Warum gerade die Fichte?
Warum ist es gerade die Fichte im Harz, die so sehr unter den trockenen Sommern gelitten hat? Einen wesentlichen Beitrag dazu hat der massive Borkenkäferbefall geleistet. Doch welche Unterschiede gibt es, wenn man vorrangig die Dürreanfälligkeit der verschiedenen Baumarten betrachtet? Wissenschaftler der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) untersuchten diese Fragen mit Hilfe einer etablierten Methodik. Mit Wasserhaushaltssimulationen werden die Auswirkungen unterschiedlicher Bodenbedingungen, Klimaverhältnisse und Baumarten für den gesamten Harz in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt eingeschätzt.
Unterschiedliche Eigenschaften der Baumarten
Grundlage für die Bodeninformation in der großflächigen Wasserhaushaltssimulation ist die forstliche Standortskartierung dieser beiden Bundesländer. Es wurden die meteorologischen Größen für den gesamten Simulationszeitraum von 1961 bis 2020 auf der Basis aller verfügbaren DWD-Stationen des Deutschen Wetterdienstes genutzt. Diese sind auf ein 250-m-x-250-m-Raster interpoliert worden. An allen über 62.000 Standorten im Harz wurden mit dem Wasserhaushaltsmodell LWF-Brook90 gut wüchsige Bestände der Baumarten Buche, Eiche, Kiefer, Fichte und Douglasie miteinander verglichen. Bei der Berechnung von Transpiration und Interzeption (Verdunstung vom Kronendach) ergeben sich bedingt durch die verschiedenen Eigenschaften der Baumarten deutliche Unterschiede. So wurde die Belaubung jeder Baumart im Jahresverlauf auf Grundlage der maximalen Gesamtblattfläche im Sommer und der Zeitpunkte von Blattaustrieb und Laubfall klimaabhängig modelliert. Die Transpiration der Baumarten wird neben der Blattfläche auch durch die Blattleitfähigkeit und die Wurzeltiefe gesteuert, weiterhin wurden die unterschiedlichen Interzeptionskapazitäten der Baumarten verwendet.
Klimatische Sonderstellung des Harzes
Der Harz erhebt sich weit über die norddeutsche Tiefebene heraus. Mit seinen starken Winden und häufigen Nebellagen nimmt er eine klimatische Sonderstellung ein. Die weltweite Klimazonen-Definition (von Köppen und Geiger) beruht auf den Wachstumsbedingungen für die Vegetation. Wendet man sie auf die Waldgebiete im Harz an, dann gehören (für die Klimanormalperiode von 1961 bis 1990, Abb. 3 und Abb. 4) die höchstgelegenen Kuppen des Harzes aufgrund der langen Phasen mit niedrigen Wintertemperaturen zur borealen Klimazone. Das gilt außerhalb der Alpen wohl für kein anderes Gebiet in Deutschland. Betrachtet man jedoch die Klimanormalperiode von 1991 bis 2020, so gibt es mittlerweile im Harz keine Areale der borealen Klimazone mehr. In 30 Jahren hat sich die Durchschnittstemperatur im Harz um ca. 1,0 Kelvin erhöht. Gleichzeitig nahm zwar der jährliche Niederschlag um ca. 40 mm zu, verringerte sich aber in der Vegetationsperiode um 7 mm. Als Folge des Klimawandels sind die Harzkuppen jetzt innerhalb der warm-gemäßigten Klimazone als humide Gebiete mit kühlen Sommern einzustufen, während der Rest des Harzes innerhalb derselben Klimazone zu den humiden Gebieten mit warmen Sommern gehört.
