Abb. 9 - Abgestorbene "white bark"-Föhren - dazwischen einige, noch nicht befallene Tannen. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Abb. 8 - Frischbefall einer einzelnen "white bark"-Föhre im Yellowstone Nationalpark. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Abb. 7 - Charakteristischer Harztrichter mit Einbohrloch eines "mountain pine beetle" in der Rinde einer Föhre. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Abb. 6 - Zwei "mountain pine beetles" nach dem Reifungsfrass. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Abb. 5 - Typisches Brutbild eines "mountain pine beetle". Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Abb. 4 - Abgestorbene Föhren in einer Waldfläche in Montana. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Abb. 3 - Typischer "mountain pine beetle" - ein in Nordamerika heimischer Borkenkäfer. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Abb. 2 - Befallene "white bark"-Föhren im Yellowstone Nationalpark. Diese Föhrenart besitzt kaum Abwehr- mechanismen gegen die Borkenkäfer. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Abb. 10 -Ein Blick in die Landschaft zeigt das Ausmass der Schäden durch den "mountain pine beetle". Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Rotbraun gefärbte Föhren, so weit das Auge reicht. Dieses Bild präsentiert sich zurzeit in riesigen Waldgebieten Britisch-Kolumbiens, der westlichsten Provinz Kanadas am Pazifik. Der "mountain pine beetle", ein im Westen Nordamerikas heimischer Borkenkäfer, befällt dort seit je verschiedene Föhrenarten. Doch seit Mitte der 1990er Jahre vermehrt sich das gefrässige Insekt explosionsartig. Die grössten Schäden treten gegenwärtig in "lodgepole"-Föhren-Wäldern in Britisch-Kolumbien auf. Insgesamt wurden im Inneren der Provinz bis 2007 etwa 13,5 Millionen Hektaren Föhrenwald zerstört – das entspricht dreimal der Fläche der Schweiz. Sollte sich der "mountain pine beetle" weiterhin ausbreiten wie bisher, so dürften laut Computermodellen im Jahr 2013 rund 80 Prozent der Föhrenwälder Britisch-Kolumbiens zerstört sein.
Aussichtslose Bekämpfung
Die Regierung Kanadas hat 200 Millionen kanadische Dollar zur Verfügung gestellt, um einerseits die Auswirkungen der Borkenkäferplage auf die Forstwirtschaft zu mildern – die "lodgepole"-Föhre ist von den kommerziell genutzten Baumarten in Britisch-Kolumbien die häufigste – und andererseits den Befall gesunder Bestände einzudämmen. Ist dieser noch gering, so lässt sich die Ausbreitung durch die Entnahme betroffener Bäume zumindest verlangsamen. Bei einer regelrechten Invasion, wie sie zurzeit in Britisch-Kolumbien stattfindet, können solche Massnahmen aber nur lokal erfolgen.
Experten gehen davon aus, dass das Vordringen des Borkenkäfers nach Norden sowie in höhere Lagen der Rocky Mountains vor allem auf die Klimaerwärmung zurückzuführen ist. Modellsimulationen in den 1990er Jahren ergaben, dass ein wärmeres Klima zu einer Besiedlung von Gebieten führen könnte, in denen bisher keine Borkenkäferepidemien beobachtet worden waren. In den letzten Jahren ist nun eingetroffen, was die Modelle voraussagten. Milde Winter sowie warme und trockene Sommer begünstigen die Vermehrung der Käfer. Zudem gelingt es dem Insekt heute im Unterschied zu früher, alle Stadien – von der Larve über die Puppe bis hin zum adulten Tier – in einem Jahr zu durchlaufen. Damit fällt das am wenigsten kälteempfindliche Entwicklungsstadium des Käfers, das Larvenstadium, jeweils auf den Winter, was zu einer geringeren Sterblichkeit führt.
