Neues Paper von Waldforschenden untersucht Behauptungen populärer Bücher
Interview mit Prof. Dr. Ulrich Kohnle, Leiter der Abt. Waldwachstum an der FVA
Herr Kohnle, wie viel haben Menschen und Bäume tatsächlich gemeinsam?
Biologisch gesehen sind Bäume Pflanzen, Menschen sind Tiere. Beides sind Lebewesen, beide verstoffwechseln, beide unterliegen der Evolution. Entwickeln sich also in Ökosystemen gemeinsam neben- und miteinander. Aber Pflanzen und Tiere unterscheiden sich in essenziellen Aspekten absolut grundlegend. Beispielhaft und anschaulich in Fotosynthese oder Reproduktion. Deshalb gilt: Bäume sind ganz anders als wir Menschen. Punkt.
Was hat Sie und Ihre Mitautorinnen und -autoren dazu bewogen, sich die in populären Büchern aufgestellten Thesen genauer anzusehen?
Diese Bücher erwecken den Eindruck, gesichertes Wissen wiederzugeben, sind de facto aber packend geschriebene Fiktion. Für Leserinnen und Leser ist das nicht klar erkennbar. Gesellschaftlich gefährlich wird das Missverständnis, wenn solche Narrative für politische Entscheidungen herangezogen werden. Da sehen wir uns in der Aufklärungspflicht. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterziehen wir unsere Arbeiten vor der Veröffentlichung unabhängigen Kreuzgutachten. Dieses Verfahren haben wir rückwirkend auf die Beststeller angewandt.
Welche Behauptungen haben Sie dabei insbesondere unter die Lupe genommen?
Die Behauptung, dass Pilzgeflechte uneigennützig Informations- und Energieaustausch zwischen Baumindividuen bewerkstelligen. Die Behauptung, dass Mutterbäume ihre Nachkommenschaft in nennenswertem Umfang mit Energiestoffen wie Kohlenhydraten versorgen und dadurch im Wachstum besonders fördern.
Die Behauptung, dass zwischen Bäumen Kooperation vorherrscht und konkurrenzunterlegene Individuen von ihren Artgenossen gezielt gefördert und erhalten werden. Allen drei Behauptungen fehlt – so spannend sie sich auch lesen – nach unserer Prüfung die faktische Grundlage.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wir haben die Annahmen als Hypothesen eingestuft und geprüft, ob es Befunde gibt, die diese stützen oder ihnen widersprechen. Zum wissenschaftlichen Vorgehen gehört, dass ausschließlich Arbeiten als Belege herangezogen werden, die sich nicht nur auf Theorien und Behauptungen beschränken, sondern nachprüfbar Untersuchungsergebnisse bereitstellen. Das Resultat war eindeutig: Weder für uneigennützige Pilze noch sogenannte Mutterbäume gibt es stützende faktischen Befunde. Diesbezügliche Untersuchungen legen vielmehr nahe, dass sogar das Gegenteil zutreffen könnte.
Hat Ihnen eine Behauptung die Haare besonders zu Berge stehen lassen?
Hanebüchen erscheinen meist diejenigen Aspekte, die mit der eigenen Erfahrungswelt kollidieren. In meinem Fall ist das der Waldbau. Da ist mir vor allem das Narrativ des treu für seine Nachkommenschaft sorgenden Mutterbaumes sauer aufgestoßen. Wer mit offenen Augen durch den Wald geht, wird schnell feststellen, dass Jungwüchse, die direkt unter einem Altbaum stehen und dadurch seiner Licht- und Wurzelkonkurrenz ausgesetzt sind, deutlich langsamer wachsen. Sobald der Altbaum weg ist, legt das Wachstumstempo deutlich zu. Von einer Förderung durch einen sogenannten Mutterbaum kann keine Rede sein.
Wie ist es möglich, dass nicht belegte Behauptungen eine solche weite Verbreitung finden?
Ich weiß es nicht. Als Forstwissenschaftler respektiere ich die Grenzen meiner Expertise und beschränke mich auf diese. Menschen aus den Bereichen Sozial- oder Kommunikationswissenschaft sind in dieser Frage sicher bessere Ansprechpersonen.
Welchen Einfluss haben Fehlinformationen konkret auf den Wald?
Richtig kritisch sehe ich in diesem Zusammenhang das Buch Das geheime Leben der Bäume von Peter Wohlleben. Es legt den irrigen Schluss nahe, dass Anpassungsprozesse im Wald am besten stattfinden, wenn Menschen den Wald völlig sich selbst überlassen. Konsequenterweise müssten dann aber alle menschlichen Einflüsse ausgeschlossen werden. In Zeiten massiver menschenbedingter Stoffeinträge und Klimaveränderungen eine ebenso unrealistische wie gefährliche Utopie. Gefährlich deshalb, weil im raschen Klimawandel dringend begleitende forstliche Maßnahmen zur Stützung und Förderung des Anpassungsprozesses notwendig sind.
Haben Sie in Ihrer Arbeit die Folgen dieser Behauptungen gespürt?
Ja, nicht erst im Zusammenhang mit diesem Paper. Bei fast jedem Vortrag, bei fast jedem Waldbegang, bei jeder Diskussion mit politischen Entscheidungsträgern und auch privat im Bekanntenkreis. Da tauchen regelmäßig Nachfragen dazu auf, was ich denn von diesen und jenen neuen „Erkenntnissen“ halte. So schwierig der Umgang damit ist, schätze ich es, dass ich dazu gefragt werde. Denn das bietet mir Gelegenheiten, auf Unstimmigkeiten aufmerksam machen zu können und den Blick meiner Gesprächspartnerinnen und -partner für die nächste Lektüre zu schärfen.
Wie können Leserinnen und Leser populärer Literatur zu Waldthemen erkennen, ob es sich um gesicherte Informationen handelt?
Bei wissenschaftlichen Abhandlungen ist das daran zu erkennen, dass Quellen angemessen und zutreffend verarbeitet und angegeben sind. In populärwissenschaftlichen Abhandlungen ist das für die Leserschaft viel schwieriger zu erkennen und zu prüfen. Ich bin der Meinung, dass Verlage und Herausgeber sowie in zweiter Instanz berichtende Medien und Formate wie Talkshows hier in der Pflicht sind. Sie müssen Werke für ihr Publikum einordnen. Da lässt der Überbegriff „Sachbuch“ vielleicht zu viel Interpretationsspielraum. Umgekehrt gibt es genügend Bücher, die sich problemlos als Autobiografie der Autorin oder des Autors lesen lassen, aber bewusst als Roman gekennzeichnet sind, um dieses Missverständnis zu verhindern. Mir geht es auf keinen Fall darum, dass Bücher wie Das geheime Leben der Bäume oder Auf der Suche nach dem Mutterbaum nicht veröffentlicht werden sollen. Das sollen sie selbstverständlich. Aber sie müssen für das Publikum klar als das erkennbar sein, was sie sind: Fiktion.
Zur Person
Prof. Dr. Ulrich Kohnle leitet an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) die Abteilung Waldwachstum. In dieser Funktion befasst sich der Forstwissenschaftler seit 20 Jahren mit der Frage, wie Wälder fit für den Klimawandel gemacht werden können. Zuvor untersuchte Kohnle intensiv die Kommunikation von Borkenkäfern und war als Forstamtsleiter in der Praxis tätig.