Nach seiner Ausrottung im 18. Jahrhundert kehrt das Rotwild seit einigen Jahren in seine angestammten Lebensräume im Mittelland zurück. Für den Schweizer Artenschutz ist das eine Erfolgsgeschichte, die allerdings auch einige Konflikte mit sich bringt. Aus diesem Grund hat die Fischerei- und Jagdverwaltung des Kantons Zürich in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Interessengruppen 2017 ein Rotwildkonzept erarbeitet. Die natürliche Einwanderung des Rotwildes wird zugelassen aber nicht aktiv gefördert. Zusätzlich wurden Massnahmen zur Schadenverminderung und Entschärfung der Interessenskonflikte getroffen (Abb. 3).
Monitoring und Bestandsregulierung
Seit der Rückkehr des Rothirsches ins Zürcher Mittelland nehmen die Bestände kontinuierlich zu und gehören mittlerweile in einigen Gebieten zum Standwild. Die Erfassung von Wildtierbeständen ist allgemein schwierig und sehr aufwändig. Der Rothirsch ist ein scheues Tier, das sich bei Störungen schnell ins Dickicht zurückzieht. Genaue Zählungen sind durch den dichten Unterwuchs im Wald und fehlender Austrittsmöglichkeiten kaum möglich. Zudem kann es zu Doppelzählungen kommen, wenn Tiere nach Bestandserhebung in einem Jagdrevier abwandern und im Nachbarrevier erneut gezählt werden. Die auf Beobachtungen und Scheinwerfertaxationen basierenden Bestandsschätzungen weisen auf einen zunehmenden Bestand hin. Genaue Zahlen können jedoch mit diesen Methoden nicht ermittelt werden.
Aus den genannten Gründen setzte sich die Fischerei- und Jagdverwaltung ein umfangreiches Monitoring des Bestands zum Ziel und unterstützte dazu eine mehrjährige Studie der Forschungsgruppe WILMA (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW), welche die Bedürfnisse und das Verhalten des Rotwildes im Mittelland studiert. Unter anderem sind die Rothirsch-Dichte, die Populationsstruktur, die saisonale Raumnutzung sowie der Einfluss von menschlicher Störung Gegenstand der Untersuchungen.
Bereits 2020 wurde ein grossflächiges Fotofallenmonitoring im Konauer Amt gestartet. Mit der Besenderung von einzelnen Individuen im Winter 2021/2022 sollen zusätzlich feinauflösende Raumnutzungsdaten gesammelt werden.
Damit die weitere Ausbreitung des Rotwildes ohne übermässige Schäden an Wald und Kulturland erfolgt, wurde die Regulierung des Rotwildes in einer Verfügung genauestens festgehalten.
Kein Abschussplan für Rotwild – dafür differenzierte Abschuss-Regeln
Für das Rotwild gibt es im Kanton Zürich keine Abschusspläne wie z.B. für das Rehwild. Stattdessen gelten mit der "Verfügung zur Regulierung des Rotwildbestandes" vom 1. April 2017 die nachfolgenden Bestimmungen zur Regulierung des Rotwildbestandes:
- Die Jagd auf Rotwild ist in der Zeit vom 2. August bis 31. Dezember gestattet.
- Führende Hirschkühe sind geschützt. Ein Muttertier darf aber unmittelbar nach dem Abschuss seines Kalbes ebenfalls erlegt werden.
- Vor dem Abschuss eines mehr als zweijährigen Hirschstieres sind jeweils pro revier, bzw. pro Rotwild-Hegegemeinschaft, und Jahr zuerst zwei Stück Kahlwild (Kalb beide Geschlechter, Schmaltier, Hirschkuh) oder Schmalspiesser zu erlegen. Fehlabschüsse werden nicht angerechnet.
Beidseitige Kronenhirsche sind geschützt (beidseitige Kronenhirsche weisen an beiden Stangen drei oder mehr Enden über der Mittelsprosse auf; Enden werden dann gezählt, wenn die Länge mindestens 3 cm beträgt).
Jagdgesellschaften haben die Möglichkeit, sich mit unmittelbaren Nachbarrevieren in einer Rotwildhegegemeinschaft zusammenzuschliessen. Hegegemeinschaften sind schriftlich zu vereinbaren.
(Auszug aus der kantonalen Verfügung des LN VOM 1. April 2017 mit einer Geltungsdauer bis 2025)
Das Ziel der Verfügung im Kanton Zürich ist, die Rotwildbestände auf einem stabilen Niveau zu halten. Dazu müssen u.a. Eingriffe in die Jugendklasse und beim Kahlwild erfolgen. Die Anzahl erlegter Tiere nahm in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zu (s. Abb. 4). Bei der Rotwildbejagung müssen jedoch neben quantitativen auch qualitative Vorgaben erfüllt werden. Zum einen ist das Rotwild extrem intelligent und passt sein Verhalten bei gleichbleibendem Jagddruck an. So müssen die Jagdstrategien regelmässig angepasst oder gewechselt werden. Zum anderen haben Eingriffe bei den männlichen Tieren einen geringeren Effekt auf die Populationsentwicklung.
Ausserdem handelt es sich bei Rotwild um eine sehr mobile Tierart mit grossem Streifgebiet. Eine andauernde lokale Schwerpunktbejagung führt zu einer Abwanderung der Tiere in ungestörte Gebiete. Um eine regionale bzw. überregionale Jagdplanung zu ermöglichen, können sich die Jagdgesellschaften darum zu Hegegemeinschaften zusammenschliessen.