Das wärmere Klima ist jedoch nicht der einzige Grund für den aussergewöhnlich starken Borkenkäferbefall. Eine weitere Ursache ist auch, dass sich gegenwärtig sehr viele "lodgepole"-Föhren-Wälder in einem reifen und somit für den Käfer günstigen Stadium befinden. Der hohe Anteil an alten Föhren ist primär eine Folge der vor etwa hundert Jahren begonnenen Praxis der Unterdrückung von Waldbränden. Früher wurden diese Wälder, die an Feuer angepasst sind, häufiger durch Waldbrände zerstört als heute. Somit sind heute deutlich mehr Bäume über 80 Jahre alt als noch vor einigen Jahrzehnten. Der "mountain pine beetle" profitiert davon, weil er zur Brut auf solche alten Bäume angewiesen ist.
Auswirkungen auf die CO2 –Speicherung
Die grossflächigen Störungen wirken sich auch auf die Treibhausgasbilanz der kanadischen Wälder aus. Lange galten die Wälder Nordamerikas als bedeutende Kohlenstoffsenken. Wissenschafter des Pacific Forestry Centre in Victoria konnten anhand von Modellsimulationen im Computer nun aber zeigen, dass der Wald in den kommenden Jahren vermutlich nicht mehr so viel Kohlendioxid (CO2 ) aus der Atmosphäre binden wird, wie dies in den 1990er Jahren noch der Fall gewesen war. Wie die Forscher bereits früher in verschiedenen Publikationen und nun auch in der Fachzeitschrift "Nature" berichtet haben, dürfte die CO2 -Bilanz mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar negativ ausfallen.
Neben den Waldbränden ist es vor allem der Borkenkäfer, der zu zusätzlichen Kohlendioxid-Emissionen führt. Zum einen ist wegen der hohen Sterberate der Bäume der Holzzuwachs und damit die Einlagerung von Kohlenstoff stark reduziert; zum anderen wird das Holz der abgestorbenen Bäume abgebaut, was zur Freisetzung von Kohlendioxid führt. Diese brisanten Befunde machten der kanadischen Regierung einen Strich durch die Rechnung. Entgegen früheren Absichten entschied sie 2007, die Waldbewirtschaftung in der nationalen Treibhausgasbilanz im Rahmen der ersten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls (2008–2012) nun doch nicht zu berücksichtigen. Das Risiko, dass die Wälder nicht wie erhofft helfen würden, die Klimaschutzziele zu erreichen, sondern im Gegenteil die Aufgabe noch schwieriger machen könnten, schien zu gross.
Klimaerwärmung begünstigt Ausbreitung
Sorgen bereitet zudem, dass der "mountain pine beetle" sich nach Osten ausbreiten könnte. Bisher bildeten die Rocky Mountains eine klimatische Barriere. Doch 2003 gelang es den ersten Käfern, diese zu überwinden und Föhren in Alberta, der Nachbarprovinz von Britisch-Kolumbien, zu befallen. Die Lage dort wird genau beobachtet, weil sich in diesem Gebiet das Verbreitungsareal der "lodgepole"-Föhre mit demjenigen der "jack"-Föhre überschneidet. Wird die "jack"-Föhre im grossen Stil befallen, könnte sich der Borkenkäfer potenziell über den ganzen Kontinent bis zum Atlantik ausbreiten. Tatsächlich haben Modellstudien des Pacific Forestry Centre gezeigt, dass dies bei fortschreitender Klimaerwärmung wahrscheinlich ist.
Die Behörden in Alberta versuchen die Ausbreitung des Käfers jedoch zu verhindern. Etwas geholfen haben dabei die beiden Kälteeinbrüche im Januar und Februar 2008, als die Temperaturen für einige Stunden minus 40 Grad erreichten. Bei dieser Temperatur sterben viele Larven unter der Rinde ab, die Zahl der Käfer sinkt, der Befallsdruck verringert sich. Spezialisten des Forstdienstes stellten im Sommer 2008 fest, dass sich die Ausbreitung der Käfer in einigen Regionen tatsächlich verlangsamt hat. Insbesondere im Südwesten der Provinz sei der Befall jedoch nach wie vor hoch, teilten die Behörden von Alberta Ende Juni 2008 mit. Die Erhebungen hätten zudem gezeigt, dass der "mountain pine beetle" vermutlich definitiv in Alberta habe Fuss fassen können.
