An der Waldgrenze bilden sich durch die extremen Bedingungen natürliche Baumkollektive aus, die eine Anpassung an die Standortbedingungen darstellen (Strobel, 1997). Wie diese Rotten entstehen und wie sie sich zeitlich und räumlich entwickeln, ist noch wenig erforscht. Daher wurde in der vorliegenden Studie eine Fichtenrotte an der Waldgrenze mittels Jahrringanalyse untersucht, um anhand der Anzahl Jahrringe die Struktur der Rotte zu beschreiben und deren Entwicklung zu rekonstruieren. Ziel war es herauszufinden, wie sich die einzelnen Bäume entwickelt haben, welche Positionen sie einnehmen und wie dies mit Standortfaktoren und Alter zusammenhängt.
Rotten sind voneinander räumlich abgrenzbare Baumkollektive, die aus mehreren gedrängt stehenden Einzelbäumen bestehen.
Das Untersuchungsgebiet liegt oberhalb von Schwanden (Kanton Glarus) bei Ober Gheist (ca. 2015 m ü.M.). Der Hang ist südwest-exponiert, und die Hangneigung beträgt 60–65%. Die Rotte besteht aus 23 Fichten und bedeckt eine Fläche von 2,8 m2 (Abb. 1). Der Untergrund ist geprägt durch vorwiegend saures Verrucano-Gestein. Das Gebiet liegt am Rande des Kerngebietes "Geopark Sardona" und wurde bis 1956 mit Rindern bestossen.
Vor dem Fällen der einzelnen Stämme wurde der Standort genau kartiert. Nach dem Fällen wurden alle Individuen skizziert, vermessen und fotografiert. Für die Jahrringbreitenmessung wurde von jedem Stamm und jeder Verzwieselung alle 20 cm eine ca. 2 cm dicke Scheibe entnommen. Die Scheiben wurden im Labor bearbeitet, um die Jahrringbreitenmessung gemäss existierender Standardverfahren durchzuführen. Pro Scheibe wurden die zwei längsten Radien gewählt und die Jahrringbreiten von der Rinde (Fälldatum = bekanntes Kalenderjahr) zum Mark mithilfe des Computers gemessen. Anschliessend wurden die Jahrringkurven miteinander verglichen und auf eventuell fehlende Jahrringe überprüft.
Standort und Alter
An einem verjüngungsgünstigen Punkt haben sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts 23 Bäume auf einer grossen Felsplatte angesiedelt. Zur Zeit der Kartierung (2011) waren sie 18 bis 160 Jahre alt. Die meisten Bäumchen liessen sich drei Altersgruppen zuordnen (Abb. 3). Auffallend war, dass sich neue Bäumchen ausschliesslich hangabwärts und im Windschatten der älteren ansiedelten. Dabei schienen Windrichtung (Nordwest) und Hangexposition von Bedeutung zu sein.
Die erste Gruppe repräsentiert die Etablierung der Rotte ab 1850 bis 1941. Die zweite Gruppe besteht aus den Bäumen, die im Schutz der ersten Gruppe aufwuchsen (1951–1962). Zur dritten Gruppe zählen Bäume, die sich zwischen 1981–1992 unterhalb der anderen beiden Gruppen ansiedelten.
Der nachweisbare Ursprung der Rotte ist Stamm G1, der südlich eines Felsblockes keimte. Auch die Stämme C, G2 und G3 wuchsen südlich eines Blockes. Der Ursprungsstamm liegt auf einer leichten Kuppe, die im Frühling schneller ausapert. Dort ist der Konkurrenzdruck durch die übrige Vegetation geringer. Dass sich Fichten gern an solchen Standorten ansiedeln, zeigten auch die Untersuchungen von Kuoch und Amiet (1970).
