Im Jahresbericht des Zentrums für Wald und Holzwirtschaft 2018/2019 wurde durch die Autorin von der Einrichtung eines Fichten-Marteloskops im Arnsberger Wald berichtet und die Prognose abgegeben, dass aufgrund der Lage am Nordhang, welcher in den letzten Jahren von größeren Sturmereignissen verschont geblieben war, die Gefahr des Verlustes relativ gering sein sollte. Doch die Kalamität stand schon in den Startlöchern, und so gingen dieses und das Fichten-Marteloskop im Kottenforst im Zuge der Trockenheit und der Käferkalamität der darauffolgenden vier Jahre verloren. Hier zeigt sich erneut, wie wichtig es ist, Baumarten auf kleinerer Fläche zu mischen und sie aufpassen- den Standorten zu pflanzen – so können solche Verluste zumindest in Teilen minimiert werden.
Dennoch war das Konzept „Marteloskop“ bisher ein Erfolg in NRW: Neun Marteloskope gibt es jetzt, Menschen aus allen Lebensbereichen durften „Förster spielen“, haben viel gelernt und dabei auch Spaß gehabt. Aber was ist das eigentlich, ein Marteloskop? Und was macht das Konzept so eingängig wie beliebt bei Lernenden und Lehrenden zugleich?
Abb. 2: Werkzeug für die Aufnahme: Feldbuchrahmen für Notizen, Mikrohabitat-Katalog und Fernglas zur Erkennung von Habitaten in der Krone. Foto: Carolin Stiehl
Zunächst zur Erklärung des Wortes: “Martelage” ist das französische Wort für Hämmern, in diesem Fall “Auszeichnen”, das heißt das Markieren der Bäume zur Entnahme. Früher wurde dafür ein Markierungshammer benutzt. “Skopein” ist griechisch für “betrachten”. Auf einer Marteloskop-Fläche kann man also sehen, was das Ergebnis der eigenen Auszeichnung ist – jedoch ohne die Bäume dafür zu fällen.
Diese Übungsflächen sind meist einen Hektar groß und quadratisch, was die Aufnahme und spätere Übung im Wald erleichtert. Eine Aufteilung in vier Quadranten macht es noch einfacher, sich zu orientieren.
Motivierte Forschende, Studierende sowie Praktikantinnen und Praktikanten machen sich zunächst daran, jeden Baum so zu vermessen, dass er auf einer Karte wiedergefunden werden kann. Dann werden Durchmesser auf Brusthöhe, Baumhöhe und Kronenansatz gemessen. So lässt sich später auch berechnen, wie viel Kubikmeter Holz der Baum enthält.
Aber damit nicht genug: Um auch den Aspekt des Lebensraums Wald sichtbar zu machen, werden so genannte “Mikrohabitate” erfasst. Dies sind Lebensräume am Baum, die für verschiedene Arten nutzbar sind. Das European Forest Institute (EFI), das seit über einem Jahr- zehnt bei der Aufnahme neuer Marteloskope unterstützt und eine Marteloskop-Datenbank führt (Marteloscopes and data – Integrate+ Store)[1], hat dafür einen Katalog entwickelt. Er beschreibt 64 Habitate – von der Spechthöhle über das Kronentotholz bis hin zum Baumpilz ist hier alles dabei.
Man staunt, welche kleinen und kleinsten Lebensräume sich an Bäumen finden – je älter und dicker der Baum, desto mehr. Dies ist aber nur die Regel, es gibt auch Ausnahmen – dünne Bäume mit vielen Habitaten kommen zum Beispiel bei der Baumart Hainbuche häufiger vor.
Die Habitate werden nicht nur gezählt, sondern auch bewertet. Größe, Seltenheit und Entwicklungsdauer spielen eine Rolle, sodass am Ende jeder Baum einen Habitatwert erhält. Dies ist eine Zahl ganz ohne Einheit und dient dem Vergleich der Bäume innerhalb des Marteloskops.
Zu guter Letzt wird noch die „wirtschaftliche Brille“ aufgesetzt: Durch eine Einteilung in Güteklassen, die auch beim Holzverkauf genutzt werden, kann mit aktuellen Holzpreisen jedem Stamm ein fiktiver Erlös zugeordnet werden. Auch hier muss ein wenig einschränkend darauf hingewiesen werden, dass man bei einer „Sortimentierung am stehenden Stamm“ nicht erkennen kann, ob ein Baum im Kern z.B. unter einer Fäule leidet. So wird der €-Wert manchmal etwas überschätzt. Aber das ist nicht weiter be deutsam, denn die Werte werden ja nur für den internen Vergleich im Bestand benötigt. So gibt es die Eiche mit 2.000 € Holzwert und einem Habitatwert von 30 Punkten und daneben eine andere mit einem hohen Habitatwert von 120 Punkten, aber „nur“ 400 € Holzwert.
