Zwischen Taiga und Savanne
Früher wurde er als "Kleindrossel" bezeichnet, heute weiß man, dass er zur Familie der Schnäpperverwandten (Muscicapidae) gehört. Die Rede ist vom Vogel des Jahres 2011: dem Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus).
Pracht durch Abnutzung
Der Gartenrotschwanz unterscheidet sich vom Hausrotschwanz – die beiden sind in Europa die einzigen Vertreter der Gattung Rotschwänze – durch ein deutlich kontrastreicheres Gefieder. Gesichtsfeld und Kehle sind schwarz, die Stirn ist weiß und die Brust leuchtend orange-rot, vor allem zur Brutzeit. Dieses Prachtkleid entsteht allerdings nicht durch einen Gefiederwechsel.
Vielmehr nutzen sich über den Winter die hellen Spitzen der Federn, die im Spätsommer gemausert wurden, ab. So kommt pünktlich zur Brutzeit die "darunter liegende" Farbe bestens zur Geltung. Die Weibchen sind unscheinbar gefärbt und ihnen fehlt, wie den Jungvögeln auch, das schwarze Gesichtsfeld (Abb. 2).
Der Name Gartenrotschwanz ist Programm und findet sich sogar in der wissenschaftlichen Bezeichnung wieder: Phoenicurus setzt sich aus dem griechischen phoinix- (φοίνιξ = purpurrot) und -una (ουρά = Schwanz) zusammen.
Pendler zwischen Taiga und Savanne
Der Gartenrotschwanz hat in Europa ein großes Brutareal. Es erstreckt sich vom Baikalsee bis zur Atlantikküste und von der borealen Zone nördlich des Polarkreises bis auf die Südspitze des italienischen Stiefels. Bei uns ist der Langstreckenzieher nur Sommervogel. Er verbringt den Winter in der Sahelzone West- und Zentralafrikas. Der Herbstzug beginnt bei uns ab Mitte Juli. Die Vögel ziehen nachts und überwiegend einzeln. Zugzeitpunkt und Zugdauer sind so terminiert, dass die Tiere erst mit dem Ende der Regenzeit in den Savannen Afrikas eintreffen, wo sie einen reich gedeckten Tisch vorfinden.
Zurück am Brutplatz
Überwiegend im April kommen die Vögel in ihre Brutgebiete zurück. Die Männchen treffen ein paar Tage früher als die Weibchen ein, um sich vorab die besten Reviere zu sichern. Diese sind etwa ein Hektar groß und werden aggressiv gegen Artgenossen verteidigt. Gartenrotschwänze sind ortstreu und können – bei einem Durchschnittsalter von drei bis fünf Jahren – ein Revier auch mehrere Jahre beanspruchen. Trifft ein Weibchen im Revier ein, werden der künftigen Gattin mit Hilfe von Gesang, der kräftig gefärbten Brust und aufgefächertem Schwanz die erfolgversprechendsten Brutplätze vorgeführt.
Ein wählerischer Geselle
Der Vogel des Jahres 2011 besiedelt natürlicherweise lichte Wälder. Das bekräftigt auch der aktuelle Verbreitungsschwerpunkt in den Nadelmischwäldern Finnlands. In Mitteleuropa wäre er am ehesten in Au-Landschaften, in trocken-warmen Laubmischwäldern, aber auch in den Zerfallsphasen alter Buchen-Mischwälder anzutreffen. So unterschiedlich der boreale Nadelmischwald und ein Buchenmischwald in der Zerfallsphase auch sein mögen, sie haben doch etwas gemein. In beiden Lebensräumen sind Brutplätze und Nahrungshabitate für den Vogel eng miteinander verzahnt.
Der Gartenrotschwanz ist ein Halbhöhlenbrüter, der sowohl in Baumhöhlen als auch in Felsnischen oder an Wurzeltellern usw. brütet. Alte, lichte und strukturreiche Bestände mit viel Totholz und Biotopbäumen liefern viele Höhlen und Nischen und sind deshalb besonders geeignet.
Was die Nahrung betrifft, ist der Vogel wählerisch. Er ist Insektenfresser und fängt seine Beute überwiegend am Boden, meist von einer Warte aus. In dichter Vegetation kann er die Insekten schlechter erbeuten. Deshalb benötigt der Gartenrotschwanz zur Nahrungssuche Stellen mit kurzgrasiger, lückiger Vegetation. Dies wird im in lichten Wälder auf mageren, trockenen Standorten oder Wäldern, die punktuell – beispielsweise durch Zerfall oder Windwurf – aufgelichtet wurden, geboten. Nur vor und während des herbstlichen Vogelzugs werden auch Beeren nicht verschmäht. Durch sie wird vermutlich die Speicherung von Depotfett im Körper unterstützt. Strukturreiche Heckenlandschaften und Waldränder dienen deshalb gerade während des Zuges als wichtige Rastplätze.
Vom Wald- zum Gartenvogel
Der Mensch hat die Wälder Mitteleuropas großflächig aufgelichtet und intensiv genutzt. Es entstanden auf großer Fläche parkartige Wälder mit vielerorts fließenden Übergängen zum kleinbäuerlichen Kulturland. So entstanden für den Gartenrotschwanz gerade in Ortsnähe äußerst wertvolle Lebensräume. Ideal sind beispielsweise hochstämmige Streuobstwiesen oder Kopfweidenbestände. Die Strukturen ähneln einerseits denen lichter Waldphasen, andererseits aber auch denen im Überwinterungsgebiet: denen der Trocken- oder Feuchtsavanne mit lockerem Baumbestand.
Drohende Gefahren
Der Gartenrotschwanz ist mit einem geschätzten aktuellen Brutbestand von 110.000 bis 160.000 Brutpaaren noch relativ häufig. Jedoch hat der Bestand von 1980 bis 2005 um schätzungsweise 50 Prozent abgenommen. Grund hierfür sind sowohl großflächige landschaftliche als auch klimatische Veränderungen.
Allein die Anbaufläche von Streuobstwiesen ist in Deutschland von 1950 bis 2000 um gut 70 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig führen hohe Stickstoffeinträge zu einer einseitigen Überdüngung und Versauerung der Böden. Auf mageren Standorten wird dadurch die lückige Krautvegetation von konkurrenzkräftigeren Arten "überwuchert". Nahrungshabitate in Wäldern werden aufgrund des rascheren Baum- und Strauchwachstums schneller ausgedunkelt.
Eine zunehmende Gefährdung für Langstreckenzieher sind zudem klimatische Extreme: Dürreperioden in der Mittelmeerregion und der Sahelzone verschlechtern die Nahrungssituation während der Zugzeit und der Überwinterung. Die deutliche Ausdehnung der Wüsten im Sahel erschwert die Überquerung und verkleinert die benachbarten Überwinterungsgebiete. Umso wichtiger ist es, zumindest die Brutgebiete in einem guten Zustand zu wahren.
Der Gartenrotschwanz steht also stellvertretend für wertvolle Lebensräume in Wäldern und im extensiv genutzten, halboffenen Kulturland, die immer seltener werden. Nutzen wir den Vogel als Botschafter, diese Flächen zu schützen.