5000 Jahre Wälder am Oberrhein

Die Landschaftsentwicklung der Wälder am Oberrhein seit der Jungsteinzeit wird anhand neuer Forschungsergebnisse nachgezeichnet. Seit 5000 Jahren sind nennenswerte Einflüsse der Menschen auf die oberrheinischen Wälder der Rheinaue, des Rheintales, des Schwarzwaldes und der Vogesen nachweisbar. Der Übergang vom flächendeckenden Urwald Mitteleuropas zum anhaltend unter menschlichem Einfluss stehenden Kulturwald liegt mehrere tausend Jahre zurück (Abb. 1).

Dass es seit 500 Jahren keine Urwälder in der Rheinaue gab, wurde vom Autor dieses Beitrages bereits im Teil I: Zeitabschnitt ab 1500 erläutert. Im Teil II wird die menschliche Einflussnahme auf Landschaft und Wald im Oberrheingebiet von 5000 v. Chr. bis in die Neuzeit (1500 n. Chr.) dargestellt.

Der Oberrhein in vorrömischer Zeit (5000 bis 50 v. Chr.)

Zum Oberrhein gehört das 40 bis 50 Kilometer breite Rheintal. Darin ist die Rheinaue nur ein schmales Band, das bei Basel vier, bei Karlsruhe zehn Kilometer Breite misst. Die Spurensuche nach menschlichen Einflüssen auf die Aue seit der Jungsteinzeit (5000-1900 v. Chr.) muss auf das ganze Rheintal bis zur Mündung des Flusses ausgedehnt werden, da außerhalb der Aue Zeiger menschlicher Siedlung besser erhalten sind als in der Aue. Der Oberrhein umfasst auch Teile des Schwarzwaldes und der Vogesen, auf die am Rande eingegangen wird.

Von 5000 v. Chr. an sind kleinflächige Rodungen als Voraussetzung für den Getreideanbau und die Siedlungen belegbar. Die Bauernhäuser der Jungsteinzeit waren bis zu 30 Meter lang. Die Wälder wurden durch die Viehwirtschaft, das "Schnaiteln" von Eschen und Ulmen (Abhauen von Ästen zum Gewinnen von Laub als Viehfutter) und die Begünstigung von Eichen und Sträuchern – zum Beispiel Haselsträucher und Beersträucher – bereits stärker verändert. Die Archäobotanik spricht von bewirtschafteten Wäldern, deren Struktur zwischen 3000 bis 1900 v. Chr. durch freilaufende Viehherden geprägt wurde. Auch dickere Bäume wurden gefällt. Probefällungen von Baumhölzern (25 cm Durchmesser) mit dem Steinzeitbeil bestätigen, wie rasch solche Bäume damals gefällt werden konnten. Hinzu kam der gezielte Umgang mit dem Feuer, womit Kahlflächen hergestellt wurden.

In der Bronzezeit sind dauerhaft großflächig kahl gelegte Flächen für das Rheintal belegt. Ein Beispiel findet sich in Wäldern beim Autobahndreieck Walldorfer Kreuz, in deren Schutz bronzezeitliche Gräberfelder (1500-1000 v. Chr.) erhalten blieben. Damals waren diese Gräberfelder und Grabhügel sowie die nahe gelegenen Siedlungen ohne Zweifel waldfrei. Die Gräberfelder bei Walldorf sind nach heutiger Einschätzung etwa 1500 bis 2000 Jahre älter als man vor 30 Jahren annahm (Abb. 2). Gleiches gilt für Grabhügelfelder in Wäldern bei Breisach, deren Alter neuerdings ebenfalls durch die Dendrochronologie genauer bestimmt wurde.

Die Zeit der Kelten (800-50 v. Chr.) und deren Vermögen, Landschaft zu verändern, soll am Beispiel des Hochrheins bei Altenburg-Rheinau im Kreis Waldshut verdeutlicht werden. Zwischen zwei Rheinschlingen, von denen eine heute überwiegend bewaldet ist, waren von 150 v. Chr. an befestigte Siedlungsgebiete von über 200 Hektar vorhanden, die waldfreies Gelände voraussetzten. Eine Vorstellung von der Größe der keltischen Siedlung nahe der Rheinschlinge von Altenburg ist möglich (Abb. 3). Die neuere Forschung bezeichnet den Oberrhein in der Bronze- und Keltenzeit als dichter besiedeltes Gebiet, was größere waldfreie Gebiete und sehr große zu Kulturwäldern veränderte Waldflächen bedeutete.

