Ist Pflege verzichtbar – oder doch nicht?
Zu klären ist, ob der Verzicht auf Jungbestandspflege in der Bilanz tatsächlich zu einem guten Ergebnis führt – oder ob die Investition in Pflege nicht doch die intelligentere Alternative ist.
Untersuchungen zur Entwicklung von Fichten-Jungwüchsen sind nicht neu. Lange Zeit standen allerdings vorwiegend kulturspezifische Aspekte im Vordergrund, wie beispielsweise Pflanzverfahren, -sortimente und/oder -verbände. In jüngerer Vergangenheit kamen nun auch verstärkt Fragen zum Umgang mit freigestellten baumzahlreichen Verjüngungen, den sogenannten Bürstenwüchsen, hinzu [1–3].
Der abrupte Verlust des überschirmenden Altbestandes hat meist schadensbedingte Ursachen. In größerem Umfang finden sich freigestellte Fichten-Bürstenwüchse auf Schadflächen nach Sturm oder Borkenkäferbefall, wie beispielsweise nach den Orkantiefs Vivian/Wiebke 1990 [4], Lothar 1999 [5, 6] oder Kyrill 2007 [7]. Diese Thematik hat auch angesichts der aktuellen Schäden in Fichtenwäldern nichts an Aktualität und Dringlichkeit verloren.
Typisch für Bürstenwüchse ist, dass nach Höhe und/oder Alter nur wenig variierende Pflanzen extrem dicht beieinanderstehen. Wenn nicht in die Konkurrenzverhältnisse eingegriffen wird, prägt so der damit verbundene enorme Konkurrenzdruck maßgeblich die Entwicklung der Bestände. Dabei wird Nichteingreifen einerseits gerne mit positiven Erwartungen und Begriffen verknüpft wie “Selbstdifferenzierung”, “natürlich” oder “biologischer Automation”. Andererseits zeigen Untersuchungen aber deutlich, dass steuernde Pflegeeingriffe zwar aufwendig sind und die Eigendynamik „stören“, sich andererseits aber auch positiv auswirken [2, 8].
- Es stellt sich also die Frage: Welcher Aspekt fällt denn nun am stärksten ins Gewicht?
Versuchsserie in Baden-Württemberg
Hilfreich bei der Beantwortung dürften die im Folgenden dargestellten Befunde einer Versuchsserie in Baden-Württemberg sein. Hier wird seit ca. zwanzig Jahren die Entwicklung von Fichten-Bürstenwüchsen bei unterschiedlichen Pflegevarianten beobachtet. Verglichen werden unbehandelte Verjüngungen, die in der Jugendphase vollständig ihrer eigendynamischen Selbstdifferenzierung überlassen bleiben, mit Jungwüchsen, bei denen Pflegemaßnahmen in Form von Auskesselung oder schematischer Reduktion durchgeführt wurden.
Ergänzend zur Analyse der naturalen Entwicklung dieser Flächen (vgl. [3]) werden Ergebnisse einer Simulationsstudie vorgelegt. Diese Studie versucht, Auswirkungen der Pflegevarianten auf die gesamte Entwicklungsdauer der Bestände und deren Ertragsleistung abzuschätzen. Ausgehend von der bis dato beobachteten Entwicklung wurde dazu die Entwicklung ab der Durchforstungsphase bis zur Hiebsreife fortgeschrieben und ertragswirtschaftlich bewertet.
Ertrag bei störungsfreier Entwicklung
- Naturverjüngung kann sich grundsätzlich lohnen – auch bei Fichten-Bürstenwüchsen. Besonders die schematisch reduzierten Bürsten sind hinsichtlich der Ertragsleistung einem gepflanzten Bestand deutlich überlegen, beginnend beim zinsfrei berechneten Hektar-Reinertrag. Die Überlegenheit nimmt – bei störungsfreier Produktion – mit steigendem Kalkulationszins stetig zu (Abb 2 a). Ursächlich dafür sind die im Vergleich zur Pflanzung deutlich geringeren Aufwendungen für die schematische Reduktion1) der Naturverjüngung, die zudem erst zu einem späteren Zeitpunkt anfallen.
- Wichtig ist, wie die Fichten-Bürsten gepflegt werden. Hinsichtlich der Jungbestandspflege gilt „Es kommt darauf an, wie man es macht!“
Das zeigt sich schon bei der schematischen Reduktion. Die Intensität der Standraum-Erweiterung spielt erkennbar eine Rolle: Die aus den energischeren Reduktionen (auf ca. 1.200 Bäume/ha) hervorgegangene Bestände übertreffen hinsichtlich der Erträge deutlich die etwas weniger energisch (auf ca. 2.400 Bäume/ha) reduzierten Bestände (Abb. 2a).
