Saurer Regen hat insbesondere im 20. Jahrhundert den Zustand der Waldböden nachhaltig beeinflusst. Er hat aus dem Boden sehr viele Nährstoffe ausgewaschen und ein für viele Bodenlebewesen zu saures Milieu hinterlassen. Als Folge sind viele Waldböden in ihrer Funktion als Pflanzenstandort, Lebensraum und Filter für Trinkwasser gefährdet. Durch ein angepasstes und schonendes Kalkungskonzept kann ein nachhaltig stabiler und naturnaher Bodenzustand wieder hergestellt beziehungsweise erhalten werden.
Kriterien der Bodenschutzkalkungen vor 2010
Zum Schutz der Bodenqualität wurden in Baden-Württemberg seit 1983 in allen Waldbesitzarten Bodenschutzkalkungen mit dem Ziel durchgeführt, die aktuellen Säureeinträge zu neutralisieren und so einer weiteren Bodenversauerung und dem irreversiblen Verlust von Bodenqualität entgegen zu wirken. Dabei wurden durchschnittlich rund 15.000 ha/Jahr gekalkt. Das Ziel dieser Kalkung war die Kompensation der aktuellen Säureeinträge. In der Kalkungsberatung wurden bislang Empfehlungen zur Bodenschutzkalkung anhand von Grenzwerten für pH-Wert und Basensättigung im Oberboden ausgesprochen (s. Merkblatt). Dort sind die in Tab. 1 dargestellten Grenzwerte der bodenchemischen Zustandsgrößen pH-Wert und Basensättigung (BS) publiziert.
Bodenschutzkalkung zum Abbau von Versauerungsaltlast
Als Erfolg einer konsequenten Luftreinhaltepolitik konnten in den vergangenen Jahren die Säureeinträge auf einem Großteil der Landesfläche soweit zurückgeführt werden, dass eine weitere Bodenversauerung nur noch sehr langsam verläuft oder ganz gestoppt wurde. Tatsächlich verbleibt jedoch durch die Bodenversauerung eine depositionsbedingte Altlast, die Waldökosysteme und ihre Funktionen nach wie vor belastet. Es besteht also trotz der Reduktion von Säuredepositionen ein Sanierungsbedarf, um die natürlichen Funktionen der Waldböden wiederherzustellen.
Zur effizienten und dauerhaften Regeneration essenzieller Bodenfunktionen bedarf es daher eines langfristigen Kalkungskonzeptes, das nicht nur die aktuellen Säureeinträge neutralisiert, sondern auch die im Boden gespeicherten und schädlichen Säuremengen abbaut. Es besteht hiermit die Möglichkeit und Chance, durch ein standortsdifferenziertes und kleinflächig geplantes Kalkungsprogramm die natürlichen Bodenqualitäten und Bodenfunktionen langfristig wiederherzustellen. Hauptziel der Kalkung ist dabei die Wiederherstellung der natürlichen, vorindustriellen Nährstoffausstattung und Diversität von Waldböden.
Tab. 1: Kriterien zur Steuerung des auf Kompensation der aktuellen Säureeinträge ausgerichteten, bisherigen Kalkungsprogramms. | ||
Meliorationsbedarf | pH-KCl | Basen% |
Dringend | <3 | <5 |
Bedürftig | <3.8 | <15 |
Nicht bedürftig | >4 | >15 |
Die pH-Werte stiegen auf gekalkten Flächen in den letzten 15 Jahren bis in eine Tiefe von 30 cm deutlicher an als auf nicht gekalkten Flächen. Dabei ist der Anstieg aber immer noch sehr moderat, eine "Schockwirkung" geht hiervon nicht aus. Die Basensättigung als Anteil der im Boden pflanzenverfügbar gespeicherten basischen Kationen (Ca, K, Mg, Na) zeigt auf den gekalkten Flächen eine ausgeprägt positive Entwicklung. Auf den restlichen Flächen hält heute die Auswaschung von Basen überwiegend angetrieben durch Nitrat an (Tab. 2).
Dieser sehr schwach ausgeprägte Erholungstrend der Waldböden würde bei der Säurestärke im Boden mindestens 250 Jahre Zeit benötigen, um einen naturnahen Versauerungszustand zu erreichen. Bei der Basensättigung ist dieser Zeitraum unbestimmt, da derzeit auf den ungekalkten Flächen die Basensättigung noch absinkt. Auf gekalkten Flächen ist dieser Erholungstrend auf einen Regenerationszeitraum von 40 bis 80 Jahren deutlich verkürzt. Das zeigt auch, dass die Bodenschutzkalkung keine schnell wirkende Düngung, sondern eine vorsichtige, systemkonforme Ökosystemsteuerungsmaßnahme ist, die sehr allmählich naturnahe Bodenbedingungen wiederherstellt.
Ökologische Wirkung der Bodenschutzkalkung
Abb. 1: Umbau der Humusauflage 6 Jahre nach einer mit 10 t/ha dosierten Kalkung im Kalkungsversuch Ochsenhausen; ungekalkt (links), gekalkt (rechts)
In den Waldböden Baden-Württembergs (~1.4 Mio ha) sind über 100 Mio Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Dieser Vorrat unterliegt jedoch ständigen Schwankungen durch variable Abbaubedingungen und Waldumbaumaßnahmen. Ein Einfluss der Kalkung ist hierbei nur schwach in Richtung einer erhöhten Erhaltungsneigung des Kohlenstoffvorrats erkennbar. Durch Kalkung wird die mikrobielle Aktivität in der Humusauflage gesteigert und die Humusumsetzung beschleunigt. Mithilfe von im weniger sauren Milieu wieder aktiven Regenwürmern bilden sich fruchtbarere Humusformen heraus (Abb. 1). Der Kohlenstoffvorrat aus der Humusauflage wird in den oberen Mineralboden eingearbeitet und dort stabiler gespeichert. Dadurch wird der Mineralboden porenreicher, was letztendlich zu besserer Belüftung und Durchwurzelung führt und die Bäume in Bezug auf klimabedingte Stressbelastungen stabilisiert.
