Wissenschaftlichen Daten als Grundlage für die Wolfs-Diskussion
In Deutschland hat man Rotwild und Wölfe in einem Lebensraum zeitgleich besendert und analysiert. Die mit GPS-Sendern ausgestatteten Tiere lieferten interessante Einblicke in die Lebensweise beider Spezies. Die Forscher sind dabei in der Lage, hochauflösende Raumnutzungsprofile der Sendertiere zu erstellen und etwaige Interaktionen zu identifizieren. Zusätzlich zur Ermittlung der Positionsdaten können mithilfe von in den Halsbändern verbauten Beschleunigungssensoren auch die Aktivitäten der Tiere aufgezeichnet werden.
Das für die Untersuchung verantwortliche Team besteht aus den Biologen Benjamin Gillich und Dr. Frank-Uwe Michler sowie dem Forstwissenschaftler Prof. Siegfried Rieger. Letztgenannter ist der Leiter der Arbeitsgruppe für Wildbiologie, Wildtiermanagement und Jagdbetriebskunde (FWWJ) der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE). Ziel war es, belast- und nachprüfbare Daten zu Rotwild-Wolf-Interaktionen zu erarbeiten, um damit auch zur Versachlichung der Diskussionen beizutragen.
Lebensraum der Wölfe... und des Rotwilds
In der Glücksburger Heide, einen Wald-Heide-Komplex von etwa 7.000 ha Größe im östlichen Sachsen-Anhalt, wurden 25 Stück Rotwild und 7 Wölfe mit GPS-Halsbandsendern ausgestattet. Die Heide ist ein traditionelles Rotwild-Einstandsgebiet in dem seit 2013 Wölfe angesiedelt haben. Die Wölfe nutzen Streifgebiete von 25.000 bis 30.000 ha. Ein Einzeltier legte nachweislich bei einem “Ausflug” eine Strecke von 300 km zurück – in zehn Tagen. Mit Losungsuntersuchungen wurde auch der Speiseplan der heimischen Wölfe enthüllt: Mit der Hälfte der Nachweise stand das Rehwild an der Spitze, Schwarz- und Rotwild folgten auf Plätzen zwei und drei.
Das Rotwild unterscheidet sich in seiner Mobilität. Die Jahresstreifgebiete der weiblichen Tiere reichen von 1.200 bis 1.600 ha Größe. Die Gebiete der Hirsche bewegen sich im "Alltag” in etwa der selben Größe der des Kahlwildes, aber dehnen sich bis zur fünffachen Größe in der Brunft aus.
“Bei der Raumnutzung von Rotwild konnte kein Meideverhalten festgestellt werden. Hirsche und Wölfe nutzen dieselben Lebensräume.”
BENJAMIN GILLICH (LFE)
Gemeinsame Nutzung der Streifgebiete
Die Untersuchung zeigt, dass sich die Streifgebiete von Wölfen und Rotwild zu 99 Prozent überdeckten. Beide Tierarten nutzten den Raum gleichzeitig. Weitere Analysen offenbarten aber ein verändertes Nutzungsverhalten ihrer Einstandsgebiete durch das Rotwild. Bei der Anwesenheit von Wölfen bevorzugen sie das Offenland in “ihren” Gebieten. Außerdem nahmen die Laufstrecken des Wildes zu.
Ein Einfluss auf die Größe der Rudel konnte bei der Untersuchung nicht nachgewiesen werden. Aber eine andere Verhaltensweise zeigte sich: Die Rudelstrukturen des Rotwilds waren loser, als man allgemein vermutet. Sie bestanden nicht aus “festen” Strukturen, sondern bildeten eher lose Gemeinschaften, die sich trennten und wieder zusammenfanden.
Weitere Informationen
Für weitere Informationen zu diesem Thema lesen Sie den Originalartikel mit dem Interview mit Benjamin Gillich Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde (LFE).
Hier finden Sie die Präsentationen der Wolf-Schalenwild-Tagung vom 15.11.2023 auf der Seite des LFE.