Geschichte und Name

Fossile Funde belegen, dass Stechpalmen in Lorbeerwäldern Europas bereits vor 3 – 10 Millionen Jahren vorgekommen sind. Der lateinische Name Ilex geht auf den römischen Gelehrten Plinius den Älteren zurück, welcher wegen der stacheligen Blätter der Europäischen Stechpalme (Ilex aquifolium) eine grosse Ähnlichkeit zur Steineiche (Quercus ilex) sah. Der Begriff „aquifolium“ ist gleichbedeutend wie „stechend blättrig“.

Im Volksmund sind zahlreiche Namen geläufig: In Deutschland ist die Stechpalme beispielsweise als Hülse, Hülsenbusch, Stechhülse, Rilz, Stecheiche, aber auch als Schwabendorn oder Palmdorn bekannt; in Österreich sind die Namen Christdorn, Walddistel und Schradl geläufig (Aufzählung nicht abschliessend).

Die englische Bezeichnung der Stechpalme lautet „Holly Tree“. Man könnte daher vermuten, der Name „Hollywood“ des berühmten Stadtteils von Los Angeles stamme von dort wachsenden Stechpalmen ab. Jedoch gibt es in Kalifornien natürlicherweise keine Vertreter der Gattung Ilex. Will man Überlieferungen Glauben schenken, so hat ein gewisser Harvey Henderson Wilcox im Jahre 1886 einige Hektaren Land bei Los Angeles gekauft. Kurz darauf schloss er Bekanntschaft mit einem Mann aus Illinois, dessen dortiges Grundstück Hollywood hiess. Wilcox' Frau gefiel der Name so gut, dass er sein Land daraufhin ebenfalls Hollywood nannte. mehr dazu

Der Ausdruck „Palme“ hängt mit der christlichen Tradition zusammen: Am Palmsonntag werden in verschiedenen Ländern Europas Stechpalmenzweige als Ersatz für den Palmzweig benutzt, da Palmen in unseren Breitengraden nicht heimisch sind.

Herkunft und Standort

Die Stechpalme ist weltweit mit über 400 Arten vertreten. Die grössten Vorkommen finden sich in den Tropen und Subtropen Asiens und Amerikas. Ilex aquifolium gedeiht in Mittel- und Südeuropa über den Balkan bis zum Schwarzen Meer. Dank klimatischer Veränderungen während der letzten Jahrzehnte hat sie in Irland, Südwest-Skandinavien und Polen neue Lebensräume erhalten.                                        

In unseren Gefilden gedeiht die immergrüne Pflanze mit Vorliebe im Halbschatten im Unterholz von Laubmisch- und Buchenwäldern, aber auch gesellig in Buchen-Tannen-Wäldern. Sie bevorzugt kalkhaltige, nährstoffhaltige, tiefgründige, feuchte, nicht zu sandige Böden bis 1200 m ü. M., ausnahmsweise bis gegen 1600 m ü. M.

Aussehen und Botanik

Einerseits kennen wir die europäische Stechpalme als aufrechten, ein- oder mehrstämmigen 1 – 5 m hohen Strauch, anderseits als 10 – 20 m hohen, dicht verzweigten Baum mit kegelförmiger, gleichmässiger Krone. Sie bildet ein tiefgehendes, verzweigtes Wurzelwerk und weist ein grosses Stockausschlagpotenzial aus. Ihre am 10 – 30 cm dicken Stamm befindliche Rinde ist während der Jugend glatt und von grüner bis silbergrauer Farbe. Mit zunehmendem Alter wird die Borke schwarzgrau gestreift, teils gepunktet und rissig.

Die immergrünen, wechselständig angeordneten, eiförmigen Blätter mit einem 1 cm langen Stiel sind 4 – 10 cm lang und 2 – 4 cm breit. Sie sind derb-ledrig, mit einem gewelkten, stacheligen Blattrand. Die vor Tierfrass schützenden Stacheln am Blattrand sind abwechselnd aufwärts und abwärts geneigt, nehmen mit zunehmender Höhe der Pflanze ab und sind im oberen Bereich stachelfrei. Interessant ist allerdings, wenn an den oberen Ästen die lorbeerartigen Blätter ohne Stacheln gefressen, das heisst zerstört werden, wachsen in der Folge für eine gewisse Zeit wieder Blätter mit Stacheln!

Im Mai bis anfangs Juni blühen unscheinbare, weisse, angenehm duftende, vierzählig doldige 6 – 8 mm grosse Blüten. Die europäische Stechpalme ist zweihäusig, das heisst, männliche und weibliche Blüten wachsen auf verschiedenen Pflanzen.

Die 8 – 10 mm grossen, korallenroten Steinfrüchte (aus botanischer Sicht keine Beeren!) sind erbsenförmig und reifen im Oktober. Nur weibliche Pflanzen tragen dicht gedrängt an einem Zweig wachsende Früchte mit jeweils vier Kernen. Uns Menschen bekommen die Früchte nicht. Sie sind giftig und verursachen Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall und können sogar tödlich sein. Für Vögel sind sie eine Delikatesse.

Das gleichmässig, feinfaserige und auffallend helle Holz ist trotz seiner Härte gut bearbeitbar.

