Die "Laborratte" ist sprichwörtlich. Ratten und Mäuse sind leicht zu züchten und zu halten, und sie sind in ihren Lebensfunktionen dem Menschen so weit ähnlich, dass wichtige Parallelen im Stoffwechsel, in den Organfunktionen, teilweise sogar im Verhalten vorhanden sind. Damit kann man neue Medikamente an diesen Tieren testen, ohne Menschen einer Gefahr durch unbekannte Nebenwirkungen auszusetzen.
Man kann auch Aspekte des Verhaltens von Gruppen beobachten. Jedoch sollte man dabei die wichtigen Unterschiede nie vergessen – Menschen können zum Beispiel auf der Ebene der Sprache kommunizieren, sind größer als Ratten, und sie leben um Jahrzehnte länger. Auch für Waldbäume gibt es solche biologischen Modelle; sie werden derzeit in Forschungsprojekten intensiv untersucht.
Wenig erforschte Gene von Pflanzen
Man weiß heute schon viel mehr über die Gene vieler Pflanzenarten als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Dennoch ist man weit davon entfernt, für jedes der etwa 20.000 Gene einer typischen Pflanzenart eine genaue Funktion zu kennen; der Großteil der Gene ist noch immer ungenügend charakterisiert. Vor allem wissen wir sehr wenig darüber, welche Gene wirklich für die Unterschiede zwischen Pflanzenarten verantwortlich sind, und noch weniger, was die Grundlage der Unterschiede von Bäumen innerhalb einer Art ausmacht. Dass die meisten unserer Waldbäume genetisch sehr variabel sind, dass sie sich untereinander so wenig gleichen wie ein Mensch dem anderen, ist klar, aber warum?
Es ist sogar noch weitgehend unklar, was man alles unter dem Begriff "Gene" aufzählen sollte. Nicht nur Anweisungen für den Bau von Proteinen in den Zellen, auch Regelungs-Sequenzen und "Schalter", die bestimmte andere Gene ein- und ausschalten, sind in der DNA kodiert. Obwohl man die gesamte DNA-Sequenz mancher Pflanzen- und sogar Baumarten kennt, das heißt die reine Anordnung von Milliarden von "Buchstaben des Lebens" (siehe Tabelle), ist man weit davon entfernt, den gesamten Sinn dieses Kunstwerkes der Natur zu erfassen.
Baumart | Veröffentlichung bzw. Arbeitsgruppe | Genomgröße (Anz. Basenpaare – bp) |
Populus trichocarpa (Balsampappel) | Tuskan et al. 2006 | 485.000.000 bp |
Betula nana (Zwergbirke) | Wang et al. 2013 | 440.000.000 bp |
Hevea brasiliensis (Gummibaum) | Abdul Rahman et al. 2013 | 2.150.000.000 bp |
Prunus avium (Süßkirsche) | Washington State University (USA) | 338.000.000 bp |
Eucalyptus grandis | Myburg et al. 2014 | 640.000.000 bp |
Quercus robur (Stieleiche) | INRA Bordeaux (FR) | 740.000.000 bp |
Picea abies | Nystedt et al. 2013 | 19.600.000.000 bp |
Picea glauca (Schimmelfichte) | Birol et al. 2013 | 20.000.000.000 bp |
Pinus taeda (Weihrauch-Kiefer) | Wegrzyn et al. 2014; Neale et al. 2014; Zimin et al. 2014 | 22.000.000.000 bp |
Pinus sibirica, Larix sibirica | Siberian Federal University, Krasnoyarsk (RU) | 23.620.000.000 bp 12.030.000.000 bp |
Fraxinus excelsior (gemeine Esche) | Queen Mary, University of London (UK) | 877.000.000 bp |
Pinus sylvestris (Weißkiefer) | Umea University (SE) | 23.000.000.000 bp |
als Vergleich: | ||
Arabidopsis thaliana | The Arabidopsis Genome Initiative 2000 | 125.000.000 bp |
Homo sapiens (moderner Mensch) | Lander et al. 2001 | 3.000.000.000 bp |
Tabelle: Einige Baumarten mit Genomsequenzen (veröffentlicht oder in Arbeit)
Bäume sind keine Labormäuse
Genau an diesem Punkt kommen Modellarten ins Spiel. Es ist kaum vorstellbar, mit unseren Wirtschaftsbaumarten Experimente durchzuführen, wie sie etwa mit Labormäusen möglich sind: Die Generationsdauer ist viel zu lang, das Wachstum zu langsam, die Bäume sind zu groß,um sie längere Zeit unter genau kontrollierbaren Bedingungen wachsen zu lassen.
