Die Alpen- oder Grünerle (Alnus viridis) ist die einzige strauchförmige Erlenart in Europa. Sie wird zwischen 0.5 und 2 Meter, selten bis 4 Meter hoch und über 100 Jahre alt. Die Alpenerle kommt bis auf 2800 m ü. M. vor und besiedelt vor allem in der Alpinstufe ab 1700 m ü. M. oft ganze Bergflanken bis weit über die Waldgrenze hinaus. Entlang von Lawinenschneisen und Bachufern ist sie bis in die Täler hinunter zu finden.
Die Alpenerle hat eine graubraune Rinde mit deutlichen Lentizellen (kleine Öffnungen in der Rinde für die Atmung der Pflanze), welche sich mit zunehmendem Alter in eine schwärzliche Borke verwandelt. Die Blätter sind eiförmig, doppelt gesägt und beidseitig grün.
Die männlichen Blütenstände (Kätzchen) werden im Herbst angelegt, überwintern als geschlossene Kätzchen unter einer weisslichen Harzkruste und brechen beim Laubaustrieb im Frühling auf. Die weiblichen Blütenstände sind im Winter von Knospenschuppen umgeben. Von April bis Juni erscheinen die eingeschlechtigen Blüten. Die Früchte hängen erst mit der Reifung, bleiben bis zum Frühling hängen und sind dann fast schwarz.
Die Knospe ist der empfindlichste Teil der Pflanze. Bei der Alpenerle ist sie bis 1.5 Zentimeter lang, purpurrot und glänzend. Sie wird durch eine eingelagerte wächserne, klebrige Substanz isoliert. Diese Isolationsschicht hilft, Kälte bis -30° zur ertragen. Sichtbar ist dieser "Wachs" oft im Herbst als grünlicher Tropfen an der Knospenspitze.
Erlenarten in Europa
Schwarzerle (Alnus glutinosa)
Weisserle, Grauerle (Alnus incana)
Grünerle, Alpenerle (Alnus viridis)
Herzblättrige Erle (Alnus cordata)
Flexible Äste trotzen dem Schnee
Die Alpenerle wächst dort, wo anspruchsvolle Bäume nicht oder nur unter Schwierigkeiten aufkommen. Ihr Standort sind entweder steinige, felsige Orte oder schattige, feuchte Hänge und Runsen mit viel Feinerde. Sie erträgt Schnee, Gleitschnee und selbst grosse Lawinen. Wohl krümmt die Schneelast den Stammfuss der Alpenerle und drückt ihre Äste zu Boden. Die biegsamen, nieder liegenden Äste federn das Gewicht des Schnees aber ab und brechen nur selten. Im Frühling nach der Schneeschmelze richten sie sich in kurzer Zeit wieder vollständig auf. In lawinengefährdeten Nordhängen ist sie daher auf grossen Flächen oft neben wenigen Weiden, Vogelbeeren oder Birken die einzige Baumart.
Ihre Vermehrung und Verbreitung hat die Alpenerle ebenfalls dem wilden, unruhigen Leben an rutschigen, von Lawinen durchkämmten Hängen angepasst. Sie pflanzt sich nicht nur durch die leichten, weit fliegenden Samen fort. Aus den Wurzeln oder aus nieder liegenden Ästen spriessen neue Triebe und wachsen zu ausgewachsenen Bäumchen heran.
Stickstoff dank Bakterien
Eine spezielle Strategie hilft der Alpenerle, nährstoffarme, vegetationsfreie Rohböden, wie sie nach Hangrutschen entstehen, zu besiedeln. Durch eine Symbiose (Lebensgemeinschaft) mit dem Bakterium Frankia alni ist sie befähigt, Stickstoff (ein essentieller chemischer Stoff für Ernährung der Lebewesen), aus der Luft an ihren Wurzeln der Alpenerle zu binden. Dies führt zu knollenartigen Wucherungen an den Wurzeln der Pflanze, die bis zur Grösse eines Apfels anwachsen können. Frankia alni liefert der Alpenerle Stickstoff und profitiert im Gegenzug von den von der Pflanze produzierten Nährstoffen.
Die Anreicherung an Stickstoff kann so gross sein, dass sogar Brennesseln (ein Überdüngungs-Zeiger) als Begleitflora anzutreffen sind. Durch die Lebensgemeinschaft mit dem Bakterium spielt die Alpenerle eine wichtige Rolle als Bodenverbesserer und ist unverzichtbar als Pionier, der unwirtliche Standorte bewächst, den Boden befestigt, vor Erosion schützt und zur Sicherung von Rutschflächen beiträgt.
Grünerlen auf Alpweiden unerwünscht
Durch den Strukturwandel in der Land- und Alpwirtschaft werden vielerorts Alpen und alpines Kulturland nicht mehr oder nur noch ungenügend bewirtschaftet. Alpenerlenbestände bilden dann das Anfangsstadium bei der natürlichen Wiederbewaldung. Wo die Alpenerle einwächst, gehen aber nützliches Weideland und vielfältige Kulturlandschaften verloren. Ihre flächigen Bestände empfindet man als eintönig. Als wuchernder Strauch ist die Alpenerle unerwünscht. In weiten Teilen der Alpen wird die Grün- oder Alpenerle daher gerodet und grossflächig "geschwendet".
Ist die Alpenerle allerdings erst einmal angewachsen, wird man ihr kaum mehr Herr. Einzig regelmässiges Roden über Jahrzehnte, oder am wirksamsten die Ziegenbeweidung, wirken der Alpenerle entgegen. Da Ziegen nicht nur Gras, sondern auch Laub und Rinde fressen und sich bei Bedarf auf die Hinterbeine stellen und so Höhen von über 1.5 Meter erreichen, eignen sie sich hervorragend zur Schwändung verbuschender Alpflächen.
Schwenden ist das Befreien von potenziellem Acker- oder Weideland von Bäumen und Sträuchern. Das Wurzelwerk der Gehölze wird dabei nicht entfernt. Im Alpenraum ist das Schwenden bis heute weit verbreitet, um die Verbuschung von Weiden zu verhindern.
Quelle: Wikipedia
Ein Strauch, viele Flurnamen
Die Alpenerle wird auch Dros oder Tros genannt, beziehungsweise Drossa auf Italienisch oder Draussa auf Rätoromanisch. Die vielen Flur- und Ortsnamen mit Bezug zur Alpenerle zeigen deren grosse Verbreitung: Draus (GR), Drosistock und -gletscher (BE, ihm entspringt der Drosibach), Trosgi-Alp (GL), Drossa (TI, sowohl eine Siedlung als auch ein Berggipfel), Drostobel-Drusenthor (GR, seine Hänge sind im oberen Abschnitt ganz mit Alpenerlen bewachsen). Auch Trosle(n), Rossla (Triesen FL) oder Drausa gehen auf die Alpenerle zurück und bezeichnen in den Mundarten der Schweiz, des Vorarlbergs und Allgäus einen mit Stauden bewachsenen Berghang.