Der Klimawandel gefährdet die Gesundheit unserer Wälder in bisher nicht gekanntem Ausmass durch Trockenstress, Waldbrände und Schädlingskalamitäten. Gleichzeitig sollen die Wälder aber zum Klimaschutz beitragen und viele andere Ökosystemdienstleistungen erbringen. Die Effektivität von Klimaschutzmassnahmen und der nachhaltigen Waldbewirtschaftung muss daher bewertet werden. Hierzu wird das Waldmonitoring immer wichtiger. Doch die neuen Informationsbedürfnisse fordern die Waldinventur- und Monitoringsysteme heraus: Sie müssen sich weiterentwickeln und zeitnäher und umfassender werden, um die zukünftige Walddynamik und Entwicklung der Ökosystemdienstleistungen abschätzen zu können. So können sie helfen, die Bewirtschaftung zu steuern und die politischen Entscheidungsträger zu informieren. Vor kurzem hat die Europäische Kommission diesen Bedarf erkannt und eine Rahmenverordnung für ein koordiniertes Waldmonitoring der Europäischen Union (im Folgenden als der «Vorschlag» bezeichnet) vorgeschlagen.

Vorschlag der Europäischen Kommission

Der neu vorgeschlagene Rahmen für ein koordiniertes Waldmonitoring basiert auf der EU-Forststrategie 2030. Dieser Vorschlag zielt darauf ab, die Datenqualität und -verfügbarkeit europaweit zu verbessern und ein zusammenhängendes Monitoring-System zu etablieren. Es soll ein besseres Verständnis des Waldzustands ermöglichen und die Ent­schei­dungs­fin­dung auf allen Ebenen unterstützen.

Das geplante Waldmonitoringsystem basiert auf (i) standardisierten Walddaten aus Luft- oder weltraumgestützten Orthobildern von Copernicus-Satelliten (Abb. 2) oder anderen gleich­wer­ti­gen Systemen, die zentral von der EU- Kommission bereitgestellt werden, und (ii) harmonisierten In-situ-Daten über ein Netz von Monitoringpunkten (Nationale Forst­inven­turen oder andere Netzwerke, die für die Waldfläche der Mitgliedsstaaten repräsentativ sind und von diesen bereitgestellt werden).

Mit ihren 227,4 Millionen ha (34,8 % der Landfläche; Quelle: State of Europe’s Forests) stellen die Wälder eine immense Ressource in Europa dar. Die Absicht, ihr konsequentes Monitoring zu fördern, ist daher sehr zu begrüssen. 

Kritische Reflexion des Vorschlags

Bestehende Systeme

Trotz des fortschrittlichen Ansatzes des Vorschlags der Europäischen Kommission gibt es Kritik, insbesondere in Bezug auf die realistische Umsetzung und Integration bestehender Monitoring-Systeme. Viele Länder verfügen bereits über ausgefeilte Systeme, die wertvolle Informationen zum Waldzustand bereitstellen. Die Herausforderung besteht darin, diese Systeme in ein EU-weites Framework zu integrieren, ohne dass es zu Redundanzen oder Konflikten mit nationalen Interessen kommt.

Das auffälligste Beispiel ist wahrscheinlich das Monitoringsystem des ICP Forests (International Co-operative Programme on Assessment and Monitoring of Air Pollution Effects on Forests), das zu einem grossen Teil von der Europäischen Kommission 1986 selbst initiiert wurde. Heute wird das Monitoring-Programm von den teilnehmenden Ländern als harmonisierte internationale Aktivität finanziert. Im Gegensatz zu dem, was in der Folgenabschätzung des Vorschlags steht, ist das Waldmonitoring im Rahmen des ICP Forests nicht nur international koordiniert, sondern deckt auch die grosse Mehrheit der europäischen Länder ab (Abb. 3).

Das erklärte Ziel der Europäischen Kommission, «das Ausmass zu minimieren, in dem die Mitgliedstaaten ihre Datenerfassungsmethoden anpassen müssen», erscheint erscheint kaum nachvollziehbar, wenn der Vorschlag de facto die umfangreichen Strukturen und Mittel ignoriert, die in den einzelnen Ländern bereits vorhanden sind. Zu diesen Strukturen gehören nationale Koordinierungszentren, Netze von Monitoringflächen (siehe Abb. 1), Fachwissen in verschiedenen Monitoringbereichen, Handbücher mit harmonisierten Methoden, die alle Waldökosystem-Kompartimente abdecken, Datenkontrollroutinen sowie einheitliche Datenberichtsformate und -verfahren.

Erforderliche Daten

Der Vorschlag der Europäischen Kommission legt seinen Schwerpunkt auf die Kohlenstoffbindung im Wald und befasst sich weitgehend mit Bäumen und Holzressourcen. Wenig ist zum Beispiel in Bezug auf die Gesundheit und Vitalität der Wälder vorgesehen, obwohl dies ein Schlüsselaspekt bei der Betrachtung der Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Wälder ist.

