Als Teil einer Demonstration früherer Landnutzungsarten wurde 1998 im Schweizer Freilichtmuseum Ballenberg die Ziegenweide in einem geschlossenen Waldbestand zugelassen. Die Forschungsanstalt WSL begleitete diesen Versuch wissenschaftlich, um herauszufinden, wie stark sich die Beweidung durch Ziegen auf Bäume und Bodenvegetation auswirkt.

Bis zum Inkrafttreten des ersten Schweizer Forstgesetzes im Jahre 1876 war die Beweidung des Waldes durch Haustiere Teil der traditionellen Landnutzung. Offenes Landwirtschaftsland diente vorwiegend der intensiven Produktion von Feldfrüchten. Deshalb wurde der Wald genutzt, um mittels Beweidung Landwirtschaftsprodukte tierischer Herkunft zu erzeugen.

Schäden als Folge der Beweidung waren häufig. Die Tiere verhinderten die Waldverjüngung, und die zusätzliche Nutzung des Waldes als eine Quelle für Winterfutter für die Tiere führte dazu, dass die Wälder degradierten und die Böden verarmten. Gebirgswälder, in denen die Schutzfunktion wichtig war, waren nicht mehr in der Lage, diese zu erfüllen.

Viele historische Dokumente beschäftigen sich mit dem Problem der Waldweide. Landolt (1862) zeigte in seinem Bericht über den Zustand des Gebirgswaldes in der Schweiz zuhanden des Bundesrates, dass viele Probleme im Wald eine Folge der Übernutzung waren. Die Beweidung war eine der Hauptursachen dafür. Als Folge davon verbot man die Beweidung zunächst in Wäldern mit Schutzfunktion, später sogar in allen Wäldern. Heute ist die Waldweide in fast allen Wäldern der Schweiz immer noch verboten. Nur in Ausnahmefällen dürfen Tiere mit einer Bewilligung des Forstdienstes oder der Kantonsregierung im Wald weiden.

Einer der wichtigsten Gründe, warum die Probleme mit der Waldweide, beginnend in der Mitte des 18. Jahrhunderts, bis heute gelöst werden konnten, war die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion. Die Wälder verloren die Bedeutung als zusätzliches Landwirtschaftsland. Deshalb verschwand in den letzten 150 Jahren die Beweidung als Form der Waldnutzung, zumindest in den tieferen Lagen, fast vollständig (Gotsch et al. 2002).

Renaissance der Waldweide?

Heute tauchen neue Ideen auf wie beispielsweise der Einsatz von Ziegen, um die Situation lichtbedürftiger Pflanzen- und Tierarten zu verbessern. Mit der Viehweide will man versuchen, die Waldstrukturen zu beeinflussen (Bebi 1999). In beiden Fällen weiss man heute allerdings wenig über die möglichen Auswirkungen auf den Wald.

Das Schweizerische Forstmuseum im Freilichtmuseum Ballenberg im Berner Oberland plante, der Öffentlichkeit die Auswirkungen verschiedener traditioneller Waldnutzungen zu demonstrieren. Eine dieser Nutzungsformen ist die Ziegen- und Viehweide im Wald. Als die nötigen Bewilligungen vorlagen, entschieden die Verantwortlichen des Forstmuseums, diese Wirkungen auch wissenschaftlich zu dokumentieren. Die Forschungsgruppe Waldentwicklung (Ertragskunde) und ein Vegetationsspezialist der WSL wurden eingeladen, diesen Versuch zu begleiten. Das Freilichtmuseum stellte die Tiere zur Verfügung und übernahm die Zäunung. Die erste Waldweide-Saison war im Sommer 1998. Die wichtigsten Forschungsfragen lauteten:

  • Welche Auswirkung hat die Ziegenweide auf einen Waldbestand?
  • Welchen Einfluss hat die Ziegenweide auf die Bodenvegetation (Diversität, Pflanzenzahl, Artenzusammensetzung) und wie wird diese langfristig beeinflusst?

Versuchsflächen im Museum

Die Versuchs- und Demonstrationsfläche liegt auf einer Höhe von 680 m ü.M. Sie grenzt an eine Wiese, die üblicherweise als Ziegenweide genutzt wird. Pflanzensoziologisch handelt es sich um einen Waldmeister- Buchenwald (Galio-odorati Fagetum, Keller et al. 1998). Die Weidefläche im Wald betrug 941 m2. Der Versuch ist als Fallstudie angelegt, da es nicht möglich war, ein gezieltes Experiment durchzuführen.

Der Waldbestand besteht in der Oberschicht aus 47% Buche, 35% Winterlinde, 12% Eichen, 3% Berg- und Spitzahorn und 0,2% Fichte (Prozent der Grundfläche der Bäume mit BHD (d1.3) ≥ 8 cm). In der Unterschicht kommen zusammen mit einigen Haselsträuchern und Weissdornen entlang dem Waldrand alle Arten der Oberschicht vor.