Die erste Gruppe hat sich um den Ursprungsstamm G1 Richtung Süden, Norden und Westen entwickelt. Die zweite Gruppe breitete sich eher nach Südwesten hin aus, also hangabwärts. Die dritte Gruppe etablierte sich hauptsächlich Richtung Süden. Untersuchungen von Strobel (1997) zeigten, dass neue Bäume vor allem in der Umgebung eines grösseren Baumes keimen oder am Rand einer Rotte. Bei der hier untersuchten Rotte kann dies ebenfalls gezeigt werden. Ein nachträgliches Aufkommen eines Stammes in einer geschlossenen Gruppe liess sich nicht feststellen. Die Ausbreitung der Stämme erfolgte hauptsächlich hangabwärts Richtung Südwesten. Hangaufwärts hingegen siedelten sich keine neuen Bäume an. Dieses Resultat steht in Einklang mit Untersuchungen von Meile (2010) sowie Kuoch und Amiet (1970).
Die jungen Bäume konnten vor allem im Windschatten bestehender Bäume wachsen. Die Ausbreitung der Rotte bei Ober Gheist Richtung Südwesten ergab sich aber nicht nur wegen des Windschattens. Da die Rotte an einem Südwest-exponierten Hang liegt, ist sie vor allem hangabwärts der Sonne ausgesetzt, was für den Anwuchserfolg sehr günstig war. Andererseits wird die Oberseite der Rotte wegen der Hanglage durch Schneekriechen und -gleiten beeinflusst. Die untere Seite der Rotte hingegen ist durch die Bäume der Rotte selbst vor diesen Gefahren geschützt.
Dickenwachstum
Sich verändernde Klimabedingungen wirken sich in der Regel direkt auf das Durchmesserwachstum von Bäumen aus. Jedoch können artspezifisch auch kleinräumige biotische und abiotische Faktoren den klimatischen Einfluss überdecken.
Die mittlere Jahrringbreitenkurve der gesamten Rotte basiert auf den Daten von 18 Bäumen, die sicher datiert werden konnten (Abb. 4). Der Beginn der Mittelkurve (ab 1865) ist weniger aussagekräftig als ihr weiterer Verlauf, weil am Anfang nur Stamm G1 in die Mittelkurve einfliesst und erst allmählich mehr Bäume hinzukommen.
Abb. 4 - Mittlere Jahrringbreitenkurve und daran beteiligte Anzahl Bäume (Belegungsdichte) der Rotte bei Ober Gheist. Rechts sind exemplarisch 2 Scheiben der Stämme A (oben) und B (unten) dargestellt, deren Jahrringbreiten entlang der eingezeichneten Radien gemessen wurden und Teil der Mittelkurve sind.
Die teilweise grossen Schwankungen der Jahrringbreiten sind vor allem klimatisch bedingt, allerdings wurden die einzelnen Radien der Jahrringbreitenmessung oft durch Druckholzbereiche gelegt, um alle vorhandenen Jahrringe zu erfassen. Dadurch können vereinzelt positive Ausschläge (breite Jahrringe) verstärkt wer-den.
Ab etwa 1950 ist eine Abnahme der Jahrringbreite zu erkennen. Nach dem Tiefpunkt im Jahr 1975 nehmen die Jahrringbreiten wieder zu, ihr durchschnittliches Niveau steigt. Das weitere Ansteigen kann nicht allein durch das höhere Wuchsniveau der jungen Bäume ab 1981 erklärt werden, denn auch die älteren Einzelbäume zeigen ein höheres Wuchsniveau ab den 1980er-Jahren. Dieses Phänomen ist im ganzen Alpenraum zu beobachten. In Perioden mit tieferen Temperaturen zeigen die Bäume einen geringeren Zuwachs als in wärmeren Jahren. Da die mittleren Temperaturen seit den 1960er-Jahren ansteigen, dürfte dieser Temperaturanstieg auch die grösseren Jahrringbreiten nach 1975 erklären.
Höhenwachstum
Die Auswertung der Stammscheiben alle 20 cm erlaubt zudem eine Analyse des Höhenwachstums aller Einzelbäume. Die einzelnen Fichten der Rotte können demnach in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die Bäume der ersten Gruppe (16 Stäm-me: A, B, D, F, G1, G2, I, K, L, M, N, R, S, T, U und V) weisen ein relativ regelmässiges, lineares Wachstum auf. Die zweite Gruppe (7 Stämme: C, E, G3, H, P, Q und W) zeichnet sich zu Beginn durch ein sehr langsames Wachstum aus, gefolgt von einem markanten (Höhen-)Wachstumsschub.