Bisher weniger beachtet wurde das Vordringen des "mountain pine beetle" in die höheren Lagen der Rocky Mountains. Mit der "whitebark"-Föhre werde nun aber eine Föhrenart befallen, die aus klimatischen Gründen bisher weitgehend vor dem Insekt geschützt gewesen sei, erklärte der amerikanische Borkenkäferspezialist Jesse Logan im Frühjahr an einem Vortrag an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf. Besonders betroffen seien die Föhren in und um den Yellowstone-Nationalpark. Die Auswirkungen könnten, laut Logan, dramatisch sein, denn die "whitebark"-Föhre verfüge im Unterschied zu anderen Föhren über keine Abwehrmechanismen gegen den Befall wie etwa die Harzbildung, wenn sich die Käfer durch die Rinde bohren. Zudem spiele sie in diesen höchsten Wäldern der Rocky Mountains eine zentrale ökologische Rolle. So ernährt sich der Kiefernhäher hauptsächlich von den nährstoffreichen Samen der Zapfen und sorgt damit für die effiziente Verbreitung des Baumes. Das Rote Eichhörnchen wiederum legt unterirdische Verstecke mit Samen an, die ihrerseits den Grizzlybären im Herbst als wichtige Nahrungsquelle dienen.
Allerdings ist noch weitgehend unklar, welche Rolle der "mountain pine beetle" in diesen Ökosystemen in früheren Perioden gespielt hat. Jüngste Forschungen an Sedimenten aus zwei Seen in den Rocky Mountains belegen nämlich, dass der Borkenkäfer jedenfalls schon seit langer Zeit – zumindest phasenweise – in jenen Gebieten verbreitet war.
Abklingende Probleme in der Schweiz
In der Schweiz ist der Befall durch den Grossen Buchdrucker, den in Mitteleuropa bedeutendsten Borkenkäfer, rückläufig, aber immer noch höher als im langjährigen Mittel. Ausgeprägte Massenvermehrungen des Insekts ereigneten sich nach den Stürmen 1990 und vor allem nach dem Orkan "Lothar" 1999. Die Situation spitzte sich zu, als 2003 ein sehr trockener Sommer folgte. Beat Wermelinger von der WSL sieht in diesen auslösenden Ereignissen einen wesentlichen Unterschied zur Situation in Nordamerika:" In der Schweiz kommt es erst nach Stürmen oder Trockenjahren zu einer massiven Vermehrung des Buchdruckers, während sich der "mountain pine beetle" ausbreitet, sobald die klimatischen Voraussetzungen dies erlaubten. Es ist aber unklar, ob Letzteres mit zunehmenden Temperaturen auch beim Buchdrucker Realität werden könnte."
Tatsächlich erweisen sich ausgedehnte, gleichförmige Fichtenwälder in tieferen Lagen angesichts der prognostizierten Zunahme trockener Jahre als immer problematischer. Sind die Bäume wegen Wassermangels geschwächt, so hat der Borkenkäfer ein leichtes Spiel. "Eine weitere Auswirkung wärmerer Temperaturen ist, dass der Borkenkäfer auch in Gebirgswäldern öfter zwei Generationen pro Jahr ausbilden kann", sagt Wermelinger. Die Folgen für den Gebirgswald, wo Fichten natürlicherweise dominieren, sind laut den Forschern zurzeit noch nicht absehbar. Eine höhere Temperatur scheine die Wuchsleistung der Bäume im Gebirge zu steigern, ob damit aber auch die Abwehrkräfte gestärkt würden, sei unklar. Dies könnte jedoch entscheidend sein: Denn je widerstandsfähiger ein Baum ist, desto mehr Käfer sind nötig, um ihn erfolgreich zu befallen – auch wenn hierzu genaue Zahlen fehlen. Zudem spielen auch die natürlichen Gegenspieler des Borkenkäfers, wie zum Beispiel Spechte, eine Rolle, denn auch sie könnten von der Klimaerwärmung profitieren.
