Abb. 2 - Grossflächige Borkenkäferschäden im Nationalpark Bayerischer Wald. Foto: Ulrich Wasem (WSL)
Bei der Tagung "Nationalpark – Brutstätte für Borkenkäfer?" an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg i.Br. im März 2012 kamen Fachleute aus verschiedenen Regionen zu Wort, um das vorhandene Wissen zusammenzutragen und zu diskutieren. Die Frage war nicht, ob in einem geplanten, fichtendominierten Nationalpark das Risiko von Massenvermehrungen besteht, denn das ist, wie bei allen Fichtenwäldern, grundsätzlich zu erwarten. Vielmehr galt es, abzuklären, ob die unterlassene Bekämpfung Folgen für die Nachbarbestände hat und welche Gegenmassnahmen ergriffen werden können, um die Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten.
Ulrich Kohnle von der FVA Freiburg i.Br. zeigte die unterschiedlichen Wechselwirkungen zwischen Brutraumangebot, Wirtswiderstand, Populationsdichte und Witterung und damit die unterschiedlichen Befallsrisiken auf. Die Witterung hat grossen Einfluss auf den Harzfluss und somit auf die Abwehrfähigkeit des Baumes sowie auf die Reproduktionsrate der Borkenkäfer. Nach Sturmereignissen tritt der Borkenkäferbefall zeitverzögert auf, was auch Untersuchungen von Beat Wermelinger von der Eidg. Forschungsanstalt WSL belegen. In Gebirgslagen ist das Sturmholz dann maximal drei Jahre, in Tieflagen zwei Jahre für Borkenkäfer bruttauglich. Meist kommt es aber zu Stehendbefall in den umliegenden Wäldern, der in der Schweiz nach Grossereignissen zwischen drei und sechs Jahren dauert.
Borkenkäfermanagement
Kohnle sowie Hans-Ulrich Kison vom Nationalpark Harz plädierten dafür, dass man bei grossem Befallspotenzial am Aussenrand von Schutzgebieten rechtzeitig Gegenmassnahmen ergreifen sollte, um gefährdete Nachbarbestände zu schützen:
1. Das Brutraummanagement als Prophylaxe zur Verlangsamung des Populationsaufbaus. Mittels "sauberer Waldwirtschaft" wird den Käfern vor dem Befall das Brutmaterial (Sturmholz) entzogen oder wenigstens minimiert. Michael Habermann von der Nordwestdeutschen FVA Göttingen wies ausdrücklich darauf hin, dass es sich dabei um eine Daueraufgabe handelt. Praxiserfahrungen aus dem Harz und dem Bayerischen Wald belegen, dass die Buchdruckervermehrung bei Entfernung des Sturmholzes zwar reduziert, aber nicht gänzlich verhindert werden konnte. Beim Belassen des Holzes bestand eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Stehendbefall.
2. Das Populationsmanagement: Mit Bekämpfungsmassnahmen lassen sich virulente Populationen absenken. Kohnle und Habermann empfehlen eine zeitgerechte Beseitigung von befallenen Bäumen, d.h. vor dem Ausflug der Jungkäfer und dem Massenfang von Käfern, mit dem Ziel einer lokalen Dichteabsenkung. Zur Vermeidung von Stehendbefall sollen Pheromonfallen und Fangbäume zum Einsatz kommen. Um das Ziel zu erreichen, die erste Jahresgeneration möglichst klein zu halten, rät Habermann unbedingt zu einer ständigen Beobachtung und aktiven Bekämpfung. Untersuchungen aus dem Nationalpark Harz, bei dem auf der unbewirtschafteten Kernfläche starker Käferbefall an Fichten (> 80%) auftrat, zeigten, dass der Befall im Sicherungsstreifen durch intensive Bekämpfung auf 19% gesenkt werden konnte.
Im Harz werden zusätzlich noch Falschfarben- Luftbilder eingesetzt, was insbesondere beim Monitoring der Sicherungszone wichtig ist. Dort reichen 500 m Sicherungszone zur Eingrenzung des Buchdruckers aus – ganz ohne Chemieinsatz. Im Bayerischen Wald wurden zum Teil doppelt so breite Streifen angelegt, je nach örtlicher Gegebenheit.
Erfahrungen und Konsequenzen aus dem Nationalpark Harz (nach Habermann):
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Rolle der natürlichen Feinde
Die Dichte der natürlichen Feinde folgt, laut Wermelinger, derjenigen der Borkenkäfer. Seine Untersuchungen belegen, dass in einem aktiven Käfernest die Wirkung von natürlichen Feinden laufend zunimmt. Bei niedrigen Borkenkäferpopulationen und im einzelnen Käfernest haben die Gegenspieler einen spürbaren Einfluss. Hingegen sind sie nicht in der Lage, eine Massenvermehrung zu stoppen. Wermelinger wies darauf hin, dass beim Aufarbeiten des Käferholzes auch der Zeitpunkt eine Rolle spielt. Wenn die Käferbäume erst nach dem Ausfliegen des Buchdruckers genutzt werden können, sollte dies erst einen Monat nach dem Ausflug geschehen. Damit haben wichtige natürliche Feinde noch die Möglichkeit zum Schlüpfen.
