Ein uraltes Verfahren
Die künstliche Absenkerverjüngung nutzt die natürliche Befähigung vieler Baumarten zur Bildung von Adventivwurzeln an solchen Stammteilen oder Ästen, die Bodenkontakt haben. Seit der Antike kann die gezielte Verjüngung verschiedener Baumarten durch Absenker belegt werden. Auf diese Weise wurden insbesondere Eichen, Erlen, Linden, Platanen, Feigen, Ölbäume und Granatapfel, aber auch Kiefern und die Rotbuche verjüngt. Diese Form der vegetativen Vermehrung ist vor allem dann ökologisch bedeutsam, wenn Gehölze aufgrund extremer Wuchsbedingungen unter Stress stehen. Beispielsweise etwa im Bereich der alpinen Baumgrenze oder anderer Extremstandorte, aber auch bei hoher Wilddichte mit starkem Verbissdruck und in sehr dynamischen Ökosystemen wie Auwäldern.
Absenkerverjüngung in der forstlichen Literatur
In waldbaulichen Lehrbüchern des 18. und 19. Jahrhunderts hat die künstliche Absenkerverjüngung ihren festen Platz. Beschrieben werden verschiedene Verfahren, um junge Bäume durch Herunterbiegen und Befestigung ihrer Zweige im Boden zur Adventivwurzelbildung zu veranlassen. So ließen sich zahlreiche Ablegerpflanzen erziehen, die dann vereinzelt werden konnten. Sowohl in Deutschland als auch im übrigen Mitteleuropa war diese Methode der Gehölzvermehrung vielerorts fester Bestandteil der Waldbewirtschaftung. Dies galt vor allem für solche Bestände, die im Niederwaldbetrieb genutzt wurden und sich im oft klein parzellierten Privatwaldbesitz befanden.
Wachstumsvorsprung
Besonders verbreitet war die Absenkerverjüngung im Bereich der nordwestdeutschen Höhenzüge Teutoburger Wald und Wiehengebirge, wo ab dem 18. Jahrhundert vor allem die Rotbuche entsprechend vermehrt wurde. Das Verfahren entsprach den Wirtschaftsverhältnissen im bäuerlichen Kleinprivatwald des 19. Jahrhunderts sehr gut. So konnte das Ablegen der Buchengerten in den weniger arbeitsintensiven Zeiten des Jahres durchgeführt werden. Auch waren die aus Absenkern entstandenen Jungbäume relativ schnell den Mäulern des Weideviehs entwachsen. Zudem waren keine Geldmittel für den Ankauf von verschulten Heistern oder die Anlage von Pflanzkämpen vonnöten. Es bildete sich eine plenterartige Niederwaldwirtschaft heraus, die mit übergehaltenen Eichen zur Bauholzerzeugung mitunter Mittelwaldcharakter aufwies. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als preisgünstige fossile Energieträger die Brennholznutzung verdrängten, wurden viele Niederwälder in Richtung eines Laubholz-Hochwaldes entwickelt oder in Nadelholzbestände umgewandelt. Nichtsdestotrotz fand die Absenkerverjüngung bis ins späte 20. Jahrhundert hinein vereinzelt Anwendung. Insgesamt haben im Teutoburger Wald und im Wiehengebirge viele ehemals im Niederwaldbetrieb bewirtschaftete Bestände mit ihren markanten Strukturen bis heute überdauert.
Abb. 2: Ausgegrabene Absenkergruppe mit sechs Absenkerpflanzen. Der Mutterstamm ist 6,1 m lang, der Durchmesser bei 1,3 m beträgt 6,1 cm. Quelle: Lithografie aus Burckhardt (1857)
Besondere Lebensräume
Die von Rotbuchen dominierten, durchgewachsenen Niederwälder stellen heute aufgrund ihrer zahlreichen Habitatstrukturen und ihrer langen Lebensraumkontinuität besonders wertvolle Lebensräume dar. Die ausgedehnten und langlebigen sowie struktur- und totholzreichen Niederwaldstöcke haben eine große Bedeutung für die Biodiversität. Die Stöcke, aus denen mitunter schon mehrere Generationen von Stockausschlägen entwachsen sind, können Alter von vermutlich mehr als 200 Jahren erreichen. Aus forstgenetischer Sicht wäre interessant zu untersuchen, wie sich die genetische Struktur von durchgewachsenen Buchen-Niederwäldern darstellt und ob das Absenkerverfahren etwa zur genetischen Vereinheitlichung einzelner Bestände geführt hat. Auch wäre es von großem Interesse, das tatsächliche Alter einzelner Rameten (Absenkerpflanzen) zu erfahren. Insbesondere die Absenkervermehrung der Buche führte zur Entwicklung von großen, strukturreichen und mitunter sehr langlebigen Wurzelstöcken. In Verbindung mit Habitatbäumen, die aus Stockausschlägen hervorgegangen sind, weisen diese strukturreichen Niederwaldstöcke eine Vielfalt an Mikrohabitaten wie Mulmhöhlen, Rindentaschen, Wurzelhöhlen und Dendrotelmata („Wassertöpfen“) auf.
Abb. 5: Dieser alte, langgestreckte und strukturreiche Buchen-Wurzelstock ist durch Absenkervermehrung und Niederwaldnutzung entstandenen. Großer Kellenberg im Wiehengebirge bei Melle. Foto: Volker Tiemeyer
Hohe Bedeutung für Naturtourismus
Auch für den Naturtourismus haben die Niederwaldbestände mit ihren abwechslungsreichen und oft bizarr wirkenden Wuchsformen eine große Bedeutung. So wird gezielt für Wanderungen durch die „verwunschen wirkenden“ Niederwaldgebiete des Teutoburger Waldes geworben, denen „die häufig bizarr geformten Rotbuchen“ ein „urtümliches Aussehen“ verleihen. Die Anwendung des Vertragsnaturschutzes als Instrument zur finanziellen Honorierung und Förderung entsprechender Bewirtschaftungspraktiken kann hier zielführend sein, vor allem im Kleinprivatwald. Auch lohnt in diesem Zusammenhang ein Blick nach Großbritannien, wo in Niederwäldern die Absenkerverjüngung von Hasel und Edelkastanie heute noch gemäß alter Traditionen durchgeführt wird.
Fazit
Eine Wiederbelebung der Absenkerverjüngung aus kulturhistorischen und naturschutzfachlichen Gründen bietet daher Möglichkeiten in mehrfacher Hinsicht. Im Erfolgsfall kann einerseits ein sehr bemerkenswertes waldbauliches Verfahren vor dem Vergessen bewahrt werden. Andererseits könnten sowohl regionaltypische Bestandesstrukturen für die Nachwelt, den Naturschutz und Waldbesucher erhalten bleiben als auch neu entwickelt werden.