Beratung, Herkunftsversuche und Qualitätssicherung
Das Versuchszentrum blickt, was Weihnachtsbäume betrifft, auf eine intensive 14-jährige Forschungs- und Versuchstätigkeit zurück. In dieser Zeit bauten Professor Jürgen Matschke und seine Mitarbeiter ein bundesweites Wissenszentrum für den Weihnachtsbaumanbau auf. Ende August 2003 ging er in den Ruhestand. Im Januar 2004 wurde ein Ausschuss aus Vertretern des Berufsstandes und Beratern gegründet, um jährlich das aktuelle Versuchsprogramm zu diskutieren. Fragen zur optimalen Kulturführung, Qualitätsbeeinflussung und vegetativen Vermehrung von Weihnachtsbäumen gehören ebenso zu den Versuchsthemen wie Herkunftsversuche mit der Nordmannstanne.
Das der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen angegliederte Gartenbauzentrum Münster-Wolbeck / Essen ist in verschiedene Organisationseinheiten unterteilt: Fachschule für Gartenbau, Überbetriebliches Ausbildungszentrum, Berufliche Weiterbildung, Gartenbauberatung und Versuchszentrum. Im Versuchszentrum werden aktuelle Probleme der Praxis in den Fachsparten "Baumschule" und "Weihnachtsbäume" aufgegriffen sowie Lösungen erarbeitet. Für die Baumschul- und Weihnachtsbaumversuche stehen auf dem Gelände des Gartenbauzentrums 8.000 m2 Freilandfläche, 1.170 m2 Containerfläche und eine Klimahalle mit 470 m2 zur Verfügung. Die Gewächshausabteilungen lassen sich getrennt voneinander steuern und sind unter anderem mit Klimacomputer, automatischen Bewässerungs-, Schattierungs- und Belichtungseinrichtungen ausgerüstet.
Herkunftsversuche Nordmannstanne
Jeder Weihnachtsbaumproduzent will marktgängige Bäume in guter Qualität anbieten. Neben möglichst kurzen Umtriebszeiten sollte die Flächenausbeute so hoch wie möglich sein. Der Produzent muss deshalb genau abwägen, welche Art bzw. welche Herkunft sich unter Beachtung der Klima- und Bodenverhältnisse seines Standortes für den Anbau eignet. Da sich Rassen eines Herkunftsgebietes in ihrem Wuchsverhalten und ihrer Qualität unterscheiden, legte das Versuchszentrum vor zwei Jahren an ausgewählten Standorten im Sauerland, Rheinland und Münsterland Herkunftsversuche mit der Nordmannstanne (Abies nordmanniana) an. Um Schlussfolgerungen für den eigenen Anbau ziehen zu können, ist es empfehlenswert, ausgesuchte Herkünfte auf eigenen Flächen auf ihre Anbauwürdigkeit hin zu prüfen.
Zweig- und Nadelschimmel an Blaufichten und Nordmannstannen
Ein aktuelles Versuchsthema ist der in den letzten Jahren verstärkt in Weihnachtsbaumkulturen auftretende Zweig- und Nadelschimmel, verursacht von einem Pilz der Gattung Rhizoctonia (Abb. 1). Eine bundesweite Fragebogenaktion des Gartenbauzentrums ergab, dass der Pilz vor allem Blaufichten-, weniger Nordmannstannenkulturen schädigt. Vorwiegend im unteren Drittel der Bäume treten Nadelverbräunungen auf. Die auf der Ober- und Unterseite mit einem bräunlich-grauen Pilzmyzel überzogenen Nadeln sterben schnell ab, haften aber durch die sich zwischen Nadel und Trieb bildenden Hyphen (Pilzfäden) weiter am Zweig. Der Pilz tritt vor allem im Spätsommer, Herbst und Winter auf, wenn die Niederschlagsmengen am höchsten sind. In Regionen mit jährlichen Niederschlägen von 1.000 mm und mehr ist vermehrt mit einem Befall zu rechnen. Windgeschützte Hanglagen sind besonders gefährdet, da der Pilz hier wegen der verzögerten Abtrocknung der Bestände optimale Bedingungen für sein Wachstum vorfindet. Über Spritzversuche mit geeigneten Fungiziden und intensive Bonituren (= Beobachtung, Beurteilung von pflanzlichen Merkmalen; Anm. d. Redaktion) sollen Bekämpfungsmöglichkeiten erprobt sowie Näheres über Epidemiologie (= Beschäftigung mit Ursachen, Folgen und Verbreitung von Krankheiten bei Individuen und Populationen; Anm. d. Redaktion) und Schadwirkung des Erregers herausgefunden werden.
