Die Fichtenforsten in tieferen Lagen sind durch die Kalamitäten der letzten Jahre flächenhaft abgängig. In Anbetracht der weiteren Verschlechterung der klimatischen Bedingungen für die Fichte sind diese Anbaugebiete keine Option für die Zukunft. Wie aber stehen die Chancen in den Mittelgebirgen insgesamt? Um dieser Frage für Thüringen und Sachsen nachzugehen, gab es von 2016 bis 2021 das gemeinsame FNR-Projekt "FIRIS".
Inhalte und Ziele des Projektes "FIRIS“
Ziel der Projekt-Teams aus dem Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft im Staatsbetrieb Sachsenforst und aus dem Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrum der ThüringenForst AöR war es, das Fichten-Wachstum im thüringisch-sächsischen Mittelgebirgsraum zu analysieren und zu modellieren, die Risiken biotischer und abiotischer Stressoren für die Fichtenbestände abzuschätzen und waldbauliche Handlungsoptionen zur Risikominimierung und Wachstumsoptimierung vorzulegen.
Ausgangssituation bei Projektbeginn
Die Stabilität und Funktionalität der fichtendominierten Bestände in der Projektregion wurde (und wird) durch einen steigenden Flächenanteil von Hochrisikobeständen durch Sturm, Schnee und Buchdruckerbefall gefährdet. Die hohe Prädisposition ergibt sich aus dem Alter und dem historisch bedingten Zustand (u.a. schlechte H/D-Verhältnisse, fehlende Vorausverjüngung, zu hohe Grundflächen, Rotfäule durch Schälschäden, nicht standortsgerecht, falsche Herkünfte) dieser Bestände. Die Umwandlung in dauerwaldartige, standortsgerechte Mischbestände (Waldumbau) war und ist in Gange, aufgrund der großen Bestände aber ein problematischer und langwieriger Prozess.
Die Ergebnisse der Bundeswaldinventur 2012 bestätigten einen weiteren starken Zuwachs von "Risikovorräten“ in den Mittelgebirgslagen. Diese Entwicklung musste durch eine funktional ausgerichtete, räumlich und zeitlich differenzierte Intensität des Waldumbaus gepuffert werden. Hier sollte das Projekt FIRIS unterstützen. Im Fokus des geplanten Kooperationsprojektes standen dabei bewusst länderübergreifend die Fichten des sächsisch-thüringischen Mittelgebirgsraums. Die unterschiedliche Geologie der Untersuchungsgebiete in Sachsen und Thüringen eröffnet die Möglichkeit, einen breiten ökologischen Gradienten abzubilden, der jedoch ähnliche Waldgesellschaften und waldbauliche Situationen aufweist. Aus den zu Projektbeginn detektierten Risikovorräten wurden infolge starker Sturmereignisse 2017/18 und einer extremen Trockenheit in den Jahren 2018 und 2019 mit anschließender starker Massenvermehrung des Buchdruckers noch während der Projektlaufzeit vielerorts reale Schadholzmengen (s. Abb. 2).
Die Situation förderte und erforderte neue Ansätze der Datenerhebung, um mit möglichst aktuellen Daten länder- und eigentumsübergreifend die Bestockungssituation (minimal: Baumart, Höhe, Vorrat, Struktur) und deren Veränderung abzuschätzen und als Grundlage für die Risikobewertung zu nutzen. Die Methoden der Fernerkundung boten dafür die Möglichkeiten.