Der Nordschwarzwald in der Bronze- und Eisenzeit (1500 bis 50 v. Chr.)

Jüngere pollenanalytische und archäobotanische Untersuchungen belegen bemerkenswerte landschaftsverändernde Eingriffe der Menschen auch in höheren Lagen des Nordschwarzwaldes ab der Bronzezeit. Die Anteile der Nichtbaumpollen im Pollenspektrum steigen ab 1800 v. Chr. deutlich an. Darunter spielen die Pflanzen, die Entwaldung und Viehweide anzeigen, eine wichtige Rolle. Ab 800 v. Chr. nehmen die Nichtbaumpollen erneut stark im Pollenprofil zu. Mit aller Vorsicht wird diese Veränderung als 20 bis 30 prozentige Entwaldung interpretiert. Vor der Zeitenwende hatten die höheren Lagen des Nordschwarzwaldes somit geringere Waldanteile als heute. Die Bewirtschaftung von Wäldern als Nieder- und Mittelwälder gilt als sicher.

Der Oberrhein zur Römerzeit (50 v. Chr. bis 450 n. Chr.)

Flächige Rodungen im Rheintal in Verbindung mit der Intensivierung der Landwirtschaft fanden bereits in der keltischen Zeit statt. Darauf konnten Siedlung, Wirtschaft und Landeskultur in der nordweströmischen Provinz vom Hochrhein bis zu den Niederlanden aufbauen. Wälder wurden intensiv genutzt. Für den Hausbau waren Tanne, Kastanie, Erle, Hainbuche, Kiefer, Lärche und Eiche begehrt. Die Eiche war in Deutschland vor allem bei feuchterem Baugrund und Klima empfohlen. Wälder wurden auch aufgeforstet. Baumpflanzungen waren also nicht nur sakral, sondern auch wirtschaftlich motiviert. Eicheltragende Bäume wie Eichen und Buchen wurden als Nahrung für die Schweine genutzt. Junge Bäumchen wurden in Saat- und Pflanzschulen nachgezogen und dann in die Wälder verpflanzt. Elemente einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung sind überliefert.

Der intensiven Waldnutzung entsprach die stark intensivierte landwirtschaftliche Nutzung. Sie ging von den römischen Bauernhöfen und Landgütern aus. Teilweise hatten die Landgüter Residenz-Charakter. Große Waldgebiete wurden für die Landwirtschaft gerodet. Der Waldanteil ging in der römischen Zeit rapid zurück. Er sank in weiten Teilen Baden-Württembergs, auch im Rheintal, auf Werte ab, die wahrscheinlich nur noch 40 % Anteil an der Landesfläche erreichten.

Der Oberrhein im Mittelalter (500 bis 1500 n. Chr.)

Urwälder waren am Ende der Römerzeit in Südwestdeutschland kaum noch vorhanden. Der Kulturwald beherrschte die noch bewaldeten Bereiche. Daher ist es wenig wahrscheinlich, dass sich aus diesen Kulturwäldern bis zur Merowingerzeit (ca. 700 n. Chr.) neue große Urwaldgebiete bildeten. Die Waldnutzung war im frühen Mittelalter wohl flächendeckend vorhanden; allerdings kamen die alemannisch-fränkischen Formen der Landnutzung mit weniger Getreideanbau aus als zur Römerzeit, was zu kontrollierter Waldzunahme geführt haben könnte.

Auch im Nordschwarzwald setzt nach 500 n. Chr. ein anthropogen bedingter Entwaldungsschub ein, der die Entwaldung in der vorrömischen Eisenzeit übertrifft. Im Hochmittelalter zeigen die Pollenprofile das Maximum der Nichtbaumpollenanteile von 20 % am gesamten Pollenspektrum an, was einem Bewaldungsanteil von unter 50 % entspricht.