Abb. 3: Klimazonen-Zuordnung der Waldgebiete im Harz nach der Definition von Köppen/Geiger für die Klimanormalperiode 1961 bis 1990. Die warm-gemäßigte Klimazone kam in der Variante Cfb (humid, warme Sommer) vor, die boreale Klimazone in den Varianten Dfb (humid, warme Sommer) und Dfc (humid, kühle Sommer). Quelle: Stefan Fleck (NW-FVA)
Abb. 4: Klimazonen-Zuordnung der Waldgebiete im Harz nach der Definition von Köppen/Geiger für die Klimanormalperiode 1991 bis 2020. Die warm-gemäßigte Klimazone kam in den Varianten Cfb (humid, warme Sommer) und Cfc (humid, kühle Sommer) vor, die boreale Klimazone nicht mehr. Quelle: Stefan Fleck (NW-FVA)
Veränderungen des Wasserhaushalts
Die Gesamtverdunstung von Wäldern setzt sich zusammen aus Bodenevaporation, Interzeption und Transpiration (Zahlenangaben im Folgenden immer als Durchschnitt der Klimanormalperiode 1991-2020). Die unterschiedlichen Belaubungen und Blattleitfähigkeiten der Baumarten wirken sich dabei direkt auf die Gesamtverdunstung aus.
- Bodenevaporation – nur gering erhöht
Fichtenbestände mit ihrem hohen Blattflächenindex lassen im Durchschnitt wenig Bodenevaporation zu (jährlich ca. 54 mm), weil der Boden durch das dichte Kronendach gut abgeschirmt ist. Dagegen ist die Bodenevaporation bei den viel offeneren Kiefernbeständen generell am höchsten (98 mm). Im Vergleich der Bodenevaporation von 1961 bis 1990 mit der aktuellen Klimanormalperiode sind wenige Veränderungen zu erkennen.
- Interzeption – ganzjährig kaum verändert
Bei der Interzeption zeigen sich dagegen bei allen Baumarten überwiegend saisonale Veränderungen zwischen beiden Klimanormalperioden. Generell ist die Interzeption bei immergrünen Nadelbäumen und hier besonders bei Fichte und Douglasie am höchsten (449 mm bzw. 443 mm). Die laubabwerfenden Buchen und Eichen weisen besonders im Winterhalbjahr nur geringe Interzeptionsraten auf (jährlich 231 mm bzw. 232 mm). In der Vegetationsperiode hat sich die Interzeptionsrate bei allen Baumarten um 5 bis 8 % erhöht, was hauptsächlich auf den Temperaturanstieg zurückzuführen ist: Aufgefangenes Wasser verdunstet schneller. Gleichzeitig hat sich die Interzeptionsrate in der Vegetationsruhe im Winter aber um 6 bis 9 % verringert, da der Anteil der besonders effektiven Schnee-Interzeption abgenommen hat. Aufs ganze Jahr gerechnet haben sich die Interzeptionsraten somit kaum verändert.
- Transpiration - zugenommen
Die Transpiration der Bäume ist ein Stoffwechselprozess, bei dem Wasser über die Wurzeln aus dem Boden aufgenommen und von den Blättern aufgrund des Wasserdampfdruckgefälles an die Atmosphäre abgegeben wird. An die frostbedingte Wassermangelsituation im Winter sind Laubbäume durch den Laubabwurf und Nadelbäume durch besonders harte Blattorgane mit geringen Blattleitfähigkeiten angepasst. Die Blattleitfähigkeit der Nadelbaumarten ist dadurch generell geringer als bei den Laubbäumen, so dass auch die Transpiration niedriger ist (193 mm bis 244 mm bei Nadelbäumen, 265 mm bei Buche, 276 mm bei Eiche). Die höchste Transpirationsrate unter den drei Nadelbaumarten stammt von Fichten: Weil bei ihnen die Gesamtblattfläche außerordentlich groß ist, transpirieren sie auch mehr als z. B. Kiefern (227 mm), obwohl deren Blattleitfähigkeit je Blattfläche höher liegt. Bei allen Baumarten gab es innerhalb von 30 Jahren eine Zunahme der Transpiration um 11 bis 13 %, die unmittelbar auf den temperaturbedingt höheren Verdunstungsanspruch der Atmosphäre zurückzuführen ist.