Ableitung von Bestandesparametern mithilfe von Fernerkundung
Aufbauend auf bisherigen Forschungen konnten neue Anwendungen und Routinen entwickelt werden. Mit dem Ziel einer möglichst automatisierten und leicht anzuwendenden Ableitung von Bestockungsinformationen wurden verschiedene Verfahren der passiven und aktiven Fernerkundung kombiniert und zu anwendungsbereiten Produkten weiterentwickelt. Dies betrifft folgende Teilaspekte:
- Multitemporale Baumartenklassifikation (Sentinel 2)
- Sentinel 2-basierte Veränderungsanalyse (engl.: change detection)
- Ableitung waldwachstumskundlicher Parameter (BHD, Höhe, Vorrat, Strukturparameter) durch aktive Fernerkundung (LiDAR)
Die Baumartenklassifikation, und damit die Kenntnis über die Baumartenverteilung, ist essenzieller Bestandteil einer jeden Forstplanung. Darüber hinaus ist die Baumartenzusammensetzung grundlegendes Element der Risikobewertung auf Bestandesebene und zentrales Steuerelement der Risikominimierung. Auch wenn die satellitengestützte Klassifikation von Baumarten inzwischen weit verbreitet ist, gab es vor dem FIRIS-Projekt in beiden Bundesländern nur regionale und kleinflächigere Auswertungen. Es fehlte eine flächendeckende und landesweite Baumartenklassifikation sowie eine festgeschriebene Anweisung zur Erstellung einer solchen Klassifikation über die Ländergrenzen hinweg. Beides wurde im Projekt FIRIS realisiert (s. Abb. 3). Sowohl in der ersten Baumartenklassifikation (10m- Auflösung), als auch in der erneuten und aktuellen Klassifikation (20m-Auflösung) wurde auch der NDVI (Normalized Difference Vegetation Index) bestimmt. Dieser Wert gibt den Blattwassergehalt und damit Fitnesszustand der grünen Vegetation an. Die mehrfache Klassifikation mit Daten verschiedener Zeitpunkte (Multitemporalität) ermöglichte die Detektion von Schadflächen bei NDVI-Werten < 0.5 und konnte damit die Fläche abgängiger Bestände quantifizieren.
Abb. 3. Sentinel-2 basierte, multitemporale (2019/2020) Baumartenklassifikation für Thüringen und Sachsen mit Detailansicht der Baumartenverteilung des bundeslandübergreifenden Werdauer Waldes (links Klassifikationsergebnis, rechts Auszug aus der Baumartenkarte der Forsteinrichtung beider Bundesländer)
Darüber hinaus wurde in FIRIS eine Klassifikation der Bestandesschichtigkeit über aktive Fernerkundung (ALS-LiDAR) für kleinere Testgebiete realisiert (s. Abb. 4). Dadurch können Bestände mit erhöhtem Risiko funktionaler Störungen (kein Unterstand) ausgewiesen werden.
Abb. 4. LiDAR-basierte Differenzierung in Oberstand und Unterstand, Links: exemplarisch gezeigt für ein Revier in Südthüringen (St. Kilian). Farbige Punkte zeigen Wuchsklassenzugehörigkeit, bestimmt durch die Forsteinrichtung von ThüringenForst AöR (einschichtige niedrige Bestände ("1L-s"; bis ca. 15 m Höhe), einschichtige hohe Bestände ("1L-t"; ab ca. 15 m Höhe), zweischichtige niedrige Bestände ("2L-s"; bis ca. 15 m Höhe), zweischichtige hohe Bestände ("2L-t"; ab ca. 15 m Höhe), und mehrschichtige Bestände ("mL"; befinden sich in Überführung oder sind durch Überhälter charakterisiert). Rechts: Exemplarische 3D-Darstellung der LiDAR-Punktwolken zu den einzelnen Kategorien (von links oben nach rechts unten)
Risikoabschätzung mit PAS
Zur Risikoanalyse wurde das bereits seit längerem in Sachsen angewendete Prädispositionsabschätzungssystem PAS (predisposition assessment system) verwendet, welches ein Modell zur Einschätzung des letalen Risikos für fichtendominierte Waldbestände ist. Die Einschätzung der Gefährdung wird dabei getrennt nach Bestandes- (z.B. Fichtenanteil oder Alter des Bestandes) und Standortskriterien (z.B. Klima und Exposition) vorgenommen. Als Ergebnis des PAS entstehen Karten auf Basis von Forsteinrichtungsdaten, aus denen je Bestand die jeweilige Prädisposition für Windwurf, Schneebruch und den Befall durch den Buchdrucker (Ips typographus L.) hervorgeht. Das System wurde an der Universität für Bodenkultur Wien entwickelt. Im Rahmen von FIRIS wurde es für die Anwendung mit Rasterdaten angepasst und für Sachsen und Thüringen angewendet. Abbildung 5 zeigt als Ergebnis die länderübergreifende Klassifizierung der Prädisposition für den Befall durch den Buchdrucker.