Offensichtlich wirkt sich das bei energischer Reduktion beschleunigte Durchmesser-Wachstum stärker auf den Ertrag aus als die aufgrund der Ausbildung etwas stärkerer Äste vorsichtshalber kalkulierten Qualitäts-Abschläge. Es ist deshalb nicht sinnvoll, bei schematischer Reduktion aus Gründen vermeintlicher Vorsicht Zurückhaltung zu üben.
Deutlich wird auch, dass die anderen Varianten im Vergleich zur schematischen Reduktion deutlich ungünstiger abschneiden. Dabei macht es vom Ertrag her kaum einen Unterschied, ob die Jungwüchse vollständig der Selbstdifferenzierung überlassen oder zumindest extensiv ausgekesselt wurden. In beiden Fällen entwickeln sich bis zum Beginn der Durchforstung ausgesprochen baumzahlreiche Bestände. Deren weitere Ertragsleistung fällt dann unabhängig vom kalkulierten Zinssatz erheblich hinter der Ertragsleistung bei schematischer Reduktion zurück und liegt bis zu einem Zinssatz von 2 % sogar unter dem Ertrag eines gepflanzten Bestandes (Abb. 2b).
Gründe dafür sind:
- Verzögertes Durchmesserwachstum in der Jungwuchsphase. Mit Durchforstung kann eine weitere Vergrößerung dieses Nachteils verhindert, aber nicht aufgeholt werden.
- Extrem hohe Stammzahlen erschweren massiv die erste Durchforstung und die damit verbundenen technischen Herausforderungen bedingen erheblichen Mehraufwand.
Beurteilung produktionsrelevanter Risikoaspekte
Mögliche Auswirkungen der Pflegevarianten auf Risiken und Schäden sind dabei noch gar nicht einbezogen. Tatsächlich sind gerade bei Fichte Störungen (fast) an der Tagesordnung. Die damit verbunden Schäden wirken sich regelmäßig spürbar auf den Ertrag aus., Deshalb müssen sie in realistische Beurteilungen der Ertragsleistung einbezogen werden. Dazu wurde versucht, die Auswirkungen der Pflegevarianten auf folgende risikorelevante Aspekte abzuschätzen: Wurzelausbildung, Schneebruchstabilität und Sturmschadensrisiko. Im Folgenden wird eine kurze Zusammenfassung gegeben; Methoden und detaillierte Befunde sind als PDF im AFZ-Digitalmagazin verfügbar.
Die in schematisch reduzierten Jungwüchsen verbesserte Durchmesserentwicklung spiegelt sich bei Beginn der Durchforstung (15 m) in der Ausbildung einer besseren Bewurzelung und einer damit korrespondierend messbar besseren Verankerung im Boden wider [12].
Die Pflege wirkt sich auch risikomindernd auf die v. a. in jungen Beständen bestehende Gefahr von Schäden durch Schneebruch aus. Beurteilungen auf Basis des H/D-Werts als etablierten Kennwert [9] zeigen, dass herrschende Fichten nur bei Pflege akzeptable H/D-Werte entwickeln: Bei Beginn der Durchforstung liegen diese in schematisch gepflegten Jungwüchsen deutlich, in ausgekesselten Jungwüchsen etwas unter 80. Im Gegensatz dazu weisen selbst herrschende Fichten in der Selbstdifferenzierung überlassenen Jungwüchsen Werte von etwa 90 auf. Das indiziert ein inakzeptabel hohes Schneebruchrisiko.
Durchforstung verschieben?
Als Ausweg aus diesem Dilemma wird gern darüber nachgedacht, die erste Durchforstung auf später zu verschieben. Dies ist mit der Erwartung verbunden, dass dann der technische Aufwand geringer wird und aufgrund der höheren Durchmesser bessere Erträge möglich werden. Dieser Überlegung ging die Simulationsstudie durch Verschiebung des Durchforstungsbeginns von 15 m auf 18 m Höhe nach.
Ergebnis: Verschieben ist nicht sinnvoll! Zwar lassen sich dadurch die Annuitäten bei geringen Zinssätzen etwas verbessern (Abb. 2). Aber bereits ab einem Zinssatz von nur rd. 1% wirkt sich diese Verschiebung negativ auf den Ertrag aus.
Eine besondere ertragswirtschaftliche Bedeutung haben Sturmschäden. Bereits die unmittelbaren Folgen wie Stammschäden, Ernteaufwand, Marktstörungen usw. mindern massiv den Ertrag. Zudem werden sie nicht selten durch nachfolgende Borkenkäfer-Kalamitäten weiter verschärft.
Umfangreiche Schadensanalysen zeigen eindeutig, dass unter den waldbaulich beeinflussbaren Risikofaktoren die Baumhöhe die zentrale Rolle spielt: mit zunehmender Baumhöhe steigt die Wahrscheinlichkeit eines Sturmschadens [10, 11].
