Fast ein Jahrzehnt vor "Vivian" und "Wiebke", am 01. August 1983, tobte im Nationalpark Bayerischer Wald ein kurzer, aber heftiger Gewittersturm. In weniger als eine halben Stunde wurden über 100 Hektar Wald mit weit über 50.000 Festmetern Holz geworfen. Nach einem intensiven Diskussionsprozess wurde die Entscheidung getroffen, nur Teile der Sturmfläche zu räumen, andere sich selbst zu überlassen. Damit war eine in Mitteleuropa bis dahin einzigartige Möglichkeit eröffnet:

  • Langfristige Analyse der Bestandsentwicklung ohne jede Räumung
  • Vergleich mit Flächen, die geräumt aber nicht wieder bepflanzt wurden

Als Gestaltung für die Dauerflächen wurde die Transektform, eine Aneinanderreihung zehn mal zehn Meter großer Erhebungsflächen, gewählt. Die Transekte umfassen den umgebenden Wald, gehen über die völlig belassene und geräumte Fläche bis wieder in den Wald hinein (die Waldflächen dienen als Referenz). Auf jeder Fläche wurden ab 1988 alle fünf Jahre bis 2008 erfasst:

  • Gesamt-Artenkombination (pflanzensoziologische Aufnahme)
  • Gehölze > 1 m: Artzugehörigkeit, exakte Position auf der Fläche sowie Höhe und BHD
  • Gehölze < 1 m: Individuensumme je Probefläche
  • Totholz (stehend und liegend): Position und Volumen

Beide Sturmwurfflächen liegen nahe beieinander in einer flachen Talmulde. Die Mulde ist feucht (Anmoorboden), dort sammelt sich Kaltluft. Sowohl die potentielle natürliche Vegetation als auch die aktuelle Vegetation zum Sturmereignis waren ein "Au-Fichtenwald" (Calamagrostio villosae-Piceetum bazzanietosum).

Vegetationsentwicklung

Nach Räumung der Sturmwurffläche im naturnahen Fichtenwald entwickelte sich zunächst eine Schlagflurvegetation, der ein Vorwald folgte. Die Himbeere (Rubus idaeus) beherrschte den Bestand für etwa ein Jahrzehnt, begleitet vom Schmalblättrigen Weidenröschen (Epilobium angustifolium) und einigen Seggen- und Binsen-Arten (Gattungen Carex und Juncus) (Abb. 1 unten). Die heranwachsende Birke bildet den Vorwald und ersetzt damit die Schlagflur (Abb. 2).

Woher kommen solche Arten so rasch?

  • "Samenbank des Bodens": ein Depot keimfähiger Samen und Früchte, die für Jahrzehnte und zum Teil Jahrhunderte im Boden liegen und auf günstige Keimbedingungen warten, wobei "günstig" vor allem Lichtzufuhr bedeutet; dazu zählen Rubus, Carex und Juncus
  • Luftweg: z.B. Weidenröschen oder Birke produzieren enorm viele flugfähige Samen, die zur erfolgreichen Keimung offenen Boden benötigen und sich in Konkurrenz mit vorhandener Vegetation nicht etablieren können, sie benötigen die "Störung"

Beide Gruppen finden fast überall auf der geräumten Sturmwurffläche ideale Etablierungsbedingungen (Abb. 1 oben).

Ganz anders sieht es auf der nicht geräumten Fläche aus. Schlagflurarten und Birken treten sehr viel seltener und bevorzugt auf den aufgeklappten Wurzeltellern auf. Stattdessen entwickelt sich eine zügig heranwachsende Gehölzschicht aus Fichte. Die schon vor dem Sturm vorhandenen Fichten-Keimlinge wachsen üppig weiter, auf den Wurzeltellern etablieren sich neue junge Fichten und nach gut einem Jahrzehnt ist das verrottende Totholz ein ideales Substrat für Fichten-Keimlinge. Im Gegensatz zur recht homogen strukturierten Birken-Baumschicht auf den geräumten Flächen entsteht auf den belassenen Flächen eine vielfältig strukturierte, von Fichte dominierte Baumschicht (Abb. 3).

Gehölzbestand

Eine Kohorte ist eine nach bestimmten Kriterien zusammengestellte Gruppe. Sie ist durch ein zeitlich gemeinsames Startereignis definiert, das die Einheit längerfristig prägt. Hier kann das z.B. das Jahr der Keimung oder das Erreichen von einem Meter Höhe im gleichen Jahr sein.