Rotwildhegegemeinschaft
Eine solche Hegegemeinschaft ermöglicht einen schnellen und unkomplizierten Informationsaustausch unter den Jägern und Jagdgesellschaften - eine entscheidende Voraussetzung für den Jagderfolg beim Rotwild. Eine Hegegemeinschaft im Kanton Zürich beispielsweise bietet aufgrund der bestehenden restriktiven Abschussregelung des Kantons auch kleinen Jagdrevieren die Möglichkeit zum Abschuss zu kommen.
Eine weitere Aufgabe besteht darin, den Rotwildbestand zu erheben. Die Überwachung mit Hilfe von Wildkameras ermöglicht einen guten Eindruck über das Verhalten, den Bestand und die Bewegungen des Rotwildes.
Ein Beispiel für eine solche Hegegemeinschaft ist die "Rotwildhegegemeinschaft Albisplus". Sie umfasst 13 Jagdreviere, darunter auch die Stadt Zürich. Zwischen allen Beteiligten herrscht ein guter Erfahrungsaustausch und die Hegegemeinschaft fördert zudem eine gute Zusammenarbeit für Gemeinschaftsjagden unter den Nachbarrevieren.
Darüber hinaus wird von der Fischerei- und Jagdverwaltung auch eine kantonsübergreifende Rotwildplanung angestrebt. Die Verwaltung tauscht sich dafür regelmässig mit den angrenzenden Kantonen aus, um die Managementstrategien aufeinander abzustimmen.
Lebensraumaufwertung
Das scheue Rotwild benötigt ruhige Äsungsmöglichkeiten an Waldrändern, auf Waldwiesen und Freihalteflächen. Bei regelmässiger Störung zieht es sich in die Wälder zurück und kann Wildschäden verursachen.
Folglich unterstützt die Fischerei- und Jagdverwaltung Projekte zur Lebensraumverbesserung im Wald und Kulturland und strebt eine Lebensraumberuhigung in Gebieten mit Standwild an. So wurden beispielsweise im Zürcher Oberland in verschiedenen revieren Waldwiesen angelegt und mit Durchgängen und lichten Strukturen vernetzt.
Mit der Revision des Jagdgesetzes 2022 müssen die Jagdgesellschaften neu einen ökologischen Leistungsnachweis liefern und aktiv die Biodiversität fördern. Der freie Austritt aus dem Wald muss ermöglicht und qualitativ hochwertige Äsungsflächen erstellt werden.
Und auch der Forst kann mit reich strukturierten Waldrändern und der Pflege von Lichtungen und Waldwiesen den Druck auf den Wald verringern.
Ein weiteres Ziel ist das Ausscheiden von Wildruhezonen. In beruhigten, störungsfreien Lebensräumen verbringt das Rotwild weniger Zeit im Wald und verursacht somit auch weniger Wildschäden. Im revidierten Jagdgesetz besteht neu eine kantonale Gesetzesgrundlage, um Wildruhezonen auszuscheiden. Da der Freizeitdruck im Wald steigt, werden solche Ruhezonen immer wichtiger. Gleichzeitig ist es aber schwierig, geeignete Gebiete zu finden, da viele Interessensgruppenden Wald für sich beanspruchen (Sportvereinigungen, Naherholungssuchende, Jäger, Waldbesitzerinnen etc.). Die nächsten Jahre werden zeigen, ob und in welchem Umfang Wildruhezonen für das Rotwild realisiert werden können.
Wildtierkorridore sind wichtige Vernetzungsachsen zwischen Populationen und ermöglichen die Wanderungsmöglichkeiten für das Wild sind zudem wichtig, um einen erhöhten Druck auf den Wald und daraus folgende Wildschäden zu verhindern. Bei der Überprüfung der kantonalen Wildtiertierkorridore hat sich gezeigt, dass ein Grossteil der Vernetzungsachsen beeinträchtigt oder sogar vollständig unterbrochen sind. Langfristiges Ziel ist es, die Wildtierkorridore zu sanieren. Dies gleicht einer Herkulesaufgabe, da bis anhin die finanziellen Mittel und das personal dafür fehlten. Die Thematik soll jedoch in den nächsten Jahren verstärkt angegangen werden.
Bei grösseren Konflikten mit Rotwild im Wald sind Wald-Wild-Konzepte ein gutes Mittel, um die Zusammenarbeit zwischen Forst und Jagdgesellschaft zu optimieren und eine gemeinsame Lösung der Probleme zu finden. Oftmals ist allein eine stärkere Bejagung nicht ausreichend, um den Druck auf den Wald zu reduzieren. Auch eine Aufwertung des Lebensraums ist nötig, was nicht von der Jagdgesellschaft allein erwirkt werden kann, sondern eine Verbundaufgabe zwischen Jagd, Forst und Landwirtschaft.
Fazit
Seit 2017 wurde intensiv an der Erreichung der Ziele des Rotwildkonzeptes gearbeitet. So wurden einige Massnahmen bereits umgesetzt und wichtige Vorarbeit für andere wurde geleistet. Manche Ziele, wie zum Beispiel die Sanierung der Wildtierkorridore, werden jedoch noch viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Bejagung von Rotwild stellt die Jagdgesellschaften vor grosse Herausforderungen. Sowohl quantitativ als auch qualitativ sind noch Verbesserunen nötig. Eine gute und auf gegenseitiges Verständnis ausgerichtete Zusammenarbeit mit allen Interessengruppen ist essenziell, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Denn nur so können die Rotwildpopulationen ausreichend reguliert und der Lebensraum so weit aufgewertet werden, dass Schäden am Wald und in der Landwirtschaft auf einem tragbaren Niveau gehalten werden können.