Hintergrund
Die Erdmannshausen-Wälder gelten als Vorbild für moderne Waldbauprogramme. Beginnend mit Oberförster Friedrich Erdmann haben vier Generationen von Forstleuten über 130 Jahre auf einst degenerierten Flächen zukunftsfähige Wälder aufgebaut. Sie zeichnen sich durch besondere Strukturen, Vielfalt und natürliche Verjüngung aus. Der Bund Deutscher Forstleute kürte „Erdmannshausen“ zum Waldgebiet des Jahres 2022.
Lichte übernutzte Wälder
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war der überwiegende Teil des Waldes im Norddeutschen Tiefland durch Übernutzungen, devastierte Standorte und Heide geprägt. So auch die Wälder in Erdmannshausen, 40 km südlich von Bremen im heutigen Forstamt Nienburg gelegen. Ab 1830 wurde damit begonnen, diese Heideflächen mit der anspruchslosen Kiefer wiederaufzuforsten. Da aber die Oberböden oft jahrelang "abgestochen" worden waren (Plaggenutzung), entwickelten sich die Jungbestände oft licht, waren mattwüchsig und zeigten erhebliche Ausfälle. Friedrich Erdmann, Leiter der damaligen Oberförsterei Neubruchhausen, entwarf daher 1892 eine Konzeption, um die Kiefernwälder in stabile Mischbestände umzuwandeln. Sie beinhaltete Aspekte wie Bodenschutz, standortsgemäße Baumartenwahl und Mischwaldmehrung ebenso wie die Steigerung der Holzproduktion. Zunächst mussten die mächtigen Rohhumusauflagen unter Kiefer „saniert“ und eine erneute „Bodenerkrankung“ durch eingebrachte bodenpflegliche Mischbaumarten vermieden werden. Dafür pflanzte er Baumarten wie Eiche, Buche, Weißtanne und Lärche, aber auch Roteiche und Douglasie.
Abb. 2: Kiefernbestand von 1890. Foto: NFA Nienburg-Archiv
Entwicklung der Baumartenanteile
Erdmannshausen umfasst zum Stand 2022 rund 2.000 ha Wald. Das Waldgebiet bestand ursprünglich aus 950 ha „Erdmannbeständen“ und ist stetig erweitert worden. Seit 1875 wurden dort in regelmäßigen Abständen Forsteinrichtungen, ab 1975 parallel auch Stichprobeninventuren durchgeführt. Die Veränderungen der Baumartenanteile in den letzten 150 Jahren gehören zu den deutlichsten Ergebnissen des vollzogenen Waldumbaus durch Erdmann. Dies lässt sich lückenlos aus den zahlreichen Betriebswerken seit 1875 belegen. Im Jahr 1875 war die Kiefer als Pionierbaumart die Hauptbaumart, ergänzt lediglich mit schlechtwüchsigen Buchen (7 %), sogenannte „Stühbüsche“. Ab 1895 zeigten sich die ersten erkennbaren Folgen der Bemühungen von Erdmann: Bis 1925 stieg der Anteil an Fichten und Tannen stark an, von 6 % auf 31 %, die Buche war mit 11 % beteiligt. Im selben Zeitraum nahm der Kiefernanteil von 82 % auf 53 % ab.
Zwischen 1925 und 1955 stiegen auch die Anteile an Lärchen, Douglasien- und Eichen bzw. Roteichen deutlich an. Die damaligen Forstamtsleiter nach Erdmann waren dazu übergegangen, vermehrt Mischbestände aus Roteiche und Lärche mit geringen Anteilen an Buche und Weißtanne zu begründen. In den folgenden Jahren sank der Kiefernanteil erneut, es ist (Stand 2022) noch ein kleiner Anteil von 5 % verblieben. Ab 1996 ist der auf großer Fläche vollzogene Baumartenwechsel anhaltend sichtbar und hat in den folgenden Dekaden keine weitreichenden Änderungen in den Anteilen mehr erfahren. Die Buche (25 %), Eichen/Roteichen (25 %), Weiß- und Küstentannen (10 %) sowie Lärchen und Douglasien (24 %) sind mit hohen Anteilen und in unterschiedlichen Dimensionen in Erdmannshausen vertreten.
