In Mitteleuropa sind drei Holunder-Arten heimisch: der Schwarze Holunder (Sambucus nigra), der Traubenholunder (Sambucus racemosa), auch Roter Holunder oder Hirschholunder genannt, sowie der Stauden- oder Zwergholunder (Sambucus ebulus). Dabei ist besonders der Schwarze Holunder zu einer typischen Begleitpflanze menschlicher Siedlungen v. a. in ländlichen Gebieten geworden.
Das Verbreitungsgebiet des Traubenholunders reicht von Europa über Kleinasien bis nach Nord-China, in den Alpen kommt er bis 1800 m ü. NN vor. In Deutschland ist der Traubenholunder hauptsächlich im Süden und in der Mitte des Landes verbreitet. In der norddeutschen Tiefebene fehlt er weitgehend. In den kühleren Mittelgebirgen ist der Trauben-Holunder an Waldrändern verbreitet, kommt aber vor allem auf Sturmwurf- und Borkenkäfer-Kahlflächen, oft zusammen mit Faulbaum, vor.
Blockschutthalden mit Feinmaterial in den Mittelgebirgen sind seine natürlichen Standorte. Den Sambucus-Gebüschen folgen in der Sukzession auf Kahlflächen vielfach die Pionierbaumarten Sandbirke, Aspe, Salweide und Vogelbeere nach. Erst unter ihrem lichten Schirm vermögen sich dann die Haupt-Baumarten wie z. B. Buche oder Tanne leichter und flächig zu verjüngen und zu etablieren.
Neben der Himbeere sind v. a. krautige Begleitpflanzen wie Waldweidenröschen, Fuchs-Kreuzkraut und Roter Fingerhut mit dem Traubenholunder vergesellschaftet. Im Gegensatz zum Schwarzen Holunder ist der Traubenholunder aber kalkempfindlich und kommt nur auf sauren Standorten vor, gilt aber ebenfalls als stickstoffliebend. Beide Holunderarten verfügen daher auch über ein besonders leicht zersetzliches Laub. Sie können damit bodenverbessernd, aber auch vegetationsprägend wirken und stickstoffliebende Waldsaumarten begünstigen.
Botanische Merkmale
Der Traubenholunder erreicht nur eine Größe von 2–4 (5) m und bleibt damit deutlich kleiner als der Schwarze Holunder. Er ist zwar ein schnellwüchsiges, aber auch ein relativ kurzlebiges Gehölz. Beim Roten Holunder stehen, wie bei allen Geißblattgewächsen (Caprifoliaceae), die 10–20 cm langen Blätter gegenständig. Sie sind unpaarig gefiedert und setzen sich meist aus 5 gesägten Fiederblättchen mit einer Größe von 5–8 cm zusammen. Die runden, eiförmigen Knospen sind mit mehreren Knospenschuppen gut verpackt. Dagegen ragen aus den länglichen Knospen des Schwarzen Holunders meist Knospenblätter heraus. Der Austrieb erfolgt im April und ist im Gegensatz zum grünen Austrieb des Schwarzen Holunders rötlich bis violett gefärbt.
Das Mark der Triebe des Traubenholunders ist nicht weiß, wie beim Schwarzen Holunder, sondern braun. Die Blüten öffnen sich, früher als die des Schwarzen Holunders, meist im April. Die einfach gebauten 5-zähligen Blüten stehen in aufrechten, kegelförmigen 5–10 cm großen Rispen (Abbildung 2). Sie werden überwiegend von Fliegen und Käfern bestäubt. Die beiden Holunderarten haben allgemein für Insekten, die sich von Pollen und/oder Nektar ernähren, große Bedeutung. Viele Käferarten aus verschiedensten Familien sind auf den Blüten anzutreffen, darunter auch etliche Bockkäferarten.
Die Früchte sind zunächst grün (Abbildung 3), zur Reife hin kräftig rot gefärbt (Abbildung 4). Diese korallenroten, kugeligen Holunder- “Beeren” sind botanisch gesehen Steinfrüchte. Im Gegensatz zu den Früchten des Schwarzen Holunders sind die des Traubenholunders auch nach Abkochen nicht genießbar. Die Art weist dieselben Inhaltsstoffe wie der Schwarze Holunder auf und ist ebenfalls schwach giftig. Beliebt sind die “Beeren” allerdings bei der Vogelwelt.
Abb. 3: Manchmal sind schon unreife Früchte neben den Blüten zu sehen. Foto: Gregor Aas
Abb. 4: Die korallenroten Früchte des Traubenholunders reifen ebenfalls sehr früh, meist bereits im Juli und August. Foto: Gregor Aas
Holunderfrüchte und Vogelwelt
Der Durchmesser der Früchte des Traubenholunders beträgt 5–7 mm und sie enthalten meist 2–3 Steinkerne. Sie reifen, je nach Standort, meist bereits schon im Juli/August. Die Früchte werden von einer großen Anzahl von Vogelarten als Nahrungsquelle angenommen. TURCEK führt 47 Vogelarten auf, die die Früchte des Roten Holunders fressen. Peglow (1996) konnte, v. a. in der ersten September-Dekade, acht Vogelarten beobachten, die die Früchte des Traubenholunders fraßen. Aufgrund ihrer geringen Größe können Traubenholunder- "beeren" auch von kleineren Singvögeln, z. B. Rotkehlchen, Garten- und Mönchsgrasmücke, Zilpzalp u. a. m. im Ganzen verschluckt werden. Besondere Bedeutung besitzt der Traubenholunder für das Rotkehlchen (Abbildung 5). Die Bezeichnung "Rotkehlchenbaum" oder “Rotkehlchenbeere” im Erzgebirge oder im Frankenwald zeigt diese Bedeutung schon auf. Auch die Mönchsgrasmücke verzehrt sehr gerne und ausdauernd die Früchte des Traubenholunders (Abbildung 6).
