Die Waldeidechse (Zootoca vivipara) ist die zierlichste Eidechse Mitteleuropas. Je nach Lebensraum wird sie oft auch Bergeidechse oder Mooreidechse genannt. Das Tier erreicht selten mehr als 15 cm Gesamtlänge, wovon etwa 5 cm auf Kopf und Rumpf entfallen. Deutlich mehr, oft gut doppelt so viel, nimmt also der Schwanz ein. Auch kräftige, ausgewachsene Waldeidechsen sind bedeutend leichter als die vergleichsweise plumpe Zauneidechse. Jungtiere messen bei der Geburt knapp 5 cm.
Waldeidechsen sind unterschiedlich braun gefärbt, mit mehr oder weniger deutlich ausgeprägten hellen und dunklen Flecken und Fleckenreihen auf dem Rückenband. Die Flanken sind etwas dunkler. Häufig kommt eine feine, dunkle Längslinie auf der Rückenmitte vor. Es gibt auch schwarze Tiere.
Männchen sind meist stärker gezeichnet als die Weibchen, können aber auch ungefleckt sein. Die Geschlechter lassen sich anhand der Färbung der Oberseite nicht eindeutig unterscheiden, wohl aber anhand der Färbung der Unterseite. Beim Männchen sind Brust und Bauch, besonders aber die Unterseite der Oberschenkel und des Schwanzes kräftig gelb bis orangerot gefärbt, auffallend schwarz gefleckt und deutlich von der hellen Kehle und Kopfunterseite abgesetzt. Beim Weibchen sind die entsprechenden Partien meist hell und weniger intensiv gefärbt, fast ungefleckt und der Uebergang von der hellen Kehle zur Brust fliessend. Jungtiere sind dunkel, oft fast schwarz, vor allem von Hinterbeinansatz an gegen die Schwanzspitze zu. Die Unterschiede sind selbst innerhalb eines Wurfes beträchtlich.
Lebensweise und Lebensraum
Die Waldeidechse ist ein Tagtier mit verhältnismässig geringen Wärmeansprüchen. Da sie zudem "lebendgebärend" ist, die Eier also im Mutterleib zurückbehalten werden, bis die Jungen fertig entwickelt sind, kann sie die unterschiedlichsten Lebensräume von den Niederungen bis auf über 2000 m ü.M. besiedeln. In den tieferen Lagen der Schweiz lebt sie in Waldlichtungen und Aufforstungen, an Wald- und Waldwegrändern und auf Mooren. In höheren Lagen bewohnt sie Mauern und Lesesteinhaufen der Alpweiden, nach Ost bis West exponierte, lichte Bergwälder, Block- und Geröllhalden.
Durch die Art der Fortpflanzung ist sie an keine bestimmte Bodenbeschaffenheit für die Eizeitigung gebunden wie die Zauneidechse. Man begegnet ihr deshalb auch auf sumpfigen Wiesen und Hangrieden, sofern trockene und sonnenexponierte Felsbrocken oder Wurzelstöcke ihr genügend Ruheplätze und Versteckmöglichkeiten bieten. Die aus der Vegetation herausragenden Ruheplätze erlauben es den trächtigen Weibchen, dem wechselnden Sonnenstand folgend, sich und damit die in ihrem Leib heranwachsenden Jungen ständig der Sonnenwärme auszusetzen.
Im Mittelland sieht man die ersten Männchen an sonnigen Tagen bereits anfangs März, auch wenn die Lufttemperatur nur 10° C erreicht. Sie liegen vor ihrem Schlupfloch und fressen zu dieser Zeit noch nicht. Durch ihre vorzügliche Tarnfärbung sind sie gut geschützt. Da sie auch bei nahe an ihnen vorbeigehenden Menschen unbeweglich liegen bleiben, sind sie weniger auffällig als die Zauneidechsen und werden nur selten beachtet.