Abb. 3: Entwicklung der Baumartenanteile von 1885 bis 2019. Quelle: Band 63, Aus dem Walde
Entwicklung von Vorrat, Zuwachs, Hiebssatz
- Vorrat
Im Jahr 1955 lag der Vorrat nach Ertragstafelschätzung bei 170 Vorratsfestmeter je Hektar (Vfm/ha), war aber vermutlich deutlich höher. Zwischenzeitlich richtete der Orkan „Quimburga“ großen Schaden in den mittelalten Fichtenbeständen an, aber auch Kiefer, Lärche und Tanne wurden geworfen. In den folgenden Dekaden stieg der Vorrat trotz Nutzung kontinuierlich weiter bis auf 312 Vfm/ha im Jahr 2018 an. In den ursprünglichen „Erdmannbeständen“ liegt der Durchschnittsvorrat (2022) bei über 400 Vfm/ha. Der Vorratsanstieg insgesamt geht auf die Laubbäume und hier in erster Linie auf die Buche zurück. Durch die langanhaltende Überschirmungsphase war die Buche im Wachstum in der Vergangenheit eher gehindert und hat erst allmählich, aber bestimmt den zusätzlichen Lichtgenuss in kräftiges Wachstum umgesetzt. Erhebliche Massen sind in das Starkholz (Brusthöhendurchmesser >50 cm) eingewachsen und können genutzt werden. Dies betrifft vor allem die ursprünglichen „Erdmannbestände“, da sich hier bei einem mittleren Vorrat von über 400 Vfm/ha Starkholzvorräte von Lärche, Douglasie, Tanne, aber auch Buche und Eiche häufen. In den meisten Beständen gibt es neben dem Starkholz einen Vorrat aus Mittel- und Schwachholz, die in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen.
- Zuwachs
Durch die seit 1985 erfolgten Stichprobeninventuren kann an den verbliebenen Bäumen das Wachstum seit über 33 Jahren nachvollzogen werden. Insgesamt konnte diese Zeitreihe an 4.000 Bäumen in der Hauptschicht bzw. im Überhalt erstellt werden. Roteiche, Tanne und Douglasie zeigen erwartungsgemäß mehr oder weniger über alle Alter hohe Durchmesserzuwächse zwischen 7 und 11 mm pro Jahr. Bei Eiche konnten durchschnittliche Zuwächse von 4 bis 5 mm pro Jahr ermittelt werden. Bei Kiefer fällt der Zuwachs mit durchschnittlichen Werten von 3 bis 4 mm im Jahr mit hohen Werten in der Jugend, aber auch sehr geringen Zuwächsen im Alter deutlich ab. Erstaunlich ist der hohe Durchmesserzuwachs bei der Buche von 6 bis 9 mm im Jahr, der bis in die höchsten Altersklassen anhält. Der flächenbezogene ertragsgeschichtliche Zuwachs hat sich zwischen 1985 und 2018 um 20 % deutlich erhöht, mit einem Höchstwert von 13,4 Vfm/ha und Jahr in der Periode 1996 bis 2008.
- Hiebssatz
Die Hiebssätze und damit auch die Einschläge sind den Zuwächsen in der Entwicklung, aber nicht in der absoluten Höhe gefolgt. Während 1875 nur knapp 2,5 VFm/ha und Jahr geplant und genutzt wurden, liegt der Hiebssatz der Forsteinrichtung bei der Forsteinrichtung von 2018 bei 7,9 VFm/ha und Jahr mit einem sehr deutlichen Schwerpunkt bei der Zielstärkennutzung. Dieses ist in Anbetracht der Starkholzvorräte auch dringend geboten.
