Besonderheiten historisch alter Wälder

Historisch alte Waldstandorte zeichnen sich vielfach durch eine typische Artenausstattung und große biologische Vielfalt aus. Daher gelten sie als „Hotspots der Artenvielfalt“ und bedürfen eines besonderen Schutzes. Zwar ist eine forstliche Nutzung insbesondere von historisch alten Laubwälder nicht grundsätzlich ausgeschlossen, doch muss sie den besonderen Gegebenheiten dieser für den Naturschutz wertvollen Standorte Rechnung tragen. Dies gilt vor allem für die wenigen Standorte historisch alter Laubwälder im Norddeutschen Tiefland, die seit mehr als 200 Jahren bestehen.

Zu den möglichen Zeigerarten, um solche besonderen Waldstandorte zu identifizieren, zählen insbesondere Arten aus den Gruppen der Moose, Flechten, Farn- und Blütenpflanzen (Gefäßpflanzen) sowie der Käfer (Laufkäfer, Totholzbewohner). Besonders gut eignen sich Gefäßpflanzen als Indikatorarten für alte Waldstandorte, da sie gut zu finden und zu bestimmen sind. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) und der Universität Göttingen haben daher für Gefäßpflanzen eine überregionale Indikatorartenliste erarbeitet. Mit diesem Instrument können historisch alte Wälder im gesamten Nordwestdeutschen Tiefland einfacher erkannt werden.

Untersuchungsgebiet

Der Bezugsraum für die Entwicklung der Indikatorartenliste ist das Nordwestdeutsche Tiefland mit einer Gesamtgröße von 53.500 km². Es umfasst die im Tiefland gelegenen Teile Niedersachsens, sowie vollständig die Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen. Das Untersuchungsgebiet wurde für die Erarbeitung der Liste in ein Raster von 2.378 Messtischblatt-Quadranten unterteilt. Für jeden Quadranten (Ausdehnung jeweils ca. 5,5 x 5,5 km, bzw. 30 km²) wurde der Anteil des historisch alten Waldes an der Gesamtwaldfläche bestimmt, jeweils getrennt nach Laub-, Nadel- und Mischwäldern. Anschließend erfolgten umfangreiche Auswertungen vorliegender floristischer Kartierungen. Die entsprechend großen Datenmengen wurden mithilfe verschiedener Modelle und Clusteranalysen analysiert.

Einfluss des Menschen

Im pleistozänen Tiefland würden ohne den Einfluss des Menschen außerhalb der grundwasserbeeinflussten Standorte von Natur aus Buchen-dominierte Laubwälder vorherrschen. Doch seit der Jungsteinzeit vor ca. 6.000 Jahren haben Menschen diese Landschaft beständig genutzt und verändert, und zwar stärker als die des Berg- und Hügellands. Mitte des 18. Jahrhunderts wurden auf durch Acker- oder Heidenutzung entwaldeten Flächen erstmals Nadelholzkulturen angelegt, überwiegend mit Waldkiefern. Diese Nadel- und Laub-Nadel-Mischwälder erreichten bald erhebliche Flächenanteile. Seit dieser Zeit wurden auch Laubwälder in Nadelwälder umgewandelt, vor allem auf nährstoffarmen Geest-Standorten. Heutzutage gelten 26 % der Waldstandorte im Nordwestdeutschen Tiefland als historisch alt.

Drei Indikator-Gruppen

Insgesamt konnten 67 Indikatorarten historisch alter Wälder bestimmt werden. Sie gehören zu drei ökologisch unterschiedlichen Waldpflanzengruppen, die an Altwälder gebunden sind (Gefäßpflanzen als Indikatoren historisch alter Waldstandorte). Diese drei Gruppen wurden jeweils nach einer besonders charakteristischen Art benannt: die Wald-Bingelkraut-Gruppe, die Waldmeister-Gruppe und die Wald-Sauerklee-Gruppe.

Am stärksten an alte Laubwaldstandorte gebunden sind die insgesamt 33 Indikatorarten aus der Waldmeister-Gruppe. Sie zeichnen sich durch eine große Schattentoleranz aus. Zur Wald-Bingelkraut-Gruppe gehören 17 Indikatorarten, die zwar auch eng an alte Laubwaldstandorte gebunden sind, jedoch auf weniger schattigen und besser mit Nährstoffen versorgten Standorten auftreten. Die Wald-Sauerklee-Gruppe unterscheidet sich von den beiden vorgenannten Gruppen dadurch, dass ihre Arten eine mittlere Beschattung und schwach saure bis saure Standorte bevorzugen. In dieser Gruppe ist eine Reihe von Arten enthalten, die eine deutliche Tendenz hin zu historisch alten Nadel- und Laub-Nadel-Mischwaldstandorten aufweisen.

 

Beispiele aus der Waldmeister-Gruppe

Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten

Ein Hinweis vorab: Erst das Auftreten mehrerer Indikatorarten zeigt mit hoher Treffsicherheit einen alten Waldstandort an. Das Vorkommen nur einer Gefäßpflanzenart hat noch keinen Wert als Indikator.

Für die Indikatorartenliste ergeben sich mehrere Anwendungsmöglichkeiten:

  • Identifizierung von alten Waldstandorten in Bereichen, für die historisches Kartenmaterial fehlt.
  • Identifizierung von Biodiversitäts-Hotspots der Zeigerarten historisch alter Wälder. Nicht alle historisch alten Waldstandorte sind im gleichen Maße artenreich.
  • Identifizierung von naturnahen Waldbeständen. Zeigerarten historisch alter Wälder erlauben Rückschlüsse auf eine lange Lebensraumkontinuität von Waldstandorten. So kann ihr Vorkommen auch als ein Kennzeichen von Naturnähe angesehen werden. 

 

Beispiele aus der Wald-Sauerklee-Gruppe

Ausblick

Historisch alte Laubwaldstandorte sind oft Hotspots der biologischen Vielfalt und können als Ausbreitungszentren (Spenderflächen) für eine Wiederbesiedlung jüngerer Waldstandorte mit typischen Waldarten dienen. Aus diesem Grunde sollten Maßnahmen des Naturschutzes historisch alte Laubwaldstandorte besonders berücksichtigen. Die Bildung von Lebensraumkorridoren, also die Verbindung von räumlich getrennten alten und jungen Waldstandorten, ist eine solche wirksame Naturschutzmaßnahme zur Förderung einer waldtypischen Artenvielfalt. Vor allem aber dürfen die wenigen verbliebenen historisch alten Laubwälder nicht in Nadel- oder Laub-Nadel- Mischbestände umgebaut werden. Bei der forstlichen Bewirtschaftung alter Laubwaldstandorte mit hoher Pflanzenartenvielfalt müssen Rückearbeiten besonders sorgfältig durchgeführt werden, insbesondere auf Flächen, die in Schutzgebieten liegen.