Ende März, anfangs April erscheinen bei mildem Wetter auch die Weibchen. Bei Lufttemperaturen um 15 - 20° C genügen den Tieren zum Aufwärmen bereits kurze Sonnenbäder. Von nun an und während des ganzen Sommers sind sie viel weniger oft zu sehen, da sie sich meistens in der Pflanzenschicht bewegen und auch dort nach Futter suchen. Einzig nach Schlechtwetterperioden sieht man sie wieder für kurze Zeit beim Aufwärmen an sonnenexponierten Stellen. Sie sind jetzt aber sehr scheu und flüchten rasch und unauffällig ins nächstmögliche Versteck. Im Spätsommer und Herbst fallen eher die Weibchen auf, welche sich während der Trächtigkeit so oft als möglich der Sonne aussetzen. Man sieht oft dasselbe Weibchen an einem bestimmten Baumstrunk, während die Männchen, die wenig standorttreu sind, täglich weit herumstreifen.
Die Nahrung besteht zur Hauptsache aus Gliederfüsslern. Im Lebensraum der Waldeidechse sind Wolfsspinnen und Waldgrillen das ganze Jahr über in grosser Zahl aktiv, dazu kommen kleine Käfer, Fliegen, Raupen und auch Ameisen als Nahrung in Betracht. Von Ende März an genügen im Mittelland bereits einige wenige milde Frühlingstage für das Zusammenfinden der Geschlechter und die Paarung. Im Gebirge kann es Mai oder Juni werden. Sehr witterungsabhängig ist die Entwicklung der Jungtiere im Mutterleib. In günstigen Sommern erscheinen die ersten Jungtiere bereits in der zweiten Hälfte August, in nasskalten Sommern kann man noch im Oktober trächtige Weibchen beobachten. Es ist anzunehmen, dass manchmal auch trächtige Weibchen überwintern müssen.
In einem Wurf zählt man meist 5 bis 8 Jungtiere. Im Herbst sieht man sie oft gemeinsam einen Baumstrunk bewohnen und gemeinsam auf kleinstem Raum sonnen. Ihre Ueberlebensrate ist gering, nur wenige werden ein Jahr alt. Zu den Fressfeinden, welche auch erwachsenen Waldeidechsen gefährlich werden können, wie Kleinsäuger, Raubvögel, Rabenvögel und die Schlingnatter, kommen bei Jungtieren auch mittelgrosse Vögel hinzu, z.B. Amseln und andere Drosseln, Würger, aber auch grosse Laufkäfer. Nach dem ersten Kälteeinbruch im Oktober suchen sich nach den ausgewachsenen Tieren auch die jungen geschützte Ueberwinterungsplätze.
Verbreitung
Die Waldeidechse ist die am weitesten nach Norden vordringende Reptilienart der Erde. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Irland und vom Westteil des Kantabrischen Gebirges im Westen bis zur Insel Sachalin im Osten, von der Poebene im Süden bis ans Eismeer und die Barents-See im Norden. In der Schweiz kommt sie in geeigneten Lebensräumen überall vor, ausgenommen im Mittel- und Südtessin, wo sie nicht unter 800 m.ü.M. beobachtet worden ist.
In den Bergregionen ist die Art ohne Zweifel auch heute noch ein häufiges Tier, vor allem weil sie dort nur in tieferen und sonnenexponierten Lagen von der Zauneidechse konkurrenziert wird. Schwieriger ist ihre Häufigkeit im Mittelland abzuschätzen. Obwohl sie stellenweise gemeinsam mit der Zauneidechse vorkommt, wird ihre Verbreitung vermutlich wesentlich von der grösseren Verwandten beeinflusst. Ihrer Unauffälligkeit wegen wird die Waldeidechse aber auch oft übersehen. Selbst aus gut bearbeiteten Gebieten kommen ständig neue Fundorte hinzu.
Schutzempfehlungen
- Erhaltung naturnaher, ausufernder Wald- und Waldwegränder
- naturnahe Waldbewirtschaftung
- Erhaltung der Moore
- Erhaltung der traditionellen Bewirtschaftung von Bergwäldern und Alpweiden
- Förderung von Kleinstrukturen auf dem Kulturland (Lesesteinhaufen, Lesesteinwälle, Trockenmauern, Holzhaufen usw.)
Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch)
Die karch hat sich zum Ziel gesetzt, die Ursachen und Mechanismen des Arten- und Bestandesrückganges von Reptilien umfassend zu untersuchen und Massnahmen zu ergreifen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Bitte melden Sie Ihre Beobachtungen von Waldeidechsen oder anderen Reptilien und Amphibien.
(TR)