Dürreanfälligkeit der Baumarten
Die Dürrebelastung der Baumarten ist am Transpirationsquotient erkennbar. Er resultiert aus dem tatsächlichen Zusammenwirken von Klima, Baumbestand und Bodenwasserverfügbarkeit. Der Quotient gibt das Spannungsverhältnis zwischen dem Verdunstungsanspruch der Atmosphäre und der tatsächlichen Wassernachlieferung durch die Bäume wieder. Bei nicht ausreichender Wasserversorgung oder bei Überforderung der Leitgefäße (z. B. bei trockener Luft und Wind) senken die Bäume die Wasserabgabe durch Schließen der Spaltöffnungen und der Index fällt unter 1 (= 100 %). Bei lang anhaltender Transpirationsreduktion (extreme Trockenstressphasen, Index < 80 %) reicht das permanente Schließen der Spaltöffnungen aber nicht mehr aus, weil eine minimale Transpiration weiter stattfindet. Die mit der Atmosphäre in Kontakt stehende wassergesättigte Oberfläche wird dann durch Einrollen der Blätter, Blatt- und Nadelverluste oder Leitgefäßembolien zusätzlich reduziert, mit oft bleibenden Schäden. In Bezug auf solche Dürreschäden bei weitgehend geschlossenen Spaltöffnungen ist es deshalb interessant zu untersuchen, wie lange extreme Trockenstressphasen andauern, in denen ein massives Absinken des Transpirationsquotienten vorkommt. Rückblick: Die längste Phase mit derart extremem Trockenstress im Harz dauerte (im Durchschnitt der Klimanormalperiode 1961 bis 1990) bei den Laubbäumen zwischen 2,2 und 2,5 Tage. Bei den Nadelbäumen betrug sie dagegen zwischen 0,7 Tage (Douglasie) und 1,4 Tage (Fichte). Aktuell: Bei allen Baumarten hat sich die durchschnittliche Dauer der extremen Trockenstressphasen dann in der Klimanormalperiode 1991 bis 2020 deutlich erhöht: Bei Buche und Eiche um jeweils 52 % auf 3,4 bzw. 3,9 Tage und bei den Nadelbäumen um 81 % bis 126 %.
Bleibende Schäden
Alle Baumarten erleiden unter diesen Umständen bleibende Schäden. Während Laubbäume dem Trockenstress auch durch welke oder eingerollte Blätter begegnen, können die Nadelbaumarten auf sehr lang anhaltenden extremen Trockenstress neben dem permanenten Spaltöffnungsschluss nur noch durch Nadelverlust oder/und Kavitation reagieren (eine Art Embolie, aufgrund eines Unterdrucks bilden sich Gasblasen im Xylem, die oft zum vollständigen Funktionsverlust der betroffenen Gefäße führen). Diese extremen Trockenphasen waren bei Fichten in den Trockenjahren 2018 - 2020 länger als bei Kiefern und Douglasien (durchschnittlich 9 Tage, an vielen Standorten über 25 Tage, Abb. 5 und Abb. 6) und somit auch die Schäden potenziell größer.
Fazit
Der Klimawandel führte im Harz zwischen 1991 und 2020 zu einer Verschiebung der Klimazonen. Die Dauer extremer Trockenstressphasen (Transpirationsquotient < 80 %) ist in den Dürresommern 2018 bis 2020 etwa auf das Vierfache angestiegen. Die Geschwindigkeit dieser Veränderung überforderte anscheinend die Anpassungsfähigkeit besonders der Fichten mit ihrer großen Gesamtblattfläche, weil sie die erforderliche Reduktion weiterer Wasserverluste nicht ohne massive Schäden erreichen können, mit denen die Blattfläche reduziert wird. Das große Ausmaß der seit 2018 entstandenen Kalamitätsflächen verdeutlicht auch diese Entwicklung.