Waldbauliche und ökologische Bedeutung

In unsern Wäldern gilt die Stechpalme als alteingesessene, heimische Strauch- oder Baumart. Vor allem ist sie in reinen Buchenwäldern, aber auch in Laubmischwäldern recht häufig in Gruppen als „Wald unter dem Walde“ anzutreffen. Lange galt ihr forstwirtschaftlicher Nutzen als unbedeutend, ja sogar als schädlich, weil sie wegen ihres schnell vermehrenden Stachelgestrüpps bei den Waldbesitzern verschrien war. Sie konnte Aufforstungen ersticken; so der alte Spruch aus Deutschland: „Ilse bilse, keiner willse, die böse Hülse!“

Heute ist sie eine Bereicherung unserer Wälder und der Landschaft, speziell an Waldrändern und Hecken. Weil sie als rauchfest gilt, wird sie gerne in Industriegebieten angepflanzt. Zudem zählt die Stechpalme zu den Profiteuren des Klimawandels.

Während der Blütezeit profitieren Bienen und andere Insekten von der Existenz dieser Pflanze. Vögeln bietet sie geeignete, geschützte Nistplätze. Speziell die Amsel, Drossel, Kernbeisser, Mönchsgrasmücke, aber auch Ringeltauben schätzen die nach erfolgtem Frost für sie geniessbaren scharlachroten Früchte als willkommenes Futter während der kalten Jahreszeit. Obendrein sorgen die Vögel für weitere Verbreitung dieses immergrünen Schmuckstückes in der Winterlandschaft.

Verwendung und Nutzung

Das spärlich anfallende langsam wachsende Holz der Stechpalme war früher bei Drechslern und Möbelschreinern für wertvolle Einlegearbeiten begehrt. Aus dem harten Holz wurden Druckstöcke für Holzschnitte, Spinn- und Zahnräder, Hausratholz (z. B. Löffel), weisse Schachfiguren, Peitschenstiele und Spazierstöcke angefertigt. Einer der wohl bekanntesten Spazierstöcke kann noch heute im Goethehaus in Weimar bewundert werden. Zur Reinigung von Schornsteinen wurden früher als Ersatz von Stahlbürsten Büschel aus Stechpalmzweigen verwendet.

In südlichen Ländern wurden früher Bestandteile der Stechpalme für einen weniger rühmlichen Zweck, nämlich zum Singvogelfang genutzt. Aus zerquetschter und vergärter Rinde wurde unter Zugabe von Harz, Leinöl und Honig ein spezieller Leim hergestellt, woran die Vögel kleben blieben und eingesammelt werden konnten.

Weitaus häufiger fanden und finden die Zweige der Stechpalme mit ihren klassischen Weihnachtsfarben Dunkelgrün und Rot zum Dekorieren von Häusern, Türen und Tischen begehrte Verwendung.

Der vor Jahrzehnten übermässige Raubbau dieses Schnittgrüns führte in Deutschland, Grossbritannien und den USA zu Ernteverboten und entsprechenden Schutzverordnungen. Aus diesem Grund wurden spezielle Stechpalmen-Plantagen (Holly-Farmen) angelegt. Dank der Kultivierung erlebte die Stechpalme einen grossen Aufschwung als Zier- und Gartengehölz. Variationen mit orangefarbigen Früchten, aber vor allem zweifarbige gemusterte Blätter (grün-weiss oder grün-gelb) und mit unterschiedlicher Wuchsgrösse der Pflanze sind immer wieder begehrt.

Aus Ilex paraguariensis, einer südamerikanischen Stechpalmenart, wird der auch bei uns beliebte, stark koffeinhaltige Maté-Tee hergestellt. Das südamerikanische Nationalgetränk soll unsere Kräfte und unser Wohlbefinden steigern.

Volkskunde und Symbolik

Bei Kelten, Germanen und Römern wurde das immergrüne Laub bewundert, weil es selten war. Als Symbol für Tod, Wiedergeburt und Treue galt es als heilig. Zudem sollten geweihte Zweige, mit oder ohne Früchte, Mensch und Vieh vor bösen Geistern, Zaubern, Vampiren und Blitzen schützen. Deshalb hängt man noch heute vielerorts die Zweige in Dachgiebel von Gebäuden. In angelsächsischen Ländern unterscheidet man zwischen „She-Holly“ (fruchtbehangene, weibliche Zweige) und „He-Holly“ (männliche Zweige).

Zudem: Wussten Sie, dass der Zauberstab von Harry Potter aus Stechpalmenholz ist?

Die Kirchenväter sträubten sich lange gegen all diesen Aberglauben, bis sie die Stechpalme in der christlichen Liturgie integrierten. Vielerorts werden noch heute am Palmsonntag geflochtene, mit Äpfeln geschmückte Stechpalmenkränze und –körbe in die Kirchen getragen und gesegnet. Alte, verbrannte Stechpalmenzweige liefern ausserdem die Asche, welche der Priester am Aschermittwoch den Gläubigen aufs Haupt streut.

Wegen der Gerb- und Bitterstoffe in Blättern und Rinde der Stechpalme fanden sie in der Heilkunde Verwendung. Der daraus gebraute Tee sollte Linderung verschaffen bei Gicht, Nierensteinen, Gelbsucht, Brustfellentzündung sowie fiebersenkend wirkend und harn- und schweisstreibend sein.

Ausblick

Bestimmt begegnen Sie nach dem Lesen dieser Zeilen der Stechpalme mit anderen Augen, sei es im Wald, Park oder gar im eigenen Garten. Mit dem sympathischen Immergrün durchs ganze Jahr, mit ihren kleinen, duftenden, weissen Blüten im Frühling sowie ihren scharlachroten beerenähnlichen Steinfrüchten wird unser heimischer Ilex das Landschaftsbild weiterhin mitprägen und uns erfreuen.

Wie schrieb doch der deutsche Schriftsteller Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1886) zu Beginn eines Gedichtes:

„O wolle nicht den Rosenstrauss huldvoll als Gruss mir reichen;
Ein immergrünes Stechpalmreis sei unser Liebe Zeichen.“

 

(TR)