Abb. 5. Abschätzung der Gesamtprädisposition für den Befall durch den Buchdrucker (Ips typographus L.) in den thüringischen und sächsischen Wäldern (in Sachsen beinhaltet die Darstellung nur Bestände im Landeswald). Die aktuelle Entwicklung des Befalls im Jahr 2022 bestätigt den auch in der Prädisposition erkennbaren landesübergreifenden Gefährdungsschwerpunkt in der Region Südthüringen/Vogtland (Bildmitte unten).
Durch die in FIRIS umgesetzte neue Möglichkeit der Nutzung von Rasterdaten zur Prädispositionsabschätzung wurde die Voraussetzung geschaffen, mit regelmäßig aktualisierten, aus der Fernerkundung abgeleiteten Daten eigentums- und länderübergreifend die aktuelle Prädisposition abzuschätzen. So können mögliche Veränderungen im Zeitverlauf erkannt und künftige Entwicklungen – zum Beispiel infolge des Klimawandels – prognostiziert werden.
Standort-Leistungsmodellierung: Feuchtigkeit und Temperatur als wachstumslimitierende Faktoren
Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt bildete die Analyse des standortabhängigen Wachstums der Fichte im Untersuchungsgebiet. Der dekadische relative Einzelbaumgrundflächenzuwachs wurde auf der Grundlage von Daten aus der Bundeswaldinventur (BWI), Klimadaten aus dem regionalen Klimainformationssystem (ReKIS) und der Regionalisierung von Bodenparametern aus dem Projekt WP-KS-KW (Waldproduktion-Kohlenstoffspeicher-Klimawandel) modelliert. Zur Methodenentwicklung wurden die Modelle zuerst für das sächsische Untersuchungsgebiet entwickelt und anschließend für das gesamte Untersuchungsgebiet in Sachsen und Thüringen angewendet. Die Modellierung wurde mit "boosted regression trees“, einer Methode des "machine-learning“, durchgeführt. Diese erlaubt es, die wichtigsten Einflussgrößen auf den Zuwachs zu identifizieren, namentlich Relief- und Klimafaktoren, die abhängig vom Standort variieren (s. Abb. 6).
Die Ergebnisse weisen für die drei Bodenartengruppen eine unterschiedliche Wichtung der untersuchten Einflussvariablen auf das Wachstum der Fichte aus. Die Untersuchungen bestätigen prinzipiell eine starke Zuwachsabhängigkeit von der Wasserverfügbarkeit (TWI, NFK, SPI, Niederschlag) und von Einflüssen des Reliefs bzw. davon abgeleiteten Indizes (z. B. TWI, Besonnung). Darüber hinaus wurden Interaktionen zwischen den jeweiligen Einflussfaktoren untersucht. Die Betrachtung von Interaktionen liefert dabei genauere Modellergebnisse als die Betrachtung individueller Einflussfaktoren. Die Modelle wurden anschließend genutzt, um den Zuwachs in Sachsen und Thüringen anhand von Klimaszenarien zu prognostizieren. Aus den Ergebnissen wird ersichtlich, dass die Fichte bei zunehmender Trockenheit in der derzeitigen Bestandesform nur noch in den oberen Lagen der untersuchten Mittelgebirge Steigerungen des relativen Zuwachses verzeichnen kann.
Jahrringanalysen zu Klima-Wachstums-Beziehungen
Das Zusammenspiel von Bodeneigenschaften, Klima, Relief, Konkurrenz sowie genetischer Angepasstheit beeinflusst das Einzelbaumwachstum. Dabei bestimmen klimatische Einflüsse das Wachstum von Bäumen auf unterschiedlichen räumlichen Skalen. Dies gilt besonders für extreme klimatische Verhältnisse, die sich häufig bestandes- und baumartenübergreifend über weite Distanzen in den Jahrringbreiten nachverfolgen lassen. Um die Reaktion des Radialwachstums auf extreme Witterung zu untersuchen, wurden Zuwachsbohrungen an 30 Fichtenstandorten entlang von drei Höhentransekten des westlichen, zentralen und östlichen Thüringer Waldes vorgenommen. Die Daten ergänzen die Zuwachsuntersuchungen an Thüringer Fichten 2012 und 2020 und dienten bereits als empirische Datengrundlage einer Radialzuwachsmodellierung.
