Das Verbreitungsgebiet unserer wichtigsten Baumarten erstreckt sich über viele hunderte bis tausende Kilometer. Zum Beispiel wächst die Fichte vom südlichen Bulgarien bis ins nördliche Finnland und die Weißtanne von der Stiefelspitze Italiens bis in die deutschen Mittelgebirge. Dabei orientieren sich die Vorkommen der Baumarten und deren vielfältigen lokalen Anpassungen an den ökologischen Lebensräumen, also im Wesentlichen an Topografie, Klima und Boden.
Gerade in Mitteleuropa sind diese Lebensräume von zahlreichen politischen Grenzen durchschnitten, die durch nationale Gesetze die forstliche Bewirtschaftung beeinflussen. Der Klimawandel macht vor diesen nationalen Grenzen nicht Halt; daher sollte die Suche nach Lösungen für eine angepasste Waldbewirtschaftung grenzüberschreitend erfolgen. Das gilt im Besonderen für forstliches Saat- und Pflanzgut, von dem allein im Mitteleuropa jedes Jahr mehrere hundert Millionen Forstpflanzen gesetzt werden.
Im Projekt SUSTREE wird nach grenzüberschreitenden Herkunftsgebieten, die sich an den ökologischen Lebensräumen der Bäume orientieren, gesucht. SUSTREE wird durch das Interreg Programm CENTRAL EUROPE finanziert und zielt auf die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Baumartenvielfalt im Hinblick auf den Klimawandel ab. Acht forstliche Organisationen aus Österreich, Tschechien, Deutschland, Ungarn, Polen und der Slowakei arbeiten unter Leitung des Bundesforschungszentrums für Wald in Wien zusammen.
SUSTREE verfolgt drei wesentliche Ziele
- Die Entwicklung eines länderübergreifenden Modells für den Austausch von Forstsaatgut/-pflanzen, um eine nachhaltige Nutzung genetischer Ressourcen im Klimawandel zu ermöglichen. Dazu gehören u.a. länderübergreifende Samentransferzonen und Karten zur Anbauwürdigkeit von Baumarten.
- Die Erstellung eines einfachen und einheitlichen Zugangs zu nationalen Datenbanken mit forstlichem Vermehrungsgut, den sogenannten Zulassungsregistern, und eine Verknüpfung dieser Informationen mit Klimadaten und den Samentransferzonen.
- Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung bei Waldbewirtschaftern, Forstbaumschulen, Naturschutzmanagern und nicht zuletzt politisch verantwortlichen in Brüssel und den beteiligten Ländern.
Veränderte Naturschutzleistungen
Die Projektergebnisse sollen in Form von einfachen Online- und Smartphone-Apps Waldbewirtschaftern und Forstbaumschulen verfügbar gemacht werden. Darüber hinaus sollen gezielt auch Naturschutzverantwortliche angesprochen werden, denn vielen im Waldnaturschutz tätigen Institutionen ist nicht bewusst, dass die erwarteten Baumartenveränderungen im Klimawandel auch die Naturschutzleistungen des Waldes stark verändern werden.
In der ersten Projekthälfte wurde deswegen eine Umfrage unter Waldbewirtschaftern, Naturschutzverantwortlichen und Forstbaumschulen durchgeführt. Mehr als 800 Antworten aus den sechs Projektländern zeigen, dass in allen Ländern ein hohes Bewusstsein für den Klimawandel und seine Auswirkungen auf den Wald vorhanden ist. So erwarten mehr als 80% aller Teilnehmer Veränderungen ihrer Tätigkeit. Allerdings hat dieses Bewusstsein noch nicht generell zu einem veränderten Management geführt: immerhin berücksichtigen bereits 70% der Waldbewirtschafter und 51% der Naturschutzverantwortlichen den Klimawandel in Ihren Planungen.
Abb. 2: Erwartete Auswirkungen des Klimawandels bei Saat- und Pflanzgut laut Umfrage
Sehr spezifische Auswirkungen auf Ihre Tätigkeit haben Forstbaumschulen: knapp 50% erwarteten eine verstärkte Nachfrage nach Herkünften mit höherer Resistenz gegenüber Klimaextremen und neuen Schädlingen. Zudem wird eine höhere Nachfrage nach anderen Baumarten erwartet. Die Nachfrage nach Pflanzgut aus anderen Ländern wird dagegen als gering eingestuft.
Eine andere Frage beschäftigte sich mit der Bedeutung und Kenntnis der genetischen Vielfalt. Nahezu 100% aller Befragten sind überzeugt, dass diese für Waldbäume besonders wichtig ist. Allerdings fühlten sich nur 42% der Naturschutzverantwortlichen und 62% der Waldbewirtschafter ausreichend über die genetische Vielfalt informiert. Diese Wissenslücke zu füllen ist eine wichtige Aufgabe des SUSTREE-Projektes. Zum Beispiel sollen vereinheitlichte Aus- und Weiterbildungsmaterialen für die forstliche Ausbildung an Forstschulen und Universitäten entwickelt werden.
Modellbaumarten Fichte und Eiche
Die ersten Projektergebnisse wurden Ende April 2018 in Chorin in Deutschland auf der Halbzeitkonferenz präsentiert. In der ersten Projekthälfte wurden die technischen Voraussetzungen für eine Informations-App geschaffen. Dazu gehören die Bereitstellung von geeigneten Klimadaten, Verbreitungskarten der sieben ökologisch und ökonomisch wichtigsten mitteleuropäischen Baumarten und eine Datenbank mit bestehenden Herkunftsversuchen. Diese Daten wurden bereits verwendet, um die Abgrenzung bestehender Herkunftsgebiete zu evaluieren und es zeigte sich, dass in den einzelnen Ländern die Abgrenzung nach unterschiedlichen Kriterien erfolgte.
Abb. 3: Jahresmitteltemperatur der Länder- und Herkunftgebietsgrenzen in Mitteleuropa.
Ein Klimavergleich für Fichte und Stieleiche als Modell-Baumarten ermöglichte bereits die Festlegung von Herkunftsgebieten mit ähnlichen klimatischen Bedingungen. Diese Cluster sollen in weiterer Folge für die Definition von grenzüberschreitenden Herkunftsgebieten verwendet werden. In der zweiten Projekthälfte sollen die entwickelten Modelle dann in der Praxis erprobt werden. Die Österreichischen Bundesforste, die als Projektpartner beteiligt sind, werden dazu ihre Saatguterntebestände einer virtuellen Prüfung unterziehen. Dabei wird getestet, in welche Regionen die verschiedenen Herkünfte bei Berücksichtigung des Klimawandels gepflanzt werden sollten und ob möglicherweise zusätzliche Herkünfte aus anderen Regionen und Ländern erforderlich sind.
Die endgültigen Projektergebnisse werden für den Sommer 2019 erwartet. Diese sollen nicht nur den Praktikern in den einzelnen Ländern präsentiert und verfügbar gemacht werden, sondern auf einer Abschlussveranstaltung auch den politisch Verantwortlichen in Brüssel. Denn die derzeitigen nationalen und europäischen Gesetze für den Umgang mit forstlichem Vermehrungsgut sind auf die Herausforderungen des Klimawandels nicht vorbereitet.