Die Gesundheit der Wälder hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Dennoch wird im Vorschlag nur die ‘defoliation’, also der «Nadel- bzw. Blattverlust» erwähnt. Der Vorschlag sieht vor dafür den fernerkundlich erfassten Blattflächenindex (Leaf Area Index = LAI) zu verwenden. Dieser kann aber nicht als nicht als adäquates Mass für den Nadel- und Blattverlust dienen, wenn er nicht am Boden validiert und kalibriert wird. In den nationalen Forst­inven­turen (NFI) den einzigen bodengestützten Monitoringsystemen, die im Vorschlag ausdrücklich erwähnt sind, werden Daten zum Belaubungsverlust jedoch nicht routinemässig erhoben. Es besteht so die Gefahr, dass die Waldgesundheit nur unzureichend erfasst werden wird.

Im Gegensatz dazu ist der Nadel- und Blattverlust das Schlüsselmerkmal für ICP Forests und wird seit Jahrzehnten sowohl in Level-I- als auch in Level-II-Netzen auf jährlicher Basis ausgewertet (siehe Abb. 3 – Details dazu im Originalartikel). Die etwa 7000 ICP Forests-Flächen mit 30-jährigen Zeitreihen sind für die Bewertung der Waldgesundheit in Raum und Zeit eine wichtige, bereits bestehende Grundlage. In diesem Zusammenhang könnten die von der Europäische Kommission vorgeschlagenen fernerkundlichen Blattflächenindex-Daten eher für raum-zeitliche Modellierungszwecke auf Basis von bodengestützten Beobachtungen dienen, denn als unvalidierte, eigenständige Messungen. 

Die biologische Vielfalt ist ein weiterer Schwerpunkt des Vorschlags. Verlangt werden spezifische Daten zu Baumartenzusammensetzung und -reichtum, Totholz und Waldvögeln. Das Vorhandensein invasiver Pflanzen- und Baumarten, die Vielfalt der Nicht-Baum-Vegetation und bedrohte Arten werden ebenfalls erwähnt, jedoch mit wenigen methodischen Einzelheiten und vorbehaltlich der künftigen Entwicklung des Monitorings. 

Es gibt aber bereits anerkannte, auf internationaler Ebene vereinbarte Methoden, um die Vielfalt der Pflanzen und Tiere zu beschreiben (u.a. Bodenvegetation, epiphytische Flechten). Andere sind auf europäischer Ebene weitgehend und erfolgreich getestet worden (z. B. Mykorrhiza) oder werden aktuell unter Nutzung der ICP Forests Plot-Infrastruktur entwickelt und erprobt (z. B. Metabarcoding für die Biodiversität in Boden- und Wasser­proben sowie in Insektenfallen).

Das Programm Langfristige Waldökosystem-Forschung (LWF) der Eidg. Forschungs­anstalt WSL untersucht, wie die Luftverschmutzung und der Klimawandel den Wald beeinflussen. Die langfristigen Datenreihen reichen bis in die Jahre 1994 (LWF entspricht den ICP Forests Level II Flächen), bzw. 1985 (Sanasilva-Inventur, entspricht Level I) zurück. Jährlich generiert das LWF-Programm rund 25 Millionen Messwerte. Mit den gesetzlich verankerten Aufgaben des LWF-Programms beteiligt sich die Schweiz an internationalen Forschungsprogrammen wie ICP-Forests oder dem LTER-Europe-Netzwerk (Long-Term Ecosystem Research in Europe). Die Eidg. Forschungsanstalt WSL führt seit den 1980er-Jahren auch das Schweizerische Landesforstinventar (LFI) durch. Das LFI basiert hauptsächlich auf einer systematischen Stichprobeninventur und liefert Daten und Erkenntnisse über Waldfläche, Vorrat, Zuwachs, Einschlag, biologische Vielfalt, Schutzwaldqualität und soziokulturelle Leistungen des Waldes. Die Informatione fliessen auch in die internationale Klima- und Waldberichterstattung ein (z. B. Treibhausgasinventur, State of Europe's Forests). Die WSL entwickelt in der SwissAIM-Initiative Konzepte für eine engere Kooperation von LFI und LWF.

Erforderliche Datenqualität

Datenvergleichbarkeit, -qualität und -verfügbarkeit werden im Vorschlag der europäischen Kommission als strategische Ziele angesehen. Aber wie soll das gehen? Besonders problematisch ist, dass die Verantwortung für die Datenqualität den Mitgliedstaaten überlassen wird. Das könnte zu grossen nationalen Unterschieden führen. Dabei gibt es bereits viele multidisziplinäre Harmonisierungsaktivitäten, die im Rahmen der NFI und ICP Forests international durchgeführt wurden und die leicht verwendet werden können.