Bei den jungen Birken setze unmittelbar nach der Etablierungsphase ein starker Ausdünnungsprozess ein. Von der Kohorte, die nach zehn Jahren mindestens einen Meter Höhe erreicht hatte, haben 15 Jahre später etwa 50 Prozent auf der belassenen, nur rund 30 Prozent auf der geräumten Fläche überlebt. Nur zuerst ankommende Birken-Individuen haben eine Chance, sich in der Baumschicht dauerhaft zu etablieren. Diese ist nach Räumung deutlich geringer als ohne Räumung.

Etwas anders bei der Fichte: auf belassenen Flächen weist die 1988-Kohorte nach 20 Jahren eine Überlebensrate von über 70 Prozent auf, die folgenden Kohorten noch höhere. Auf den geräumten Flächen liegt die Überlebensrate der Fichte von Beginn an so niedrig wie die der Birke.

Die daraus resultierenden Populationsgrößen von Birke, Fichte und Eberesche sind in Abb. 4 dargestellt. Die Birke (Betula pendula und B. pubescens) nimmt rasant zu, die Individuenzahl fällt aber ebenso rasch ab. Sie erreicht allerdings wegen geringerer Ausgangszahlen auf den belassenen Flächen nur halb so hohe Populationsdichten wie auf geräumten. Die Fichte (Picea abies) erreicht bei Weitem nicht so hohe Populationsdichten, baut diese aber im ersten Vierteljahrhundert fortlaufend aus. Bei der Eberesche (Sorbus aucuparia) steigt die Individuenzahl wie bei der Birke zu Beginn rasch an, aber auf sehr viel geringerem Niveau; danach sinkt die Anzahl viel schwächer, liegt also näher an der Fichte.

CO2-Bilanz

Es wurde auch die CO2-Bilanz beider Versuchsflächen analysiert (Abb. 5). Durch den sukzessiven Abbau des angefallenen Stammholzes entsteht CO2, das in die Atmosphäre entlassen wird. Nach rund zehn Jahren wird wieder CO2 in neu erzeugtem Holz festgesetzt. Auf den beiden Flächen wurde kein signifikanter Unterschied in der CO2-Fixierung festgestellt.

Folgerungen für die Praxis

Nach 25 Jahren ist einerseits ein einheitlicher Birken-Vorwald mit Fichten als sehr kleinen Individuen in der Unterschicht und andererseits ein reich strukturierter Fichtenbestand mit eingestreuten Birken entstanden. Der Unterschied ist allerdings nicht immer so plakativ wie in diesem Fallbeispiel, da viele Ursachen mit hineinspielen:

  • Der Grad der Bodenstörung kann stark variieren.
  • Bei Windbruch werden Baukronen zu Boden geworfen, der Boden selbst bleibt von den Störungen allerdings weitgehend unbeeinflusst.
  • Werden wenige große Bäume geworfen, entstehen nur punktuelle Störungen. Werden dagegen viele dicht beieinander stehende Bäume geworfen, ist auf einer größeren Fläche der Boden stark aufgerissen.
  • Im steilen Gelände kann rutschendes Totholz weitere Bodenstörungen erzeugen.
  • Befahren im Zuge der Räumung scheint das Extrem der flächigen Bodenstörung darzustellen.
  • Störungszeiger, die vor dem Sturm bereits im Bestand etabliert sind, finden nach der Freistellung auch ohne zusätzliche Bodenstörung ideale Wuchsbedingungen vor.

Der eingeschlagene Weg nach dem Sturmwurf hängt also nicht nur von Art und Intensität der Störung ab, auch der Vorbestand und damit die Bestandsgeschichte beeinflussen ihn. Das "Zeitfenster" für die Etablierung neuer Arten ist sehr kurz.

Daraus ergeben sich drei wichtige Konsequenzen für die Bewirtschaftung von Wäldern nach dem Sturmwurf:

  • Vorausverjüngung von Zielbaumarten sollte bei der Räumung nicht zerstört werden. Der Harvester-Einsatz kann dabei durchaus hilfreich sein. Das Vorhandensein von Brombeere kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass sich nach Lichtstellung ein Brombeerdickicht entwickeln wird.
  • Waldbestände müssen nicht zwingend geräumt werden, da in manchen Fällen der Aufwand größer ist als der Ertrag. Allerdings sind immer Waldschutzaspekte zu berücksichtigen. Die Selbst-Regeneration des Waldes führt zu strukturreichen Beständen.
  • Welcher Weg auch gewählt wird, die Ergebnisse hinsichtlich CO2-Festlegung sind in vielen Fällen gleich oder zumindest sehr ähnlich.