Naturverjüngung
Abb. 4 - Aufkommende Naturverjüngung am Gandberg (Kanton Glarus) nach einer Massenvermehrung des Buchdruckers. Foto: Doris Hölling (WSL)
Die wichtige ökologische Funktion der Borkenkäfer besteht laut Habermann darin, Lebensraum zu strukturieren. So schaffen sie Platz für Naturverjüngung, die dem Standort oftmals besser angepasst ist. Kison führte aus, dass in Nationalparks aktive Massnahmen die Startphase einer natürlichen Entwicklung begleiten. Dies soll langfristig zu natürlichen standortgerechten Wäldern führen.
Im Harz wird die Buche durch Pflanzungen gefördert, da sie es oft nicht schafft, sich an bestehenden Bucheninseln in aufgelichteten Fichtenforsten selbst zu verjüngen. Der Borkenkäfer bringt "Fahrt" in diesen Umbau. Es gibt im Harz aber auch Mischbestände von Fichte und Buche, die sich selbst verjüngen. Borkenkäferaktivitäten werden dort zugelassen, und die Natur regelt den Umbau selbst. In Reitgras-Fichtenwäldern verjüngt sich die Fichte ausschliesslich auf Tot- und Moderholz.
Auch laut Leibl vom Nationalpark Bayerischer Wald nimmt seit 1998 die Verjüngung von Fichte, Vogelbeere und sonstigen Baumarten im Nationalpark Bayerischer Wald deutlich zu und pendelte sich seit 2005 auf hohem Niveau ein. Nach dem Massenbefall ist der Bergfichtenwald geblieben. Er hat sich verjüngt, wächst nach und ist weiterhin dominant. Die Waldentwicklung und Walderneuerung wird in beiden Gebieten wissenschaftlich beobachtet und dokumentiert. Ein Problem hat die Naturverjüngung allerdings dort, wo der Wildbestand zu hoch ist, wie Kison deutlich macht.
Offene Wälder sind gefragt
Abb. 5 - Durch Borkenkäferfrass werden Wälder heterogener, offener und somit interessant für zahlreiche Tierarten, zum Beispiel für geschützte Käferarten, aber auch für Fledermäuse oder seltene Vögel. Foto: Doris Hölling (WSL)
Wirtschaftswälder sind zumeist mitteldichte Wälder ohne grössere offene Flächen. Alte und absterbende oder tote Bäume sind Mangelware. Jörg Müller vom Nationalpark Bayerischer Wald machte deutlich, dass Wald durch Borkenkäferfrass heterogener, offener und somit interessanter für viele Tier- und Pflanzenarten wird. Das vermehrte Licht fördert vor allem an Fichte gebundene Bock- und Prachtkäferarten. Von den offeneren Bereichen profitieren neben diesen Rote-Liste-Arten aber auch Fledermäuse und Vögel wie Dreizehenspecht, Habichtskauz oder das Auerhuhn.
Öffentlichkeitsarbeit ist im Nationalpark zentral
Bei den Auseinandersetzungen um die Ausweisung von Grossschutzgebieten stossen Zielvorstellungen des Naturschutzes oft auf den Widerstand der Bevölkerung. Aufgrund des vorherrschenden traditionellen Naturbildes ist es schwer, Akzeptanz für ein auf Prozessschutz ausgerichtetes Managementkonzept zu gewinnen. Laut Michael Suda von der TU München kommt der Frage nach der Akzeptanz bei der Bevölkerung ein grosser Stellenwert in der öffentlichen Debatte zu. Er empfahl daher den Nationalparkverwaltungen, die wirtschaftlichen Vorteile stärker zu vermitteln und ihre Rolle als Tourismusförderer und Arbeitsplatzmotor in den Vordergrund der Öffentlichkeitsarbeit zu stellen. Erhebungen unter Urlaubern ergaben, dass sich die flächig abgestorbenen Bäume nicht negativ auf den Tourismus auswirken.
Alle Fachleute machten deutlich, dass die Öffentlichkeitsarbeit bei diesem heiklen Thema ein ganz wichtiger Punkt ist. Im Harz wurde ein Borkenkäferlehrpfad angelegt. Im Bayerischen Wald versuchen Ranger, das Verständnis der Besucher bei der Führung "Chaos und Verhau" zu fördern. Aber laut Müller muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Wer bei der Bevölkerung Akzeptanz für vom Borkenkäfer gestaltete Wälder erreichen will, sollte daher transparent und offen kommunizieren.