Wäre es vorstellbar, dafür "Miniatur-Varianten", eine Art Bonsai, zu verwenden? Eher nicht, da die Unterschiede zwischen Jugend, Stangenholz, Baumaltersphase und Zerfall nicht so leicht nachzubilden sind; Bonsais sind durch andauernde Schnitt- und Pflegemaßnahmen in ihrer Entwicklung permanent gestörte Pflanzen. Immerhin gibt es Birkenlinien, die schon als Sämlinge blühen.
Modell-Pflanzenarten sind also mehr für zelluläre Prozesse heranzuziehen als für das Wachstum im Baumstadium. Unter dieser Voraussetzung ist es aber durchaus möglich, leichter manipulierbare Pflanzen für wissenschaftliche Experimente zu verwenden, und aus den Ergebnissen Rückschlüsse auch auf Bäume zu ziehen. Die Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana wurde von Prof. em. Dr. Maarten Koornneef vor allem deshalb als Modell etabliert, weil sie als ganze Pflanze auf einen Mikroskop-Objektträger passt. Sie kann leicht gekreuzt werden, und die kleinen Samen sind einfach manipulierbar, sie können sogar zu Mutationen angeregt werden.
Die Konzentration vieler Forscherinnen und Forscher auf eine Art bringt den großen Vorteil, dass für die Gemeinschaft Datenbanken, Pflanzen- sowie Samensammlungen und allgemein Erfahrungen aufgebaut werden können. Der überwiegende Großteil unserer Erkenntnisse über den Zellstoffwechsel, über Regulationsmechanismen und über die Wirkung einzelner Gene in Mutanten von Pflanzen, die sichtbare Veränderungen aufweisen, stammt von diesem unscheinbaren Acker-Unkraut.
Wirkungsweise der einzelnen Gene schwer herauszufinden
Warum ist es so schwierig herauszufinden, was einzelne Gene bewirken? In jeder Pflanzenzelle sind zu jedem Zeitpunkt hunderte und tausende von Genen aktiv. Die Suche nach der Ursache für eine Veränderung im Stoffwechsel oder im Wachstum gleicht deshalb der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mit der Acker-Schmalwand-Pflanze gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, Linien zu kreuzen, die sich nur in einem interessanten Merkmal unterscheiden; das macht diese Suche um einiges leichter.
Man kann auch den umgekehrten Weg gehen und einzelne Gene unterdrücken oder ausschalten, und die dadurch hervorgerufenen Veränderungen beobachten und beschreiben. Auf diese Weise ist ein Grundstock an Genen bekannt, die hauptsächlich für die Grundfunktionen von Pflanzenzellen verantwortlich sind. Auch viele Wechselwirkungen von Genen untereinander sind an dieser Modellpflanze erforscht worden.
Das kleine Ackerunkraut ist kein Baum
Aber ein kleines Ackerunkraut ist eben kein Baum. Es wurde zwar gezeigt, dass in manchen Zellen von Arabidopsis Holz-ähnliche Strukturen entstehen, aber schon der Versuch, den jährlichen Wachstumszyklus mit winterlichen Ruhephasen und Wachstum während der Vegetationszeit im Modell nachzubilden, scheitert.
Deshalb sind Pappel- und Eukalyptusarten ins Spiel gekommen. Diese lassen sich, wie auch die Birke, relativ leicht manipulieren und kreuzen; alle haben sehr kleine Samen und sind leicht anzuziehen. Die Möglichkeit zur vegetativen Vermehrung über Steckholz ist ein großer Vorteil für die beiden Erstgenannten, die ja auch in der Forstwirtschaft als Klone verwendet werden.