Die Teilnehmenden einer Marteloskop-Übung werden mit Tablets ausgestattet. Eine vom EFI entwickelte App zeigt die Karte der Übungsfläche mit den entsprechenden Bäumen. Jeder Baum hat eine Nummer und ist jederzeit auffindbar.
Abb. 4.: Stammfußkarte (1,0 ha) Marteloskop Heidhorn (Münsterland), Waldbild: Stieleichen-Rotbuchen-Mischbestand. Die Farben bedeuten: ocker = Stieleiche, türkis = Rotbuche, rot = Hainbuche, lila = Esche, grün = Hängebirke, rosa = Salweide. Grafik: EFI / Integrate Network
Nun beginnt das “Förster spielen”: So wird etwa die Aufgabe gestellt, 50 Festmeter (Kubikmeter) Holz pro Hektar für die Ernte auszuzeichnen und dabei zehn Habitatbäume zu erhalten. In der App sind alle Werte – Euro, Habitate und die waldwachstumskundlichen Kenngrößen wie Höhe und Durchmesser – hinterlegt. Aber es besteht auch die Möglichkeit, diese Werte in der App “auszuschalten” und sich hinterher selbst zu überprüfen, ob man richtig lag.
Am Ende treffen alle wieder zusammen und vergleichen ihre Ergebnisse. Je nach Gruppe ergeben sich hier ganz unterschiedliche Resultate. Besonders spannend sind “Konfliktbäume”, die interessante Habitate, aber ggf. auch einen hohen Holzwert haben. Hier wird der Abwägungsprozess im Kopf von Försterinnen und Förstern besonders deutlich. Natürlich gibt es konkrete rechtliche Vorgaben, bei denen eine Fällung nicht in Frage kommt. Aber beispielsweise hat fast jede ältere Eiche dickes Kronentotholz, das Lebensraum bieten kann. Hier ist dann eine fallweise Abwägung zwischen Schutz und Nutzung erforderlich.
Unsere nordrhein-westfälischen Marteloskope wurden bereits von ausgebildeten Försterinnen und Förstern, Vertretern des Naturschutzes, Waldbesitzenden, Mitarbeitenden der Holzindustrie, Studierenden und sonstigen interessierten Bürgerinnen und Bürgern besucht. Je nach Fokus und Vorwissen entnimmt die eine mehr Bäume bei der Durchforstung, der andere weist mehr Habitatbäume aus. Aber am Ende kommt es meistens zu einer Annäherung der verschiedenen Bereiche. Spannende Erkenntnisse werden gewonnen, wenn verschiedene Interessengruppen gemeinsam an einer Übung teilnehmen. So fielen bereits Sätze wie: “Aus der wirtschaftlichen Perspektive habe ich das noch nie betrachtet”, oder: "Ich wusste gar nicht, wie viele Habitate es am Baum gibt, darauf werde ich künftig mehr achten."
Abb. 5: Jeder Baum im Marteloskop bekommt eine feste Nummer. Foto: Carolin Stiehl
Und damit sind auch Sinn und Zweck solcher Übungen erklärt. Nicht umsonst hieß das ursprüngliche Projekt, welches die europaweite Anlage von Marteloskopen angestoßen hat, “Integrate”: Es geht um den integrierten Ansatz der Waldbewirtschaftung, in dem Naturschutz und Wirtschaft beide auf der gleichen Fläche berücksichtigt werden sollen. Inzwischen treffen sich im sogenannten „Integrate Network“, organisiert durch das EFI, regelmäßig Marteloskop-Manager aus ganz Europa, um ihre Erfahrungen auszutauschen.
Wald und Holz NRW beteiligt sich aktuell auch beratend an einem sozialwissenschaftlichen Projekt (MARTELKOM, https://martelkom.org), bei dem der Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie Forstleuten mit Hilfe von Übungen gefördert und verschiedene Meinungen und Einstellungen zum Thema Wald untersucht werden. So dienen Marteloskope in vieler Hinsicht der Erweiterung des eigenen Horizonts.
Seit der Implementierung der Marteloskop-App “I+ Trainer” auf landeseigenen Tablets im Jahre 2021 werden in den NRW-Marteloskopen regelmäßig Übungen durchgeführt. Das Interesse ist groß. Es werden mit einfachen Mitteln waldbauliche Entscheidungen sichtbar gemacht und dabei der Blick für Waldlebensräume geschärft. Es gibt aktuell neun Marteloskope in NRW mit den Baumarten Eiche, Hainbuche, Buche, Bergahorn, Birke und Kiefer.
Da sich die dahinterliegenden Zahlenwerte rasch ändern – Bäume wachsen, sterben ab, Höhlen vergrößern sich oder Äste brechen – werden die Flächen ca. alle fünf Jahre neu aufgenommen. Im Marteloskop Berbketal in Arnsberger Wald steht diese Neuaufnahme zum Beispiel 2024 an, und wir sind gespannt, wie die neuen Auswertungen sich auf die Übungen auswirken werden.