Seit 25 Jahren wird in der Schweiz die Sanasilva-Inventur durchgeführt. Ihr Beginn hing eng mit dem «Waldsterben» zusammen. Entsprechend wurden die jährlichen Ergebnisse der Sanasilva-Inventur von den Medien und der breiten Öffentlichkeit mit grossem Interesse verfolgt. In den 1990er Jahren zeigte sich, dass diese Inventur allein weder zur Beschreibung des Gesundheitszustandes des Waldes noch zur Ursachenforschung ausreichte.

Aus diesem Grund wurden seit 1994 landesweit Waldflächen für die langfristige Erforschung von Waldökosystemen (LWF) eingerichtet. Nach 15 Jahren liegen aus dem Grossprojekt LWF zahlreiche Ergebnisse zu wichtigen Fragen des Stoffumsatzes im Waldökosystem und des Einflusses von Immissionen auf den Wald vor.

Erfassung des Waldzustandes: Die Kronenverlichtung

Um die langfristige Entwicklung des Waldzustands erfassen und objektiv beurteilen zu können, starteten Wissenschaftler der Forschungsanstalt WSL die Sanasilva-Inventur mit jährlichen Erhebungen. Dazu mussten sie einen einfach zu erfassenden Indikator entwickeln. Da ein Baum, bevor er abstirbt, seine Nadeln oder Blätter verliert, entschied man sich für die Erfassung des "Nadel-/Blattverlustes" (später Kronenverlichtung genannt), angegeben in Prozent einer "voll belaubten" Baumkrone.

Zur Standardisierung legten die Forscher für jede Baumart Bilder von Baumkronen mit verschiedener Kronenverlichtung an und verwendeten diese als Referenz. Anlässlich der Erhebungen wurde neben der gesamten Kronenverlichtung auch der Anteil der Verlichtung erfasst, der sich nicht durch bekannte Ursachen wie zum Beispiel Insektenfrass oder Frostschaden erklären lässt.

Mit der Kronenverlichtung wird auch die jährliche Sterbe- und Nutzungsrate der Bäume erhoben. Die Sterberate ist der Prozentanteil Bäume, die in einem Jahr noch lebend waren und im Folgejahr stehend abstarben. Die Daten der Kronenverlichtung werden im UN Programm "ICP Forests" von fast allen Ländern Europas erhoben und zu Vergleichszwecken zentral in einer Datenbank gespeichert (Level I Flächen).

Ergebnisse der Sanasilva-Inventur

Der Anteil stark verlichteter Bäume stieg bis Mitte der 1990er Jahre stetig an (Abb. 2), zeigte aber danach bei grösseren jährlichen Schwankungen keinen langfristigen Trend. Ähnliches beobachtete man auch in Nachbarländern. Einige auffällige jährliche Zunahmen der Kronenverlichtung fallen mit speziellen klimatischen Ereignissen zusammen. So liess sich 1987 ein Grossteil der Zunahme durch Frostschäden im vorangegangenen Winter erklären. Die Anstiege 1990 und 2000 erfolgten nach den schweren Stürmen Vivian und Lothar. Der stärkste Anstieg der Kronenverlichtung erfolgte jedoch im Jahr nach dem Hitzesommer 2003.

Bis Ende Juli warfen in der gesamten Schweiz relativ wenige Bäume ihre Blätter frühzeitig ab. Ab August jedoch – der grösste Teil der Sanasilva-Inventur war bereits durchgeführt – verfärbten sich die Blätter eines Teils der Bäume. Der grosse Trockenstress gegen Ende des Sommers 2003 führte dazu, dass die Bäume für das nächste Jahr in den Knospen weniger Blattanlagen bildeten und sich dadurch die Verlichtung 2004 erhöhte.

Auf den Sanasilva-Flächen sterben im langjährigen Durchschnitt zwischen 0,3 bis 0,4 % der Bäume pro Jahr stehend ab. Ähnliche Raten sind auch aus anderen bewirtschafteten Wäldern bekannt. Anders als bei der Kronenverlichtung, stiegen in den ersten 10 Jahren die Sterberaten nicht an. Nur nach dem Trockenjahr 2003 starben überdurchschnittlich viele Bäume ab (fast 1%). Auch in Frankreich und einigen deutschen Bundesländern wurde nach 2003 ein auffälliger Anstieg der Sterberaten beobachtet.

Die Kronenverlichtung konnte in vielen Fällen auf bekannte Ursachen zurückgeführt werden, vor allem auf Lichtmangel durch Beschattung von Nachbarbäumen und Blattfrass durch Insekten. Der Einfluss der Luftverschmutzung auf die Kronenverlichtung lässt sich mit dieser Methode allerdings nicht nachweisen, da es viele Ursachen gibt, die mögliche Effekte von Luftverschmutzung oder Schadstoffeinträgen überlagern können.