Forschungsobjekt Graupappel-Hybride
Abb2: Die nordamerikanische Balsampappelart Populus trichocarpa
Ein immenser Nachteil ist, dass sie – wie die meisten Baumarten – sehr heterozygot sind, das heißt, dass sie auf den Chromosomenpaaren meist unterschiedliche Genvarianten tragen. Eine Balsam-Pappelart, Populus trichocarpa, war auch die erste Baumart, deren Genom vollständig sequenziert wurde, als dritte Pflanzenart überhaupt (Tuskan et al. 2006); d.h. die Abfolge aller Bausteine der DNA ist bekannt. (Abb. 2).
An Graupappel-Hybriden wird an den Mechanismen der Artbildung geforscht, eine Frage, die seit Charles Darwin Generationen von Forschern interessiert (Lexer et al. 2005). Mittlerweile kann man das Problem auf einzelne Chromosomenbereiche einengen, und die Interaktionen der Gene, die sich in den Elternarten auseinander entwickelt haben, im Detail untersuchen (Stölting et al. 2015, Christe et al. 2016).
Erster Entwurf des Fichtengenoms
Welche Modelle können für die österreichischen Wirtschaftbaumarten herangezogen werden?
Abb. 3: (Picea abies)
Die heimische Fichte (Picea abies, Abb. 3)) ist als Nadelbaum zwar im Interesse einiger internationaler Forschungsprojekte, die Besonderheiten im Genom dieser Gruppe machen jedoch schon die Sequenzierung sehr schwierig. Der Großteil der DNA der Chromosomen besteht aus tausendfach wiederholten Abschnitten, deren Bedeutung noch immer unklar ist, und die die zwei bis drei Prozent "echten" Gene maskieren. Eine schwedische Arbeitsgruppe hat einen ersten Entwurf des Fichtengenoms veröffentlicht (Nystedt et al. 2013; congenie.org).
Kieferngenome im Fokus
Andere Koniferen-Genome, die derzeit bearbeitet werden, sind in der Tabelle angeführt. Am weitesten davon ist die Bearbeitung der nordamerikanischen Kiefernart Pinus taeda, die für den Südosten der USA große Bedeutung hat. Im EU-finanzierten Projekt ProCoGen wurden neben der Fichte auch die Waldkiefer (Pinus sylvestris) und die Seestrandkiefer (Pinus pinaster) eingehend untersucht. Es konnten auch für österreichische Fichten hunderte Marker analysiert werden, die Rückschlüsse auf Verwandtschaftsverhältnisse in Saatgutbeständen ermöglichen (Heinze et al., in Bearbeitung).
Mit der sibirischen Zirbe Pinus sibirica und der sibirischen Lärche Larix sibirica stehen bald Genome für die beiden verwandten, einheimischen Hochgebirgsarten zur Verfügung (Siberian Federal University, Krasnoyarsk, Russland). Aber auch ungewöhnliche Baumarten wie die Eibe (Taxus baccata) hätten einige Vorteile als Modellbaumart zu bieten (Heinze 2004).
Bei den Laubhölzern ist das Fachgebiet außer bei Pappeln, Eukalyptus und Birkenarten noch relativ zersplittert. Es gibt Anstrengungen für die Buchengewächse (Fagaceen), zu denen auch die Eichen zählen. Die Eschenkrankheit hat in Großbritannien die Möglichkeit geschaffen, das Genom der gemeinen Esche (Fraxinus excelsior) zu untersuchen.
Daten offen zur Verfügung stellen
Die ganzen Vorteile aus der Modellarten-Forschung kommen aber erst dann zum Tragen, wenn die Daten für alle interessierten Forschergruppen offen zugänglich sind. Diese Basisdaten dienen als ein Nachschlagwerk, das man zum Vergleich der Wirkungen ähnlicher Gene in verschiedenen Baumarten einfach immer "zur Hand" haben muss (im Internet). Den Aufwand dafür muss sich die internationale Forschungsgemeinschaft irgendwie aufteilen.
Dennoch ist es oft ein weiter Schritt vom Modell zur Wirklichkeit im Wald. Wir sind noch weit entfernt davon, das Wachstum ganzer Wälder rein auf der Grundlage von Gen-Analysen vorherzusagen. Ähnlich wie beim Menschen die Lebensweise spielen bei den Bäumen das Klimageschehen und die waldbauliche Behandlung eine ähnlich entscheidende Rolle.