Die Klima-Wachstums-Beziehungen zeigten signifikante Zusammenhänge vor allem in der Vegetationsperiode, speziell zu den Verhältnissen im Mai, Juni und Juli. Die Klima-Wachstums-Beziehungen sind nicht über alle Höhenstufen gleich nachweisbar und zeigen starke Hinweise auf den Sensitivitätswechsel des Radialwachstums Thüringer Fichten. Demnach hängt das Radialwachstum unterhalb von ca. 600 m u. NN stark vom Feuchtigkeitsangebot (Niederschlag, relative Luftfeuchte, nutzbare Feldkapazität, klimatische Wasserbilanz) ab. In höheren Lagen (> 600 m u. NN) bestimmt die Lufttemperatur (Globalstrahlung, Lange der Vegetationsperiode) das Radialwachstum maßgeblich.
Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass sich extreme Trockenheit negativ auf das Radialwachstum in allen Wuchsgebieten und Höhenlagen des Thüringer Waldes auswirkt. Die negativen Folgen sind jedoch in den oberen Lagen weniger stark ausgeprägt, da höhere Niederschlagssummen, verminderte Evapotranspirationsraten (niedrigere Temperaturen) und teilweise Schmelzwasser zu insgesamt verbesserten Bodenfeuchteverhältnissen beitragen. Diese Zusammenhänge werden jedoch nicht nur in Jahren mit extremer Witterung offensichtlich, sondern konnten auch als systematischer Zusammenhang anhand der Korrelationsanalysen bestätigt werden.
Unterstützung waldbaulicher Entscheidungen
Die vorgestellten Modelle und rasterbasierten FIRIS-Produkte erlauben eine waldbesitzübergreifende Evaluierung des Waldzustandes und können damit im Rahmen der forstlichen Planung und Steuerung eingesetzt werden. Die Anwendung geeigneter Prognosemodelle ist besonders unter sich ändernden Umwelteinflüssen wichtig. Die Kalamitäten der letzten Jahre führten in Sachsen und Thüringen zu großflächigen Störungen in der Waldstruktur, insbesondere in den Fichtenbaumhölzern. Dies beeinflusst das waldbauliche Vorgehen im Zuge des Waldumbaus, der das Ziel verfolgt, die bestehenden Fichtenreinbestände über lange Zeiträume zu standortgerechten Kulturwäldern zu entwickeln.
Bei der zukünftigen Bewirtschaftung der sächsischen und thüringischen Fichtenvorkommen in den Mittelgebirgen muss dem zunehmenden Auftreten von Trockenperioden als auch dem erhöhten Risiko starker Sturmereignisse konsequent Rechnung getragen werden. Dabei kommt es darauf an, durch geeignete Vorgaben in der forstlichen Planung und durch waldbauliches Handeln im Vollzug der Risikoentwicklung aktiv entgegenwirken. Die Ergebnisse des Projektes erweitern hier die Möglichkeiten, zielgerichtet und auch räumlich stärker differenziert auf sich verändernde Umweltbedingungen zu reagieren. Insbesondere können durch eine flächendeckende Analyse des Waldzustandes (Baumartenzusammensetzung und Bestandesschichtung) in Verbindung mit einer Risikobewertung die Forsteinrichtungsplanung sowie die Steuerung des Ressourceneinsatzes unterstützt werden.
Eine Klassifizierung der Ausgangsbestände nach ihrem Risiko ist in Sachsen bereits Grundlage für eine differenzierte Anwendung der waldbaulichen Behandlungskonzepte der WET-Richtlinie. Ein möglichst planmäßiger Abbau von bestehenden Risikovorräten ist für Sachsenforst eine betriebliche Kernaufgabe in den nächsten Jahren. Auch in Thüringen soll zukünftig die Ausweisung von Risikobeständen zur Potentialplanung in der Forsteinrichtung genutzt werden.
Ausführliche Literaturhinweise finden sich in der Originalpublikation.