Wie in Bayern fällt auch im europäischen Prozess auf, dass sich die Waldpädagogik stark weiterentwickelt hat. Ursprünglich begann es mit "klassischen" Waldführungen. Försterinnen und Förster wollten zum Walderleben motivieren und Waldwissen mit neuen Methoden zielgruppengerechter, lebendiger und motivierender vermitteln als bisher. Und von Anfang an war eine wichtige Zielsetzung, an das Verantwortungsbewusstsein und das Werteverständnis der Teilnehmer im Kontext waldbezogener Themen zu appellieren.
Ein Rückblick: BNE und Gestaltungskompetenzen gewinnen an Bedeutung
Die waldpädagogische "Subgroup des Forest-Communicators-Network (FCN)" organisiert seit 2005 jährlich einen europaweiten, sehr praxisorientierten Fachkongress und hat einen Aktionsplan zur Waldpädagogik erarbeitet, der den Stellenwert der forstlichen Umweltbildung stärken soll. Wichtiges Ziel darin ist die Qualitätssicherung und -entwicklung von waldpädagogischen Angeboten. Vor allem Bayern, Österreich und die Schweiz gaben dazu – ausgelöst durch die "UN-Dekade zur Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (2005–2014)" – den Impuls, Ziele der BNE auch in die Waldpädagogik zu integrieren. Gemeint ist damit eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt. Sie soll jedem Einzelnen ermöglichen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen. Laut der UN-Zielsetzung sollte diese Nachhaltige Entwicklung als Leitbild in allen Bildungsbereichen verankert werden, damit globale Probleme wie Klimawandel, Armut oder Raubbau an der Natur gelöst werden können. Dass die Waldpädagogik dafür wertvolle Beiträge leisten kann und muss, lag auf der Hand.
Durch die UN-Dekade orientierte sich die bayerische Waldpädagogik zunächst stark an den Nachhaltigkeitsdimensionen "ökologisch – ökonomisch – soziokulturell" und ergänzte zum Beispiel im "Waldpädagogischen Leitfaden" für jede Aktivität Hinweise, welche der drei Dimensionen mit dieser Aktivität besonders betont werden kann. Bald wurden auch die vertiefenden Zielsetzungen der Deutschen UNESCO Kommission – insbesondere die 12 Gestaltungskompetenzen nach de Haan – für die Ziele der Waldpädagogik in Bayern bedeutsam. Die "Waldpädagogik-Richtlinie" der Bayerischen Forstverwaltung (2017) bildet dies als pädagogische Zielsetzungen wie folgt ab:
Waldbewirtschaftung dient als Nachhaltigkeitsmodell, das alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (Ökonomie, Ökologie und Soziokulturelles) beinhaltet und ausgewogen berücksichtigt. Die Gestaltungskompetenz der Teilnehmenden soll durch die Schaffung von Lernsituationen gefördert werden, in denen
- die Teilnehmenden in Kontakt mit der Natur kommen und Möglichkeiten zum aktiven Mitgestalten eröffnet werden (Partizipation),
- der wertschätzende und verantwortungsvolle Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen als Orientierung dient
- vernetztes und vorausschauendes Denken und Handeln geübt wird und lokale, regionale und globale Zusammenhänge erkennbar werden sowie
- anhand aktueller und realer Problemstellungen Lösungsansätze erarbeitet werden können.
Bei der Weiterbildung für ein "Staatliches Waldpädagogik-Zertifikat" nahmen die BNE-Zielsetzungen ebenfalls in alle Ausbildungsmodule Einzug und sind auch für die Prüfung der Teilnehmenden wichtige Bewertungskriterien. Die FCN-Subgroup einigte sich im Hinblick auf ihr BNE-Verständnis auf das "Stufenmodell – sechs pädagogische Schritte zur gereiften Umweltbildungs-Kompetenz", das vom norwegischen Forestry Extension Institute konzipiert wurde (Abbildung 4).