Wertet man die bis zum Zeitpunkt der Erntereife akkumulierte Fläche unter der Kurve als Indikator für das Gesamtrisiko der Produktion, ergeben sich folgende Befunde (Abb. 3):
- Das geringste Gesamtrisiko tritt bei dem mit 1.500 Fichten/ha gepflanzten Bestand auf. Aufgrund der weiten Standräume von Beginn an wird Hiebsreife zum optimalen Zeitpunkt erreicht. Wegen der noch hohen Konkurrenz in der Startphase erreichen schematisch reduzierte Bürstenwüchse die Hiebsreife etwas später. Daraus resultiert jedoch nur ein unwesentlich höheres Risiko.
- Im Gegensatz dazu erhöhen die extensiveren Pflegevarianten das Risiko markant:
Bei Auskesselung (bestimmte Anzahl Fichten/ha ringsum freigestellt) liegt es bereits um 60 % über dem bei schematischer Reduktion.
Bei vollständig der Selbstdifferenzierung überlassenen Jungwüchsen ist es schon mehr als doppelt so hoch. - Wird die Erst-Durchforstung auf später verschoben (18 m), steigt das Risiko weiter erheblich an:
In ausgekesselten Beständen um rd. 30 Prozentpunkte,
in unbehandelten Jungwüchsen sogar um rd. 80 Prozentpunkte.
Pflege lohnt sich!
Festzustellen bleibt: Ertrags- und Risikobetrachtungen ergeben ein konsistentes, sehr klares Bild: Investitionen in rechtzeitige und energische Standraumerweiterungen in Fichten-Bürstenwüchsen lohnen sich eindeutig.
Wichtig ist der richtige Zeitpunkt: Technisch und aufwandsmäßig optimal sind Oberhöhen von ca. 3 bis 4 m. Mit jedem Jahr, das weiter abgewartet wird, steigt der Pflegeaufwand rapide an. Umgekehrt nimmt die Wirkung deutlich ab – eine ausgesprochen negative Kombination. Das gilt besonders für die überproportional stark ansteigenden Risiken für Schnee- oder Sturmschäden.
Fichten-Bürstenwüchse nicht zu pflegen, ist dort – wo sinnvoll möglich – keine gute Lösung, sondern ein forstlicher Kunstfehler.
Sachgerechte Pflege von Fichten-Bürstenwüchsen fördert auch die Entwicklung der Bewurzelung der Fichten [12] und wirkt einer weiteren Entmischung der Bestände entgegen [3]. Ohne gezielte Förderung gehen die meist ohnehin geringen Anteile beigemischter Baumarten ständig weiter zurück. Werden sie dagegen von wuchsüberlegenen Fichten freigehalten, bestehen deutlich bessere Chancen für die Entwicklung zu Mischbeständen – angepasste Wildbestände vorausgesetzt.
Kurzübersicht Methodik
Versuche und Pflegevarianten
Die vorliegende Arbeit basiert auf den in [3] beschriebenen sechs Versuchsanlagen in Baden-Württemberg, in denen in Fichten-Bürstenwüchsen auf Freiflächen bei Bestandeshöhen zwischen 2 bis 4 m (Alter 14 bis 21 Jahre) folgende Pflegevarianten angelegt wurden:
- Unbehandelte Kontrolle – keine Pflege; ausschließlich eigendynamische Selbstdifferenzierung (Abb. 6)
- Auskesselung – Entfernung der Nachbarn im Radius 2,5 m um 200 bis 250 herrschende Bäumen/ha (Abb. 7)
- Schematische Reduktion – Reduktion der Bestandesdichte auf eine definierte Anzahl gleichmäßig verteilter Bäume (rd. 2.400 bzw. 1.200 /ha)(Abb. 8)
Zusätzlich zu den Aufnahmen von BHD und Höhe liegen aus einzelnen Versuchen auch Messungen zu Aststärken und Bewurzelung vor.
Wachstumssimulation
Die Entwicklung der Jungwüchse ab 15 m Oberhöhe wurde unter Annahme eines nahezu einheitlichen Durchforstungs-Regimes fortgeschrieben. Unterschiede betrafen nur den ersten Eingriff bei Oberhöhe 15 m:
A: Bestände aus schematisch reduzierten Jungwüchsen; Anlage von Rückegassen im Abstand von 40 m und Beginn der Z-Baum-Durchforstung.
B: Bestände aus ausgekesselten bzw. unbehandelten Jungwüchsen; die hohe Stammzahl verhindert technisch eine sofortige Z-Baum-Durchforstung. Der erste Eingriff verbindet daher die Anlage der Rückegassen mit der Anlage davon ausgehender „Leitergänge“ (Breite 2 m, Abstand 7 m). Die eigentliche Z-Baum-Durchforstung startet erst beim nachfolgenden Eingriff (Höhe 18 m).