Über die Landnutzung des Hochmittelalters liefert die Historie neue Erkenntnisse. Ausgangspunkt sind Überlegungen, wie die mittelalterlichen Könige und Kaiser, vor allem die Staufer, ihre Großreiche von der Nordsee bis nach Sizilien über Jahrhunderte aufrechterhalten konnten. Im Reich der Staufer (1150 bis 1250) waren drei Zentren der Innovation besonders wichtig: Der Oberrhein mit dem Mittleren Neckarraum, Norditalien mit der Poebene sowie Sizilien. Der Oberrhein beeinflusste die Wälder im Schwarzwald von Westen, der Mittlere Neckarraum von Osten. Raum für Urwälder blieb im Schwarzwald kaum. Vorstellungen der Vegetationskunde von natürlichen Waldgesellschaften, die in Wäldern der Rheinaue, des Oberrheins und des Schwarzwaldes bis zum Mittelalter großflächig ausgebildet gewesen wären, sind nicht mehr zu begründen.

Ein Detail der Waldnutzung im Hochmittelalter soll noch gestreift werden: War die Saat von Wäldern bekannt, wurden Wälder systematisch nachgezogen? Ein Beispiel ist die großflächige Waldsaat bei Nürnberg, der größten mittelalterlichen Stadt in Deutschland. Bisher war die Meinung vorherrschend, die Saaten im so genannten Reichswald Nürnberg waren eine Neuerfindung: Der Nürnberger Reichswald sei der erste bekannte Kunstforst der Welt und der Organisator der Saaten, Peter Stromer, der "Vater der Forstkultur". Insgesamt sei die Saat als Mittel der Waldverjüngung wieder weitgehend in Vergessenheit geraten, um dann im 18. Jahrhundert neu als Waldbaumethode wieder entdeckt und gepflegt zu werden.

Mit dem neuen Wissen um die Landschaftsnutzung zur Kelten- und Römerzeit kann man von einer ununterbrochenen Tradition von Saat und Pflanzung in den Wäldern bis zum Hochmittelalter ausgehen. Die Waldsaat wurde daher in Nürnberg nicht erfunden. Das Spektakuläre an den Saaten von Nürnberg ist ihr Flächenausmaß von über 1.000 ha. Die Flächen gehörten nicht der Stadt Nürnberg, sondern dem Kaiserreich. Nürnberg hatte den Reichswald durch Jahrzehnte der Übernutzung bis 1250 beseitigt, und der Kaiser verlangte die Wiederaufforstung. Nürnberg baute den Wald in Jahrzehnten wieder auf und setzte dabei eine in Deutschland neue Agrartechnik der Saat mit Großpflügen ein, die mehrere Pflugscharen besaßen. Darin bestand die Pionierleistung von Nürnberg und des Kaufmanns Peter Stromer.

Die Kulturlandschaft am Oberrhein um 1500

Bisher kaum beachtete Praktiken der Waldschonung und der Waldkultur des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit erhalten ebenfalls eine andere Gewichtung. Nicht allein der Raubbau am Wald beherrscht die Landschaftsgeschichte. Entscheidend sind auch Maßnahmen zum Erhalt der Wälder: Die Schonung der genutzten Wälder vor dem Weide-vieh, das überall und zuhauf die Wälder als Nahrungsgrundlage nutzte und veränderte; ferner die Durchführung der Waldgesetze großer Landesherrschaften wie Vorderösterreich, Baden und Württemberg, die der Bevölkerung den Bezug von Holz aus dem Wald nur gegen unbezahlte Leistungen wie Pflanzungen von Bäumen ermöglichte; schließlich die uralte Waldkultur und der Waldbau, wodurch größere Wälder, auch Auewälder, künstlich angepflanzt, gepflegt und zu Plantagen umgeformt wurden. Diese Kulturwälder erreichten schon vor Jahrtausenden in kürzerer Zeit höhere Erträge als Urwälder in langen Zeiträumen.