Langfristige Waldökosystem-Forschung

Die Kronenverlichtung kann weder den Waldzustand pauschal erklären noch Aussagen zu dessen Ursachen machen. Deshalb wurden im Rahmen des ICP-Forests seit Mitte der 1990er Jahre in ganz Europa etwa 800 intensive Forschungsflächen (Level II) eingerichtet. Zu Beginn sollte vor allem die Belastung der Wälder durch die Luftschadstoffe, vor allem durch Schwefel und Stickstoff, geklärt werden. Später kam die Erfassung der Ozonschäden dazu. Neuerdings dienen die auf diesen Flächen erhobenen Daten auch zur Erforschung der Auswirkung des Klimawandels.

Die WSL begann 1994 im Rahmen der langfristigen Waldökosystem-Forschung (LWF), die wichtigsten Waldökosysteme der Schweiz genauer unter die Lupe zu nehmen. Auf heute 18 über die Schweiz verteilten Forschungsflächen wollen die Wissenschaftler während mindestens 30 Jahren detaillierte Daten zum Waldzustand erfassen und die verschiedenen Einflussfaktoren und Wirkungszusammenhänge im Ökosystem Wald erfassen. Um diese Ziele zu erreichen, erheben sie auf den LWF-Flächen neben der besprochenen Kronenverlichtung und den Sterberaten weitere Parameter, unter anderem:

  • der jährliche Stammzuwachs der Bäume
  • klimatische Messgrössen
  • die atmosphärische Deposition anhand der chemischen Zusammensetzung der Niederschläge
  • die Menge und chemische Zusammensetzung der herabfallenden Blätter und Nadeln (Abb. 3)
  • die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Bodenmatrix und der Bodenlösung
  • die Wasserverfügbarkeit im Boden
  • die Nährstoffgehalte der Blätter und Nadeln
  • die Ozonkonzentration und Ozon-Symptome auf den Pflanzen

Emissionen verändern Waldökosysteme

Dank dem Rückgang der SO2- und NOx-Emissionen in der Schweiz und in Europa verminderten sich auch die Säureeinträge. In der Schweiz wird die kritische Belastungsgrenze für Säureeinträge kaum mehr überschritten. Nur das südliche Tessin ist mit den dort relativ tiefen kritischen Grenzen eine Ausnahme.

Die kritischen Grenzen für Stickstoffeinträge werden hingegen am Alpennord- und Südhang teilweise deutlich überschritten und in weiten Teilen des Mittellands erreicht oder knapp überschritten. Nur in den Alpentälern, die wegen ihrer Entfernung von den Emissionsquellen wenig belastet sind, liegen die Stickstoffeinträge klar unterhalb der kritischen Grenzen. Ozonwerte variieren von Jahr zu Jahr mit den jeweiligen klimatischen Bedingungen. Sie übersteigen die Grenzwerte ebenfalls vielerorts, ganz besonders südlich der Alpen, aber auch häufig im Mittelland.

Trotz der oben beschriebenen hohen Stickstoff-Einträge liess sich auf den LWF-Flächen bisher noch kein ausgesprochenes Nährstoffungleichgewicht feststellen. Eine neue Studie mit allen über Europa verteilten Flächen zeigt, dass die Stickstoff-Einträge auf schlecht mit Stickstoff versorgten Böden ein erhöhtes Wachstum der Bäume bewirken, hingegen keine Auswirkungen auf Bäume auf gut mit Stickstoff versorgten Böden haben.

Auf den LWF-Flächen ist zu beobachten, dass die Menge des in das Grundwasser ausgewaschenen Stickstoffs von der Höhe der Einträge durch die Luft abhängt, wenn die Böden mit Stickstoff gesättigt sind. Bei Nadelbäumen auf schlecht bis genügend mit Stickstoff versorgten Standorten stellten Wissenschaftler eine Abnahme der Kronenverlichtung mit steigendem Stickstoffgehalt der Nadeln fest. Einerseits erhöht sich der Stickstoffgehalt in den Nadeln und Blättern, wenn immer mehr Stickstoff in den Wald eingetragen wird, andererseits fanden die Forscher bisher zwischen Kronenverlichtung und Stickstoffeinträgen keine eindeutigen Zusammenhänge.

Fazit

Ein Waldsterben oder ein Zusammenbruch der Wälder fand in der Schweiz glücklicherweise nicht statt. Es gibt heute keine Anzeichen, dass der Schweizer Wald in seiner Existenz unmittelbar bedroht wäre. Das belegen sowohl die Ergebnisse der Sanasilva-Inventur als auch diejenigen der LWF-Flächen.

Zu Beginn der Debatte über das Waldsterben fehlten Referenzwerte zum Waldzustand und sogar das Wissen, wie dieser zu Erfassen sei. Diese sind heute zum grössten Teil bekannt. Die damals aufgestellten Hypothesen über die Auswirkungen der Luftschadstoffe auf den Wald basierten auf dem damaligen Wissenstand. Daraufhin hat die Politik erfolgreich mit weit reichenden Massnahmen reagiert, die den Ausstoss von Luftschadstoffen reduzierten. Die Grundprinzipien der Hypothesen der 1980er Jahre wurden jedoch nicht widerlegt. Das Handeln nach dem Vorsorgeprinzip, das heisst die technisch machbare und wirtschaftlich tragbare Reduktion der Umweltbelastung, hat sich als richtig erwiesen, auch wenn heute noch nicht alle Wirkungen möglicher Risiken genau bekannt sind.

 

(TR)