Status Quo und Fokus auf die Agenda 2030 der UN
Viele gut ausgebildete Waldpädagoginnen und Waldpädagogen in Europa können mit Fug und Recht behaupten, dass ihre Angebote bereits die ersten vier Stufen dieses Modells erfüllen! Denn sie vermitteln Freude am Naturerleben, ermöglichen direkte Naturerfahrung und fördern selbstentdeckendes Lernen! Und wo der Lernort Wald und seine verantwortungsvolle Bewirtschaftung - als geniales Modell für ein umfassendes Verständnis von Nachhaltigkeit – im wahrsten Sinne des Wortes "begreifbar" gemacht wird – da ist auch Stufe 3 und 4 beschritten. Die Teilnehmenden erkennen Zusammenhänge in der Natur und beginnen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Wald zu verstehen. Und bereits damit leistet Waldpädagogik wertvolle Beiträge zur BNE. Selbstverständlich ist die Waldpädagogik nach wie vor herausgefordert, auch die höheren Stufen von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) zu "erklimmen". Vor allem in Deutschland, der Schweiz und Skandinavien bieten viele Akteure oder Projekte bereits Entscheidungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten (Schritt 5), oder regen dazu an, konkrete Verantwortung zu übernehmen bzw. im Verantwortungsbewusstsein zu wachsen (Schritt 6). Aktuell diskutiert die FCN-Subgroup auch, ob und wie sich die Waldpädagogik auf die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDG’s) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen einstellt – insbesondere auf die neue Zielsetzung, die nunmehr nach 17 globalen Themenfeldern und nicht mehr nach Gestaltungskompetenzen gegliedert ist. Besonders das SDG Nr. 4 "Bildung" ist dabei für Forstliche Bildungsarbeit einschlägig, jedoch enthalten nahezu alle der 16 anderen SDG’s ebenfalls Teilziele mit Bezügen und Anknüpfungspunkten zu Wald oder Forstwirtschaft. Diese Fülle an Zielsystemen bereitet vielen Waldpädagoginnen und Waldpädagogen durchaus Kopfzerbrechen.
Wichtig erscheint auch, dass Waldpädagogik-Angebote nicht daran gemessen werden dürfen, ob sie möglichst alle 12 BNE-Gestaltungskompetenzen ansprechen oder an möglichst viele SDG-Ziele andocken. Gerade die Angebote forstlicher Akteure dürfen nicht die (Wald) - Bodenhaftung verlieren. Denn nach wie vor besteht europaweit steigendes Interesse zur Situation unserer Wälder und die Nachfrage nach Waldführungen mit vor Ort zuständigen und authentisch wirkenden Forstexperten nimmt ebenfalls zu. Zudem können bereits "Basisangebote" im Bereich der Stufen 1–2 oder der Stufen 1–4 (Abbildung 4) wichtige "Gestaltungskompetenzen" im emotionalen, kognitiven und sozialen Bereich vermitteln.
Waldpädagogik – Wege in die Zukunft
Für die Zukunft der Waldpädagogik mag also sowohl das alte deutsche Sprichwort "Schuster bleib bei deinen Leisten" (neudeutsch "Never change a running system") gelten, als auch der von Henry Ford stammende der Satz "If you always do what you always did, you will always get what you always got". Oder anders formuliert: Nicht jede Veränderung ist eine Verbesserung – aber es gibt keine Verbesserung ohne Veränderung.
Unbestritten: Die Waldpädagogik muss unbedingt auch neue Wege beschreiten und aktuelle Herausforderungen annehmen! In ganz Europa ist sie mit ähnlichen gesellschaftlichen, forstpolitischen oder waldbezogenen Veränderungen konfrontiert, die zum Teil sehr rasant ablaufen. Und aus Veränderungen ergeben sich dabei immer auch neue Chancen.
Nachfolgend wird dies in sechs Thesen und sechs daraus erwachsenden Chancen für eine zukunftsfähige Waldpädagogik beschrieben:
These 1: Der Wald ist im Fokus – sowohl in der gesellschaftlichen Diskussion, als auch thematisch mit einer hohen politischen Relevanz. Die Forstwirtschaft steht unter Druck. Heimische Baumarten zeigen regional zum Teil extreme Schäden. Der Klimawandel erfordert zukunftsfähige Leitlinien für den Waldumbau und zeitgemäße Bewirtschaftungs-Konzepte.
Chance: Diese Herausforderungen können nur im Dialog von Forstverwaltung, Waldbesitzern, anderen Wald-Interessensgruppen und der Gesellschaft gelöst werden. Waldpädagogische Angebote können dabei wertvolle Beiträge leisten und forstliche Akteure mit den unterschiedlichsten Interessensgruppen ins Gespräch bringen.These 2: Wälder, insbesondere bewirtschaftete Wälder, speichern langfristig Kohlenstoff. Die nachhaltige Nutzung des Rohstoffes Holz schont Ressourcen und kann zu einem Rückgang von CO2- Emissionen beitragen.
Chance: Die Akzeptanz und das Verständnis für eine nachhaltige Waldnutzung kann durch waldpädagogische Angebote gefördert werden. Waldbezogene Umweltbildung kann außerdem die positiven Beiträge der Forstwirtschaft für den Klimaschutz vermitteln.These 3: Die gesellschaftliche Sicht von Wald und Forstwirtschaft ist häufig geprägt durch Naturentfremdung, verbunden mit großer, oft sehr emotionaler Sorge um Schutz und Erhalt unserer Wälder. Waldbewirtschaftung wird oftmals als Bedrohung für den Wald wahrgenommen. Zugleich interessieren sich Menschen vermehrt für ökologische Fragestellungen.
