfalt. Insbesondere die Erfassung von Fernerkundungsdaten und von Daten, die von Bürgerinnen und Bürgern erhoben wurden, sowie die Datenverarbeitung mit maschinellem Lernen ist ein aufstrebender Bereich, der schnelle, umfassende und genaue Beschreibungen des Zustandes der Biosphäre verspricht (Nähere Informationen dazu auf Seite 20 und 21 im Heft "Biodiversität überwachen".
Biodiversität mit Umwelt-DNA erfassen
Die Umwelt- DNA (eDNA = environmental DNA) ermöglicht das Monitoring von Arten verschiedenster Organismengruppen - von den Bakterien bis zu den Wirbeltieren – und zahlreiche Arbeitsschritte können dabei automatisiert werden. Dieses Potenzial sollte in Monitoringprogrammen vermehrt genutzt werden.
Umwelt- DNA ist DNA, die aus einer Umweltprobe extrahiert wird, z. B. aus einer Boden- oder Wasserprobe. Mithilfe von genetischen Methoden kann diese DNA isoliert, vervielfältigt und abgelesen werden. Die daraus gewonnenen Gen-Sequenzen erlauben eine Zuteilung zu bestimmten Organismen oder können direkt für das Verständnis der entsprechenden Genfunktionen genutzt werden (Nähere Details s. Artikel auf Seite 22 und 23 im Heft Biodiversität überwachen".
Auf europäischer Ebene hat ein internationales Forschungsnetzwerk in Zusammenarbeit mit Forschenden aus der Schweiz die Etablierung und Standardisierung v.a. im Gewässerbereich vorangetrieben. Seitens des BAFU bestehen inzwischen bereits Richtlinien für die Anwendung dieser Methoden in biologischen Untersuchungen und für die Bewertung von aquatischen Ökosystemen. Nach einem Jahrzehnt an Forschung ist die Methode bereit für die Implementierung in Monitoringprogrammen und Management. Auch die Erfassung der Biodiversität in Böden mit Hilfe von eDNA ist bald für ein reguläres Monitoring nutzbar.
Wichtig ist neben allen neuen Möglichkeiten dieser Methode für zukünftige kantonale und nationale Monitoringprogramme auch herauszufinden, wie klassische Indikatorengruppen mit eDNA erfasst werden können, um die Langfristigkeit bestehender Zeitreihen zu gewährleisten und weiterzuführen.
Resümee
"Biodiversitätsmonitoring-Programme informieren nicht nur über den Rückgang der biologischen Vielfalt, sondern es lassen sich damit auch die positiven Auswirkungen der eingeleiteten Massnahmen verfolgen. In der Schweiz verfügen wir seit mehr als zwei Jahrzehnten über qualitativ hochwertige Monitoringdaten der Biodiversität.
Aber dieses Monitoring muss zeitlich, räumlich und taxonomisch noch ausgeweitet werden, sodass beispielsweise auch Insekten überwacht werden, und auch die Funktionen, die die Arten im Ökosystem erfüllen, müssen mit einbezogen werden.
Neue Technologien wie Bioakustik oder Umwelt-DNA machen es möglich, regelmässige Datenströme automatisiert zu sammeln, was ein besseres Verständnis der Veränderungen der Biodiversität in Schweizer Landschaften verspricht.
Eine intensivere Datenerhebung über zahlreichere Dimensionen hinweg reicht aber alleine nicht aus. Diese komplexen Informationen müssen mithilfe von Indikatoren verdichtet werden.
Und schlussendlich sollten sie mit einer wirksamen Kommunikation für lokale Interessensvertreter und Entscheidungsträgerinnen auf kantonaler und nationaler Ebene verknüpft werden und zu konkreten Massnahmen führen", so Loïc Pellissier (ETH Zürich und WSL) Vizepräsident des Forums Biodiversität Schweiz.
Abb. 4. Intensive Datenerhebung soll mit einer wirksamen Kommunikation für lokale Interessensvertreter und Entscheidungsträgerinnen auf kantonaler und nationaler Ebene verknüpft werden und zu konkreten Massnahmen führen. Die positiven Auswirkungen der eingeleiteten Massnahmen werden überwacht. Foto: Beat Ernst