Ab 30 m Oberhöhe schließen sich Vorratspflegehiebe an die Z-Baum-Durchforstungen an. Sobald die Bestände Hiebsreife erreichen (300 Vfm/ha mit Zielstärke BHD 50 cm) werden sie innerhalb von 10 Jahren geerntet.
Die Fortschreibungen erfolgten mit dem Wachstumssimulator W+ [13]. Unterstellt wurde dazu eine einheitliche Oberhöhen-Bonität von 33 im Alter von 100 Jahren (entspricht dGz100 12,5)Kalkulation
Aufwand
Der kalkulierte Pflegeaufwand leitet sich aus Angaben von Betrieben zum Zeitaufwand bei schematischen Reduktionen ab; veranschlagt sind 30 Std/ha (à 35 €/Std.). Für Auskesselungen wurde in Anlehnung an gutachterliche Einschätzungen aus der forstlichen Praxis eine pauschale Kürzung dieses Aufwands um 30 % veranschlagt.
Aufarbeitung und Sortenaushaltung erfolgten als vollmechanisierte Harvester-Aufarbeitung basierend auf dem Programm HOLZERNTE [14].
Ausgehalten wurden Fixlängen und Industrieschichtholz. Angenommen wurde ein Systemaufwand von 180 €/Std. Die Holzbringung mit dem Forwarder (Holztransport vom Fällort zur Forststraße bzw. zum Lagerplatz) wurde dimensionsunabhängig mit 11 €/Efm veranschlagt.
Zusätzlich zu den auf der Basis von HOLZERNTE ermittelten Ernteaufwendungen wurden für die folgenden Sachverhalte Erschwerniszuschläge angesetzt: Zufällungen aus dem Mittelblock und Behinderung durch extrem hohe Stammzahlen (inkl. abgestorbener Bäume) v. a. bei den Ersteingriffen in Beständen aus unbehandelten oder ausgekesselten Jungwüchsen.
Ertrag
Die Holzerlöse wurden dimensions- und qualitätsdifferenziert kalkuliert. Als Leitsortiment diente die Stärkeklasse L3a (68 €/EfmDoR, EfmDoR = Erntefestmeter Derbholz ohne Rinde) mit gängigen Abschlägen für schwächeres oder stärkeres Stammholz.
In Beständen unbehandelter Jungwüchse wurden für ausgehaltene Fixlängen aus unteren Stammpartien 10 % der Masse als C-Qualität verrechnet; beim Gipfel-Los 70 %. Obwohl Aststärkemessungen nicht auf Überschreitung kritischer Aststärken hinwiesen, wurden die C-Anteile bei weiterer Standraumhaltung aus Gründen ökonomischer Vorsicht erhöht: bei Auskesselung um vier Prozentpunkte, bei schematischer Reduktion um neun Prozentpunkte (Reduktion auf 2.400/ha) bzw. 19 Prozentpunkte (Reduktion auf 1.200/ha).
Gesamtbewertung und Fazit
Die Gesamtbewertung für die Produktionszeit erfolgte auf Basis der Annuitäten, berechnet für Zinssätze zwischen 0,0001 % und 5 %. Die Annuität eignet sich, um die unterschiedlichen Zeitpunkte, zu denen Erträge und Aufwände anfallen, in ein ausgewogenes Gesamtbild der mittleren jährlichen Ertragsleistung zu integrieren [15], Die Berechnung einer Annuität für 0 % ist zwar mathematisch unmöglich – die für den marginalen Zinssatz nahe 0 % berechnete Annuität kann jedoch als gute Annäherung an einen zinsfrei berechneten jährlichen Hektar-Reinertrag gelten.
Folgerungen für die Praxis
- Fichten-Bürstenwüchse entwickeln sich ohne ausreichend intensive Pflege absolut unbefriedigend.
- Energische schematische Reduktionen erzielen beste Erträge und reduzieren Risiken am Wirkungsvollsten.
- Der Verzicht auf Jungbestandspflege kommt in Fichten-Bürstenwüchsen einem waldbaulichen Kunstfehler gleich.
Sachgerechte Pflege von Fichten-Bürstenwüchsen fördert auch die Entwicklung der Bewurzelung der Fichten [12] und wirkt einer weiteren Entmischung der Bestände entgegen [3]. Ohne gezielte Förderung gehen die meist ohnehin geringen Anteile beigemischter Baumarten ständig weiter zurück. Werden sie dagegen von wuchsüberlegenen Fichten freigehalten, bestehen deutlich bessere Chancen für die Entwicklung zu Mischbeständen – angepasste Wildbestände vorausgesetzt.