Konzeption

Der Vorschlag der Europäischen Kommission betont, auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beruhen. Es bleibt jedoch unklar, was damit gemeint ist. Beispielsweise wird die Kombination von Fernerkundung und terrestrischen Daten schon seit Jahrzehnten praktiziert. Warum greift die Europäische Kommission nicht auf die Fülle der internationalen Monitoringnetzwerke und Forschungsinfrastrukturen zurück, die in dieser Zeit entwickelt wurden? Einige Beispiele für solche extistierenden Netzwerke sind:
ICP Forests, ICP Integrated Monitoring, eLTER, ICOS

Mit ihren riesigen Datenarchiven würden diese Netzwerke einen unschätzbaren Beitrag leisten, insbesondere im Hinblick auf den Teil des Monitorings, der das «Prozess­verständnis» betrifft, eine wichtige fehlende Komponente im Vorschlag der Europäischen Kommission. Diese Nichtberücksichtigung ist nicht nur überraschend, weil sie die Verwirklichung der erklärten Ziele des Vorschlags beeinträchtigt. Dies ist auch erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die EU (i) eine Schlüsselrolle bei der Einrichtung und Finanzierung dieser bestehenden Systeme gespielt hat, (ii) zu den Unterzeichnern der UNECE Air Convention gehört und (iii) in Projekte investiert, die die zukünftige Überwachung von Waldfunktionen fördern sollen und bei denen verschiedene wissenschaftliche Netzwerke (einschliesslich NFIs, ICP Forests und Fernerkundung) bereits zusammenarbeiten. Beispiele für solche Projekte sind:
HORIZON EUROPE PathFinder, FORWARDS, MoniFun, COST Aktion CLEANFOREST

Wie soll es weitergehen?

Um das Ziel eines umfassenden und kohärenten Waldmonitorings zu erreichen, sollten bestehende Ressourcen und Monitoringnetzwerke genutzt und durch integrative Ansätze (wie z.B.die SwissAIM-Initaitive) gestärkt werden. Dies beinhaltet die Förderung der Kooperation zwischen den Mitglied­staaten und die Nutzung internationaler Netzwerke. Eine solche Herangehensweise könnte die Effektivität des Monitorings verbessern und gleichzeitig die Belastungen für die nationalen Systeme minimieren. Konkret:

  • Das Monitoringkonzept sollte durch Nutzung bestehender international koordinierter Netzwerke überarbeitet und weiterentwickelt werden, um die Belastung der Mitglied­staaten zu verringern und die Ziele der Europäischen Kommission zu erreichen.
  • Synergien zwischen bestehende Monitoringnetzwerken sollten identifiziert und genutzt werden (wobei eventuelle Lücken zu füllen sind), um ein europaweites Monitoring zu ermöglichen.
  • Es sollte ein institutioneller Rahmen für ein kooperatives, integriertes Wald­monitoring­system entwickelt werden, um die Zusammenarbeit zwischen bestehenden Netzwerken zu erleichtern und die Rolle der EU und der internationalen Institutionen zu stärken.

Zusammenfassung

Der Klimawandel wird die Wälder stark verändern und stellt die Waldbewirtschaftung vor grosse Herausforderungen. Ein Vorschlag der Europäischen Kommission für ein neues Wald­monitoring zielt darauf ab, die Daten­qualität und -verfügbarkeit zu verbessern. Um eine präzise Bewertung des Wald­zustands und die Vorhersage zukünftiger Entwicklungen zu meistern, sind genauere Daten nötig, als die nationalen Programme liefern können und müssen Daten aus bodengestützten Monitoring­programmen mit Fernbeobachtungs-Daten kombiniert werden. Experten empfehlen, bestehende internationale Monitoring­netzwerke stärker einzubeziehen und einen institutionellen Rahmen für die Zusammen­arbeit zu schaffen. Dies würde die Effektivität des Monitorings erhöhen und die Belastung der nationalen Systeme reduzieren. Konzept­anpassungen sind notwendig, um die Ziele des Vorschlags zu erreichen und die nachhaltige Bewirt­schaftung und den Schutz der europäischen Wälder sicherzustellen.

Literatur

Ausführliche Quellen- und Literaturverweise finden sich in der wissen­schaft­li­chen Publikation, die diesem Artikel zugrunde liegt:

Ferretti M., Gessler A., Cools N., Fleck S., Guerrieri R., Jakovljević T., … Sanders T.G.M. (2024) Resilient forests need joint forces for better inventorying and monitoring. For. Ecol. Manag. 561, 121875 (6 pp.).
> doi.org/10.1016/j.foreco.2024.121875
> Originalartikel (PDF in englisch)