Chance: Waldpädagogik kann auf stark emotionale, persönlich-subjektiv geprägte oder auf Wissenslücken beruhende Sichtweisen zum Wald und zur Waldnutzung einwirken. Nur wer die Vielfalt der Ökosystemleistungen des Waldes und seine Bedeutung im Klimawandel kennt, kann sich zielgerichtet für die Belange des Waldes einsetzen. Denn der Wald ist durch den Klimawandel bedroht, ist aber zugleich auch ein Teil der Lösung.These 4: Mehr und mehr Menschen suchen den Wald wegen dessen Wirkungen auf ihr gesundheitliches Wohlbefinden auf. Neben dem anhaltenden Trend des Waldbadens verstärkte die Corona-Pandemie die Erholungssuche im Wald.
Chance: Waldpädagogische Angebote können der zunehmenden Zahl von Waldbesuchern neben der "Achtsamkeit" für ihr eigenes Wohlbefinden auch Anregungen zur "Achtsamkeit" für die Belange des Waldes mitgeben.These 5: Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene wollen vermehrt Verantwortung für Umweltfragen übernehmen und die Zukunft unseres Planeten aktiv mitgestalten. Engagierte, motivierte Jugendliche und junge Erwachsene von heute sind schon in wenigen Jahren die gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsträger von morgen.
Chance: Waldbezogene Bildungsangebote können jugendlichen Menschen Anreize für das eigene Handeln anbieten. Das kann und muss über Baumpflanz-Aktionen hinausgehen und selbstentdeckendes Forschen und Erkennen sowie Partizipation bei waldrelevanten Entscheidungen ermöglichen.These 6: Der Bereich Schule und Bildung sucht derzeit vermehrt Anknüpfungspunkte und Themen, um Nachhaltigkeit und Klimaschutz für Lernende greifbarer und verständlicher zu machen.
Chance: Der Wald ist hervorragender Lernort und Modell für Nachhaltigkeitsthemen. Wirkungen und Gefahren des Klimawandels werden im Wald erkennbar und verstehbar wie kaum anderswo. Waldbezogene Umweltbildung kann Auswege aus der Klimakrise diskutieren und zu einem zukunftsfähigen Lebensstil anregen.
Fazit
Diese Chancen gilt es nun zu nutzen und in der waldpädagogischen Arbeit umzusetzen. Alle Waldpädagoginnen und Waldpädagogen können in ihren Angeboten dazu beitragen:
- Zusammenhänge zwischen Klima, Wald und Gesellschaft sowie Lebensstilen/Verhaltensweisen aufzuzeigen
- Lernprozesse anzustoßen, die Einsicht erzeugen und Anregungen für Verhaltensänderungen geben
- Verständnis für Forstwirtschaft und die verantwortungsvolle Naturnutzung zu schaffen
- Försterinnen und Förster weiterhin als verantwortliche und kompetente Experten und Ansprechpartner für den Schutz und die Nutzung des Waldes im gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern
Zusammenfassung
Die Waldpädagogik hat sich in den letzten Jahrzehnten konstant weiterentwickelt. Was mit der klassischen "Waldführung" zum Walderleben begann, wurde über die Jahre mit Zielen der BNE, Gestaltungskompetenzen und SDG’s ergänzt und erweitert. Damit hat die Waldpädagogik an Bedeutung, Zielorientierung und an Komplexität gewonnen. Dabei wird es für Waldpädagoginnen und Waldpädagogen teilweise komplizierter mit ihren Angeboten konkurrenzfähig zu bleiben.
Das Interesse am Wald, die Chancen, die er uns im Klimawandel bietet, aber auch die Gefahren, denen er heute ausgesetzt ist, nehmen gleichermaßen zu. Damit wachsen auch die Anforderungen an die Waldpädagogik, Zusammenhänge aufzuzeigen und zukünftigen Entscheidungsträgern die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln. Doch müssen sich waldpädagogische Angebote dabei vielleicht gar nicht so weit von der klassischen Waldführung entfernen und schon gar nicht neu erfunden werden. Oder ganz kurz zusammengefasst: Noch nie war der Nährboden für einen gesellschaftlichen Dialog zu waldrelevanten Themen so gut bereitet - und gerade deswegen: Noch nie war Waldpädagogik so wichtig wie heute!