Verjüngungsentwicklung
Seit 1996 wird die Verjüngung im Rahmen der Betriebsinventuren erfasst. Die absolute Verjüngung der Bestände, ausgedrückt durch die mittlere Stammzahl je ha Verjüngungsfläche, hat sich seit 1996 um 50 % erhöht. Auf 70 % des Holzbodens ist Verjüngung in unterschiedlichen Höhen vorhanden. Durch die kräftigen Eingriffe seit 1985 konnten entsprechende Lichtverhältnisse für andere Baumarten geschaffen werden, die sich dann zunehmend verjüngen konnten. Hierbei ist auffällig, dass der Großteil der Verjüngung aus Laubbaumarten besteht. Es sind neben der Buche vor allem die Weichlaubbäume mit Birke, Erle und Traubenkirsche. Bei den Nadelbaumarten haben sich in den vergangenen 25 Jahren vor allem Weiß- und Küstentanne (vornehmlich in tannendominierten Beständen) deutlich besser verjüngt, während die Verjüngung der Douglasie massiv zurückgegangen ist.
Strukturanalyse
Alle dargestellten Parameter verdeutlichen, dass die Wälder in Erdmannshausen sehr gut strukturiert und mischungsreich sind: In den 873 Beständen sind auf 52 % Nachwuchs, auf 55 % Unterstand und auf 3 % Überhalt vorhanden. Auf 72 % der Fläche kommen zwei und mehr Bestandesschichten vor. 28 % der Bestandesfläche sind einschichtige Bestände aus einer oder mehrerer Baumarten (Forsteinrichtung 2018). Zwei- und mehrschichtige Strukturen kommen auf Dreiviertel der Fläche vor. Auffallend hoch sind in Erdmannshausen die mittleren Anzahlen (5 bis 7) an Baumarten in den Altersklassen IV bis VI (VII). Dahinter verbergen sich entsprechende Anstrengungen für den Waldumbau mit den unterschiedlichsten Baumarten, die zwischen 1900 und 1940 getätigt wurden.
Abb. 6: Strukturreiche Mischwälder in Erdmannshausen. Foto: NW-FVA
Schlussfolgerungen und Aussicht
Die Erdmann-Wälder lassen für die Zukunft ein geringes ökologisches Risiko, eine hohe Widerstandskraft sowie gleichzeitig auch eine gute Ertragsfähigkeit erwarten. Neben der Produktion des wertvollen Rohstoffes Holz bedienen sie darüber hinaus zahlreiche weitere Waldfunktionen. Die Strategie des Forstmannes Friedrich Erdmann mit einem „Waldbau auf natürlicher Grundlage“ ist nach 130 Jahren damit definitiv aufgegangen.
Verschiedene Baumarten haben in Erdmannshausen die Standorte, die durch Über- und Plaggennutzung verarmt waren, wieder so reich aufgewertet, dass insgesamt ein standortsangepasstes Wachstum möglich ist. Erdmann hat in der Buche die wesentliche Baumart für die Zukunft des Waldes im Nordwestdeutschen Tiefland gesehen. Diese Baumart war 1892 lediglich in sehr geringem Anteil vertreten und nimmt nach gut 130 Jahren nun immerhin 25 % der Fläche in der Oberschicht ein. Beim Nachwuchs ist ihr Anteil auf ein Drittel gestiegen, da sie sich unter den vorherrschenden Überschirmungs- und Belichtungsverhältnissen gut verjüngen kann.
Diese Analyse lässt auch für andere, eher einschichtige Wälder im Tiefland, die aus einer Baumart bestehen, auf eine mögliche positive Entwicklung hoffen. So dass sie wenn mit Mischbaumarten entsprechend angereichert werden, gegen Ende des Jahrhunderts Strukturen aufweisen, die eine höhere Resilienz gegenüber den Klimafolgen und zudem auch weiterhin gute Erträge erwarten lassen. Mit Douglasie, Küstentanne, Roteiche und Traubeneiche hat Erdmann die Bestände mit Baumarten erweitert, die aufgrund ihrer höheren Trockenheitstoleranz auch im Klimawandel gut geeignet sind. Insgesamt zeigt die Waldentwicklung in Erdmannshausen eindrucksvoll, wie durch aktiven Waldumbau – in weniger als einer Waldgeneration – aus einschichtigen, mattwüchsigen Reinbeständen struktur- und vorratsreiche Mischwälder aus mehreren Baumarten entstanden sind.