Vorbeugend sollte bei der Neuanlage von Weihnachtsbaumkulturen neben einer geeigneten Wahl des Standortes auch auf einen erweiterten Pflanzabstand in der Reihe und zwischen den Reihen geachtet werden. Auf diesem Weg lässt sich ein schnelleres Abtrocknen des Bestandes erreichen und die Infektionsgefahr mindern. Das Entfernen des untersten Astkranzes und die Beseitigung des Unkrauts dienen ebenfalls als vorbeugende oder befallsmindernde Maßnahmen.
Trieblängenregulierung
Einige der für den Weihnachtsbaumanbau bevorzugten Baumarten neigen in Abhängigkeit von Herkunftsgebiet, Anbaustandort und Kulturführung ab dem dritten Standjahr zur verstärkten Triebstreckung. Ohne geeignete Korrekturmaßnahmen wären diese Bäume später unverkäuflich. Das Gartenbauzentrum prüft daher seit drei Jahren in Praxisversuchen den Einfluss mechanischer und chemischer Verfahren zur Trieblängenregulierung an Nordmannstannen.
Vegetative Vermehrung
Abb. 2: Die Stecklingsvermehrung ermöglicht es, die genetische Streuung von Sämlingen zu umgehen und homogene Bestände aufzubauen (Foto: M. Zäpernick).
Ein weiterer Schwerpunkt der Versuchsarbeit ist die vegetative Vermehrung (Abb. 2). Sämlinge weisen wegen ihrer hohen genetischen Streuung oft eine große Variabilität in ihrem Geno- und Phänotyp auf (Genotyp = genetische Ausstattung, Phänotyp = äußerliches Erscheinungsbild eines Organismus; Anm. d. Redaktion). Daher kann ein Baum, den besonders gute Anbaueigenschaften auszeichnen und der erhalten werden soll, nur auf ungeschlechtlichem Wege vermehrt werden. Versuche werden hauptsächlich mit den im Weihnachtsbaumanbau bedeutsamen Arten Nordmannstanne (Abies nordmanniana) und Blaufichte (Picea pungens 'Glauca') durchgeführt. Bei der Stecklingsvermehrung hat sich die Verwendung von juvenilem Ausgangsmaterial bewährt. Ältere Mutterpflanzen können über Veredelung vermehrt werden. Diese Methode eignet sich auf Grund des schnelleren Fruktifizierens der Bäume und damit früheren Zapfenernte auch für die Anlage von Saatgutplantagen.
Gewebekulturen bei Nordmannstannen
Gemeinsam mit der Humboldt-Universität Berlin arbeitet das Gartenbauzentrum an dem Modellvorhaben "Vegetative Vermehrung der Nordmannstanne durch somatische Embryogenese" (somatisch = aus normalen Gewebezellen, nicht aus Keimzellen, Anm. d. Redaktion). Die somatische Embryogenese ist ein biotechnologisches Verfahren. Dabei entstehen aus vegetativen Zellen des Pflanzenkörpers Embryonen, die sich zu normalen Jungpflanzen entwickeln (Abb. 3). Die Gewebekultur oder in-vitro-Vermehrung (= Vermehrung im Glas) wird im Pflanzenbau traditionell angewandt. Im Zierpflanzenbau, im Obst- und Gemüsebau und bei landwirtschaftlichen Kulturarten spielen wirtschaftlich genutzte Klonsorten eine wichtige Rolle. Einzelpflanzen mit außergewöhnlichen Eigenschaften, die über Samen (generativ) nicht zu vermehren sind, werden so nutzbar gemacht. Mit Hilfe dieser Vermehrungsmethode werden in kurzen Zeiträumen genetisch einheitliche Pflanzen mit gleichbleibender Qualität in hoher Zahl erzeugt.
Die Nordmannstanne hat in Deutschland inzwischen einen Marktanteil von zirka 70 Prozent erreicht, Tendenz steigend. Die für unsere klimatischen Bedingungen geeigneten Herkunftsgebiete liegen ausschließlich im Russischen und Georgischen Kaukasus. Das angebotene Saatgut stammt oft von verschiedenen Einzugsgebieten und Höhenlagen und ist somit sehr heterogen. Ziel dieses mit Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz geförderten Projekts ist es, standortangepasste, marktgerechte Sorten zu entwickeln, um aufwändige Korrekturmaßnahmen in den Beständen zu minimieren sowie die Flächenausbeute von derzeit etwa 60 Prozent zu erhöhen. Bis sich Nordmannstannen-Jungpflanzen aus der somatischen Embryogenese wirtschaftlich nutzen lassen, werden noch Jahre vergehen. Effiziente Anzucht- und Kulturverfahren müssen entwickelt und für den Anbau geeignete Sorten selektiert werden.
Marion Zäpernick arbeitet als Versuchsingenieurin im Bereich Weihnachtsbäume am Gartenbauzentrum Münster-Wolbeck / Essen der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.