Vermutungen der forstlichen Bannwaldforschung von der Präsenz des Urwaldes in der frühen Neuzeit im Schwarzwald können nicht bestätigt werden. Überall hatten Menschen den Wald genutzt; auch im bekannten Bannwald Zweribach bei St.Märgen, der in der Waldforschung noch als Urwald des 16. Jahrhunderts geführt wird. Die Jahrtausende der Überformung der Wälder durch Menschen und Nutzvieh hatten aus natürlichem Wald genutzte, aber naturnah aufgebaute Kulturwälder gemacht. Solche Wälder hatten schon vor 500 Jahren Kulturformen erreicht, die heute im Naturschutz fast unbekannt sind: Wälder im Schwarzwald mit Esskastanien und Nussbäumen; gepflanzte Wälder in der Umgebung der Orte mit Eichen, Buchen, Kiefern, Wildkirschen, Wildäpfeln, Wildbirnen, Mandel- und Nussbäumen; gepflanzte Weichholzplantagen vor allem in der Rheinaue unter anderem zur Faschinengewinnung, die großflächig alle sechs bis acht Jahre kahl geschlagen wurden.

Zwei für die Landschaftsforschung neu entdeckte Karten des 16. Jahrhunderts bilden im Rheintal und im Schwarzwald die vor 500 Jahren vorhandenen Kulturwälder ab. Sie weisen auf die Waldarmut des Oberrheins hin. Ausgehend von der Bewaldung in der Karte von 1513 lassen sich grobe Linien der Landschaftsentwicklung über 200 Jahre bis 1710 ableiten. Drei wichtige Kulturwaldergebnisse fallen auf. Erhalten blieben bis 1710 vier größere Waldgebiete, die 1513 abgebildet sind: der Hagenschieß mit Unterreichenbach, durch die Würm getrennt, sowie die Waldungen Eberstein und Baden bei Baden-Baden. Der Hagenschieß hat 1710 große, waldfreie Flächen. Zwischen Pforzheim und Enzklösterle und, von der Alb im Westen und der Nagold im Osten begrenzt, haben die Floßholz- und anderen Holzhiebe des 16. und 17. Jahrhunderts bis 1710 nur minimale, einigermaßen geschlossene Waldareale wie den Wildbader Forst übrig gelassen. Besonders auffällig ist der enorme Waldverlust auch im Gebiet des heutigen Nationalparks Nordschwarzwald (Abb. 6).

Im Rheintal gab es Karlsruhe um 1710 noch nicht. Der Ort Mühlburg gibt die ungefähre Lage der späteren Residenzstadt an. Die Karte von 1710 zeigt bei Karlsruhe interessante Forschungslücken auf. Nach der Überlieferung soll Karlsruhe in den Hardtwald hinein gebaut worden sein. Die Karte von 1710 bildet beim Standort des Karlsruher Schlosses und der ersten Stadtquartiere von 1725 aber keinen Wald ab. Ist der Hardtwald zumindest in Teilen erst nach der Gründung der Stadt durch Aufforstung entstanden, was nach dem Befund von 1710 wahrscheinlich ist (Abb. 6)?

In der Rheinaue zwischen Au und Daxlanden (heute Karlsruhe) ist – am Rheinverlauf von 1710 erkennbar – ein schlimmer Rheineinbruch feststellbar, den es 1696 noch nicht gab. Als Ursache dieser örtlich als Katastrophe zu wertenden Landschaftsveränderungen kommen in erster Linie nicht die Launen des wilden, unkorrigierten Rheins in Frage, sondern Kriegsfolgen des Spanischen Erbfolgekrieges, der bekanntlich bis 1714 andauerte. Erst nach dessen Ende war die Gründung von Karlsruhe möglich (Abb. 6).

Fazit

Der Blick auf Jahrtausende der Landschaftsnutzung im Oberrheingebiet deutet daraufhin, dass es sich dort in absehbarer Zeit keine "Urnatur" bilden wird: In den nächsten Jahrhunderten werden keine verschwundenen Urwaldarten wiederaufstehen. Das Naturerbe Wald hat auch in den Mittelgebirgen unzählige Generationen von Menschen ernährt und trotzdem hat es durch Nutzung eine wesentlich höhere Vielfalt erreicht, als sie im Urwald der Nacheiszeit vorhanden war. Diese neue Sichtweise vom Wert der Kulturwälder sollte in den Naturschutzbewertungen aller Naturschutzgebiete, Natura 2000 Gebiete, Biosphärenreservate und Nationalparke berücksichtigt werden. Schließlich bleibt ja in der Wildnis übrig, was Klimaextreme, Käferkalamitäten, Wildverbiss, Feuer, Hochwasser und andere Naturereignisse zulassen.