1998 haben Spezialisten der WSL alle Bäume und Sträucher, die grösser als 1,3 m waren, gemessen und die Stammfusskoordinaten bestimmt. Zugleich notierten sie Schäden an Bäumen. Die Bäume und die Bodenvegetation wurden vor Weidebeginn im Mai 1998 erstmals erfasst. Die Bodenvegetation wurde in drei konzentrischen Kreisen von 30, 200 und 500 m2 nach der Methode von Braun-Blanquet zur Schätzung der Pflanzenzahl aufgenommen (Mueller-Dombois und Ellenberg 1974).

Während des Sommers und Herbstes 1998 hatte eine Gruppe von vier Ziegen (ca. 5 Grossvieheinheiten GVE pro Hektare Wald, d. h. die Beweidung war relativ intensiv) während insgesamt acht Wochen Zugang zum Wald. Die Tiere hatten jederzeit die Wahl zwischen Weide und Wald. Der lokale Betreuer der Ziegen beobachtete, dass die Ziegen es offenbar vorzogen, im Wald zu weiden. Im Frühling 1999 wurden alle Bäume auf Schäden kontrolliert und die Vegetationsaufnahme wiederholt. 1999, 2000 und 2001 war der Wald für die Ziegen wieder für jeweils acht Wochen zugänglich und die Erhebung der Schäden und der Vegetation wurde 2001, die Durchmesser-Erfassung der Bäume erst 2003 wiederholt.

Wie wirken Geissen im Wald?

Abbildung 4 zeigt die Abnahme der Stammzahlen im Laufe der Jahre nach Durchmesserklassen. Eine Abnahme erfolgt nur in den Klassen 2 (0–4 cm) und 6 (4–8 cm) und ist hauptsächlich auf die Ziegenweide zurückzuführen; natürliche Mortalität kann aber nicht ganz ausgeschlossen werden. Die Verjüngung (Durchmesserklasse 2) verschwand innert fünf Jahren weitgehend. Fichten und Ahorne sind vollständig verschwunden, weil die Ziegen die Stämme, bei Fichten sogar die Äste, schälten.

Viele Bäume wurden verbissen, manchmal sogar die Gipfelknospe von bis 2,5 m hohen Bäumen. Fankhauser (1887) bezeichnet dieses "Kunststück" als "Niederreiten": Die Ziegen drücken schlanke Bäume mit den Vorderbeinen nieder und äsen sie dann von unten bis zur Gipfelknospe ab. Buchen, Linden und andere Laubhölzer wurden zu 60 bis 80% reduziert. Bei den grösseren Durchmessern sind die Veränderungen gering. An Bäumen mit einem BHD (d1.3) von mehr als 8 cm wurden nur wenige von den Ziegen verursachte Schäden festgestellt, hier vor allem an Ahornen und Linden. Grosse Fichten, Buchen und Eichen beeinträchtigten die Tiere nicht.

Ziegen und Bodenvegetation

Bei der Vegetation veränderte sich die Baumschicht nicht, die Strauchschicht aber dramatisch. Wie bei den Bäumen ist dies eine Folge des Schälens und des Verbisses. Die Veränderungen in der Krautschicht scheinen auf den ersten Blick ebenfalls nur mässig zu sein: vor der Beweidung waren 53 Pflanzenarten vorhanden, nach drei Jahren 56. Allerdings sind zehn Arten verschwunden und 13 neue Arten hinzugekommen, hauptsächlich typische Wiesenarten. Die Beweidung führt also doch zu beträchtlichen Veränderungen.
 

Folgerungen

Wenn man das Fressverhalten der Ziegen kennt, sind die Ergebnisse dieses Versuches nicht erstaunlich: Ziegen fressen bevorzugt "von oben herab". Gras und Kräuter werden erst in zweiter Linie gefressen. Die Veränderungen in der Krautschicht sind erheblich, aber unbedenklich, da in diesem Waldbestand keine gefährdeten Arten vorkamen. Falls solche vorhanden wären, müssten sie gegen die Abweidung durch Ziegen geschützt werden.

Ziegen schädigen auch grosse Bäume ab Stangenholz nicht. Dagegen verunmöglicht eine Beweidung mit Ziegen die Verjüngung. In Jungbeständen, in Beständen, die verjüngt werden sollen, oder in Plenter- und Dauerwäldern kann eine Beweidung mit Ziegen nicht zugelassen werden. Unsere Fallstudie bestätigt die alte Erkenntnis, dass Ziegen im Wald Schaden anrichten können (siehe z. B. Fankhauser 1887). Es ist daher unzweifelhaft nötig, Ziegen im Wald unter Kontrolle zu halten, das heisst durch Zäunung oder durch eine Behirtung. Letztlich sind nicht die Ziegen für Schäden im Wald verantwortlich - sie tun dort nur das, wie es ihre Art ist - sondern der Mensch, der die Ziegen im Wald nicht kontrolliert.

(TR)