Gründe für dieses Muster können etwa starker Verbiss oder Konkurrenz durch andere Fichten sein. Da die Alp Gheist nur mit Rindern bestossen wurde, ist es allerdings wenig wahrscheinlich, dass die Fichten unter Verbiss und Beweidungsdruck litten. Es ist auch nicht anzunehmen, dass Birkwild oder Schneehuhn derart grosse Frassschäden verursacht haben (Hürlimann, mündl. Mitteilung). Somit ist die Konkurrenz durch andere Fichten einer der wahrscheinlichsten Gründe für dieses Wachstumsmuster.
Konkurrenz durch benachbarte Fichten konnte bei dieser Rotte nur bei den Stämmen G3 und P festgestellt werden. Sobald die Stämme G3 und P gleich hoch oder leicht höher als die Nachbarstämme G2 bzw. N waren, zeigen diese einen Wachstumsschub. Es ist darum anzunehmen, dass die Stämme G2 und N Konkurrenz für die Stämme G3 und P darstellten. Bei den Stämmen C, E, H, Q und W konnte keine Konkurrenzsituation festgestellt werden. Die Vermutung, dass die Stämme C und E durch den Stamm X (zwischen E und F) konkurrenziert wurden, liegt jedoch nahe (Abb. 4). Da aber nicht belegt ist, wie alt und gross Stamm X war, bleibt diese Aussage eine Vermutung. Warum die Stämme H, Q und W dieses Wachstumsmuster aufweisen, bleibt ungeklärt. Vermutet werden können auch standörtlich schlechtere Bedingungen.
Abb. 5 - Verschiedene Einzelbaumformen der Rotte (exemplarisch): Garbe. Foto: Sandra Wirth
Abb. 6 - Verschiedene Einzelbaumformen der Rotte (exemplarisch): Windfahne. Foto: Sandra Wirth
Fazit
Dank den Jahrringanalysen im Labor konnte nicht nur festgestellt werden, welche Fichte die älteste war, sondern auch, wie sich die Rotte entwickelt und ausgebreitet hat. Die Ausbreitung Richtung Südwesten und mit dem Hanggefälle ist deutlich. Die benachbarten Fichten liegen im Wettstreit um Licht und Wuchsraum und beeinflussen sich gegenseitig. Zudem sind Parallelen zwischen Standortfaktoren, vor allem Wind und Temperatur, und der Ausbreitung der Fichten erkennbar.
Darüber hinaus sind durch die umfangreiche Arbeit im Labor Aussagen über das Höhenwachstum der Fichten möglich: Fichten einer Rotte wachsen oft über lange Zeit nur wenig in die Höhe, müssen immer wieder Rückschläge durch biotische oder abiotische Faktoren hinnehmen, denen bei sich verbessernden Bedingungen ein Wachs-tumsschub folgt.
Dieses Muster wurde bei einigen Stämmen der Fichte erkannt. Die Resultate zum Dickenwachstum der untersuchten Fichten zeigen ähnliche Muster wie andere Bäume in den Alpen. Dieses Muster mit einem Tiefpunkt im Jahr 1975 korreliert mit den Klimadaten im Alpenraum. Es liess sich somit zeigen, dass die Bäume der Rotte in ihrem Dickenwachstum durch das Klima beeinflusst werden.
Quellenangaben
- Hürlimann, Markus, Dipl. Förster, Inhaber Alphütte Ober Gheist. (2011) (mündliche Mitteilung)
- Kuoch, R., Amiet, R. (1970). Die Verjüngung im Bereich der oberen Waldgrenze der Alpen mit Berücksichtigung von Vegetation und Ablegerbildung. Band 46, Heft 4. S. 159–328, Birmensdorf: Eidgenössische Anstalt für das Forstliche Versuchswesen.
- Meile, C. (2010). Die Auswirkungen der Windexposition und des Temperaturanstiegs auf das Wachstum von Bauminseln an der Waldgrenze. Masterarbeit ETH.
- Strobel, G. (1997). Rottenstruktur und Konkurrenz im subalpinen Fichtenwald – eine modell-hafte Betrachtung. Beiheft zur Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen, Nr. 81.
(TR)