Die Samenkerne werden beim Fressen nicht zerstört und verlassen entweder nach dem Auswürgen oder nach der Verdauung wieder den Körper. So tragen diese Vogelarten zur Ausbreitung des Roten Holunders, wie auch anderer Sträucher, bei. Es besteht hier eine ökologische Beziehung zum gegenseitigen Nutzen der Partner. Die Vögel bekommen Nahrung (Fruchtfleisch) und verbreiten im Gegenzug mit ihren Ausscheidungen die genutzte Gehölzart (Endozoochorie). Die Vogelarten, die nur an den Samen interessiert sind, wie z. B. viele Meisen- und Finkenarten, verbreiten dagegen Gehölze nicht. Die Kohlmeise ist zwar einer der wichtigsten Nutznießer der Früchte des Traubenholunders, aber da sie eben nicht am Fruchtfleisch, sondern nur an den Kernen interessiert ist, trägt sie nicht zur Ausbreitung des Traubenholunders bei.
Gerade in den höheren, rauen Lagen der Mittelgebirge auf sauren Standorten ist der Traubenholunder mit seinen Früchten ein wichtiges Vogelnährgehölz (Abbildung 9), da in diesen Lagen meist nur noch Vogelbeere und Faulbaum als weitere beerentragende Gehölze auftreten.
Bei phytophagen Insektenarten wenig beliebt
Bei den phytophagen Insektenarten sind beide Holunderarten, wahrscheinlich aufgrund der Inhaltsstoffe, nicht so beliebt. Vermutlich ist das in Blättern, unreifen Früchten und frischer Rinde enthaltene Sambunigrin, ein cyanogenes Glykosid, dafür verantwortlich. Aufgrund dieses Glykosids sind auch beim Traubenholunder alle Teile als schwach giftig einzustufen.
Der Holunderspanner oder Nachtschwalbenschwanz (Ourapteryx sambucaria), ein hübscher, auffälliger und in Europa weit verbreiteter Falter, ist eine der wenigen Falterarten, die sich als Raupe hauptsächlich an Sambucus entwickelt. Die Art bevorzugt zwar Holunder, ist aber nicht streng monophag an ihn gebunden, sondern kann sich auch an anderen Gehölzen, z. B. Flieder und Waldrebe, entwickeln. Die Falter, die ca. 40–50 mm Flügelspannweite aufweisen, fliegen in der Zeit von Mai–August. Die Raupen treten ab August auf. Die Art überwintert im Raupenstadium. Die verlängerten Spitzen der Hinterflügel führten bei der Art zu dem deutschen Namen Nachtschwalbenschwanz (Abbildung 7).
Besonderheit – Käfer in den Früchten
Häufig tritt in den Früchten des Roten Holunders die Blumenknopfkäfer-Art Heterhelus scutellaris auf, die durch ihre Larven, die sich in den Steinkernen der Früchte entwickeln, eine vorzeitige Reife (Notreife) der Früchte verursacht. Die Käfer führen an warmen Frühlingstagen, nach der Überwinterung im Boden, ihren Reifungsfraß an Trieben, Blütenteilen und Pollen des gerade austreibenden Roten Holunders durch. Sie sitzen hauptsächlich in den Blütenständen, um sich dort zu paaren und nach kurzer Zeit mit der Eiablage zu beginnen. Die Eier werden überwiegend an den Blütenständen abgelegt. Die jungen Larven bohren sich dann in die grünen Früchte ein, um dort in einen der Steinkerne einzudringen. Die von den Käferlarven besetzten Früchte reifen vorzeitig und man erkennt sie daher schon an ihrer roten Farbe in den ansonsten noch grünen Fruchtständen. Die erwachsenen Larven verpuppen sich in der Erde.
Zusammenfassung
Der Traubenholunder als wichtiges Sukzessionsgehölz vermindert auf Kahlflächen, vor allem zusammen mit krautigen Pflanzen und Pionierbaumarten, zu starke Sonneneinstrahlung, Erosion, rasche Mineralisierung und Nährstoffauswaschung. Damit bereitet er den Boden für die Wiederbewaldung mit den Hauptbaumarten vor. Seine leicht zersetzliche Streu wirkt bodenverbessernd. Gleichzeitig ist er durch seine reiche Fruktifikation und seine relativ kleinen Früchte bei Vögeln, besonders kleineren Singvögeln, eine äußerst beliebte Gehölzart. Er kann zu Recht als Vogelnährgehölz bezeichnet werden.