Insgesamt betrug der Anteil der zwangsweisen Fällungen wegen Borkenkäferbefalls in den letzten Jahren laut der Statistik der Fachstelle Waldschutz Schweiz etwa ein Fünftel der gesamten Holznutzung. Für Andreas Rigling von der WSL macht dieser hohe Anteil deutlich, dass potenziellen Störungen wie Stürmen, Trockenheit und Borkenkäferbefall bei der Waldbewirtschaftung wesentlich mehr Beachtung als bisher geschenkt werden muss.
Pufferzone als Ausbreitungsbarriere
Viel zu reden gibt der Borkenkäfer seit vielen Jahren auch im deutschen Nationalpark Bayerischer Wald. Seit Beginn des Befalls in den 1980er Jahren sind dort mehr als 4500 Hektaren Wald abgestorben (rund ein Fünftel der Nationalparkfläche). In einem Nationalpark sind die natürlichen Abläufe zu respektieren. Eingriffe innerhalb der Naturzone sind deshalb tabu. Was aber, wenn der Borkenkäfer auf die benachbarten Gebiete und Privatwälder übergreift? Die Verantwortlichen des Nationalparks trugen diesem Umstand Rechnung und richteten in den 1990er Jahren eine Bekämpfungszone als Puffer ein, in der befallene Bäume entfernt werden. Doch niemand wusste zu Beginn, wie breit dieser Streifen sein muss, um eine Ausbreitung des Käfers zu verhindern.
Mit Hilfe von Modellsimulationen konnte Lorenz Fahse, der heute am Institut für Terrestrische Ökosysteme der ETH Zürich arbeitet, zeigen, dass ein 400 bis 500 Meter breiter Streifen eine wirksame Barriere bilden könnte – allerdings nur in Kombination mit einer intensiven Überwachung, denn mindestens drei Viertel der befallenen Bäume müssten rechtzeitig erkannt und vor dem Ausfliegen der jungen Käfer eliminiert werden, so Fahse. Sonst könne es zu einem Durchbruch der Pufferzone kommen. Der Wissenschafter betont aber, dass für genauere Prognosen noch zu wenig über das Verhalten des Borkenkäfers oder das Zusammenspiel der verschiedenen Prozesse beim Befall bekannt sei. Ebenso könnten lokale Gegebenheiten in einem befallenen Bestand einen grossen Einfluss auf die weitere Befallsdynamik haben.
Kann man der Natur freien Lauf lassen oder muss eingegriffen werden?
Die Resultate aus dem Bayerischen Wald sind für die Schweiz von besonderem Interesse. Denn auch hier stellt sich oft die Frage, ob der Natur freier Lauf gelassen werden soll oder ob man das Käferholz fällt, was oft mit hohen Kosten verbunden ist. Nach dem Sturm "Lothar" agierten die Kantone diesbezüglich recht unterschiedlich, was teilweise zu harschen Auseinandersetzungen führte. Wie die Ergebnisse aus dem Bayerischen Wald zeigen, sind unter bestimmten Voraussetzungen beide Varianten – Bekämpfen und bewusstes Nichtstun – nebeneinander möglich. Probleme gibt es allerdings, wenn unterschiedliche Strategien auf engem Raum umgesetzt werden sollen, weil dann beispielsweise gar nicht genügend Platz für eine Pufferzone vorhanden ist. Laut den Wissenschaftern der WSL wird es in Zukunft deshalb noch stärker notwendig werden, das Vorgehen in einer Region abzustimmen. Als Einheiten für bestimmte Bewirtschaftungsformen kommen ganze Täler oder Geländekammern mit natürlichen Begrenzungen in Frage. Waldeigentümer und Förster müssen die möglichen Folgen der Klimaerwärmung und den Borkenkäfer bei ihren Entscheidungen jedenfalls mehr denn je in die Überlegungen mit einbeziehen.