Über Eibensamen und ihre Verbreitung
Bei der Eibe umschließt der Samenmantel (Arillus) die Samenanlage (Nucellus) becherförmig. Aus diesem Arillus geht durch weitere Anschwellung das leuchtend rote "Frucht-Fleisch" einer Scheinbeere hervor. Der rot gefärbte Eibenarillus enthält zu 80 % Wasser, 16,3 % Zucker, 1,7 % Proteine und zusätzlich Pektine, organische Säuren und Asche. Er ist der einzig taxinfreie und damit ungiftige Bestandteil der Eibe.
Für viele Vogelarten sind gerade Eibenfrüchte mit ihrem fleischigen, weichen Arillus von besonderem Wert. Besonders Misteldrossel, Singdrossel, Amsel, aber auch Wacholderdrossel, Rotdrossel, Star und Rotkehlchen fressen die Eibenfrüchte. Die unverdauten Samen werden im schleimigen, dunkelroten Vogelkot wieder ausgeschieden. Diese Vogelarten sind daher bekannte und wichtige Verbreiter der Eibe.
Weniger bekannt ist jedoch, dass auch der Kleiber zu den Vogelarten zählt, die aktiv die Eibe verbreiten. Allerdings interessiert den Kleiber nicht der Arillus, sondern nur der Samen der Eibe, den er geschickt aus dem Arillus herauszieht und häufig in Mauerfugen, Borkenritzen und Felsspalten "für schlechtere Zeiten" versteckt. Daneben benutzt er solche Örtlichkeiten auch zum Aufmeiseln von härteren Samen, ähnlich den Spechtschmieden der Spechte.
Dieses gezielte Suchen und Verstecken von Eibensamen durch Kleiber wurde bereits 1910 von STÄGER sehr genau beobachtet und beschrieben. Er zieht auch den Schluss, dass wohl der größte Teil der aus Felsspalten und Mauerfugen keimenden Eiben auf die Versteck-Tätigkeit durch den Kleiber zurückzuführen ist. Diese Beobachtungen wurden von dem Forstmann WILLE 1913 überprüft und bestätigt.
Auch Eiben, die am Wurzelansatz von Bäumen v.a. in Zwieselungen von Hauptwurzeln bei tiefrissiger Borke gefunden werden, gehen auf das Verstecken von Eibensamen durch Kleiber zurück.
Verjüngung von Buche und Hainbuche auf Totholz
Der Kleiber nutzt jedoch auch andere Baumsamen, z.B. Bucheckern und Hainbuchennüsschen, als Nahrung. In Zeiten großen Nahrungsangebotes versteckt er auch diese in Spalten und Ritzen an Baumstämmen. Er nutzt auch die entstehenden Rindenspalten liegenden Totholzes. Daher ist oftmals die in Reih und Glied auflaufende Buchen- bzw. Hainbuchenverjüngung auf mächtigen Totholzrollen von Buchen auf die Verstecktätigkeit des Kleibers zurückzuführen.
Ist der Vermorschungs- und Zersetzungsgrad des Holzes soweit fortgeschritten, dass sich genügend Feuchtigkeit in dem Holzkörper halten kann, können diese Keimlinge weiter wachsen; andernfalls vertrocknen sie. Auf diese Art und Weise trägt auch der Kleiber zur Verjüngung von Buche und Hainbuche auf Totholz bei.
Von der ostasiatischen Unterart unseres Kleibers (Sitta europaea amurensis) ist bekannt, dass ein Vogel im Herbst täglich 8 bis 28 Samennüsschen versteckt und aus Untersuchungen weiß man, dass 9 Kleiber zusammen im Laufe von September und Oktober etwa 5.000 solcher Nüsschen im Gewicht von insgesamt 2.500 g versteckten und horteten. Diese enorme Leistung kann man auch auf das Verstecken von Bucheckern oder Hainbuchennüsschen durch unseren Kleiber übertragen. Damit wird deutlich, welche Bedeutung der Kleiber bei der Verbreitung der Eibe, aber auch der Laubbaumarten Buche und Hainbuche in unseren Wäldern hat.