Standortdifferenzierte Steuerung der Regenerationsorientierten Bodenschutzkalkung
Als Indikator für die Bestimmung des standortsindividuellen Kalkungsbedarfs zur Wiederherstellung der natürlichen Bodenreaktion und Nährstoffausstattung wird der Vorrat an Aluminium im Unterboden genutzt. Aluminium wird bei der Auflösung von Tonmineralen durch Säureangriff frei gesetzt. Es liegt in der Regel in natürlich versauerten Böden nur im Oberboden vor. Größere Mengen im Unterboden sind somit als Resultat der Versauerung durch sauren Regen anzusehen.
Als Kalkungsbedarf gilt diejenige Menge an Kalk, die diesem Aluminiumvorrat entspricht. Damit wird eine den individuellen Standorten angepasste Kalkungsmenge gewährleistet, die regional sehr differenziert ausfällt. In der Praxis wird dieser Kalkungsbedarf in die Anzahl an Wiederholungskalkungen von jeweils 3 t/ha Dolomitkalk umgerechnet, die alle 10 Jahre ausgebracht werden sollen (Abb. 2). Durch Bodenschutzkalkungen sollen keine gleichmäßig nährstoffgesättigten Standorte entstehen. Vielmehr steht das Konzept der Regeneration eines natürlichen Bodenzustands als Grundlage einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung im Mittelpunkt. Die Risiken beispielsweise durch verstärkte Nitrifizierung und Nitratauswaschung sind gering und durch niedrige Dosierung (3-4 t/ha) und die geringe Löslichkeit des eingesetzten Dolomitkalks (in 3-5 Jahren werden 3-4 t gelöst) beherrschbar.
Kalkungssensitive und naturschutzrelevante Flächen sind von einer Kalkung auszunehmen. Bei Kalkungen in angrenzenden Gebieten ist von diesen wie auch von anderen schützenswerten Bereichen (beispielsweise Wasserschutzgebieten) ein ausreichender Pufferabstand von 100 m einzuhalten (Abb. 3).
Für eine transparente und zielführende Planung von Bodenschutzkalkungen ist die Integration landesweiter Informationen über den Bodenzustand sowie deren stichprobenartige Überprüfung auf lokaler Ebene notwendig. Eine Kontrolle der ökologischen und ökonomischen Auswirkungen der Maßnahmen wird mittels einer lückenlosen Dokumentation sichergestellt. Als Werkzeug zur Durchführung der Kalkungsmaßnahmen dient der sogenannte Maßnahmenplan. Dieser bildet die räumliche Kombination von Kalkungsbedürftigkeit aufgrund des Bodenzustands, Schutzwürdigkeit aufgrund naturschutzrechtlicher oben genannter Gegebenheiten sowie der technischen Umsetzbarkeit der Ausbringung ab. Der GIS-gestützt erarbeitete Maßnahmenplan wird von den örtlich zuständigen Unteren Forstbehörden an die örtlichen Verhältnisse angepasst.
Schlussfolgerungen
Das Programm der regenerationsorientierten Bodenschutzkalkung zielt darauf ab, die natürliche Vielfalt der Waldböden hinsichtlich Bodenreaktion, Nährstoffausstattung sowie Filter- und Puffereigenschaften wiederherzustellen. Dies soll durch die Umsetzung eines standortsdifferenzierten Kalkungskonzepts mit klarem Zeithorizont erreicht werden. Dabei werden Stabilität und Produktivität der Wälder sowie deren Biodiversität wieder ihrem natürlichen Zustand angenähert. Kalkungssensitive Naturschutzflächen und Biotope werden entsprechend einer gemeinsam mit der LUBW formulierten und vereinbarten Handreichung aus dem Jahr 2005 konsequent ausgespart, obwohl die Wirkung der Kalkung aufgrund der geringen Löslichkeit und der niedrigen Dosierung der verwendeten Materialien auch dort in aller Regel unproblematisch wäre.
Das Programm ist auf die ehemals reicheren Lehmstandorte der Gäuflächen, Oberschwabens und der Vorbergzonen von Schwarzwald und Odenwald fokussiert. Dies sind nicht Schwerpunkte sensitiver Naturschutzbereiche, was zu einer Verringerung der Konfliktneigung zwischen Bodenschutz- und Naturschutzinteressen führen müsste. Die sauren Böden beispielsweise der Hochlagen des Südschwarzwaldes sind minimal in diesem Programm beteiligt, da aufgrund ihrer geringen Stoffspeicherkapazität dort wenig Säure im Boden gespeichert ist, also auch ein geringerer oder kein Regenerationsbedarf besteht.
Angesichts der Belastungen, die für die Wälder aus dem Klimawandel zu erwarten sind, sieht die FVA sich verpflichtet, die durch regenerationsorientierte Bodenschutzkalkung mögliche Stabilisierung der Waldböden und Waldfunktionen verantwortlich umzusetzen. Die Regeneration der natürlichen Standortsdiversität müsste auch im ureigenen Interesse des Naturschutzes liegen, da eine natürliche Bodendiversität die notwendige Voraussetzung für Biodiversität darstellt.